Sehen wir wirklich die Realität?
-
0:00 - 0:03Ich liebe Rätsel,
-
0:03 - 0:07und mich fasziniert das größte,
ungelöste Rätsel der Wissenschaft, -
0:07 - 0:10vielleicht, weil es persönlich ist.
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0:10 - 0:12Es geht darum, wer wir sind,
-
0:12 - 0:14da muss ich einfach neugierig sein.
-
0:14 - 0:16Das Mysterium ist folgendes:
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0:16 - 0:19Was ist die Beziehung
zwischen unserem Hirn -
0:19 - 0:21und unseren bewussten Erfahrungen,
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0:21 - 0:24wie etwa dem Geschmack von Schokolade
-
0:24 - 0:27oder dem Gefühl von Samt?
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0:27 - 0:29Dieses Mysterium ist nicht neu.
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0:29 - 0:331868 schrieb Thomas Huxley:
-
0:33 - 0:37"Wie kann etwas so Außergewöhnliches
wie ein Bewusstseinszustand, -
0:37 - 0:41hervorgerufen durch einen Reiz
des Nervensystems, -
0:41 - 0:43genau so unerklärlich sein
-
0:43 - 0:48wie die Erscheinung des Dschinns
aus Aladdins Lampe." -
0:49 - 0:52Huxley wusste, dass Gehirnaktivität
-
0:52 - 0:55und bewusste Erfahrungen zusammenhängen,
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0:55 - 0:57aber er wusste nicht, warum.
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0:57 - 1:01Der damaligen Wissenschaft
war es ein Rätsel. -
1:01 - 1:03Seither hat die Wissenschaft
-
1:03 - 1:06viel über die Hirntätigkeit gelernt,
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1:06 - 1:08aber die Verbindung zwischen Hirntätigkeit
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1:08 - 1:11und bewusster Erfahrung blieb ein Rätsel.
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1:11 - 1:15Warum haben wir
so wenige Fortschritte gemacht? -
1:15 - 1:19Einige Experten glauben,
uns fehlten die nötigen Konzepte -
1:19 - 1:24und die Intelligenz,
um das Rätsel zu lösen. -
1:24 - 1:28Wir fordern von keinem Affen,
Probleme der Quantenmechanik zu lösen. -
1:28 - 1:32Und so können wir auch von uns
eine Lösung des Rätsels nicht erwarten. -
1:32 - 1:36Ich sehe das anders, optimistischer.
-
1:36 - 1:39Ich meine, wir sind von einer
falschen Annahme ausgegangen. -
1:39 - 1:42Wenn wir das beheben,
könnten wir das Problem lösen. -
1:42 - 1:45Heute erkläre ich Ihnen,
was diese Annahme ist, -
1:45 - 1:48warum sie falsch
und wie sie zu korrigieren ist. -
1:48 - 1:50Fangen wir mit einer Frage an:
-
1:50 - 1:53Sehen wir die Realität,
wie sie wirklich ist? -
1:53 - 1:55Ich öffne meine Augen,
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1:55 - 2:01und nehme etwas wahr, das ich beschreibe
als: 'rote Tomate, einen Meter entfernt'. -
2:01 - 2:03Dadurch glaube ich daran,
-
2:03 - 2:07dass einen Meter entfernt
eine rote Tomate liegt. -
2:07 - 2:12Ich schließe meine Augen wieder,
und nehme nur Grau wahr. -
2:12 - 2:18Liegt nun in der Realität einen Meter
entfernt immer noch eine rote Tomate? -
2:18 - 2:22Ich glaube schon,
aber könnte ich falsch liegen? -
2:22 - 2:27Könnte ich die Natur meiner Wahrnehmung
falsch interpretieren? -
2:27 - 2:31Wir haben dies schon öfters getan.
-
2:31 - 2:35Wir dachten, die Erde sei flach,
weil sie flach aussieht. -
2:35 - 2:38Pythagoras fand heraus,
dass wir falsch lagen. -
2:38 - 2:42Dann glaubten wir, die Erde sei
das regungslose Zentrum des Universums, -
2:42 - 2:44wieder, weil es eben so aussah.
