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Kapitalismus frisst Demokratie ‒ wenn wir nicht handeln

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    Demokratie.
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    Wir im Westen
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    machen einen großen Fehler, sie
    als selbstverständlich zu betrachten.
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    Wir sehen die Demokratie
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    nicht als die zerbrechliche Pflanze,
    die sie in Wirklichkeit ist,
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    sondern als Inventar unserer Gesellschaft.
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    Wir neigen dazu, sie als unveränderliche
    Gegebenheit zu betrachten.
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    Wir glauben, dass Kapitalismus
    zwangsläufig zu Demokratie führt.
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    Das stimmt nicht.
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    Lee Kuan Yew aus Singapur und
    seine großen Nachahmer in Peking
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    haben zweifelsfrei bewiesen,
    dass es durchaus möglich ist,
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    einen blühenden Kapitalismus
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    und beeindruckendes Wachstum zu haben,
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    während die Politik komplett
    undemokratisch bleibt.
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    Tatsächlich schwindet die Demokratie
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    bei uns, in Europa.
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    Anfang des Jahres, als ich
    Griechenland repräsentierte
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    -- die neu gewählte
    griechische Regierung --
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    wurde mir als Finanzminister
    in der Eurogruppe
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    unmissverständlich klargemacht, dass
    der demokratische Prozess unseres Landes
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    -- unsere Wahlen --
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    nicht die Sparprogramme
    beeinflussen dürften,
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    die in Griechenland verwirklicht wurden.
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    In diesem Moment dachte ich,
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    dass es wohl keine bessere Rechtfertigung
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    für Lee Kuan Yew oder die Kommunistische
    Partei Chinas geben könnte,
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    oder einige meiner aufsässige
    Freunde, die mir wiederholt sagten,
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    dass die Demokratie abgeschafft würde,
    wenn sie irgendetwas verändern würde.
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    An dieser Stelle möchte ich Ihnen
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    ein wirtschaftliches Modell
    für eine echte Demokratie vorstellen.
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    Ich bitte Sie, gemeinsam mit mir,
    wieder daran zu glauben,
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    dass Lee Kuan Yew,
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    die Kommunistische Partei Chinas
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    und sogar die Eurogruppe
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    einem Irrglauben erliegen, wir
    könnten uns die Demokratie sparen,
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    sondern, dass wir eine wahrhafte
    und wehrhafte Demokratie benötigen.
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    Denn ohne Demokratie
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    werden unsere Gesellschaften gemeiner,
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    unsere Zukunft düster
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    und unsere großartigen, neuen
    Technologien verschwendet.
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    Zum Thema Verschwendung
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    möchte ich Sie auf einen
    interessanten Widerspruch hinweisen,
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    der aktuell unsere Wirtschaften bedroht.
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    Ich nenne es
    das "Zwillingsgipfel-Paradox".
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    Ein Gipfel ist Ihnen bekannt.
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    Sie kennen und erkennen ihn
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    als den Schuldenberg,
    der seinen langen Schatten
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    über die USA, Europa
    und die ganze Welt wirft.
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    Wir alle erkennen den Schuldenberg,
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    doch nur wenige erkennen seinen Zwilling.
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    Ein Berg von ungenutztem Bargeld,
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    das den vermögenden Sparern
    und Konzernen gehört,
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    die jedoch zu ängstlich sind,
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    es dort zu investieren,
    wo es produktiv wäre
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    und Einkommen einbringen könnte,
    mit dem man den Schuldenberg abtragen
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    und auch all die Dinge produzieren könnte,
    die die Menschheit dringend benötigt,
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    zum Beispiel "grüne" Energie.
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    Ich nenne ihnen dazu zwei Zahlen.
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    In den vergangenen 3 Monaten
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    wurden in den USA, in England
    und in der Eurozone zusammengenommen
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    3,4 Billionen US-Dollar investiert,
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    in all die Wohlstand produzierenden Güter,
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    wie Industrieanlagen, Maschinen,
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    Bürogebäude, Schulen,
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    Straßen, Gleise, Ausrüstung
    und so weiter und so fort.
