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L'Encerclement - La démocratie dans les rets du néolibéralisme

  • 0:14 - 0:15
    DIE EINKESSELUNG
  • 0:22 - 0:31
    Die Demokratie
    in den Fängen des Neoliberalismus
  • 1:19 - 1:27
    1 . EINLEITUNG
  • 1:31 - 1:34
    In den 30er Jahren
    galten Regime als totalitär,
  • 1:34 - 1:38
    wenn es Regime
    mit nur einer Partei waren,
  • 1:38 - 1:41
    in denen die Partei den Auftrag hatte,
  • 1:42 - 1:47
    alle Aktivitäten innerhalb
    der Gesellschaft zu kontrollieren.
  • 1:47 - 1:51
    Egal, ob es um Politik, Wirtschaft,
    Gesellschaft oder Kultur ging,
  • 1:51 - 1:53
    der Staat lenkte alles.
  • 1:53 - 1:57
    Als bedauerliche Beispiele hierfür
    kennen wir den Faschismus,
  • 1:58 - 2:00
    den Nazismus und den Stalinismus
  • 2:00 - 2:04
    als totalitäre Regime
    mit einer allmächtigen Partei.
  • 2:04 - 2:09
    Heute leben wir in einer Demokratie,
    jedoch stellen wir fest,
  • 2:09 - 2:13
    dass es statt einer Einheitspartei
    ein Einheitsdenken gibt
  • 2:13 - 2:18
    und dass die Vertreter
    dieses Denkens meinen,
  • 2:19 - 2:23
    dass es nur eine Lösung,
    nämlich die, die der Markt uns vorgibt,
  • 2:24 - 2:27
    in Bezug auf alle
    gesellschaftlichen Aktivitäten gibt.
  • 2:28 - 2:31
    Das heisst, ganz gleich,
    um welche Bereiche es geht,
  • 2:31 - 2:36
    Politik, Wirtschaft,
    Gesellschaft, Kultur oder Sport,
  • 2:36 - 2:39
    der Markt soll alles bestimmen.
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    Wir sehen ja, wie der Markt heutzutage
  • 2:42 - 2:45
    in alle gesellschaftlichen
    Räume eindringt,
  • 2:45 - 2:51
    vergleichbar mit einer Flüssigkeit,
    die überall hingelangt.
  • 2:51 - 2:55
    Daher können wir heute
    von „globalitären" Regimen sprechen,
  • 2:55 - 2:58
    denn es gibt dieses Bestreben,
  • 2:58 - 3:03
    unseren verschiedenen Problemen mit
    einer Art Einheitslösung zu begegnen.
  • 3:06 - 3:09
    Ich habe „La pensée unique" geschrieben,
  • 3:09 - 3:11
    im Jahre 1995,
  • 3:12 - 3:17
    als der Mehrheit unserer Mitbürger
    noch nicht richtig bewusst war,
  • 3:18 - 3:22
    dass wir schlussendlich
    in eine Ideologie abgeglitten
  • 3:22 - 3:25
    und nun in ihr versunken waren.
  • 3:26 - 3:30
    Diese Ideologie würden wir heute
    als neoliberal bezeichnen.
  • 3:30 - 3:35
    Der Neoliberalismus
    ist zwar ein ökonomisches Konzept
  • 3:36 - 3:39
    oder eine Reihe
    von ökonomischen Prinzipien,
  • 3:39 - 3:44
    aber eigentlich ist er ein ideologisches
    Joch, das wir nicht wahrnehmen.
  • 3:44 - 3:49
    Das war es, was ich zunächst
    aufzuzeigen versucht habe,
  • 3:49 - 3:52
    indem ich beschrieb,
    worum es letztlich geht:
  • 3:53 - 3:57
    Der Neoliberalismus
    vertritt eine Reihe von Prinzipien,
  • 3:57 - 4:01
    vor allem das
    der unsichtbaren Hand des Marktes,
  • 4:01 - 4:05
    die fast alles regelt, ohne dass
    Staat und Bürger sich einmischen.
  • 4:05 - 4:07
    Der Markt soll sich entfalten.
  • 4:09 - 4:12
    Zu den Prinzipien
    gehört auch Deregulierung.
  • 4:12 - 4:15
    Alles ist zu reguliert,
    der Staat ist zu präsent,
  • 4:15 - 4:17
    es geht um weniger Staat.
  • 4:17 - 4:21
    Ausserdem wird das Kapital
    über die Arbeit gestellt.
  • 4:21 - 4:26
    Das Kapital ist immer zu bevorzugen.
    Und es soll privatisiert werden,
  • 4:27 - 4:30
    da der Einflussbereich
    des Staates minimal
  • 4:30 - 4:33
    und der des Privaten maximal sein soll.
  • 4:33 - 4:39
    Der Freihandel soll gefördert werden,
    denn Handel heisst Entwicklung.
  • 4:39 - 4:42
    Beides wurde im Prinzip gleichgesetzt.
  • 4:42 - 4:46
    Kurz gesagt:
    Ich habe versucht aufzuzeigen,
  • 4:46 - 4:49
    dass diese Prinzipien nicht neu sind.
  • 4:49 - 4:54
    Sie wurden seit 1944 entwickelt,
    seit der Konferenz von Bretton Woods,
  • 4:54 - 4:57
    die den IWF und die Weltbank
    ins Leben rief.
  • 4:57 - 5:02
    Sie bestimmen die Arbeit des IWF
    seit den 60er und 70er Jahren,
  • 5:02 - 5:05
    also die „Strukturanpassung"
    in den Ländern des Südens,
  • 5:05 - 5:09
    in manchen Ländern bekannt
    als „Washington Consensus".
  • 5:09 - 5:14
    Dabei geht es um die Senkung
    der Staatsausgaben um jeden Preis,
  • 5:14 - 5:18
    die Vermeidung
    von Haushaltsdefiziten und Inflation,
  • 5:18 - 5:22
    die Reduzierung der Zahl der Beamten
  • 5:22 - 5:27
    sowie der Ausgaben für Gesundheit
    und Bildung auf ein Minimum.
  • 5:27 - 5:31
    Der Staat soll
    derartige Ausgaben nicht tätigen.
  • 5:31 - 5:35
    Viele Länder des Südens
    haben darunter natürlich sehr gelitten.
  • 5:36 - 5:41
    Das habe ich dargelegt. Und wenn
    man das alles zusammennimmt,
  • 5:41 - 5:44
    dann handelt es sich um eine Ideologie.
  • 5:44 - 5:48
    Damals stand Frankreich
    kurz vor den Präsidentschaftswahlen,
  • 5:48 - 5:51
    die im Mai darauf stattfanden.
  • 5:51 - 5:56
    Ich schrieb, dass wir es heute
    mit dieser Ideologie zu tun haben,
  • 5:56 - 6:01
    mit diesem Einheitsdenken,
    das an eine Einheitspartei erinnert.
  • 6:02 - 6:12
    „Privatisierung von Links"
  • 6:12 - 6:17
    Kurz nach dem Fall
    des Eisernen Vorhangs erlebt der Westen
  • 6:17 - 6:23
    bei den meisten linken Parteien
    eine Neuorientierung nach rechts,
  • 6:23 - 6:27
    angefangen bei der britischen
    Labour Party über die deutsche SPD,
  • 6:28 - 6:31
    bis hin zum Parti Québécois,
  • 6:32 - 6:35
    die alle eine „Reform", einen „Umbau"
  • 6:35 - 6:39
    oder eine „Modernisierung"
    des Staates anstreben,
  • 6:39 - 6:41
    was sich unverändert
  • 6:41 - 6:45
    in der Umsetzung
    einer neoliberalen Politik äussert.
  • 6:45 - 6:52
    In Frankreich privatisiert
    Lionel Jospins sozialistische Regierung
  • 6:52 - 6:58
    von 1997 bis 2002
    zirka zehn grosse staatliche Unternehmen.
  • 6:58 - 7:03
    Das entspricht der Anzahl
    der Privatisierungen
  • 7:03 - 7:08
    durch rechte Regierungen
    vor oder nach diesem Zeitraum.
  • 7:08 - 7:12
    Wie aber ist es
    der neoliberalen Ideologie gelungen,
  • 7:12 - 7:17
    bis in sogenannte „sozialistische"
    Parteien vorzudringen?
  • 7:17 - 7:22
    Und woher kommt sie überhaupt?
  • 7:23 - 7:30
    2. DIE URSPRÜNGE
  • 7:33 - 7:35
    Generalstreik in Winnipeg, 1919
  • 7:36 - 7:39
    Der Neoliberalismus
    entstand in einem speziellen
  • 7:39 - 7:42
    intellektuellen
    und institutionellen Umfeld.
  • 7:42 - 7:45
    Von 1914 bis 1945 erlebt
  • 7:45 - 7:48
    der Kapitalismus
    eine beispiellose Krise.
  • 7:48 - 7:50
    Es war eine materielle Krise.
  • 7:50 - 7:56
    In den 20er Jahren erstarkt der
    Kapitalismus im Zuge des Wiederaufbaus.
  • 7:56 - 7:58
    Dann führt die Grosse Depression
  • 7:58 - 8:01
    zu Entlassungen, Firmenpleiten
    und politischem Chaos.
  • 8:02 - 8:04
    Das liberale Credo wird abgelöst
  • 8:05 - 8:09
    von Forderungen nach
    Wirtschaftsplanung, Dirigismus
  • 8:09 - 8:12
    und einem Misstrauen
    gegenüber dem Laissez-faire.
  • 8:13 - 8:17
    Überall gab es Rufe
    nach mehr staatlicher Intervention
  • 8:17 - 8:19
    zur Lenkung der Wirtschaft.
  • 8:19 - 8:24
    Dem folgen konkrete Massnahmen,
    in den „Diktaturen" gleichermassen
  • 8:24 - 8:26
    wie in demokratischen Staaten.
  • 8:26 - 8:29
    Da gab es
    den sowjetischen Fünfjahresplan
  • 8:30 - 8:32
    oder den New Deal in den USA
  • 8:32 - 8:36
    unter der
    National Recovery Administration
  • 8:36 - 8:38
    und ähnlichen Strukturen.
  • 8:38 - 8:41
    In Deutschland war es
    das Reichswirtschaftsministerium,
  • 8:42 - 8:44
    in Italien
    das Ministerium der Korporationen,
  • 8:45 - 8:48
    in Frankreich das Ministerium
    für nationale Wirtschaft,
  • 8:48 - 8:51
    ein mit dem Front Populaire
    aufgekommenes Novum.
  • 8:53 - 8:56
    Kommunistische Demonstration,
    Berlin, 1929
  • 9:22 - 9:26
    Wichtig für das neoliberale Netzwerk
    in Frankreich
  • 9:26 - 9:28
    war die Gründung des Verlages
  • 9:28 - 9:33
    „Les éditions de la Librairie
    de Médicis" im Jahr 1937.
  • 9:34 - 9:38
    Dieser Verlag wurde von
    Marie-Thérése Génin gegründet,
  • 9:38 - 9:41
    was in dieser Männerdomäne
    ungewöhnlich war.
  • 9:42 - 9:47
    Sie war verbunden mit dem führenden
    Arbeitgebervertreter Marcel Bourgeois.
  • 9:47 - 9:50
    Er bewegte sie
    zur Gründung eines Verlages,
  • 9:50 - 9:55
    der Texte von Intellektuellen
    für Intellektuelle veröffentlichte.
  • 9:55 - 9:59
    Dort erschien „La cité libre"
    von Walter Lippmann
  • 9:59 - 10:02
    als Vorbote des Lippmann-Kolloquiums,
  • 10:02 - 10:07
    aber auch Texte
    von Hayek, Rueff oder Ludwig von Mises.
  • 10:07 - 10:11
    Zwischen 1937 und 1940
    waren es über 40 Texte,
  • 10:11 - 10:14
    darunter die Protokolle
    des Lippmann-Kolloquiums
  • 10:15 - 10:18
    im Internationalen Institut
    für geistige Zusammenarbeit.
  • 10:18 - 10:21
    An seine Stelle trat später die UNESCO.
  • 10:22 - 10:25
    Der Rahmen
    war also ziemlich offiziell.