-
2:44 - 2:49Kopernikus und Galileo fanden heraus,
dass wir wieder falsch lagen. -
2:49 - 2:52Galileo fragte sich,
ob wir unsere Erfahrungen -
2:52 - 2:55auch in anderen Sachen fehlinterpretieren.
-
2:55 - 3:00Er schrieb: "Ich glaube,
Geschmack, Gerüche, Farben etc. -
3:00 - 3:02befinden sich im Bewusstsein.
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3:02 - 3:08Ohne Lebewesen gäbe es
diese Eigenschaften nicht." -
3:09 - 3:11Das ist eine verblüffende Behauptung.
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3:11 - 3:13Könnte Galileo richtig liegen?
-
3:13 - 3:18Missinterpretieren wir
unsere Erfahrungen wirklich so arg? -
3:18 - 3:21Was sagt die moderne Wissenschaft dazu?
-
3:21 - 3:26Neurowissenschaftler sagen,
dass ein Drittel der Hirnrinde -
3:26 - 3:28am Sehen beteiligt ist.
-
3:28 - 3:31Wenn Sie Ihre Augen öffnen
und sich im Raum umschauen, -
3:31 - 3:36arbeiten Milliarden Neuronen
und Billionen Synapsen. -
3:36 - 3:37Das ist überraschend,
-
3:37 - 3:40denn wenn wir überhaupt daran denken,
-
3:40 - 3:43stellen wir uns das Sehen
wie eine Kamera vor. -
3:43 - 3:47Man macht einfach ein Bild
der objektiven Realität, wie sie ist. -
3:47 - 3:50Tatsächlich funktioniert
ein Teil des Sehens wie eine Kamera: -
3:50 - 3:55Das Auge hat eine Linse, welche ein Bild
an die Rückwand des Auges wirft, -
3:55 - 3:58wo 130 Millionen Fotorezeptoren sitzen.
-
3:58 - 4:02Das Auge ist also wie
eine 130-Megapixel-Kamera. -
4:02 - 4:07Das erklärt aber die Milliarden Neuronen
und Billionen Synapsen nicht, -
4:07 - 4:09die am Sehen beteiligt sind.
-
4:09 - 4:11Was tun diese Neuronen?
-
4:11 - 4:13Neurowissenschaftler erklären uns,
-
4:13 - 4:20dass sie wahrgenommene Formen, Objekte,
Farben und Bewegung in Echtzeit erzeugen. -
4:20 - 4:24Es scheint, als würden wir
diesen Raum fotografieren, wie er ist. -
4:24 - 4:27In Wirklichkeit erzeugen wir
alles, was wir sehen. -
4:27 - 4:30Wir konstruieren nicht die ganze Welt,
-
4:30 - 4:34sondern nur das, was wir gerade brauchen.
-
4:34 - 4:37Es gibt viele überzeugende Beispiele,
-
4:37 - 4:39dass wir das, was wir sehen, konstruieren.
-
4:39 - 4:41Ich zeige Ihnen nur zwei:
-
4:42 - 4:47In diesem Beispiel sehen Sie rote Flächen,
aus denen etwas ausgeschnitten wurde. -
4:47 - 4:49Wenn ich die jetzt drehe,
-
4:49 - 4:53sehen Sie plötzlich einen Würfel,
der aus dem Bildschirm kommt. -
4:54 - 4:57Der Bildschirm ist natürlich flach,
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4:57 - 5:00dieser 3D-Würfel, den Sie wahrnehmen,
-
5:00 - 5:03muss also von Ihnen konstruiert sein.
-
5:03 - 5:05Im nächsten Beispiel
-
5:05 - 5:10sehen Sie leuchtende blaue Balken
mit klarer Kontur -
5:10 - 5:13sich über ein Punktefeld bewegen.
-
5:14 - 5:17Doch kein einziger Punkt bewegt sich.
-
5:17 - 5:21Die Punkte ändern lediglich ihre Farbe
zwischen jedem Einzelbild, -
5:21 - 5:24von Blau zu Schwarz oder Schwarz zu Blau.
-
5:24 - 5:26Wenn das schnell genug geht,
-
5:26 - 5:29erschafft Ihr visuelles System
die leuchtenden blauen Balken -
5:29 - 5:32mit den Kanten und der Bewegung.