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    3,4 Billionen US-Dollar
    klingt nach viel Geld,
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    bis man es mit den
    5,1 Billionen US-Dollar vergleicht,
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    die zur gleichen Zeit
    in denselben Ländern
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    und unseren Finanzinstituten herumlagen,
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    und absolut nichts taten,
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    außer die Börsen aufzublähen
    und die Immobilienpreise hochzutreiben.
  • 3:38 - 3:45
    So bilden Schulden und
    unproduktives Kapital die Zwillingsgipfel,
  • 3:45 - 3:50
    die sich durch die üblichen
    Marktmechanismen nicht ausgleichen.
  • 3:50 - 3:53
    Das Ergebnis sind stagnierende Löhne,
  • 3:53 - 4:01
    mehr als ein Viertel der 25-54-Jährigen
    in den USA, Japan und Europa arbeitslos,
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    und folglich eine niedrige
    gesamtwirtschaftliche Nachfrage,
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    die wie in einer Endlosschleife
    den Pessimismus der Investoren verstärkt,
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    die, eine niedrige Nachfrage befürchtend,
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    diese selbst befördern,
    in dem sie nicht investieren.
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    Genau wie Ödipus Vater,
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    der aus Angst, die Prophezeiung
    des Orakels könnte wahr werden,
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    dass sein Sohn ihn töten würde,
    wenn er erwachsen wird,
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    ungewollt die Umstände herbeiführt,
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    die dazu führen, dass Ödipus ihn tötet.
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    Das ist mein Hadern
    mit dem Kapitalismus --
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    seine überaus verschwenderische Art.
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    All das unproduktive Kapital
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    sollte eingesetzt werden,
    unser Leben zu verbessern,
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    menschliche Talente weiterzuentwickeln
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    und besonders all die
    Technologien zu finanzieren,
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    "grüne" Technologien,
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    die entscheidend für
    die Rettung der Erde sind.
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    Ist also Demokratie die Lösung?
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    Ich glaube schon.
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    Aber bevor wir fortfahren:
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    Was verstehen wir unter Demokratie?
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    Aristoteles definierte Demokratie
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    als die Gesellschaftsform, in der
    die Freien und die Armen
  • 5:02 - 5:05
    als Mehrheit die Regierung kontrollieren.
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    Die athenische Demokratie
    schloss natürlich zu viele aus --
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    Frauen, Ausländer, und natürlich Sklaven.
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    Es wäre jedoch ein Fehler,
  • 5:13 - 5:17
    den Stellenwert der athenischen Demokratie
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    aufgrund dieser Ausschlüsse zu mindern.
  • 5:20 - 5:24
    Das Entscheidende an der
    athenischen Demokratie war und ist,
  • 5:24 - 5:28
    dass sie die arbeitenden Armen einbezog,
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    und ihnen nicht nur das Recht
    auf freie Meinungsäußerung gab,
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    sondern wichtiger und entscheidender ist,
  • 5:35 - 5:38
    das sie ihnen das Recht
    auf politische Mitbestimmung
  • 5:38 - 5:41
    mit gleicher Stimmgewichtung
  • 5:41 - 5:44
    in Fragen der Staatsbelange einräumte.
  • 5:44 - 5:47
    Die athenische Demokratie
    hat zwar nicht lange gehalten --
  • 5:47 - 5:52
    wie eine Kerze, die sehr hell leuchtet,
    ist sie auch schnell ausgebrannt.
  • 5:52 - 5:55
    Allerdings haben unsere
    heutigen liberalen Demokratien
  • 5:55 - 5:57
    ihre Wurzeln nicht im antiken Athen,
  • 5:57 - 5:59
    sondern in der Magna Carta,
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    in der glorreichen Revolution von 1688,
  • 6:03 - 6:05
    sogar in der amerikanischen Verfassung.
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    Während die athenische Demokratie sich
    auf die freien Bürger konzentrierte
  • 6:10 - 6:13
    und die arbeitenden Armen stärkte,
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    basiert unsere liberale Demokratie
    auf den Werten der Magna Carta,
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    die letztlich eine Satzung
    für Herrschende war.