  • 10:27 - 10:29
    Es gab 26 Teilnehmer,
  • 10:29 - 10:33
    deren wichtige Rolle
    rückblickend deutlich wird:
  • 10:33 - 10:37
    Friedrich Hayek gewann später
    den Wirtschaftsnobelpreis,
  • 10:37 - 10:41
    Robert Marjolin ist einer der
    Architekten des vereinten Europas.
  • 10:42 - 10:46
    Anwesend waren auch die Begründer
    der Sozialen Marktwirtschaft,
  • 10:46 - 10:49
    Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke,
  • 10:49 - 10:51
    de Gaulles Finanzberater Jacques Rueff
  • 10:51 - 10:56
    sowie Stefan Possony, der Urheber
    von Reagans „Star-Wars-Programm".
  • 10:57 - 11:01
    Damals waren diese Leute
    natürlich weniger bekannt.
  • 11:01 - 11:05
    Das Kolloquium dauerte vier Tage,
    und dabei ging es
  • 11:05 - 11:10
    um den möglichen Beitrag des
    Liberalismus zur Krise der 30er Jahre,
  • 11:10 - 11:13
    um Möglichkeiten für seine Erneuerung
  • 11:13 - 11:17
    und um eine weltweite Opposition
    gegen Planwirtschaft und Sozialismus.
  • 11:18 - 11:22
    Bereits auf dem
    Walter-Lippmann-Kolloquium trifft sich
  • 11:23 - 11:26
    die Vorhut des bevorstehenden Kampfes
    der Neoliberalen.
  • 11:27 - 11:31
    Unter den erbittertsten Gegnern
    des Kollektivismus
  • 11:31 - 11:37
    heben sich Friedrich von Hayek
    und Ludwig von Mises besonders hervor.
  • 11:37 - 11:42
    Hayek und von Mises vertreten eine
    spezielle Strömung des Neoliberalismus,
  • 11:42 - 11:44
    die Österreichische Schule.
  • 11:45 - 11:50
    Der von ihnen vertretene Liberalismus
    gibt dem Staat nur minimale Befugnisse.
  • 11:50 - 11:54
    Den Ausdruck „Minimalstaat"
    griffen ihre Anhänger häufig auf.
  • 11:55 - 11:58
    lhre Konzepte
    wichen etwas voneinander ab.
  • 11:58 - 12:02
    Die Liberalen vertuschen oft
    ihre verschiedenen Ansichten.
  • 12:02 - 12:04
    Aber es gab auch Gemeinsamkeiten:
  • 12:04 - 12:09
    Beide sahen die Wirtschaftslehre
    nur als Teil ihres Schaffens an.
  • 12:09 - 12:14
    Für von Mises war sie Teil
    der Lehre vom menschlichen Handeln.
  • 12:14 - 12:17
    Und Hayek kam bald
    von der reinen Ökonomie
  • 12:18 - 12:20
    zur Psychologie, zur Hirnforschung,
  • 12:21 - 12:23
    zur Politik und zur Rechtslehre.
  • 12:23 - 12:27
    Die Wirtschaftslehre
    war ihre Ursprungsdisziplin,
  • 12:27 - 12:31
    aber sie umfasst
    nicht alle Humanwissenschaften.
  • 12:31 - 12:35
    Dann hatten beide ein besonderes
    Verständnis von Ökonomie.
  • 12:35 - 12:38
    Die Österreichische Schule
    ist sehr unsachlich:
  • 12:39 - 12:42
    Es gibt weder Statistiken
    noch Zahlenangaben,
  • 12:42 - 12:44
    sondern lediglich Axiome.
  • 12:44 - 12:48
    Man geht von
    „idealtypischen" Situationen aus
  • 12:48 - 12:51
    und betrachtet,
    wie ein rationales Individuum
  • 12:51 - 12:56
    zwischen bestimmten Dingen wählt,
    zwischen Arbeit oder Freizeit,
  • 12:56 - 12:58
    schlafen oder sich bereichern,
  • 12:58 - 13:03
    anhand von Bildern à la Robinson Crusoe
    auf der einsamen Insel.
  • 13:03 - 13:08
    Die dritte, für das Verständnis
    dieser Bewegung wichtige Gemeinsamkeit
  • 13:08 - 13:13
    ist das Verständnis von geistiger Arbeit
    und deren Rolle im Sozialismus.
  • 13:13 - 13:17
    Hayeks und von Mises Denken
    war elitär und aristokratisch:
  • 13:17 - 13:20
    „Die grosse Mehrheit denkt nicht nach."
  • 13:20 - 13:25
    Diesen Satz findet man in
    von Mises Buch „Die Gemeinwirtschaft".
  • 13:25 - 13:28
    Nur ein paar Intellektuelle
    denken für alle anderen.
  • 13:29 - 13:32
    Die Intellektuellen
    müssen also in Ruhe denken,
  • 13:32 - 13:36
    um ein Gegengewicht
    zum Sozialismus zu bilden,
  • 13:36 - 13:39
    den andere Intellektuelle
    erfunden haben.
  • 13:39 - 13:44
    Er wurde dem Volk von diesen
    Intellektuellen in den Kopf gesetzt.
  • 13:44 - 13:48
    Die Intellektuellen
    spielen also bei sozialen,
  • 13:48 - 13:52
    politischen und wirtschaftlichen
    Umbrüchen eine grosse Rolle.
  • 13:53 - 13:57
    Aus diesem Grund entstand auch
    die Mont-Pélerin-Gesellschaft.
  • 13:58 - 14:04
    Der Krieg setzt dem Kampf
    der Neoliberalen vorläufig ein Ende.
  • 14:04 - 14:09
    Das Internationale Forschungszentrum
    zur Erneuerung des Liberalismus (CIRL),
  • 14:10 - 14:13
    das nach dem Lippmann-Kolloquium
    gegründet wurde,
  • 14:13 - 14:17
    löst sich
    nach nur einjährigem Bestehen auf.
  • 14:38 - 14:42
    Doch direkt nach Kriegsende
    führt von Hayek sein Werk fort.
  • 14:42 - 14:47
    Er lädt mehrere Befürworter
    einer Umgestaltung des Liberalismus
  • 14:47 - 14:54
    zu einem für die neoliberale Bewegung
    zukunftsweisenden Treffen ein.
  • 14:55 - 14:59
    Das Treffen von Mont Pélerin fand ...
  • 14:59 - 15:03
    ... vom 1. bis 10. April 1947 statt,
  • 15:03 - 15:07
    im Hôtel du Parc
    nahe Vevey in der Schweiz.
  • 15:07 - 15:11
    Das Treffen hatte
    die ausdrückliche Zielsetzung,
  • 15:12 - 15:16
    liberale Intellektuelle
    aus Europa und Amerika zu vereinen
  • 15:16 - 15:21
    und eine internationale Organisation
    zur Liberalismusförderung zu gründen.
  • 15:21 - 15:24
    Hayek nahm bereits
    zwei Jahre zuvor Kontakt
  • 15:24 - 15:27
    zu den Teilnehmern
    des Lippmann-Kolloquiums
  • 15:27 - 15:30
    und zu einigen Briten
    und Amerikanern auf.
  • 15:30 - 15:33
    Diesen Kreis lädt er dann
    nach Mont Pélerin ein,
  • 15:34 - 15:37
    dem namensgebenden Ort
    für die Gesellschaft.
  • 15:37 - 15:41
    Beim ersten Treffen
    waren es 39 Teilnehmer,
  • 15:42 - 15:44
    darunter wieder
    wichtige Persönlichkeiten:
  • 15:44 - 15:48
    die drei späteren Nobelpreisträger
    Milton Friedman,
  • 15:48 - 15:50
    George Stigler und Maurice Allais.
  • 15:50 - 15:54
    Es kamen Autoren politischer
    oder philosophischer Essays,
  • 15:54 - 15:57
    Karl Popper und Bertrand de Jouvenel,
  • 15:57 - 16:00
    und Leute mit politischem Einfluss
    in ihrem Land,
  • 16:01 - 16:04
    etwa die Deutschen
    Wilhelm Röpke und Walter Eucken,
  • 16:04 - 16:08
    die für die Soziale Marktwirtschaft
    von Bedeutung waren.
  • 16:09 - 16:13
    Es wurde dann über relativ
    allgemeine Themen diskutiert,
  • 16:13 - 16:17
    wie Christentum und Liberalismus,
    die Wettbewerbsordnung,
  • 16:17 - 16:22
    die mögliche Gründung
    eines europäischen Wirtschaftsverbandes.
  • 16:22 - 16:24
    Dies dauerte mehrere Tage.
  • 16:25 - 16:28
    Hayek wollte eine flexible Struktur,
  • 16:28 - 16:31
    die nur hinzu gewählte
    Mitglieder aufnimmt,
  • 16:31 - 16:35
    ohne Büro und mit einer
    in Illinois hinterlegten Satzung
  • 16:35 - 16:39
    mit zweijährlichen Treffen
    an wechselnden Orten.
  • 16:39 - 16:43
    Diese abstrakte Struktur
    sprach jene Intellektuellen an,
  • 16:43 - 16:48
    die den Liberalismus als eine vorrangig
    an sie gerichtete Doktrin ansahen.
  • 16:50 - 16:57
    3. IM HERZEN
    DES NEOLIBERALEN NETZWERKS
  • 16:58 - 17:03
    DlE THINKTANKS
  • 17:05 - 17:09
    Die Mont-Pélerin-Gesellschaft
    ist kein Thinktank,
  • 17:09 - 17:12
    sondern eine Art Akademie für Liberale.
  • 17:12 - 17:17
    Dennoch gibt es eine Art Arbeitsteilung
    zwischen dieser Gesellschaft,
  • 17:17 - 17:21
    die nur die renommiertesten
    Liberalen aufnimmt,
  • 17:21 - 17:25
    und den nationalen Aktivitäten
    ihrer Mitglieder,
  • 17:25 - 17:31
    wie zum Beispiel die Gründung
    von Verbänden oder Thinktanks.
  • 17:31 - 17:36
    So gibt es in Frankreich seit den 60ern
    den Verband für wirtschaftliche Freiheit
  • 17:37 - 17:42
    und sozialen Fortschritt als
    französische Sparte von Mont Pélerin.
  • 17:42 - 17:47
    Dessen Mitglieder kommen aus der Politik
    und aus Arbeitgeberkreisen.
  • 17:47 - 17:51
    Dadurch werden
    auch Gruppen einbezogen,
  • 17:51 - 17:55
    die nicht im intellektuellen Milieu
    angesiedelt sind.
  • 17:55 - 18:00
    Ein anderes Model sind Thinktanks,
    die Mont Pélerin oft hervorbrachte.
  • 18:00 - 18:03
    Da wären
    das Institute of Economic Affairs,
  • 18:03 - 18:06
    das 1955 in England gegründet wurde,
  • 18:06 - 18:09
    oder die 1973 in den USA
    gegründete Heritage Foundation,
  • 18:10 - 18:12
    die den Republikanern nahesteht.
  • 18:12 - 18:17
    Und diese Thinktanks
    beschäftigen eine Reihe von Leuten,
  • 18:17 - 18:22
    die Mitteilungen schreiben oder
    ganze Gesetzesentwürfe verfassen lassen,
  • 18:22 - 18:26
    die sie dann an Politiker
    und Journalisten weitergeben,
  • 18:26 - 18:31
    um zur Bildung einer liberalen
    öffentlichen Meinung beizutragen.
  • 18:31 - 18:34
    Heute gibt es
    Hunderte solcher Thinktanks,
  • 18:34 - 18:38
    die man nur noch
    schwer überblicken kann.
  • 18:38 - 18:42
    Einige von ihnen,
    wie die Atlas Foundation,
  • 18:42 - 18:45
    sollen Thinktanks an sich fördern,
  • 18:45 - 18:50
    indem sie „Handbücher" für den
    Aufbau eines Thinktanks verteilen.
  • 18:50 - 18:53
    Das nimmt verschiedene Formen an.
    Manche Gruppen
  • 18:53 - 18:57
    bilden sich um einen Autor,
    wie das Hayek Center.
  • 18:57 - 19:03
    Beim Ludwig von Mises Institute
    dreht sich alles um dessen Werk.