-
5:32 - 5:35Das sind nur zwei von vielen Beispielen,
-
5:35 - 5:38dass wir das, was wir sehen,
selber erschaffen. -
5:38 - 5:40Neurowissenschaftler gehen noch weiter.
-
5:41 - 5:46Sie behaupten,
wir rekonstruieren die Realität. -
5:46 - 5:51Eine Sinneserfahrung,
die Sie als rote Tomate beschreiben, -
5:51 - 5:55ist tatsächlich
eine akkurate Rekonstruktion -
5:55 - 5:57der Eigenschaften einer echten Tomate,
-
5:57 - 6:01die auch dann existieren würde,
wenn Sie nicht hinsähen. -
6:01 - 6:05Warum sprechen Neurowissenschaftler
nicht nur vom Konstruieren, -
6:05 - 6:07sondern vom Rekonstruieren?
-
6:07 - 6:12Die übliche Begründung dafür
ist eine evolutionsbedingte. -
6:12 - 6:16Diejenigen unserer Vorfahren,
die am besten sehen konnten, -
6:16 - 6:20hatten einen Vorteil im Wettbewerb
mit den weniger gut sehenden, -
6:20 - 6:24und gaben ihre Gene mit
größerer Wahrscheinlichkeit weiter. -
6:24 - 6:26Wir sind die Nachkommen derer,
die akkurater sehen konnten, -
6:26 - 6:29also nehmen wir an,
dass unsere Wahrnehmung, -
6:29 - 6:32in den meisten Fällen richtig ist.
-
6:32 - 6:35Das steht auch so in den Schulbüchern.
-
6:35 - 6:37Ein Beispiel dafür ist:
-
6:37 - 6:40"Evolutionär gesehen
ist das Sehen nützlich, -
6:40 - 6:43gerade weil es so akkurat ist."
-
6:43 - 6:48Dahinter steckt, dass genauere
Wahrnehmung anpassungsfähiger ist. -
6:48 - 6:50Sie gibt einem einen Überlebensvorteil.
-
6:50 - 6:52Ist das wirklich richtig?
-
6:52 - 6:55Ist das die richtige Interpretation
der Evolutionstheorie? -
6:55 - 6:58Gucken wir uns dafür
ein paar Beispiele der Natur an. -
6:59 - 7:01Der australische Prachtkäfer
-
7:01 - 7:04hat Rillen im Panzer,
glänzt und ist braun. -
7:04 - 7:07Die Weibchen können nicht fliegen.
-
7:07 - 7:11Das Männchen fliegt herum
und sucht nach einem schicken Weibchen. -
7:11 - 7:15Wenn er eines gefunden hat,
landet er und paart sich. -
7:15 - 7:17Es gibt noch eine weitere Spezies
in der Wildnis. -
7:17 - 7:18Homo Sapiens.
-
7:18 - 7:22Das Männchen hat ein großes Hirn,
-
7:22 - 7:26welches er für die Jagd
auf kaltes Bier einsetzt. -
7:26 - 7:27(Lachen)
-
7:27 - 7:30Und wenn er eins findet, trinkt er es aus,
-
7:30 - 7:33und schmeißt die Flasche in die Wildnis.
-
7:33 - 7:37Die Flaschen haben auch Rillen, glänzen,
-
7:37 - 7:41und haben genau das richtige Braun,
um diese Käfer in Stimmung zu bringen. -
7:43 - 7:47Die Männchen setzen sich auf die Flaschen,
und versuchen, sich zu paaren. -
7:48 - 7:50Sie verlieren jegliches Interesse
an den Weibchen. -
7:50 - 7:55Ein typischer Fall in dem das Männchen,
das Weibchen durch die Flasche ersetzt. -
7:55 - 7:58(Lachen) (Applaus)
-
7:59 - 8:02Diese Käferart wäre fast ausgestorben.
-
8:02 - 8:07Australien musste die Flaschen ändern,
um seine Käfer zu retten. -
8:07 - 8:08(Lachen)
-
8:10 - 8:14Die Männchen hatten doch
Tausende oder sogar Millionen von Jahren -
8:14 - 8:16ihre Weibchen erfolgreich finden können.
-
8:16 - 8:21Es schien, als könnten sie die wirkliche
Realität sehen -- aber nein. -
8:21 - 8:24Die Evolution gab ihnen eine Abkürzung.