  • 6:21 - 6:24
    Denn die liberale Demokratie kam erst auf,
  • 6:24 - 6:29
    als eine vollständige Trennung von
    Politik und Wirtschaft möglich
  • 6:29 - 6:34
    und der demokratische Prozess
    auf die Politik eingegrenzt wurde,
  • 6:34 - 6:36
    während die Wirtschaft
  • 6:36 - 6:38
    -- also die Welt der Konzerne --
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    eine demokratiefreie Zone wurde.
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    In unseren heutigen Demokratien
  • 6:45 - 6:48
    findet seit dem Zeitpunkt,
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    an dem diese Trennung von
    Politik und Wirtschaft begann,
  • 6:51 - 6:55
    ein unerbittlicher Kampf
    zwischen den beiden statt,
  • 6:55 - 7:00
    indem die Wirtschaft allmählich die
    Politik unterwandert und sie entmachtet.
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    Wundern Sie sich, warum die Politiker
    nicht mehr so sind wie früher?
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    Es liegt nicht an einer
    Degeneration ihrer DNA.
  • 7:07 - 7:09
    (Gelächter)
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    Es liegt daran, dass man heutzutage
  • 7:10 - 7:14
    in der Regierung sein kann
    und trotzdem nicht an der Macht,
  • 7:14 - 7:17
    weil die Macht von der Politik
    in die Wirtschaft abgewandert ist
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    und die Bereiche getrennt sind.
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    Ich erwähnte mein Hadern
    mit dem Kapitalismus.
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    Wenn Sie darüber nachdenken,
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    ist es in etwa so wie eine
    Herde von Raubtieren,
  • 7:29 - 7:34
    die so nachhaltig die Tiere, von denen
    sie sich ernährt, dezimiert hat,
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    dass sie am Ende deshalb verhungert.
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    Ähnlich ist es mit der Wirtschaft,
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    die die Politik so weit
    kannibalisiert hat,
  • 7:42 - 7:47
    dass sie sich durch die selbstverursachte
    Wirtschaftskrise selbst schadet.
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    Die Macht der Konzerne wächst,
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    politische Güter werden entwertet,
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    die Ungleichheit steigt,
  • 7:53 - 7:55
    die gesamtwirtschaftliche Nachfrage fällt
  • 7:55 - 7:58
    und die Geschäftsführer der Konzerne
    sind zu verängstigt,
  • 7:58 - 8:01
    das Bargeld ihrer Unternehmen
    zu investieren.
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    Je erfolgreicher der Kapitalismus
  • 8:05 - 8:08
    den "Demos" [das Volk]
    aus der Demokratie vertreibt,
  • 8:08 - 8:10
    desto höher werden die Zwillingsgipfel,
  • 8:10 - 8:13
    und umso größer die Verschwendung
    von menschlicher Arbeitskraft
  • 8:13 - 8:16
    und des Wohlstandes der Menschheit.
  • 8:16 - 8:18
    Wenn das stimmt, ist es offensichtlich,
  • 8:18 - 8:22
    dass wir die Politik und die Wirtschaft
    wieder zusammenbringen müssen,
  • 8:22 - 8:25
    und es wäre besser, wenn dabei
    der "Demos" die Kontrolle behält,
  • 8:25 - 8:27
    so wie im antiken Athen,
  • 8:27 - 8:31
    abgesehen vom Ausschluss der Sklaven,
    der Frauen und der Ausländer.
  • 8:32 - 8:34
    Das ist übrigens keine neue Idee.
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    Die marxistische Linke hatte
    diese Idee schon vor 100 Jahren
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    und es ging nicht sonderlich gut aus.
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    Die Lehre aus dem Debakel
    der Sowjetunion sollte sein,
  • 8:42 - 8:47
    dass die arbeitenden Armen
    nur durch ein Wunder
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    eine Stellung wie
    im antiken Athen wiedererlangen,
  • 8:51 - 8:55
    ohne neue Arten der Brutalität
    und Verschwendung zu schaffen.
  • 8:55 - 8:57
    Aber es gibt eine Lösung:
  • 8:57 - 8:59
    Die arbeitenden Armen abschaffen!
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    Der Kapitalismus tut es,
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    indem er Niedriglohnbeschäftigte
    durch Automatisierung und Roboter ersetzt.