  • 19:03 - 19:07
    Andere Gruppen beschäftigen sich
    mit bestimmten Themen
  • 19:07 - 19:10
    wie Umwelt, Aussenpolitik
    und dergleichen.
  • 19:11 - 19:17
    Das Mass an Qualität und Macht dieser
    Thinktanks ist unterschiedlich gross.
  • 19:17 - 19:23
    Ein starker Thinktank
    vereint in sich Intellektuelle,
  • 19:23 - 19:27
    Unternehmer und hat eine Verankerung
    in den konservativen Parteien.
  • 19:27 - 19:32
    Ein solcher Thinktank
    wäre das Center for Policy Studies
  • 19:32 - 19:34
    von Keith Joseph,
  • 19:34 - 19:38
    das Margaret Thatcher förderte
    und sie dabei unterstützte,
  • 19:38 - 19:41
    die Konservative Partei
    in den 70er Jahren umzugestalten.
  • 19:41 - 19:46
    Diese Organisation arbeitet
    an der Nahtstelle der drei Milieus.
  • 19:46 - 19:49
    Ein rein intellektueller Thinktank,
  • 19:49 - 19:52
    der sich allgemein
    mit Liberalismus befasst,
  • 19:52 - 19:55
    hat meist nur wenig Einfluss
    auf politische Debatten.
  • 19:56 - 20:01
    Nationaler Industriellenverband
  • 20:01 - 20:05
    Von Mises und Hayek
    waren auch deshalb erfolgreich,
  • 20:05 - 20:11
    weil sie den führenden
    Arbeitgebervertretern sehr nahestanden.
  • 20:11 - 20:16
    Von Mises war in den USA verbunden mit
    der Foundation for Economic Education
  • 20:16 - 20:18
    und dadurch mit Arbeitgebern.
  • 20:19 - 20:21
    Hayek liess sich in Chicago
  • 20:21 - 20:24
    von amerikanischen Unternehmern
    finanzieren,
  • 20:25 - 20:30
    die eine auf Amerika bezogene Version
    von „Der Weg zur Knechtschaft" wollten.
  • 20:30 - 20:33
    Diese Intellektuellen
    bekamen mehr Macht,
  • 20:33 - 20:38
    als sie sich mit einflussreichen
    Leuten zusammenschlossen.
  • 20:38 - 20:42
    Hayeks Werk
    mag etwas Utopisches beinhalten,
  • 20:42 - 20:47
    aber es ist die Utopie der Mächtigen,
    nicht die der Benachteiligten.
  • 20:49 - 20:53
    Finanziert durch Konzerne
    und grosse Privatvermögen,
  • 20:53 - 20:57
    profitieren
    die neoliberalen Thinktanks sehr oft
  • 20:57 - 21:01
    vom Status
    gemeinnütziger Organisationen.
  • 21:01 - 21:07
    Die grosszügigen Spender haben somit
    Anspruch auf Steuerminderungen.
  • 21:07 - 21:10
    Dennoch schreibt das Gesetz vor,
  • 21:10 - 21:15
    dass gemeinnützige Organisationen
    nicht politisch tätig sein dürfen.
  • 21:15 - 21:20
    1989 wurde Greenpeace der Status
    einer gemeinnützigen Organisation
  • 21:21 - 21:24
    von der Kanadischen Regierung
    aberkannt.
  • 21:24 - 21:26
    Die kanadische Steueraufsicht befand,
  • 21:27 - 21:31
    dass diese NGO nicht immer
    im öffentlichen Interesse handele.
  • 21:31 - 21:35
    Sie trage dazu bei,
    „Menschen durch die Forderung
  • 21:35 - 21:40
    nach Abschaffung umweltschädlicher
    Industrien in Armut zu stürzen."
  • 21:41 - 21:45
    Jedoch wurde bisher
    bei keinem liberalen Thinktank
  • 21:45 - 21:49
    mit gemeinnützigem Status
    derartig eingegriffen.
  • 21:49 - 21:53
    Bei ihrer Jahreserklärung
    vor der Kanadischen Regierung
  • 21:54 - 22:00
    bekunden diese „unparteiischen"
    Forschungsinstitute feierlich,
  • 22:00 - 22:04
    „weder die öffentliche Meinung
    beeinflussen noch die Änderung
  • 22:04 - 22:08
    eines Gesetzes oder einer
    politischen Linie bewirken zu wollen."
  • 22:10 - 22:13
    Es gab immer
    rechtsgerichtete Thinktanks,
  • 22:13 - 22:19
    aber das Phänomen nahm erst in den
    frühen 70ern bedeutende Ausmasse an.
  • 22:20 - 22:24
    Das war Teil
    einer sehr breiten Reaktion ...
  • 22:24 - 22:30
    ... auf den Aktivismus der 60er,
    der die Eliten in Angst versetzt hatte.
  • 22:30 - 22:35
    Denn er demokratisierte die Gesellschaft,
    und das missfiel ihnen natürlich.
  • 22:36 - 22:40
    Der deutlichste Ausdruck
  • 22:40 - 22:43
    von liberalen
    internationalistischen Ansichten
  • 22:44 - 22:47
    war eine Studie
    der Trilateralen Kommission,
  • 22:47 - 22:52
    die liberale Internationalisten
    aus Europa, den USA und Japan vereint.
  • 22:52 - 22:54
    Drei starke Regionen.
  • 22:54 - 22:58
    Sie erschien 1974
    und hiess „Die Krise der Demokratie".
  • 22:59 - 23:03
    Darin hiess es, dass die Länder
    zu demokratisch werden.
  • 23:03 - 23:06
    Das nannte man
    „ein Übermass an Demokratie".
  • 23:06 - 23:10
    Menschen, die eigentlich
    passiv und apathisch waren,
  • 23:10 - 23:13
    wurden aktiv und stellten Forderungen.
  • 23:13 - 23:16
    Das waren
    „besondere Interessengruppen",
  • 23:16 - 23:19
    wie Frauen, junge Leute, alte Leute,
  • 23:19 - 23:22
    Bauern, Arbeiter,
    also das ganze Land.
  • 23:22 - 23:27
    Nur eine Gruppe wurde nicht dazugezählt:
    die Privatwirtschaft.
  • 23:27 - 23:33
    Sie lenkte ja die Welt und das Land,
    war also von „nationalem Interesse".
  • 23:33 - 23:37
    Aber der Rest der Bevölkerung
    wurde einfach zu aktiv,
  • 23:37 - 23:41
    in der Studentenbewegung,
    in der Frauenbewegung,
  • 23:41 - 23:44
    in Umweltfragen.
    Diese Zeit ...
  • 23:45 - 23:49
    ... hatte eine sehr zivilisatorische
    Wirkung auf die Gesellschaft.
  • 23:49 - 23:53
    Sie veränderte viel
    und das war beängstigend.
  • 23:53 - 23:55
    Es gab heftige Gegenreaktionen.
  • 23:55 - 24:00
    Die Trilaterale Kommission rief
    zu einer Mässigung in der Demokratie auf:
  • 24:00 - 24:04
    Der Druck sei zu gross,
    der Staat könne nicht allem nachkommen.
  • 24:05 - 24:09
    Die „Institutionen
    zur Indoktrinierung der Jugend..."
  • 24:09 - 24:14
    Untereinander konnten sie ja offen sein.
    Diese Institutionen also
  • 24:14 - 24:17
    sollten härter durchgreifen.
  • 24:18 - 24:21
    Die Presse sei ausser Kontrolle,
    was Unsinn ist,
  • 24:21 - 24:24
    und vielleicht müsse
    der Staat eingreifen.
  • 24:24 - 24:30
    Dies spiegelte das allgemeine Befinden
    der liberalen Internationalisten
  • 24:30 - 24:35
    in der Welt,
    also in Europa, den USA und Japan wider.
  • 24:36 - 24:39
    Deshalb sprach man auch
    von der „Zeit der Unruhen".
  • 24:39 - 24:45
    Die wachsende Teilhabe an Demokratie
    und Aktivismus war für sie ein Ärgernis.
  • 24:46 - 24:50
    Das rief an vielen Fronten
    starke Reaktionen hervor.
  • 24:50 - 24:56
    Eine davon war die Erstarkung
    von rechtsgerichteten Thinktanks,
  • 24:56 - 25:01
    die versuchten, den Tenor der Diskussion
    zumindest innerhalb der breiten Masse
  • 25:02 - 25:03
    nach rechts zu verschieben.
  • 25:03 - 25:07
    Zugleich verstärkten die Unternehmen
    ihre Lobbyarbeit,
  • 25:08 - 25:12
    um ihren Einfluss
    auf die Gesetzgebung sicherzustellen.
  • 25:14 - 25:16
    „Wie kann der Markt
    die Wahlmöglichkeiten
  • 25:16 - 25:19
    und die Freiheit des Einzelnen stärken?
  • 25:19 - 25:22
    Studentisches Seminar
    des Fraser Institutes
  • 25:22 - 25:25
    zum Thema Politik
    im öffentlichen Sektor,
  • 25:25 - 25:29
    in Kooperation mit dem
    Wirtschaftsinstitut Montreal,
  • 25:29 - 25:31
    am Samstag, den 10.2.2001,
  • 25:32 - 25:36
    gefördert von den Spendern
    des Fraser Institutes in Quebec."
  • 25:37 - 25:42
    Überlässt man das Monopol
    auf die Ausübung von Druck
  • 25:42 - 25:46
    einer Kraft,
    die wir Regierung nennen,
  • 25:46 - 25:50
    gibt es immer die Tendenz
  • 25:50 - 25:55
    zu einer unwissenden oder aber
    missbräuchlichen Nutzung dieser Macht.
  • 25:56 - 25:59
    Und Macht neigt immer dazu,
    weiter zu wachsen.
  • 26:00 - 26:05
    Deshalb möchte das Fraser Institute
    untersuchen und untermauern,
  • 26:05 - 26:09
    wo die Grenzen
    der Regierung liegen sollen
  • 26:09 - 26:13
    und wo die der privaten
    Unternehmen liegen sollen,
  • 26:13 - 26:17
    also des freiwilligen
    Austauschs zwischen Individuen.
  • 26:17 - 26:20
    Und genau das ist ...
  • 26:20 - 26:25
    ... die Trennlinie
    zwischen Zwang und Freiwilligkeit,
  • 26:25 - 26:30
    um die es in meinem
    heutigen Vortrag gehen wird.
  • 26:30 - 26:33
    Sie werden auch andere Redner hören,
  • 26:33 - 26:36
    die an dem heutigen Seminar teilnehmen.
  • 26:36 - 26:41
    „Dinner-Konferenz der Foundation
    for Economic Education in New York.
  • 26:41 - 26:45
    In seiner Präsentation
    „Gesundet durch den Kapitalismus"
  • 26:45 - 26:48
    erklärt der Liberalismus-Experte,
  • 26:48 - 26:52
    wie unser gestiegener Lebensstandard
    uns den „Luxus" gestattet,
  • 26:52 - 26:55
    zum Beispiel über Umweltfragen
    nachzudenken."
  • 26:56 - 27:00
    Ich bin der Präsident der Foundation
    for Economic Education in New York,
  • 27:00 - 27:03
    die 1946 gegründet wurde.
  • 27:03 - 27:06
    Damals war sie
    die einzige marktorientierte,
  • 27:06 - 27:10
    klassisch-liberale
    Organisation der Welt.
  • 27:10 - 27:13
    Seit dieser Zeit
    sind andere hinzugekommen.
  • 27:13 - 27:16
    Aber uns gibt es seit 1946,
  • 27:16 - 27:20
    und unser Ziel ist die Heranführung
    der Menschen an die Ideen
  • 27:20 - 27:24
    und Ideale einer liberalen,
    dezentralisierten Gesellschaft,
  • 27:25 - 27:29
    die vom Privateigentum
    und weniger vom Staat gesteuert wird.
  • 27:29 - 27:32
    Mir ging es gar nicht darum,
    zu bestreiten,
  • 27:33 - 27:38
    dass der industrielle Kapitalismus
    zu Umweltverschmutzung geführt hat.