-
8:24 - 8:28Ein Weibchen ist alles Unebene,
Glänzende und Braune, -
8:28 - 8:31je größer, desto besser.
-
8:31 - 8:33(Lachen)
-
8:33 - 8:38Selbst beim Krabbeln über die Flasche,
merkten die Männchen ihren Fehler nicht. -
8:38 - 8:42Jetzt sagen Sie vielleicht:
"Käfer, diese einfachen Kreaturen ... -
8:42 - 8:44Aber Säugetieren passiert so etwas nicht,
-
8:44 - 8:46die brauchen keine Tricks."
-
8:46 - 8:49Ich führe das nicht weiter aus,
Sie wissen, was ich meine. -
8:50 - 8:51(Lachen)
-
8:52 - 8:55Das wirft eine wichtige,
fachliche Frage auf: -
8:55 - 9:01Bevorzugt die natürliche Selektion
das Sehen der Realität, wie sie ist? -
9:02 - 9:05Zum Glück müssen
wir nicht viel herumraten, -
9:05 - 9:09da die Evolutionstheorie
eine mathematisch akkurate ist. -
9:09 - 9:12Wir können es mit den Gleichungen
der Evolution herausfinden. -
9:12 - 9:16Wir lassen verschiedene Organismen
in künstlichen Welten konkurrieren -
9:16 - 9:18und sehen, welche überleben
und Erfolg haben, -
9:18 - 9:22wessen Wahrnehmungssystem
am besten geeignet ist. -
9:22 - 9:26Ein Schlüsselbegriff dieser Gleichungen
ist die Tauglichkeit. -
9:26 - 9:29Stellen Sie sich dieses Steak vor:
-
9:29 - 9:33Welchen Einfluss hat es
auf die Tauglichkeit eines Tieres? -
9:33 - 9:40Die Tauglichkeit eines
hungrigen Löwen verbessert es; -
9:40 - 9:45die eines gut genährten Löwen,
der sich paaren will, nicht. -
9:46 - 9:50Und die Tauglichkeit eines Hasen
verbessert es keinesfalls. -
9:50 - 9:54Die Tauglichkeit hängt daher
von der Realität, wie sie ist, ab; -
9:54 - 9:58aber auch vom Organismus,
seiner Situation und Handlung. -
9:58 - 10:02Tauglichkeit ist also nicht das Gleiche
wie die Realität, wie sie ist. -
10:02 - 10:05Es ist die Tauglichkeit --
nicht die Realität, wie sie ist -- -
10:05 - 10:09die in der Gleichung der Evolution
die zentrale Rolle spielt. -
10:09 - 10:12In meinem Labor
-
10:12 - 10:16haben wir Hunderttausende
Evolutionssimulationen durchgeführt, -
10:16 - 10:19in vielen zufällig gewählten Welten,
-
10:19 - 10:24mit Organismen, die dort
um die Ressourcen konkurrieren. -
10:24 - 10:28Einige Organismen
sehen die ganze Realität, -
10:28 - 10:30andere nur einen Teil
-
10:30 - 10:32und wieder andere gar nichts davon,
-
10:32 - 10:34nur ihre Tauglichkeit und Anpassung.
-
10:34 - 10:36Wer gewinnt?
-
10:36 - 10:41Es tut mir leid, das sagen zu müssen,
aber die Wahrnehmung der Realität -
10:41 - 10:44stirbt in fast jeder Simulation aus.
-
10:44 - 10:46Organismen, die nichts
von der Realität sehen -
10:46 - 10:49und nur auf Tauglichkeit
und Anpassung setzen, -
10:49 - 10:54lassen alle anderen aussterben,
die die Realität wahrnehmen, wie sie ist. -
10:54 - 11:00Wir sehen, dass die Evolution
akkurate Wahrnehmung nicht favorisiert. -
11:00 - 11:04Diese Realitätswahrnehmungen sterben aus.
-
11:04 - 11:05Das ist überraschend.
-
11:05 - 11:09Wie kann ungenaues Sehen
-
11:09 - 11:11einen Überlebensvorteil bringen?
-
11:11 - 11:13Das widerspricht dem Bauchgefühl.