  • 9:07 - 9:09
    Das Problem dabei ist,
  • 9:09 - 9:11
    so lange Wirtschaft und Politik
    getrennte Bereiche sind,
  • 9:11 - 9:17
    lässt die Automatisierung
    die Zwillingsgipfel höher werden,
  • 9:17 - 9:18
    die Verschwendung erhabener,
  • 9:18 - 9:20
    und die sozialen Konflikte tiefer,
  • 9:20 - 9:24
    so wie es -- schon sehr bald,
    wie ich glaube --
  • 9:24 - 9:27
    in Ländern wie China kommen wird.
  • 9:27 - 9:29
    Wir müssen also die Wirtschaft umgestalten
  • 9:29 - 9:33
    und die Bereiche Wirtschaft
    und Politik wieder vereinen,
  • 9:33 - 9:38
    und dabei darauf achten, dass wir den
    wiedervereinten Bereich demokratisieren,
  • 9:38 - 9:44
    sonst enden wir in einer krankhaften
    Überwachungs-Hyperautokratie,
  • 9:44 - 9:48
    die den Film "Matrix" wie eine
    Dokumentation erscheinen lässt.
  • 9:48 - 9:50
    (Gelächter)
  • 9:50 - 9:52
    Die Frage ist also nicht,
    ob der Kapitalismus
  • 9:52 - 9:56
    die technischen Errungenschaften, die
    er hervorgebracht hat, überleben wird --
  • 9:56 - 9:58
    die interessantere Frage ist,
  • 9:58 - 10:03
    ob der Kapitalismus durch eine Dystopie,
    ähnlich der in "Matrix", abgelöst wird
  • 10:03 - 10:08
    oder durch etwas, das der
    Gesellschaft in "Star Trek" ähnelt,
  • 10:08 - 10:10
    in der Maschinen den Menschen dienen
  • 10:10 - 10:15
    und die Menschen ihre Energie in
    die Erforschung des Universums stecken,
  • 10:15 - 10:19
    oder in eine Hightech-Version
    der antiken Athener "Agora",
  • 10:19 - 10:24
    in langen Gesprächen
    dem Sinn des Lebens frönen.
  • 10:24 - 10:28
    Ich glaube, wir dürfen optimistisch sein.
  • 10:29 - 10:33
    Was bräuchte es also,
    wie könnte es aussehen,
  • 10:33 - 10:38
    diese "Star Trek"-artige Utopie anstatt
    der "Matrix"-ähnlichen Dystopie zu haben?
  • 10:38 - 10:40
    In der praktischen Umsetzung
  • 10:40 - 10:41
    möchte ich Ihnen, in aller Kürze,
  • 10:41 - 10:43
    einige Beispiele nennen.
  • 10:43 - 10:45
    Im Bereich der Unternehmen:
  • 10:45 - 10:47
    Stellen Sie sich bitte
    einen Kapitalmarkt vor,
  • 10:47 - 10:51
    in dem man Geld verdient,
    während man arbeitet
  • 10:51 - 10:56
    und in dem Ihr Kapital Ihnen von
    einer Arbeitsstelle zur nächsten folgt,
  • 10:56 - 10:58
    von einer Firma zur nächsten,
  • 10:58 - 10:59
    und die Firma
  • 10:59 - 11:03
    -- egal in welcher man gerade arbeitet --
  • 11:03 - 11:07
    ist Eigentum derer, die aktuell
    in der Firma arbeiten.
  • 11:07 - 11:12
    Dann entstammen alle Einkommen
    aus Kapital und aus Erlösen
  • 11:12 - 11:17
    und das Konzept der Lohnarbeit
    ist vollkommen überholt.
  • 11:17 - 11:19
    Keine Unterscheidung mehr zwischen denen,
  • 11:19 - 11:23
    den die Unternehmen gehören,
    die aber nicht darin arbeiten,
  • 11:23 - 11:27
    und Angestellten, die dort arbeiten,
    denen die Firma aber nicht gehört.
  • 11:27 - 11:30
    Kein Tauziehen mehr
    zwischen Kapital und Arbeit,
  • 11:30 - 11:35
    keine großen Lücken zwischen
    Investition und Sparen,
  • 11:35 - 11:39
    und letztlich keine
    emporragenden Zwillingsgipfel.