  • 27:39 - 27:42
    Mir ging es darum,
    dass diese Verschmutzung,
  • 27:43 - 27:47
    ganz gleich, als wie gravierend
    man sie einschätzen mag,
  • 27:47 - 27:50
    in ein Verhältnis gesetzt werden muss
  • 27:50 - 27:55
    zu den Lebensumständen
    in der Vergangenheit,
  • 27:55 - 27:57
    vor der Industrialisierung.
  • 27:57 - 28:01
    Gemessen an heutigen Standards
    war das Lebensumfeld damals
  • 28:01 - 28:06
    extrem schmutzig,
    ungesund und gefährlich.
  • 28:07 - 28:11
    Und zwar aufgrund von
    natürlichen Schadstoffen,
  • 28:11 - 28:15
    mit denen es unsere Vorfahren
    täglich zu tun hatten.
  • 28:15 - 28:18
    Viele von ihnen
    sind durch sie umgekommen.
  • 28:18 - 28:21
    Das kapitalistische System
  • 28:21 - 28:25
    hat viele dieser Gefahren eliminiert
  • 28:25 - 28:30
    und die Konsequenzen
    fast aller anderen Gefahren reduziert.
  • 28:30 - 28:34
    Ich sage nicht, dass es
    keine Umweltverschmutzung gibt,
  • 28:34 - 28:37
    sondern dass wir den heutigen Zustand
  • 28:37 - 28:40
    mit dem damaligen vergleichen sollten,
  • 28:40 - 28:44
    wenn es darum geht,
    ob man für den Kapitalismus ...
  • 28:45 - 28:47
    ... oder gegen ihn ist.
  • 28:52 - 28:57
    Das Seminar wird nicht von der Regierung
    sondern aus privater Hand finanziert.
  • 28:59 - 29:02
    Es ist ermutigend,
    wenn Leute bereit sind,
  • 29:02 - 29:04
    in ihre Überzeugungen zu investieren.
  • 29:05 - 29:09
    Ich finde,
    es gibt zu viele Leistungen,
  • 29:09 - 29:14
    wie die Arbeitslosenversicherung,
    Gesundheit, Bildung,
  • 29:14 - 29:16
    die einem Monopol unterliegen,
  • 29:16 - 29:21
    nämlich dem der Regierung
    als einzigem Anbieter dieser Leistungen.
  • 29:21 - 29:24
    Warum soll es da
    keinen Wettbewerb geben?
  • 29:26 - 29:31
    Wir könnten bei der Bereitstellung
    dieser Leistungen Wettbewerb zulassen.
  • 29:32 - 29:35
    Unsere Fürsorge
    für die Armen könnte sich
  • 29:35 - 29:39
    dann in Beihilfen
    zu diesen Leistungen äussern.
  • 29:39 - 29:41
    Es geht um die Abkopplung
  • 29:41 - 29:45
    der Produktion, die privat
    und wettbewerbsorientiert sein soll,
  • 29:46 - 29:50
    von der Finanzierung,
    die in Teilen staatlich sein könnte.
  • 29:56 - 29:59
    Ich spreche ungern von „Märkten",
  • 29:59 - 30:02
    denn Märkte existieren nicht
    ohne den Staat.
  • 30:02 - 30:04
    Jeder Markt braucht Regeln.
  • 30:05 - 30:09
    Jeder Markt braucht
    ein gewisses Mass an Zwang.
  • 30:10 - 30:15
    Ich spreche auch ungern
    von Freiheit als einem Wert in sich.
  • 30:15 - 30:18
    Viele Menschen wollen keine Freiheit.
  • 30:18 - 30:23
    Ich hätte gern die Freiheit,
    meine Machthaber selbst auszuwählen.
  • 30:24 - 30:26
    Was ich ...
  • 30:28 - 30:31
    ... in meinen Vorträgen
    zu erörtern versuche, ist,
  • 30:31 - 30:33
    wie wir ...
  • 30:35 - 30:37
    ... eine Staatsform erlangen können,
  • 30:37 - 30:43
    in der wir die Art unserer Vertreter,
    die Art der Zwänge selbst wählen können.
  • 30:43 - 30:48
    Wir alle müssen uns Zwängen fügen,
    auch die überzeugtesten Libertäre.
  • 30:50 - 30:58
    4. KURZE ANTHOLOGIE
    DES LIBERALISMUS
  • 30:58 - 31:06
    LIBERALISMUS
    UND PUBLIC-CHOICE-THEORIE
  • 31:08 - 31:10
    Le Québécois Libre,
    Leitartikel
  • 31:10 - 31:13
    „Was sollen die Libertäre tun?"
  • 31:13 - 31:15
    Der Libertarismus ging hervor
  • 31:16 - 31:18
    aus der klassischen
    liberalen Philosophie.
  • 31:19 - 31:21
    Er betont die Freiheit des Individuums.
  • 31:22 - 31:25
    Ökonomisch gesehen
    geht es um einen freien Markt,
  • 31:25 - 31:29
    politisch gesehen um einen Minimalstaat
  • 31:29 - 31:32
    mit minimalen Zwängen,
    einer minimaler Regulierung,
  • 31:34 - 31:37
    der dem Individuum Raum gibt,
    um sich zu entfalten
  • 31:37 - 31:41
    und freiwillige Beziehungen
    zu anderen zu unterhalten.
  • 31:41 - 31:46
    Gesellschaftlich gesehen
    ist dies das Gegenteil der Philosophien,
  • 31:46 - 31:52
    die eine soziale, religiöse oder
    kulturelle Ordnung durchsetzen wollen.
  • 31:52 - 31:56
    Wenn sich freie Individuen
    innerhalb eines Rahmens bewegen,
  • 31:56 - 32:00
    in dem Eigentum
    und Individuum geschützt sind,
  • 32:01 - 32:05
    wird jeder Beziehungen auf
    freiwilliger Basis unterhalten können.
  • 32:06 - 32:10
    Das erzeugt Harmonie
    und keine Anarchie,
  • 32:10 - 32:15
    keinen „Raubtierkapitalismus",
    in dem jeder gegen jeden kämpft.
  • 32:15 - 32:18
    Im Gegenteil,
    man lässt den Menschen Raum
  • 32:18 - 32:22
    für freiwillige, friedliche Beziehungen
    zu anderen Individuen.
  • 32:23 - 32:26
    Le Québécois Libre,
    Leitartikel
  • 32:27 - 32:31
    Neoliberal, anarchistisch oder libertär?"
  • 32:31 - 32:34
    Der Libertarismus
    ging hervor aus dem Liberalismus,
  • 32:34 - 32:39
    einer Philosophie, die sich im 17.
    und 18. Jahrhundert entwickelt hat.
  • 32:42 - 32:46
    Er war eine Reaktion auf
    die autoritären Monarchien von damals.
  • 32:47 - 32:49
    Der Liberalismus besagte:
  • 32:49 - 32:53
    Gegenüber dem Monarchen
    braucht das Individuum mehr Freiheiten.
  • 32:53 - 32:57
    Daraus entwickelte sich
    über die Jahrhunderte
  • 32:57 - 33:02
    der heutige Liberalismus,
    der einen freien Markt propagiert.
  • 33:02 - 33:08
    Aber die Libertäre des 20. Jahrhunderts
    heben sich etwas von den Liberalen ab,
  • 33:08 - 33:11
    da „liberal"
    heute anders definiert wird.
  • 33:11 - 33:14
    In den USA ist ein Liberaler heute ...
  • 33:14 - 33:18
    ... ein Sozialdemokrat oder ein Linker.
  • 33:20 - 33:24
    In Europa bedeutet „liberal" gemäss
    der französischen Tradition „liberal".
  • 33:25 - 33:29
    Das ist etwas verwirrend.
    Die Amerikaner als klassische Liberale
  • 33:29 - 33:34
    nannten sich seit den 20er
    oder 30er Jahren „Libertäre",
  • 33:34 - 33:36
    in Abgrenzung zu den „liberals".
  • 33:36 - 33:40
    Auch die libertäre Philosophie
    ist schlüssiger und radikaler
  • 33:41 - 33:43
    als der klassische Liberalismus,
  • 33:43 - 33:47
    nämlich in ihrer Forderung
    nach einem Rückzug des Staates,
  • 33:47 - 33:52
    der nach Auffassung mancher Libertäre
    komplett abgeschafft werden soll.
  • 33:52 - 33:57
    Dann würden sogar Armee,
    Polizei und Justiz privatisiert.
  • 33:57 - 34:00
    Le Québécois Libre,
    Leitartikel
  • 34:00 - 34:04
    „Umverteilung von Reichtum
    ist unmoralisch."
  • 34:06 - 34:11
    In der heutigen Gesellschaft,
    in der die Staatsausgaben
  • 34:11 - 34:16
    einem Anteil von 45 bis 55 Prozent
    vom Bruttoinlandsprodukt entsprechen,
  • 34:16 - 34:20
    kontrolliert der Staat
    das Gesundheits- und Bildungswesen
  • 34:20 - 34:23
    sowie verschiedene andere Bereiche.
  • 34:23 - 34:27
    Er subventioniert fast jeden.
    Ein Grossteil der Bevölkerung ...
  • 34:28 - 34:32
    ... lebt nur von der Umverteilung
    von Reichtum.
  • 34:32 - 34:36
    Sie produzieren nichts, was auf
    dem freien Markt nachgefragt wird,
  • 34:36 - 34:39
    sondern erhalten nur Geld vom Staat,
  • 34:39 - 34:42
    das dieser
    von den Steuerzahlern einzieht.
  • 34:43 - 34:45
    Es gibt also sehr viele Leute ...
  • 34:47 - 34:50
    ... die auf Kosten anderer leben.
  • 34:50 - 34:55
    Aus libertärer Sicht kann man
    die Gesellschaft aufteilen in jene,
  • 34:55 - 34:59
    die produzieren und jene,
    die auf Kosten anderer leben
  • 34:59 - 35:01
    und letztlich Parasiten sind.
  • 35:01 - 35:04
    Das klingt hart, trifft aber zu.
  • 35:05 - 35:09
    Man kann nicht für Eigenverantwortung
    sein und so etwas vertreten.
  • 35:10 - 35:15
    Alle, die von anderen abhängig leben,
    sind wirklich unverantwortlich.
  • 35:15 - 35:18
    Sie bringen nichts Nützliches hervor
  • 35:18 - 35:22
    und profitieren von staatlichen Zwängen,
  • 35:22 - 35:27
    also der Umverteilung des Reichtums
    von einer Gruppe an eine andere.
  • 35:28 - 35:32
    Wenn man also Freiheit
    und Verantwortung fördern will,
  • 35:33 - 35:37
    kann man diese Abhängigkeit grosser
    Bevölkerungsteile nicht hinnehmen.
  • 35:39 - 35:44
    Die Public-Choice-Theorie besagt,
    dass die Politik der Regierung
  • 35:44 - 35:48
    nicht vom Interesse
    der Gemeinschaft bestimmt wird,
  • 35:48 - 35:54
    sondern von Einzelinteressen
    verschiedener Gesellschaftsgruppen.
  • 35:54 - 35:59
    1986 gewinnt James M. Buchanan,
    der geistige Vater dieser Theorie,
  • 35:59 - 36:03
    die die Ineffizienz des Staates beklagt
  • 36:03 - 36:06
    und eine Begrenzung der
    Staatsausgaben predigt,
  • 36:07 - 36:09
    den Wirtschaftsnobelpreis.
  • 36:17 - 36:19
    Die Regierungen ...
  • 36:19 - 36:24
    Entgegen der Auffassung,
    die hier bei uns verbreitet wird,
  • 36:24 - 36:28
    leben wir in Quebec
    in einer etatistischen Kultur.
  • 36:28 - 36:32
    Wir sind so durchdrungen davon,
    dass wir es gar nicht merken.
  • 36:32 - 36:37
    Aber es ist eine etatistische Kultur,
    die ganz naiv ...
  • 36:39 - 36:43
    ... davon ausgeht, dass der Staat
    das Gemeingut maximiert.
  • 36:44 - 36:49
    Mit anderen Worten ...
    Das ist eine Auffassung ...
  • 36:50 - 36:55
    Wie soll ich sagen? Das ist eine
    komplette Verklärung des Staates.
  • 36:56 - 36:59
    Das hat mit der Realität nichts zu tun.