-
11:13 - 11:16Erinnern wir uns an den Prachtkäfer:
-
11:16 - 11:19Er hat für Tausende,
vielleicht Millionen Jahre -
11:19 - 11:22mit seinen Tricks und Kniffen überlebt.
-
11:22 - 11:25Die Evolutionsgleichungen sagen,
-
11:25 - 11:30dass alle Organismen, uns eingeschlossen,
im selben Boot wie der Käfer sitzen. -
11:30 - 11:33Wir sehen die Realität nicht, wie sie ist.
-
11:33 - 11:37Wir sind durch Tricks und Kniffe
geprägt, die uns am Leben halten. -
11:37 - 11:41Wir müssen unserem Bauchgefühl
also auf die Sprünge helfen. -
11:41 - 11:45Wie kann das Nicht-Wahrnehmen
der Realität nützlich sein? -
11:45 - 11:49Zum Glück gibt es dafür
eine hilfreiche Metapher: -
11:49 - 11:52Die Desktopoberfläche Ihres Computers.
-
11:52 - 11:56Denken Sie an das blaue Symbol
für einen TEDTalk, den Sie schreiben. -
11:56 - 12:00Es ist blau und rechteckig,
-
12:00 - 12:03und in der unteren, rechten Ecke.
-
12:03 - 12:08Heißt das, dass die Textdatei im Computer
auch blau, rechteckig, -
12:08 - 12:12und in der unteren, rechten Ecke ist?
-
12:12 - 12:13Natürlich nicht.
-
12:13 - 12:18Wer das glaubt, versteht den Sinn
der Benutzeroberfläche nicht. -
12:18 - 12:21Sie soll nicht die Realität
des Computers zeigen, -
12:21 - 12:23sondern diese Realität verstecken.
-
12:23 - 12:26Mit den Dioden, Widerständen
und Megabytes an Software -
12:26 - 12:28will man sich nicht befassen.
-
12:28 - 12:29Täten Sie das,
-
12:29 - 12:33kämen Sie nie dazu, Texte zu schreiben
oder Bilder zu bearbeiten. -
12:33 - 12:37Das Prinzip ist also, dass die Evolution
uns eine Oberfläche gegeben hat, -
12:37 - 12:41die die Realität versteckt
und unser Lernverhalten leitet. -
12:41 - 12:44Raum und Zeit, wie Sie sie
gerade wahrnehmen, -
12:44 - 12:47sind Ihr Desktop;
-
12:47 - 12:51physische Objekte
sind nur die Symbole darauf. -
12:52 - 12:54Da gibt es einen naheliegenden Einwand:
-
12:54 - 12:58Hoffman, wenn dieser Zug,
der mit 300 km/h auf dich zukommt, -
12:58 - 13:01nur ein Symbol auf deinem Bildschirm ist,
-
13:01 - 13:03warum springst du dann nicht davor?
-
13:03 - 13:05Und wenn du samt deiner Theorie fort bist,
-
13:05 - 13:09wissen wir, dass der Zug mehr ist,
als ein Symbol auf dem Desktop. -
13:09 - 13:12Ich würde aus dem selben Grund,
nicht vor den Zug springen, -
13:12 - 13:16aus dem ich dieses Symbol nicht einfach
in den Papierkorb verschieben würde: -
13:16 - 13:20Nicht, weil ich das Symbol
"wörtlich" nehme -- -
13:20 - 13:23die Datei ist weder blau
noch rechteckig -- -
13:23 - 13:25aber ich nehme es trotzdem ernst.
-
13:25 - 13:27Ich könnte Wochen an Arbeit verlieren.
-
13:27 - 13:30In ähnlicher Weise hat die Evolution
-
13:30 - 13:35uns mit Wahrnehmungs-Symbolen geprägt,
die uns am Leben halten sollen. -
13:35 - 13:37Wir nehmen sie besser ernst.
-
13:37 - 13:40Sehen Sie eine Schlange,
heben Sie sie nicht auf. -
13:40 - 13:43Stehen Sie an einer Klippe,
springen Sie nicht hinunter. -
13:43 - 13:47Die Symbole sollen uns schützen
und wir sollten sie ernst, -
13:47 - 13:49aber nicht "wörtlich" nehmen.
-
13:49 - 13:52Das ist ein logischer Fehler.