  • 11:39 - 11:41
    Im Bereich der globalen
    politischen Ökonomie:
  • 11:41 - 11:43
    Stellen Sie sich bitte kurz vor,
  • 11:43 - 11:48
    dass unsere nationalen Währungen einen
    frei schwankenden Wechselkurs hätten,
  • 11:48 - 11:52
    in einer universellen,
    globalen, digitalen Währung,
  • 11:52 - 11:54
    die vom IWF
    [Internationalen Währungsfonds],
  • 11:54 - 11:57
    und der G-20
    [Gruppe der 20 größten Schwellenländer],
  • 11:57 - 12:00
    im Interesse der gesamten
    Menschheit ausgegeben wird.
  • 12:00 - 12:01
    Stellen Sie sich weiterhin vor,
  • 12:01 - 12:05
    dass der gesamte Welthandel
    in dieser Währung gehandelt wird
  • 12:05 - 12:07
    -- nennen wir sie "den Kosmos",
  • 12:07 - 12:10
    in Einheiten von "Kosmos"' --
  • 12:10 - 12:14
    und jede Regierung zahlt die Summe,
  • 12:14 - 12:17
    die dem Handelsdefizit
    oder dem Handelsüberschuss
  • 12:17 - 12:20
    des jeweiligen Landes entspricht,
  • 12:20 - 12:24
    in einen gemeinsamen Fonds ein.
  • 12:24 - 12:29
    Stellen Sie sich auch vor, dass dieser
    Fonds in "grüne" Technologien investiert,
  • 12:29 - 12:35
    besonders in Teilen der Welt,
    in denen Investitionsmittel rar sind.
  • 12:35 - 12:36
    Das ist keine neue Idee.
  • 12:36 - 12:39
    Es ist im Grunde das,
    was John Maynard Keynes
  • 12:39 - 12:44
    in der Bretton Woods Conference
    von 1944 vorgeschlagen hatte.
  • 12:44 - 12:45
    Das Problem war,
  • 12:45 - 12:49
    dass man damals nicht die
    technischen Mittel hatte es umzusetzen.
  • 12:49 - 12:50
    Heute haben wir sie,
  • 12:50 - 12:56
    insbesondere vor dem Hintergrund einer
    wiedervereinten Politik und Wirtschaft.
  • 12:57 - 12:59
    Die Welt, die ich Ihnen beschreibe,
  • 12:59 - 13:02
    ist gleichzeitig libertär,
  • 13:02 - 13:06
    in dem sie privilegierte
    Personen bevorzugt,
  • 13:06 - 13:08
    und marxistisch,
  • 13:08 - 13:11
    weil sie die Trennung
    von Kapital und Arbeit
  • 13:11 - 13:13
    im Mülleimer der Geschichte
    begraben haben wird,
  • 13:13 - 13:15
    und keynesianisch,
  • 13:15 - 13:18
    global keynesianisch.
  • 13:18 - 13:21
    Aber über allem anderen ist es eine Welt,
  • 13:21 - 13:26
    in der wir uns eine
    echte Demokratie vorstellen können.
  • 13:26 - 13:28
    Werden wir in einer solchen Welt erwachen
  • 13:28 - 13:33
    oder werden wir in eine "Matrix"-
    ähnliche Dystopie versinken?
  • 13:33 - 13:38
    Die Antwort hängt davon ab, wie wir
    uns gemeinsam politisch entscheiden.
  • 13:38 - 13:39
    Es liegt in unseren Händen,
  • 13:39 - 13:42
    und wir tun es besser demokratisch.
  • 13:42 - 13:44
    Danke.
  • 13:44 - 13:48
    (Applaus)
  • 13:49 - 13:51
    Bruno Giussani: Yanis ...
  • 13:52 - 13:56
    Du beschreibst dich in deiner Biografie
    selbst als libertären Marxisten.
  • 13:58 - 14:01
    Wie relevant ist Marx' Analyse heute?
  • 14:02 - 14:06
    Yanis Varoufakis: Wenn irgendwas von dem,
    was ich gerade gesagt habe relevant ist,
  • 14:06 - 14:07
    dann ist Marx relevant.
  • 14:07 - 14:10
    Der Grund für der Wiedervereinigung
    von Politik und Wirtschaft ist ...