  • 36:59 - 37:02
    Wieso glauben wir,
    dass unsere Regierungen,
  • 37:02 - 37:05
    so demokratisch,
    wie sie zum Glück sind,
  • 37:06 - 37:09
    das Gemeingut maximieren?
    Das tun sie nicht.
  • 37:09 - 37:13
    Regierungen gehorchen den Spielregeln,
    die für sie gelten.
  • 37:13 - 37:17
    Und welche sind das?
    Es ist der Wahlvorgang.
  • 37:17 - 37:19
    Das ist ja das Gute daran.
  • 37:19 - 37:21
    Was heisst das?
  • 37:22 - 37:24
    Das heisst zunächst ...
  • 37:26 - 37:28
    ... dass wir oft das erleben werden,
  • 37:30 - 37:32
    was „Diktatur der Mehrheit" heisst.
  • 37:33 - 37:39
    Da die Politik in erster Linie
    auf Mehrheiten angewiesen ist,
  • 37:39 - 37:44
    wird eine neu gewählte Regierung
    zuerst die Mehrheit begünstigen.
  • 37:44 - 37:49
    Wenn diese Mehrheit
    aber kleine und mittlere Einkommen hat,
  • 37:49 - 37:52
    dann heisst das, dass die Politik
  • 37:53 - 37:57
    den Reichtum zugunsten
    dieser Mehrheit umverteilen wird.
  • 37:57 - 38:01
    Sie will ihn weder maximieren
    noch das Wachstum ankurbeln.
  • 38:02 - 38:05
    Effizienz ist einer Regierung
    kein grosses Anliegen.
  • 38:06 - 38:09
    Ihr erstes Ziel
    ist die Umverteilung des Reichtums
  • 38:09 - 38:12
    an ihre Wähler, also an die Mehrheit.
  • 38:12 - 38:15
    Deshalb gibt es
    umfassende Sozialsysteme.
  • 38:15 - 38:18
    Deshalb gibt es ...
  • 38:20 - 38:24
    ... diese Vorliebe der Mehrheit,
    wohlgemerkt der Mehrheit,
  • 38:24 - 38:29
    für staatliche Monopole
    auf Gesundheit und Bildung.
  • 38:29 - 38:32
    Es ist weder Mitgefühl
    noch das Anliegen,
  • 38:34 - 38:38
    den Reichtum zu verteilen,
    was diesen Standpunkt bedingt.
  • 38:38 - 38:42
    Die Mehrheit lässt sich Dinge
    von einer Minderheit bezahlen,
  • 38:42 - 38:45
    die ein etwas höheres Einkommen hat.
    Darum geht es.
  • 38:46 - 38:50
    Es ist also ein grosser Schwindel
    zu behaupten,
  • 38:50 - 38:54
    dass Mitgefühl der Grund ...
  • 38:55 - 39:00
    ... für ein staatliches Gesundheits-
    und Bildungswesen sei.
  • 39:00 - 39:05
    Die zweite Dimension ist die,
    dass die Leute, also die Mehrheit,
  • 39:06 - 39:08
    eher unpolitisch sind.
  • 39:08 - 39:12
    In der Ökonomie
    nennen wir das „rationale Ignoranz".
  • 39:14 - 39:17
    Es wäre doch dumm von uns ...
  • 39:18 - 39:21
    ... uns viel Wissen
    über Politik anzueignen,
  • 39:21 - 39:26
    über deren Auswirkungen auf uns,
    abgesehen von ein paar Sonderfällen.
  • 39:26 - 39:31
    Wieso? Weil wir in der Vielzahl
    der Wähler sowieso untergehen.
  • 39:31 - 39:36
    Ob wir informiert sind oder nicht,
    ob wir klug wählen oder nicht,
  • 39:36 - 39:38
    ist am Ende egal.
  • 39:38 - 39:41
    Also werden alle
    möglichst wenig unternehmen,
  • 39:42 - 39:46
    um Politik zu verstehen
    und sich über sie zu informieren.
  • 39:46 - 39:50
    Viele kennen ja nicht mal
    den Namen ihres Abgeordneten.
  • 39:50 - 39:53
    Sie wären nicht in der Lage zu erklären,
  • 39:55 - 39:59
    welchen Sinn
    eine politische Massnahme für sie hat.
  • 39:59 - 40:03
    Es wäre, wie gesagt, mühsam,
    sich zu informieren,
  • 40:03 - 40:08
    wenn der Einfluss, den man hätte,
    eigentlich gleich null ist.
  • 40:08 - 40:11
    Also sind die Leute
    apathisch, unpolitisch
  • 40:11 - 40:16
    und nehmen nicht an der Politik teil,
    weil es sich nicht lohnt.
  • 40:16 - 40:18
    Das wiederum ebnet den Weg
  • 40:18 - 40:23
    für strategisch eingesetzte Gruppen,
    also Interessengruppen.
  • 40:23 - 40:25
    Deshalb sind die so dominant.
  • 40:28 - 40:31
    Organisationen wie
    der kanadische Gewerkschaftsbund
  • 40:32 - 40:34
    oder der Bund der Industrie
    sind schon da.
  • 40:35 - 40:39
    Sie betreiben Politik,
    Propaganda und Lobby-Arbeit.
  • 40:39 - 40:43
    Es kostet sie fast nichts,
    weil sie bereits organisiert sind.
  • 40:44 - 40:47
    Das bedeutet,
    dass politische Entscheidungen
  • 40:47 - 40:52
    von strategisch eingesetzten,
    organisierten Gruppen bestimmt werden.
  • 40:53 - 40:56
    „Alle grossen Regierungen dieser Welt,
  • 40:56 - 40:58
    von damals wie von heute,
  • 40:58 - 41:03
    waren nichts als Diebesbanden,
    deren Ziel die Plünderung,
  • 41:03 - 41:09
    Eroberung und Versklavung
    ihrer Mitmenschen war.
  • 41:09 - 41:14
    lhre Gesetze, wie sie sie nennen,
    sind lediglich Abmachungen,
  • 41:14 - 41:21
    die sie für nötig befanden,
    um ihre Organisation zu erhalten
  • 41:21 - 41:25
    und um andere Menschen
    gemeinschaftlich auszurauben,
  • 41:26 - 41:27
    sie zu versklaven
  • 41:27 - 41:31
    und um allen den verabredeten Teil
    der Beute zu sichern.
  • 41:31 - 41:33
    Aus all diesen Gesetzen
  • 41:33 - 41:36
    ergeben sich nicht mehr Verpflichtungen
  • 41:36 - 41:41
    als aus Abmachungen, die Ganoven,
    Banditen und Piraten schliessen."
  • 41:41 - 41:44
    Lysander Spooner
  • 41:44 - 41:51
    in: „Natural Law;
    or the Science of Justice", 1882
  • 41:53 - 41:57
    Wenn wir die objektiven Fakten
    betrachten, ist der Staat ...
  • 41:58 - 42:03
    ... eine Zwangsinstitution. Er kann
    Dinge nur durch Zwang durchsetzen.
  • 42:03 - 42:04
    Zum Beispiel ...
  • 42:05 - 42:09
    ... besitzt unser Staat
    das Monopol Hydro Québec.
  • 42:09 - 42:14
    Wenn ich mich entscheide,
    Strom zu produzieren und zu verkaufen,
  • 42:14 - 42:16
    ausserhalb des Monopols,
  • 42:16 - 42:21
    dann bekomme ich dafür
    nicht nur ein paar auf die Finger,
  • 42:21 - 42:23
    sondern ich muss ins Gefängnis,
  • 42:23 - 42:28
    wenn ich darauf bestehe,
    etwas zu tun, das der Staat verbietet.
  • 42:28 - 42:32
    Der Staat greift mich also physisch an,
    wenn ich etwas anbiete,
  • 42:34 - 42:39
    das der Staat, also dessen Vertreter,
    zum Monopol erklärt hat.
  • 42:39 - 42:42
    Wenn der Staat
    mir 50 Prozent meines Gehalts stiehlt ...
  • 42:42 - 42:47
    Es tut mir leid, aber niemand
    hat mich gefragt, also ist es Diebstahl.
  • 42:47 - 42:52
    Da kann man noch so oft sagen,
    dass wir Leute gewählt haben,
  • 42:53 - 42:55
    die das für uns entscheiden.
  • 42:56 - 43:00
    Die Demokratie
    ist eine „friedliche" Form
  • 43:00 - 43:02
    von staatlichem Banditentum.
  • 43:03 - 43:09
    Ich habe nicht für die Wegnahme meines
    Gehaltes gestimmt, andere wollen das.
  • 43:09 - 43:12
    Weil sie auf Staatskosten leben.
  • 43:12 - 43:15
    Der Staat nimmt mir etwas weg
    und gibt es ihnen.
  • 43:15 - 43:19
    Demokratie ist also
    keine richtige Freiheit.
  • 43:19 - 43:24
    Ich bin kein Anti-Demokrat,
    der einen autoritären Staat will.
  • 43:24 - 43:28
    Wer etwas gegen Demokratie sagt,
    gilt immer als Befürworter
  • 43:28 - 43:32
    eines autoritären Staates.
    Aber ich bin für einen Staat,
  • 43:33 - 43:36
    der absolut nicht autoritär ist,
    insoweit als er ...
  • 43:36 - 43:40
    ... sein Handeln nicht
    mit Demokratie rechtfertigt.
  • 43:41 - 43:44
    Individuelle und demokratische
    Freiheit sind nicht dasselbe.
  • 43:45 - 43:48
    Wenn man Leute
    demokratisch dazu ermächtigt,
  • 43:48 - 43:51
    uns Dinge wegzunehmen
    oder aufzuzwingen,
  • 43:51 - 43:53
    ist das gegen die individuelle Freiheit.
  • 43:54 - 43:59
    Wenn man individuelle Freiheit will,
    ist man nicht für mehr Demokratie,
  • 43:59 - 44:02
    sprich für eine
    noch weitergehende Umverteilung
  • 44:03 - 44:05
    von gestohlenen Ressourcen.
  • 44:06 - 44:09
    Wir sind für einen
    drastischen Rückzug des Staates,
  • 44:09 - 44:12
    damit die Individuen frei sind.
  • 44:12 - 44:14
    Sie sollen nicht entscheiden,
  • 44:14 - 44:18
    welchen Fuchs sie
    in den Hühnerstall schicken,
  • 44:18 - 44:22
    sondern darüber,
    was mit ihrem Eigentum passiert.
  • 44:25 - 44:29
    Die Anreize
    in der Sozialpolitik sind falsch,
  • 44:29 - 44:32
    für die Armen und die Allgemeinheit.
  • 44:32 - 44:38
    Ich meine, bei uns gibt es
    eine öffentliche Sozialwirtschaft
  • 44:39 - 44:42
    parallel zur
    kapitalistischen Marktwirtschaft.
  • 44:42 - 44:47
    Die eine ist produktiv, die andere fusst
    auf dem Modell der früheren UdSSR.
  • 44:48 - 44:51
    Sie schafft Anreize, die allen schaden.
  • 44:51 - 44:55
    Wir belohnen die Leute dafür,
    dass sie nicht arbeiten.
  • 44:55 - 44:59
    Wir belohnen sie
    für instabile Familienverhältnisse.
  • 45:00 - 45:04
    Durch Beihilfen
    für alleinerziehende Mütter
  • 45:04 - 45:08
    fördern wir Geburten
    ausserhalb der Familie.
  • 45:08 - 45:12
    Und wir belohnen die Armut,
    so muss man es sagen.
  • 45:12 - 45:16
    Armut folgt denselben Regeln
    wie alles andere auch:
  • 45:17 - 45:19
    Subventionen begünstigen die Armut,
  • 45:19 - 45:22
    denn die Leute finden Gefallen an ihr.
  • 45:23 - 45:28
    Das wurde in Ontario und in den USA
    in den letzten fünf Jahren deutlich.
  • 45:28 - 45:30
    Dort hat man
  • 45:30 - 45:36
    den Zugang zu Beihilfen und staatlichen
    Leistungen wirklich begrenzt.
  • 45:36 - 45:41
    Und die Zahl der Armen hat sich
    innerhalb weniger Jahre halbiert!