-
13:52 - 13:55Ein anderer Einwand:
Das ist doch alles nichts Neues. -
13:55 - 13:59Physiker sagen schon lange,
dass das Metall des Zuges fest aussieht, -
13:59 - 14:03aber größtenteils leerer Raum mit herum
flitzenden mikroskopischen Teilchen ist. -
14:03 - 14:05Das ist also nichts Neues.
-
14:05 - 14:07Das stimmt nicht ganz.
-
14:07 - 14:11Genau so könnte man sagen,
dass das blaue Symbol auf dem Desktop -
14:11 - 14:13nicht die Realität des Computers ist,
-
14:13 - 14:17dann seine gute alte Lupe
herausholen, ganz nah dran gehen, -
14:17 - 14:18die kleinen Pixel sehen
-
14:18 - 14:21und diese für die Realität
des Computers halten. -
14:21 - 14:25Falsch. Sie sind immer noch
auf dem Desktop, darum geht es. -
14:25 - 14:28Diese kleinen Teilchen
sind immer noch in Raum und Zeit, -
14:28 - 14:30immer noch auf der Benutzeroberfläche.
-
14:30 - 14:34Ich behaupte also etwas viel
Radikaleres als die Physiker. -
14:34 - 14:36Zuletzt könnten Sie einwenden,
-
14:36 - 14:39dass wir alle den Zug sehen,
-
14:39 - 14:42ihn also keiner von uns
selbst konstruiert. -
14:42 - 14:44Erinnern Sie sich aber an dieses Beispiel:
-
14:44 - 14:47Hier sehen wir alle einen Würfel,
-
14:47 - 14:49aber der Bildschirm ist flach,
-
14:49 - 14:53also ist der Würfel ein Konstrukt.
-
14:54 - 14:56Wir sehen alle diesen Würfel,
-
14:56 - 15:00weil jeder Einzelne von uns,
diesen Würfel selbst konstruiert. -
15:00 - 15:03Das Gleiche gilt für den Zug.
-
15:03 - 15:07Wir sehen alle einen Zug, weil wir alle
den Zug sehen, den wir konstruieren. -
15:07 - 15:11Das gleiche gilt für alle anderen
physischen Objekte. -
15:12 - 15:17Wir tendieren dazu, unsere Wahrnehmung
als Fenster zur echten Realität zu sehen. -
15:17 - 15:19Die Evolutionstheorie zeigt uns,
-
15:19 - 15:25dass das eine falsche Interpretation
unserer Wahrnehmungen ist. -
15:25 - 15:29Die Realität ist eher
wie ein 3D-Bildschirm, -
15:29 - 15:32der die Komplexität
der wirklichen Welt verstecken -
15:32 - 15:34und unser Lernverhalten leiten soll.
-
15:34 - 15:37Der Raum, wie Sie ihn
wahrnehmen, ist Ihr Desktop. -
15:37 - 15:41Die physischen Objekte
sind die Symbole darauf. -
15:41 - 15:45Wir glaubten, die Erde sei flach,
weil es so aussieht; -
15:46 - 15:49wir glaubten, die Erde wäre
das unbewegliche Zentrum der Realität, -
15:49 - 15:50weil es so aussieht.
-
15:50 - 15:52Wir lagen falsch.
-
15:52 - 15:54Wir haben unsere Wahrnehmungen
falsch interpretiert. -
15:55 - 15:58Jetzt glauben wir,
dass Raumzeit und Objekte -
15:58 - 16:01die Beschaffenheit der Realität sind,
wie diese wirklich ist. -
16:01 - 16:05Die Evolutionstheorie beweist uns wieder,
dass wir falsch liegen. -
16:05 - 16:10Wir interpretieren den Inhalt
unserer Sinneswahrnehmungen falsch. -
16:10 - 16:13Etwas existiert auch dann,
wenn man wegschaut, -
16:13 - 16:16aber es sind weder die Raumzeit
noch physische Objekte. -
16:16 - 16:20Es fällt uns so schwer, die Raumzeit
und Objekte loszulassen, -
16:20 - 16:23wie dem Prachtkäfer seine Flasche.
-
16:23 - 16:27Warum? Weil wir blind sind
für unsere eigene Blindheit. -
16:28 - 16:31Aber wir haben gegenüber
dem Käfer einen Vorteil: -
16:31 - 16:33Wissenschaft und Technologie.