  • 14:10 - 14:11
    Tun wir das nicht,
  • 14:11 - 14:14
    wird die technologische Entwicklung
  • 14:14 - 14:17
    einen so massiven Rückgang der
    gesamtwirtschaftlichen Nachfrage erzeugen,
  • 14:17 - 14:21
    was Larry Summers als
    "langfristige Stagnation" bezeichnet.
  • 14:21 - 14:24
    Durch die Übertragung dieser Krise
    von einem Teil der Erde auf das nächste,
  • 14:24 - 14:26
    wie wir es aktuell erleben,
  • 14:26 - 14:28
    wird es nicht nur unsere
    Demokratien destabilisieren,
  • 14:28 - 14:32
    sondern auch die Länder, deren Interesse
    an liberaler Demokratie gering ist.
  • 14:32 - 14:36
    Wenn diese Analyse zutreffend ist,
    dann ist Marx durchaus relevant,
  • 14:36 - 14:38
    ebenso wie Hayek,
  • 14:38 - 14:40
    deswegen bin ich ein libertärer Marxist,
  • 14:40 - 14:41
    und wie Keynes,
  • 14:41 - 14:43
    und deshalb bin ich auch vollkommen wirr.
  • 14:43 - 14:44
    (Gelächter)
  • 14:44 - 14:46
    BG: Tatsächlich, und jetzt
    sind wir es wohl auch.
  • 14:46 - 14:47
    (Gelächter)
  • 14:47 - 14:49
    (Applaus)
  • 14:49 - 14:52
    YV: Wenn man nicht wirr ist,
    denkt man nicht genug nach.
  • 14:52 - 14:56
    BG: Das ist eine sehr griechische,
    eine Art philosophische Erklärung --
  • 14:56 - 14:58
    YV: Eigentlich war es
    Einstein, der das sagte.
  • 14:58 - 15:00
    BG: In Ihrem Vortrag erwähnten Sie
    Singapur und China
  • 15:00 - 15:02
    und gestern beim Abendessen der Redner
  • 15:02 - 15:07
    haben Sie sehr klar gesagt, was Sie von
    der Sicht des Westens auf China halten.
  • 15:07 - 15:09
    Möchten Sie es hier wiederholen?
  • 15:09 - 15:11
    YV: Es gibt ein großes Maß an Heuchelei.
  • 15:11 - 15:16
    In unseren liberalen Demokratien
    haben wir den Anschein einer Demokratie.
  • 15:16 - 15:18
    Wie ich im meinem Vortrag sagte,
  • 15:18 - 15:21
    haben wir die Demokratie
    auf die Politik begrenzt,
  • 15:21 - 15:24
    während der Bereich,
    wo sich das meiste abspielt,
  • 15:24 - 15:25
    -- der Bereich der Wirtschaft --
  • 15:25 - 15:27
    ein völlig demokratiefreie Zone ist.
  • 15:27 - 15:29
    In gewisser Hinsicht,
  • 15:29 - 15:32
    wenn ich das so provokativ sagen darf,
  • 15:32 - 15:36
    ähnelt China heute dem
    England des 19. Jahrhunderts.
  • 15:36 - 15:38
    Denn -- erinnern Sie sich --
  • 15:38 - 15:41
    wir neigen dazu, Liberalismus
    mit Demokratie zu verbinden --
  • 15:41 - 15:43
    das ist ein Fehler, historisch betrachtet.
  • 15:43 - 15:45
    Liberalismus, Liberale,
    wie John Stuart Mill --
  • 15:45 - 15:49
    er war besonders skeptisch, was
    die demokratische Entwicklung betrifft.
  • 15:49 - 15:54
    Was man jetzt in China beobachten kann,
    ähnelt sehr der Entwicklung,
  • 15:54 - 15:57
    die wir in England während der
    industriellen Revolution hatten,
  • 15:57 - 16:00
    besonders der Übergang
    von der ersten zur zweiten.
  • 16:00 - 16:04
    China jetzt vorzuwerfen,
  • 16:04 - 16:07
    das zu tun, was der Westen im
    19. Jahrhundert selbst getan hat,
  • 16:07 - 16:10
    riecht gewaltig nach Heuchelei.