  • 45:42 - 45:45
    Es gab kein Geld mehr,
    die Bedingungen wurden geändert,
  • 45:45 - 45:49
    man zwang die Leute zu arbeiten,
    wie auch immer.
  • 45:51 - 45:53
    Das heisst ...
  • 45:56 - 46:00
    ... es gibt Mittel zur Förderung
    der Wiedereingliederung der Leute
  • 46:01 - 46:03
    in die produktive Wirtschaft.
  • 46:04 - 46:08
    Anstatt sie in Sozialwohnungen
    zu stecken, in Gettos,
  • 46:09 - 46:10
    in denen alle arm sind.
  • 46:11 - 46:13
    Gäbe man ihnen
    Coupons oder Gutscheine,
  • 46:14 - 46:16
    mit denen sie Zugang zu Eigentum haben,
  • 46:16 - 46:20
    anstatt Arbeitslosigkeit
    zu subventionieren ...
  • 46:21 - 46:26
    Auch die Arbeitslosenversicherung
    subventioniert die Arbeitslosigkeit.
  • 46:26 - 46:29
    Wer nicht arbeitslos ist,
    bekommt nichts.
  • 46:31 - 46:34
    Man könnte stattdessen
    Sparfonds einrichten,
  • 46:34 - 46:37
    durch die sich die Menschen absichern,
  • 46:38 - 46:42
    steuerfrei, im Falle einer
    Arbeitslosigkeit sogar bezuschusst.
  • 46:42 - 46:48
    Jeder würde also versuchen,
    eine Arbeitslosigkeit zu vermeiden,
  • 46:48 - 46:50
    denn es ist das eigene Ersparte.
  • 46:50 - 46:55
    Jeder würde also
    von seiner Sparsamkeit profitieren.
  • 46:55 - 47:00
    Vieles wäre denkbar.
    Doch unsere Sozialpolitik
  • 47:00 - 47:05
    fördert die Entstehung einer Industrie
    der Armut, der Abhängigkeit,
  • 47:06 - 47:10
    die dem Beamtenapparat,
    der sie umgibt, zugute kommt.
  • 47:10 - 47:13
    Sie erzeugt
    in der Gesellschaft Abhängigkeit,
  • 47:14 - 47:16
    aber auch politischen Zuspruch.
  • 47:18 - 47:21
    Allerdings ohne Langzeiteffekt.
  • 47:22 - 47:25
    Die Sozialpolitik
    hat nirgends die Armut reduziert.
  • 47:25 - 47:30
    Das ist der Schluss, zu dem wir
    in dieserAngelegenheit kommen.
  • 47:33 - 47:42
    „Wie die Sozialhilfe Kindern schadet"
  • 47:43 - 47:44
    Wir stellen fest ...
  • 47:45 - 47:47
    ... dass Wachstum ...
  • 47:50 - 47:53
    In der Geschichte aller Länder
  • 47:53 - 47:58
    war das Wachstum der wirtschaftlichen
    Erträge das Einzige,
  • 47:58 - 48:00
    was den Armen hilft.
  • 48:02 - 48:04
    Das ist eindeutig belegt.
  • 48:05 - 48:08
    Die einzige Variable,
  • 48:10 - 48:12
    durch die Armut reduziert wird,
  • 48:13 - 48:17
    und zwar in verschiedenen Ländern,
    ist wachsender Wohlstand.
  • 48:18 - 48:20
    Die Sozialpolitik ist nutzlos.
  • 48:22 - 48:24
    Wessen Anliegen es also ist,
  • 48:26 - 48:29
    den Armen
    und Unterprivilegierten zu helfen,
  • 48:30 - 48:32
    muss das Wachstum fördern.
  • 48:32 - 48:37
    Daraus folgt, dass alle,
    die gegen den Freihandel sind,
  • 48:38 - 48:42
    im Namen der armen Länder
    und im Namen der Armen in den Ländern,
  • 48:43 - 48:46
    unrecht haben,
    sie schätzen das falsch ein.
  • 48:47 - 48:50
    Die Fakten sagen etwas anderes.
  • 48:50 - 48:55
    Die beste Hilfe ist der Freihandel,
    da er die Einkommen steigen lässt.
  • 48:55 - 49:00
    Statistisch gesehen steigt das Einkommen
    der Armen mit dem aller anderen.
  • 49:00 - 49:04
    Damit das passiert,
    muss man die Wirtschaft öffnen.
  • 49:04 - 49:06
    Und ganz abgesehen ...
  • 49:07 - 49:11
    ... von der Unterstützung der Armen
    durch sinnvolle Massnahmen,
  • 49:12 - 49:14
    sehe ich ...
  • 49:16 - 49:19
    ... keinen Grund
    für die Umverteilung des Reichtums.
  • 49:19 - 49:24
    Die Regierungen verteilen jedoch
    sehr viel Reichtum um,
  • 49:25 - 49:30
    zugunsten der Mittelschicht,
    weil sie die entscheidende Kraft ist.
  • 49:30 - 49:32
    Doch die moralische Grundlage fehlt.
  • 49:32 - 49:38
    Die einzige soziale Gerechtigkeit
    ist der Schutz der Eigentumsrechte.
  • 49:39 - 49:42
    Aus libertärer Sicht
    gibt es kein Allgemeingut.
  • 49:42 - 49:47
    Es wurde erfunden, um staatliches
    Eingreifen zu rechtfertigen.
  • 49:47 - 49:52
    Die Logik ist, dass es immer äussere
    Faktoren gibt, wie etwa Verschmutzung.
  • 49:52 - 49:56
    Wir können nicht produzieren,
    ohne dass Rauch entsteht,
  • 49:56 - 50:01
    ohne dass es Rückstände gibt,
    die in den Fluss geleitet werden.
  • 50:01 - 50:04
    Der Grund dafür ist,
  • 50:06 - 50:10
    dass es etwa für Wasser
    kein Eigentumsrecht gibt.
  • 50:10 - 50:13
    Flüsse sind öffentlich,
    das heisst ...
  • 50:15 - 50:18
    ... der Grund, wieso die Industrie
    im 19. Jahrhundert ...
  • 50:19 - 50:24
    ... die Flüsse verunreinigen durfte,
    was sie noch bis vor Kurzem tat,
  • 50:24 - 50:29
    ist der, dass der Fluss
    staatlicher Kontrolle unterlag.
  • 50:29 - 50:32
    Er war also eine staatliche Ressource.
  • 50:32 - 50:37
    Und der Staat erlaubte den Unternehmen,
    ihn zu verschmutzen.
  • 50:37 - 50:40
    Hätte man den Fluss aber privatisiert
  • 50:40 - 50:45
    und hätte jeder der Eigentümer
    befragt werden müssen,
  • 50:45 - 50:50
    ob er dem Unternehmen
    das Einleiten von Rückständen erlaubt,
  • 50:50 - 50:53
    dann wäre das sicher nicht passiert.
  • 50:53 - 50:58
    Oder es wäre passiert, wenn die Firma
    den wahren Preis dafür bezahlt hätte,
  • 50:58 - 51:04
    also wenn sie für die Erlaubnis
    des Eigentümers hätte zahlen müssen.
  • 51:04 - 51:08
    Die Ressourcenverteilung
    wäre ganz anderes gewesen.
  • 51:08 - 51:10
    Man hätte sich stärker bemüht,
  • 51:12 - 51:14
    andere Lösungen zu finden.
  • 51:14 - 51:19
    Die Unternehmen hätten
    in „saubere" Technologien investiert
  • 51:19 - 51:23
    oder sich auf bestimmte Orte
    zur Entsorgung geeinigt,
  • 51:23 - 51:28
    etwa bei jemandem, der die
    Verschmutzung gegen Bezahlung zulässt.
  • 51:28 - 51:32
    Die Prioritäten bei der Produktion
    wären anders angeordnet.
  • 51:33 - 51:38
    „Allgemeingut" ist also etwas,
    das nur existiert, weil der Staat ...
  • 51:40 - 51:42
    ... die Produktion verzerrt,
  • 51:43 - 51:46
    indem er die Umwelt verstaatlicht.
  • 51:52 - 52:00
    5. KRITIK
  • 52:02 - 52:05
    Liberalismus
    stand einmal für Fortschritt.
  • 52:05 - 52:09
    Aber der klassische Liberalismus,
    den Adam Smith vertrat,
  • 52:09 - 52:14
    der Begründer der Politischen Ökonomie,
    hat wenig mit dem gemein,
  • 52:14 - 52:19
    was derzeit als „Liberalismus"
    in dem Wort „Neoliberalismus" kursiert.
  • 52:19 - 52:21
    Das hat wenig miteinander zu tun.
  • 52:22 - 52:25
    Der war historisch gesehen
    ein Fortschritt,
  • 52:25 - 52:29
    da er sich gegen
    den königlichen Absolutismus wendete
  • 52:29 - 52:32
    und dem Individuum Rechte zusprach.
  • 52:32 - 52:36
    Zu diesen Rechten gehörte,
    im Liberalismus von Locke und Smith,
  • 52:37 - 52:41
    das Recht auf privates Eigentum.
    Das war ein Fortschritt.
  • 52:42 - 52:45
    Es ist nicht abwegig,
    dass der Anarchismus
  • 52:45 - 52:47
    aus dem Liberalismus hervorging.
  • 52:47 - 52:51
    Der frühe Liberalismus
    hatte etwas Radikales.
  • 52:51 - 52:54
    Angesichts
    der „liberalen" Denker von heute
  • 52:54 - 52:57
    würde sich Adam Smith
    im Grab umdrehen,
  • 52:58 - 53:02
    da er nicht wiedererkennen würde,
    was heute als seine Theorie kursiert.
  • 53:03 - 53:05
    Nehmen wir das Privateigentum:
  • 53:05 - 53:08
    Wenn es aus Interaktionen resultiert,
  • 53:08 - 53:12
    deren Akteure
    transnationale Konzerne sind,
  • 53:12 - 53:17
    dann ist das im Rahmen des
    klassischen Liberalismus nicht denkbar.
  • 53:17 - 53:22
    Da wäre es ausgeschlossen,
    dass private Tyrannen
  • 53:22 - 53:26
    wie GM oder Bombardier Rechte haben,
  • 53:26 - 53:30
    seien es Eigentumsrechte oder
    über dem Menschen stehende Rechte.
  • 53:30 - 53:36
    Doch die Frage
    der Eigentumsrechte ist schwierig.
  • 53:36 - 53:39
    Eine einfache Antwort gibt es da nicht.
  • 53:39 - 53:43
    Allerdings wären,
    selbst im Rahmen des Liberalismus,
  • 53:43 - 53:48
    die aktuellen Praktiken der Akteure,
    also der grossen Konzerne,
  • 53:48 - 53:52
    deren Rechte, im klassischen
    Liberalismus nicht denkbar.
  • 53:52 - 53:58
    Wir müssen die Eigentumsrechte prüfen.
    Ich folge dem klassischen Anarchismus:
  • 53:58 - 54:03
    Das Privateigentum an Produktionsmitteln
    scheint mir unsinnig.
  • 54:03 - 54:08
    Aber das, was Proudhon „Eigentum"
    nennt, ist sinnvoll und gesund.
  • 54:08 - 54:14
    Doch die heutige Liberalismus-
    oder Neoliberalismus-Doktrin ist absurd.
  • 54:14 - 54:20
    Nehmen wir einmal an,
    in unserer Welt könnte sich jemand
  • 54:20 - 54:26
    mit den Mitteln, durch die man sich
    üblicherweise Eigentum verschafft ...
  • 54:26 - 54:31
    Nehmen wir an, ich würde mir
    mit legalen Mitteln etwas aneignen,
  • 54:31 - 54:36
    was für das Leben
    aller Menschen unabdingbar ist.
  • 54:36 - 54:39
    Sie könnten sterben
    oder sich mir verkaufen.
  • 54:39 - 54:45
    Der Neoliberalismus sieht so etwas
    als richtig an, aber es ist falsch.
  • 54:45 - 54:49
    Die Antwort ist nicht so einfach,
    wie die Welt es uns weismachen will.
  • 54:49 - 54:52
    Die Frage bleibt schwierig.