-
16:33 - 16:35Mit dem Blick durch
die Linse des Teleskops, -
16:35 - 16:40entdeckten wir, dass die Erde nicht
das unbewegte Zentrum der Realität ist -
16:40 - 16:43und mit dem Blick durch die Linse
der Evolutionstheorie, -
16:43 - 16:45dass die Raumzeit und Objekte
-
16:45 - 16:47nicht die Beschaffenheit
der Realität sind. -
16:47 - 16:51Bei einer Wahrnehmungserfahrung,
die ich als rote Tomate beschreibe, -
16:51 - 16:54interagiere ich mit der Realität,
-
16:54 - 17:00aber diese Realität ist keine rote Tomate,
und auch nichts Ähnliches. -
17:00 - 17:05Auch wenn ich etwas wahrnehme,
das ich als Löwen oder Steak beschreibe, -
17:05 - 17:07interagiere ich mit der Realität,
-
17:07 - 17:10aber diese ist weder Löwe noch Steak.
-
17:10 - 17:12Und hier ist das Beste:
-
17:12 - 17:17Wenn ich eine Wahrnehmungserfahrung mache,
die ich als Hirn oder Neuronen beschreibe, -
17:17 - 17:19interagiere ich mit der Realität,
-
17:19 - 17:22aber diese ist weder Gehirn noch Neuronen,
-
17:22 - 17:26und ihnen auch kein bisschen ähnlich.
-
17:27 - 17:31Diese Realität, was auch immer sie ist,
-
17:31 - 17:35ist der wahre Ursprung
von Ursache und Wirkung in der Welt -- -
17:35 - 17:38nicht die Gehirne oder die Neuronen.
-
17:38 - 17:41Die beiden haben keine kausalen Kräfte.
-
17:41 - 17:43Sie verursachen weder
unsere Wahrnehmungserfahrungen -
17:43 - 17:45noch unser Verhalten.
-
17:45 - 17:49Hirne und Neuronen sind eine
arteigene Reihe an Symbolen -- ein Trick. -
17:50 - 17:54Was bedeutet das
für das Rätsel des Bewusstseins? -
17:54 - 17:58Es eröffnet neue Möglichkeiten.
-
17:58 - 18:04Zum Beispiel, dass Realität
eine große Maschine ist, -
18:04 - 18:06die unsere bewussten
Erfahrungen verursacht. -
18:06 - 18:10Ich bezweifle das,
aber es ist eine Untersuchung wert. -
18:10 - 18:16Vielleicht ist Realität ein großes,
interagierendes Netz bewusster Kräfte, -
18:16 - 18:21einfach und komplex, die gegenseitig
ihre Erfahrungen verursachen. -
18:21 - 18:24Das ist nicht so verrückt,
wie es sich anhört, -
18:24 - 18:27und ich erforsche es gerade.
-
18:27 - 18:29Aber hier ist der Knackpunkt:
-
18:29 - 18:32Wenn wir von unserer
ebenso sehr intuitiven, -
18:32 - 18:36wie falschen These über die Beschaffenheit
der Realität abkommen, -
18:36 - 18:40eröffnet uns das neue Denkweisen
über das größte Rätsel des Lebens. -
18:41 - 18:46Ich wette, dass die Realität
faszinierender -
18:46 - 18:50und unerwarteter aussehen wird,
als wir sie uns je vorgestellt haben. -
18:50 - 18:55Die Evolutionstheorie stellt uns
vor das ultimative Wagnis: -
18:55 - 19:00Anzuerkennen, dass es beim Wahrnehmen
nicht um das Sehen der Wahrheit geht, -
19:00 - 19:03sondern darum, Kinder zu haben.
-
19:03 - 19:08Und nebenbei: Selbst diesen TED
gibt es nur in Ihrem Kopf. -
19:08 - 19:10Vielen Dank.
-
19:10 - 19:15(Applaus)
-
19:15 - 19:19Chris Anderson: Don, bleiben Sie hier.
-
19:19 - 19:24CA: Wenn das wirklich Sie sind, danke.
-
19:24 - 19:27Das wirft so viele Fragen auf.