  • 16:10 - 16:13
    BG: Ich bin mir sicher, dass viele Zuhörer
    neugierig auf Ihre Erfahrungen
  • 16:13 - 16:16
    als Finanzminister Griechenlands
    Anfang des Jahres sind.
  • 16:16 - 16:17
    YV: Ich ahnte, dass das kommt.
  • 16:17 - 16:19
    BG: Ja ...
  • 16:19 - 16:21
    Wie schauen Sie sechs Monate später
  • 16:21 - 16:23
    auf das erste Halbjahr zurück?
  • 16:24 - 16:27
    YV: Sehr aufregend,
    aus persönlicher Sicht,
  • 16:27 - 16:28
    und sehr enttäuschend,
  • 16:28 - 16:32
    denn wir hatten die Gelegenheit, mit
    der Eurozone ein Neuanfang zu machen,
  • 16:32 - 16:34
    nicht nur Griechenland,
    sondern die Eurozone,
  • 16:34 - 16:37
    nämlich uns von der Selbstgefälligkeit
    zu verabschieden,
  • 16:37 - 16:39
    und der dauernden Verleugnung,
  • 16:39 - 16:42
    dass eine massive Verwerfungslinie
    durch die Eurozone verlief,
  • 16:42 - 16:44
    und weiterhin verläuft,
  • 16:44 - 16:49
    die die Entwicklung der ganzen
    Europäischen Union massiv bedroht.
  • 16:49 - 16:52
    Wir hatten die Gelegenheit, auf Grundlage
    des griechischen Vorschlags --
  • 16:52 - 16:55
    der übrigens, der erste Vorschlag war,
  • 16:55 - 16:58
    der diese Verleugnung offenbarte --
  • 16:58 - 16:59
    es richtig zu machen.
  • 16:59 - 17:02
    Leider haben die Mächte
    innerhalb der Eurozone,
  • 17:02 - 17:04
    innerhalb der Europgruppe,
  • 17:04 - 17:06
    weiterhin die Verleugnung gewählt.
  • 17:06 - 17:08
    Aber Sie wissen ja, was kommt.
  • 17:08 - 17:10
    Das ist die Erfahrung
    aus der Sowjetunion --
  • 17:10 - 17:13
    wenn man versucht ein Wirtschaftssystem,
    das nicht überlebensfähig ist,
  • 17:13 - 17:17
    durch politischen Willen
    und Autoritarismus
  • 17:17 - 17:18
    am Leben zu erhalten,
  • 17:18 - 17:21
    wird man es vielleicht eine Weile
    hinauszögern können,
  • 17:21 - 17:23
    doch wenn dann der Wandel eintritt,
  • 17:23 - 17:25
    passiert er abrupt und zerstörerisch.
  • 17:25 - 17:27
    BG: Welchen Wandel sehen Sie voraus?
  • 17:27 - 17:29
    YV: Es besteht kein Zweifel daran,
  • 17:29 - 17:31
    dass die Eurozone keine Zukunft hat,
  • 17:31 - 17:33
    wenn wir nicht ihren Aufbau ändern.
  • 17:33 - 17:36
    BG: Habe Sie irgendwelche Fehler in
    Ihrer Zeit als Finanzminister gemacht?
  • 17:36 - 17:38
    YV: Jeden Tag.
    (Gelächter)
  • 17:38 - 17:40
    BG: Zum Beispiel?
    YV: Jeder, der zurückschaut --
  • 17:40 - 17:43
    (Applaus)
  • 17:44 - 17:46
    Ernsthaft...
  • 17:46 - 17:49
    Wenn es einen Finanzminister,
    oder irgendeinen Minister gibt,
  • 17:49 - 17:51
    der nach 6 Monaten im Amt,
  • 17:51 - 17:55
    besonders in einer
    so angespannten Situation,
  • 17:55 - 17:59
    behauptet, er habe keinen Fehler gemacht,
    dann ist das eine gefährliche Person.
  • 17:59 - 18:01
    Natürlich habe ich Fehler gemacht.
  • 18:01 - 18:02
    Der größte Fehler war,
  • 18:02 - 18:04
    den Antrag zur Verlängerung
    des Schuldenprogramms
  • 18:04 - 18:06
    Ende Februar zu unterzeichen.