    Ich sage:
  • 54:52 - 54:55
    Produktionsmittel
    sollten nicht privat sein,
  • 54:55 - 54:59
    aber Eigentumsrechte an Dingen,
    die wir nutzen, sind gut.
  • 55:00 - 55:03
    Der Begriff
    des „Neoliberalismus" ist seltsam.
  • 55:04 - 55:06
    Zunächst ist er nicht liberal.
  • 55:07 - 55:10
    In keiner Weise.
    Und er ist auch nicht neu.
  • 55:10 - 55:14
    Die neoliberale Politik
    im weitesten Sinne
  • 55:14 - 55:16
    hat die Dritte Welt geschaffen.
  • 55:16 - 55:19
    Blickt man zurück ins 18. Jahrhundert,
  • 55:19 - 55:25
    da waren die Zentren der Weltwirtschaft
    vor allem Indien und China.
  • 55:26 - 55:27
    Das ist jetzt anders.
  • 55:27 - 55:32
    Die Kluft zwischen Arm und Reich
    war bei Weitem nicht so gross wie heute.
  • 55:32 - 55:36
    Europa entwickelte sich,
    zuerst England, dann die USA,
  • 55:36 - 55:38
    Deutschland, Italien ...
  • 55:38 - 55:44
    Und das geschah durch massive Verstösse
    gegen neoliberale Prinzipien.
  • 55:44 - 55:47
    Starke Staaten,
    direkte Eingriffe in die Wirtschaft usw.
  • 55:48 - 55:51
    Das war verheerend
    für Indien und später China.
  • 55:51 - 55:55
    Genauso ergeht es
    der heutigen Dritten Welt. Wieso?
  • 55:55 - 55:59
    Weil ihr die Marktprinzipien
    aufgezwungen werden.
  • 56:00 - 56:02
    Das ist weithin bekannt.
  • 56:02 - 56:06
    Ein ernst zu nehmender
    Wirtschaftshistoriker wie Paul Bairoch
  • 56:07 - 56:11
    legt dar, dass Protektionismus
    und staatliche Intervention
  • 56:11 - 56:14
    die reichen Nationen entstehen liessen.
  • 56:15 - 56:19
    Er nennt das erzwungene Liberalisierung,
    nicht Neoliberalismus.
  • 56:19 - 56:24
    Durch sie entstand die Dritte Welt.
    Das erkannte man im 18. Jahrhundert.
  • 56:24 - 56:28
    Nehmen wir Adam Smith,
    den alle verehren, aber keiner liest.
  • 56:29 - 56:33
    Wenn man ihn liest ...
    Er war ja ein intelligenter Mann.
  • 56:34 - 56:36
    Jeder kennt die „unsichtbare Hand",
  • 56:36 - 56:40
    aber nur wenige kennen
    den Ursprung des Begriffs.
  • 56:40 - 56:44
    Er verwendet ihn ein Mal
    in „Der Wohlstand der Nationen".
  • 56:44 - 56:48
    Und es ist eine Kritik
    an besagtem „Neoliberalismus".
  • 56:48 - 56:52
    Er bezog sich dabei
    auf England und schrieb:
  • 56:52 - 56:57
    „Nehmen wir an,
    dass Händler und Produzenten,
  • 56:57 - 56:59
    die das Land und die Politik steuern,
  • 56:59 - 57:04
    im Ausland investieren und
    aus dem Ausland importieren wollen.
  • 57:04 - 57:09
    Dann ist das einträglich für sie,
    aber schädlich für England."
  • 57:10 - 57:15
    Und aus mehreren Gründen,
    sei es ihre Verbundenheit zu England,
  • 57:15 - 57:20
    Sicherheit oder was auch immer,
    würden alle das verwerfen.
  • 57:20 - 57:23
    Daher würde,
    wie durch eine unsichtbare Hand,
  • 57:23 - 57:28
    England von den Verwüstungen
    des Neoliberalismus verschont bleiben.
  • 57:28 - 57:31
    Die Vorahnung stimmte,
    die Argumente nicht.
  • 57:31 - 57:34
    David Ricardo,
    ein anderer führender Ökonom,
  • 57:34 - 57:37
    sagte im Prinzip dasselbe.
    Er erkannte ...
  • 57:37 - 57:41
    Nehmen wir das Standardbeispiel
    Portugal und England.
  • 57:41 - 57:44
    Er sagte,
    wenn britische Kapitalisten
  • 57:44 - 57:49
    in Portugal in Wein
    und Textilien investieren wollten,
  • 57:49 - 57:53
    könnten sie profitieren,
    aber, und das untergrub seine Theorie
  • 57:53 - 57:57
    vom komparativen Vorteil,
    zum Schaden des englische Volkes.
  • 57:57 - 58:00
    Sie würden es also nicht tun.
  • 58:00 - 58:03
    Er nennt psychologische
    und andere Gründe dafür,
  • 58:03 - 58:07
    Heimatliebe und dergleichen.
    Doch die Erkenntnis stimmt.
  • 58:07 - 58:13
    Das erkannte man im 18. Jahrhundert,
    und es hat sich bewahrheitet:
  • 58:13 - 58:17
    Die erzwungene Liberalisierung
    war enorm schädlich.
  • 58:17 - 58:20
    Alle reichen Länder
    würden sie für sich ablehnen.
  • 58:21 - 58:26
    Der Freihandel
    ist ein sehr schönes Konzept.
  • 58:27 - 58:32
    Er kam im 18. Jahrhundert auf
    und hat sich sicher verdient gemacht,
  • 58:33 - 58:35
    denn es ist logisch zu sagen:
  • 58:35 - 58:39
    Ihr müsst besser
    und billiger produzieren
  • 58:39 - 58:42
    und mit anderen Handel treiben.
  • 58:42 - 58:46
    Anstatt Wein in England herzustellen,
    kauft ihn in Portugal.
  • 58:46 - 58:50
    Dafür kaufen
    die Portugiesen eure Wollstoffe.
  • 58:50 - 58:53
    Das war Ricardos Originalbeispiel.
  • 58:54 - 58:58
    Aber die grossen Theoretiker
    des 18. Jahrhunderts
  • 58:58 - 59:02
    hätten sich nie träumen lassen,
    dass das Kapital dahin fliesst,
  • 59:02 - 59:04
    wohin es will,
  • 59:04 - 59:07
    und dass eine Firma
    aus Amerika oder England
  • 59:07 - 59:10
    in China investieren könnte,
  • 59:11 - 59:14
    um das repressive System
    in China auszunutzen,
  • 59:14 - 59:17
    das Gewerkschaften ablehnt,
  • 59:17 - 59:20
    weshalb die Löhne dort
    extrem niedrig sind.
  • 59:21 - 59:25
    Die Umweltkosten werden „ausgelagert",
  • 59:25 - 59:30
    und der Planet zahlt dafür, denn
    Verschmutzung kostet die Firma weniger.
  • 59:31 - 59:34
    Anstelle eines
    komparativen Kostenvorteils,
  • 59:35 - 59:40
    ich produziere Wein billiger als ihr,
    ihr produziert Stoff billiger als ich,
  • 59:40 - 59:43
    gibt es einen absoluten Kostenvorteil.
  • 59:43 - 59:46
    Mein Kapital fliesst dahin,
  • 59:46 - 59:51
    wo es die besten Aussichten
    auf Gewinn vorfindet.
  • 59:51 - 59:55
    Und das verzerrt den Handel
  • 59:55 - 59:58
    und bringt
    die transnationalen Konzerne dazu,
  • 59:58 - 60:03
    die grösstmögliche Freiheit
    für sich selbst zu fordern.
  • 60:03 - 60:07
    Aber es steht ausser Frage,
    dass Arbeit umherwandern kann,
  • 60:07 - 60:11
    abgesehen
    von den „modernen Nomaden",
  • 60:11 - 60:14
    also hoch qualifizierten Fachkräften,
  • 60:14 - 60:17
    die Dienstleistungsabkommen unterliegen.
  • 60:17 - 60:21
    Sie hätten das Recht,
    sich niederzulassen, wo sie wollen.
  • 60:21 - 60:25
    Aber für die meisten Menschen
    trifft das nicht zu.
  • 60:26 - 60:31
    Am 17. Dezember 1992 unterzeichnete
    der US-Präsident H. W. Bush
  • 60:32 - 60:36
    das nordamerikanische
    Freihandelsabkommen (NAFTA)
  • 60:36 - 60:38
    mit Kanada und Mexiko.
  • 60:44 - 60:47
    14 Jahre später,
    am 26. Oktober 2006,
  • 60:47 - 60:52
    verkündete sein Sohn, George W. Bush,
    den „Secure Fence Act".
  • 60:52 - 60:57
    Dieses Gesetz sieht den Bau
    eines 4,5 m hohen und 1200 km langen,
  • 60:57 - 61:01
    doppelten Sicherheitszaunes
    entlang der mexikanischen Grenze vor.
  • 61:01 - 61:06
    Dieser ist zudem mit modernster
    Überwachungstechnik ausgestattet:
  • 61:06 - 61:13
    Wachtürme, Kameras,
    Bodensensoren, Drohnen usw.
  • 61:25 - 61:29
    Beim komparativen Vorteil
    geht es um Spezialisierung.
  • 61:29 - 61:34
    Diese Theorie besagt,
    dass sich die Nationen
  • 61:34 - 61:38
    entsprechend ihrer komparativen Vorteile
    spezialisieren müssen.
  • 61:38 - 61:42
    Diese Theorie ist starr.
    Man ordnet Figuren in einer Box an,
  • 61:42 - 61:48
    ohne zu fragen, warum die Box diese
    Form hat und ob sie sich verändern wird.
  • 61:48 - 61:54
    Es ist eine Theorie für den Augenblick.
    Warum funktioniert sie nicht?
  • 61:54 - 61:58
    Weil der Welthandel
    kein neutraler Handel ist,
  • 61:58 - 62:01
    bei dem nette Eingeborene
  • 62:01 - 62:05
    mit den netten Eroberern
    Geschäfte machen.
  • 62:05 - 62:08
    Das war und ist niemals der Fall.
  • 62:08 - 62:10
    Erst mal töten die Eroberer alle,
  • 62:10 - 62:14
    und dann kommt der Handel
    als zweite Phase der Befriedung.
  • 62:14 - 62:18
    Im internationalen Handel
    als Matrix der Wirtschaft ...
  • 62:18 - 62:21
    Das ist auch so ein Vorurteil.
  • 62:21 - 62:25
    Handel findet nicht in Dörfern,
    dann in Städten, Regionen, Nationen
  • 62:25 - 62:29
    und schliesslich
    zwischen den Nationen statt.
  • 62:29 - 62:30
    Es ist umgekehrt.
  • 62:31 - 62:35
    Der internationale Handel
    folgt dem Militär, er folgt dem Raubzug,
  • 62:36 - 62:40
    und dann kommt ein Prozess,
    die Befriedung nach innen.
  • 62:41 - 62:46
    DER WOHLSTAND DER NATIONEN
  • 62:46 - 62:49
    Adam Smiths Theorie
    ist aussergewöhnlich.
  • 62:49 - 62:53
    Sie geht davon aus,
    dass die Menschen schlecht sind.
  • 62:53 - 62:57
    Sie ist scharfsinnig.
    Und bezieht diese Annahme ein:
  • 62:57 - 63:00
    Die Menschen sind egoistisch, gierig,
  • 63:00 - 63:04
    gemein, denken nur an sich,
    mögen die Gemeinschaft nicht,
  • 63:04 - 63:08
    sie sind unsolidarisch,
    unsozial, eigennützig.
  • 63:08 - 63:12
    Sorgen wir also dafür,
    dass diese schlechten Eigenschaften
  • 63:13 - 63:17
    sich zum Vorteil
    der Gemeinschaft auswirken.
  • 63:17 - 63:18
    Lassen wir alles laufen,
  • 63:19 - 63:22
    und aus ihrem Egoismus
    wird allgemeines Glück erwachsen.
  • 63:22 - 63:25
    Das ist die Theorie
    der „unsichtbaren Hand".
  • 63:26 - 63:29
    Bei jedem Eingreifen,
    bei jedem Versuch,
  • 63:29 - 63:33
    diesen Antagonismus
    der Egoismen aufzuheben,
  • 63:33 - 63:35
    wird alles noch schlimmer.