-
19:27 - 19:33Der Gedanke, dass die Evolution
nicht die Realität bevorzugt, -
19:33 - 19:36könnte manche Menschen sehr verstören.
-
19:36 - 19:40Untergräbt das nicht all unsere
Bestrebungen und Befähigungen -
19:40 - 19:42zu glauben, die Wahrheit denken zu können,
-
19:42 - 19:45vielleicht sogar einschließlich
Ihrer eigenen Theorie? -
19:45 - 19:50Donald Hoffman: Das hält uns nicht
von erfolgreicher Wissenschaft ab. -
19:50 - 19:53Wir haben eine Theorie,
die sich als falsch herausstellt: -
19:53 - 19:57Die Wahrnehmung gleicht der Realität,
und die Realität gleich der Wahrnehmung. -
19:57 - 19:59Das hat sich als falsch erwiesen.
-
19:59 - 20:01Dann verwerfen wir diese Theorie.
-
20:01 - 20:03Wir können trotzdem,
viele weitere Theorien -
20:03 - 20:05über die Natur der Realität aufstellen.
-
20:05 - 20:09Es ist ein Fortschritt, zu verstehen,
dass eine unserer Theorien falsch war. -
20:09 - 20:11Die Wissenschaft geht weiter
ihren Gang. Kein Problem. -
20:11 - 20:14CA: Sie glauben also, es ist möglich
-- (Lachen) -- -
20:14 - 20:18Schön und gut, aber ich glaube,
dass uns die Evolution -
20:18 - 20:20dennoch zu Einsichten führen kann.
-
20:20 - 20:23DH: Ja. Das ist ein guter Punkt.
-
20:23 - 20:27In den Evolutions-Simulationen
ging es speziell um Wahrnehmung, -
20:27 - 20:30und sie zeigen, dass unsere Wahrnehmungen
so geformt wurden, -
20:30 - 20:33uns die Realität nicht so
zu zeigen wie sie ist. -
20:33 - 20:36Das muss aber nicht für unsere Logik
oder Mathematik gelten. -
20:36 - 20:40Wir haben dazu keine Simulationen
durchgeführt, aber ich wette, -
20:40 - 20:43dass Logik und Mathematik
unter dem Selektionsdruck stehen, -
20:43 - 20:45zumindest in Richtung Wahrheit zu deuten.
-
20:45 - 20:48Logik und Mathe sind nicht einfach.
-
20:48 - 20:52Wir lösen nicht alles richtig,
aber zumindest deutet der Selektionsdruck -
20:52 - 20:54nicht konstant von wahrer
Mathematik und Logik weg. -
20:54 - 20:58Wir müssen jeden kognitiven
Bereich einzeln betrachten, -
20:58 - 21:00und sehen, was die Evolution damit macht.
-
21:00 - 21:04Was für Wahrnehmung stimmt,
muss nicht für Mathe und Logik stimmen. -
21:04 - 21:10CA: Sie schlagen eine moderne
George-Berkeley-Weltsicht vor: -
21:10 - 21:13Bewusstsein schafft Materie,
und nicht andersherum. -
21:13 - 21:15DH: Es ist schon ein wenig anders.
-
21:15 - 21:19Als Deist war Berkeley der Meinung,
-
21:19 - 21:22dass die ultimative Natur der Realität
Gott ist, und so weiter, -
21:22 - 21:24dahin muss ich ihm nicht folgen.
-
21:24 - 21:27Es unterscheidet sich also
ziemlich von Berkeley. -
21:27 - 21:31Ich nenne es bewussten Realismus.
Es ist eine ganz andere Sichtweise. -
21:31 - 21:36CA: Ich könnte noch Stunden darüber reden,
und hoffe, die Gelegenheit zu haben. -
21:36 - 21:37Vielen Dank.
DH: Danke. (Applaus)
- Title:
- Sehen wir wirklich die Realität?
- Speaker:
- Donald Hoffman
- Description:
-
Der Kognitionswissenschaftler Donald Hoffman versucht, eine große Frage zu beantworten: Erleben wir die Welt, wie sie wirklich ist ... oder so, wie wir sie gerade brauchen? In diesem erstaunlichen Vortrag erklärt Hoffman seine Gedanken darüber, wie die Realität in unseren Köpfen entsteht.
- Video Language:
- English
- Team:
- closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 21:50
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