  • 18:06 - 18:07
    Ich glaubte,
  • 18:07 - 18:10
    dass es ein ehrliches Interesse
    auf Seiten der Geldgeber gab,
  • 18:10 - 18:12
    eine gemeinsame Lösung zu finden.
  • 18:12 - 18:13
    Aber das gab es nicht.
  • 18:13 - 18:15
    Sie wollten lediglich
    unsere Regierung zu Fall bringen,
  • 18:15 - 18:18
    nur weil sie nicht mit den
    Verwerfungen beschäftigen wollten,
  • 18:18 - 18:22
    die durch die Eurozone verliefen.
  • 18:22 - 18:24
    Sie wollten sich nicht eingestehen,
  • 18:24 - 18:27
    dass sie seit 5 Jahren ein katastrophales
    Programm in Griechenland durchführten.
  • 18:27 - 18:30
    Wir verloren ein Drittel
    unseres nominalen BIP.
  • 18:30 - 18:32
    Da ist schlimmer als während
    der "Großen Depression".
  • 18:32 - 18:36
    Keiner aus der Troika der Geldgeber,
    die uns diese Politik auferlegt hat,
  • 18:36 - 18:39
    gestand ein:
    "Das war ein kolossaler Fehler."
  • 18:39 - 18:41
    BG: Trotz all dem,
  • 18:41 - 18:43
    und trotz des aggressiven
    Tons der Gespräche,
  • 18:43 - 18:45
    scheinen Sie noch recht
    pro-europäisch zu sein.
  • 18:45 - 18:47
    YV: Absolut.
  • 18:47 - 18:51
    Meine Kritik der Europäischen
    Union und der Eurozone gegenüber
  • 18:51 - 18:56
    kommt von jemandem,
    der Europa lebt und liebt.
  • 18:56 - 18:59
    Meine größte Angst ist, dass
    die Eurozone nicht überlebt.
  • 18:59 - 19:01
    Denn wenn sie nicht überlebt,
  • 19:01 - 19:05
    werden die freigesetzten
    Fliehkräfte dämonisch sein
  • 19:05 - 19:07
    und die Europäische Union zerstören.
  • 19:07 - 19:10
    Das wird nicht alleine für Europa
    katastrophale Folgen haben,
  • 19:10 - 19:13
    sondern für die gesamte Weltwirtschaft.
  • 19:13 - 19:16
    Wir sind wahrscheinlich
    die stärkste Wirtschaft der Welt.
  • 19:16 - 19:17
    Wenn wir uns selbst gestatten
  • 19:17 - 19:20
    den Weg eines postmodernes
    1930 einzuschlagen,
  • 19:20 - 19:23
    wonach es mir erscheint,
  • 19:23 - 19:25
    wird es ebenso abträglich
    für die Zukunft der Europäer
  • 19:25 - 19:28
    wie auch der Nicht-Europäer sein.
  • 19:28 - 19:31
    BG: Wir hoffen sehr, dass Sie
    in diesem Punkt falsch liegen.
  • 19:31 - 19:33
    Yanis, vielen Dank,
    dass Sie bei TED waren.
  • 19:33 - 19:34
    YV: Danke.
  • 19:34 - 19:37
    (Applaus)
Title:
Kapitalismus frisst Demokratie ‒ wenn wir nicht handeln
Speaker:
Yanis Varoufakis
Description:

Haben Sie sich gefragt, warum die Politiker nicht mehr so sind wie früher? Warum die Regierungen scheinbar unfähig sind, die wahren Probleme zu lösen? Der Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister Griechenlands, sagt, es liegt daran, dass man heute in der Regierung sein kann und trotzdem nicht an der Macht ‒ denn die wahre Macht liegt heute bei denen, die die Wirtschaft kontrollieren. Er glaubt, dass Mega-Reiche und Konzerne die Politik kannibalisieren, mit der Folge von Finanzkrisen. In diesem Vortrag erfahren Sie von seinem Traum einer Welt, in der das Kapital und die Arbeit nicht mehr miteinander konkurrieren und "die gleichzeitig libertär, marxistisch und keynesianisch ist."

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English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
19:51

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