  • 63:36 - 63:41
    Eine bekannte These der Reaktionäre
    ist die vom gegenteiligen Effekt.
  • 63:41 - 63:43
    Hirschmann hat das toll beschrieben.
  • 63:43 - 63:47
    Die rechte Reaktion
    warf den Linken immer vor,
  • 63:47 - 63:50
    Gutes zu wollen,
    aber Schlechtes zu bewirken.
  • 63:50 - 63:54
    Ihr wollt den Armen helfen,
    aber die Armut wird zunehmen.
  • 63:55 - 63:58
    Am prägnantesten fand ich
    ein Bild im Economist
  • 63:58 - 64:00
    nach dem Treffen von Seattle.
  • 64:01 - 64:04
    Es zeigte hungernde Menschen
    aus der Dritten Welt,
  • 64:04 - 64:07
    schwarze Kinder, und da stand:
  • 64:07 - 64:10
    „Die Opfer des Scheitern von Seattle"
  • 64:10 - 64:14
    Das ist widerwärtig,
    schlimmer als die Benetton-Werbung.
  • 64:14 - 64:18
    Die Botschaft war:
    Ihr wolltet die WTO aufhalten
  • 64:18 - 64:23
    und wozu hat das geführt?
    Zu Armut, Unglück und Hunger.
  • 64:23 - 64:27
    Wo doch dieses System
    die Armut und den Hunger erzeugt.
  • 64:27 - 64:31
    Aber die „unsichtbare Hand",
    das bedeutet Laissez-faire.
  • 64:31 - 64:34
    Ihr könnt nichts tun.
    Der Mensch ist böse.
  • 64:34 - 64:38
    Nur die Bosheit eines anderen
    kann ihn stoppen.
  • 64:39 - 64:43
    Das gleicht sich aus.
    Man muss sie nur machen lassen.
  • 64:43 - 64:47
    Seit 1776 studieren die Ökonomen
    die „unsichtbare Hand".
  • 64:47 - 64:51
    Sie untersuchen das Problem
    also schon seit einer ganzen Weile.
  • 64:53 - 64:57
    Damit das funktioniert,
    müssten die Menschen autonom sein.
  • 64:58 - 65:00
    Ohne Beziehungen,
    ohne die Gemeinschaft.
  • 65:00 - 65:05
    Ihre Rationalität müsste
    von der aller anderen losgelöst sein.
  • 65:05 - 65:09
    Ein absoluter Individualismus,
    das ist die erste Bedingung.
  • 65:09 - 65:12
    Die zweite ist umfassende Information.
  • 65:12 - 65:16
    Man müsste Jahrhunderte
    im Voraus wissen, was passieren wird.
  • 65:18 - 65:21
    Die zweite Bedingung.
    Nein, das war die dritte.
  • 65:23 - 65:27
    Also, umfassende Information.
    Und drittens
  • 65:27 - 65:31
    dürfte es keine Unsicherheit geben,
    wie einen Sturm, einen Zufall,
  • 65:31 - 65:35
    derAbsturz der Ariane beim 25. Flug
  • 65:36 - 65:38
    und nicht beim dritten.
  • 65:38 - 65:44
    Die Welt müsste frei von Risiken sein,
    eine Folge umfassender Information.
  • 65:44 - 65:46
    Unter diesen Bedingungen ...
  • 65:47 - 65:51
    ... könnte das Ganze funktionieren,
    aber sicher wäre es nicht.
  • 65:52 - 65:54
    Denn Folgendes muss man wissen:
  • 65:54 - 65:59
    Die grössten liberalen Ökonomen,
    die Mathematiker unter ihnen,
  • 65:59 - 66:02
    die Renommiertesten,
    die Nobelpreisträger
  • 66:02 - 66:06
    beweisen es seit etwa 25 Jahren.
  • 66:07 - 66:12
    Die Lehre von der „unsichtbaren Hand"
    ist nicht haltbar.
  • 66:12 - 66:17
    Sie ist Blödsinn, erwiesenermassen.
    Viele hatten es ja seit Langem geahnt.
  • 66:18 - 66:20
    Keynes zum Beispiel.
  • 66:20 - 66:24
    Die Idee eines Gleichgewichts
    in der Wirtschaft war für ihn abwegig.
  • 66:25 - 66:28
    Er sagte das Gegenteil:
    Wirtschaft ist chaotisch.
  • 66:29 - 66:35
    Auch die Hardliner unter den Ökonomen,
    die angesehensten Liberalen
  • 66:35 - 66:39
    mit dem höchsten Prestige,
    der unerbittlichsten Wissenschaft,
  • 66:39 - 66:45
    allen voran der Nobelpreisträger
    Gérard Debreu, sagen seit 25 Jahren:
  • 66:45 - 66:49
    Das funktioniert nicht.
    Es führt zu keinem Gleichgewicht,
  • 66:49 - 66:50
    es ist nicht effizient.
  • 66:51 - 66:53
    Der Markt ist nicht im Gleichgewicht,
  • 66:53 - 66:56
    also Angebot und Nachfrage
    bedeuten nichts,
  • 66:56 - 67:01
    und er ist nicht effizient,
    also Laissez-faire ist das Schlimmste.
  • 67:01 - 67:03
    Das Schlimmste, was man tun kann.
  • 67:03 - 67:08
    Danke, ihr lieben Liberalen!
    Gut, dass ihr das auch mal sagt.
  • 67:08 - 67:13
    Wer heute von der „unsichtbaren Hand",
    Marktgleichgewicht und Ähnlichem redet,
  • 67:14 - 67:17
    ist entweder ein Betrüger,
    und davon gibt es viele,
  • 67:17 - 67:21
    einer, der seine Augen verschliesst,
    das kommt auch vor,
  • 67:22 - 67:24
    ein Lump nach Sartre,
    der wissend schweigt,
  • 67:25 - 67:28
    oder er ist inkompetent,
    das gibt es auch.
  • 67:30 - 67:34
    Angeblich wollen alle Freihandel.
    Aber was heisst das eigentlich?
  • 67:35 - 67:39
    Zunächst können Länder wie die USA
    oder auch die Länder Westeuropas
  • 67:40 - 67:44
    keine Freihandelsabkommen schliessen,
    aus einem einfachen Grund:
  • 67:45 - 67:47
    Sie akzeptieren den Markt
    zu Hause nicht.
  • 67:47 - 67:51
    Da kann man
    keine Freihandelsabkommen schliessen.
  • 67:51 - 67:56
    Nehmen wir die US-Wirtschaft als Zentrum
    der Weltwirtschaft seit dem Krieg.
  • 67:57 - 68:02
    Sie basiert zu grossen Teilen auf
    dem dynamischen öffentlichen Sektor.
  • 68:02 - 68:06
    Nehmen wir diesen Ort hier, das MIT.
    Was ist das MIT?
  • 68:07 - 68:10
    Eines der grössten
    technischen Institute der Welt,
  • 68:10 - 68:14
    aber es ist auch ein Kanal,
    durch den staatliche Mittel
  • 68:14 - 68:17
    in die Taschen
    privater Konzerne fliessen.
  • 68:19 - 68:23
    Hier wurden Technologien
    wie das Internet,
  • 68:24 - 68:28
    Computer und andere
    Spitzentechnologien entwickelt,
  • 68:28 - 68:33
    wobei grösstenteils der Staat
    die Kosten und das Risiko trägt.
  • 68:33 - 68:36
    Das geschah
    unter dem Deckmantel des Pentagons,
  • 68:36 - 68:41
    was sich für die elektronikbasierte
    Hightech-Industrie anbietet.
  • 68:41 - 68:45
    Das ging über Jahrzehnte.
    Computer und das Internet
  • 68:45 - 68:47
    blieben 30 Jahre lang im Staatssektor,
  • 68:48 - 68:51
    bevor sie der Privatwirtschaft
    übergeben wurden.
  • 68:52 - 68:55
    Das gilt für fast alles um uns herum.
  • 68:55 - 69:00
    Denken wir nur an die zivile Luftfahrt,
    die viel exportiert wird.
  • 69:00 - 69:03
    Sie ist fast ein Ableger der Air Force.
  • 69:04 - 69:08
    Deshalb interessieren sich Europäer,
    Amerikaner, Japaner und andere
  • 69:09 - 69:13
    so sehr für die Entwicklung
    von Militärflugzeugen:
  • 69:13 - 69:17
    wegen der Spin-Off-Effekte
    auf die zivile Luftfahrt,
  • 69:17 - 69:20
    die Wachstum
    in der Tourismusbranche generiert.
  • 69:20 - 69:25
    Oder nehmen wir einfach den Handel.
    Dafür braucht man Container.
  • 69:25 - 69:27
    Wo kommen die her?
    Von der US-Navy.
  • 69:56 - 70:00
    Bei Adam Smith, David Ricardo,
    Karl Marx, John Stuart Mill,
  • 70:01 - 70:03
    bei Malthus mehr oder weniger ...
  • 70:03 - 70:08
    Bei allen klassischen Ökonomen
    gab es eine soziale Komponente.
  • 70:09 - 70:13
    Sie waren eher Sozialphilosophen
    als reine Ökonomen im heutigen Sinne.
  • 70:14 - 70:18
    Aber die Neoklassiker seit Auguste
    und Léon Walras, Vater und Sohn,
  • 70:18 - 70:23
    begründeten seit Mitte des
    19. Jahrhunderts eine Wirtschaftslehre,
  • 70:23 - 70:26
    die sich als
    wissenschaftlich bezeichnet.
  • 70:26 - 70:31
    Sie klammerte moralische
    oder philosophische Überlegungen aus
  • 70:31 - 70:35
    und befreite sich von allem,
    was die Klassiker bis Marx umtrieb,
  • 70:36 - 70:38
    nämlich folgende Fragestellungen:
  • 70:38 - 70:41
    Wer verdient Geld?
    Warum verdient er Geld?
  • 70:42 - 70:44
    Darf er so viel Geld verdienen?
  • 70:44 - 70:49
    Ist das gerecht?
    Ist es gut für die Gemeinschaft?
  • 70:49 - 70:51
    Da gab es eine ethische Dimension.
  • 70:52 - 70:55
    Doch diese verschwand
    mit dem neoklassischen Denken.
  • 70:55 - 71:00
    Das hat dem neoliberalen Denken
    den Weg geebnet.
  • 71:00 - 71:06
    Das neoliberale Denken verlieh
    dem neoklassischen Denken eine Art ...
  • 71:06 - 71:11
    ... wissenschaftlichen Status.
    Bei uns ist es wie in der Physik:
  • 71:11 - 71:14
    Wir stellen fest,
    das Geld fliesst von A nach B.
  • 71:14 - 71:19
    Wir zählen, beobachten, klassifizieren,
    aber wir hüten uns vor einem Urteil.
  • 71:19 - 71:23
    Denn die Physik als Mutter
    aller Wissenschaft urteilt nicht.
  • 71:24 - 71:28
    Der Vorteil der Ökonomie ist,
    dass sie neutral zu sein scheint,
  • 71:28 - 71:31
    ein neutraler Diskurs,
    der weder Gut noch Böse kennt,
  • 71:31 - 71:35
    sondern der
    einfach wissenschaftlich ist
  • 71:36 - 71:38
    und uns ganz normal vorkommt.
  • 71:38 - 71:42
    Druck auf die Löhne ist nötig,
    damit es keine Inflation gibt.
  • 71:43 - 71:45
    Es darf keine Inflation geben.
  • 71:45 - 71:49
    Auch wenn dafür die Ungleichheit wächst,
  • 71:50 - 71:55
    auch wenn Menschen verelenden,
    die Kluft zwischen Nord und Süd wächst,
  • 71:55 - 71:58
    eine Kaste von Reichen
    das Geschehen bestimmt,
  • 71:59 - 72:02
    wenn Staatsgewalt
    und Sozialsysteme sich auflösen.
  • 72:02 - 72:05
    Ungeachtet all dessen
    gibt es nur eine Wahrheit:
  • 72:06 - 72:09
    Sie können doch keine Inflation wollen!
  • 72:09 - 72:14
    In der Geschichte sehen wir aber,
    dass die seltenen Momente
  • 72:14 - 72:17
    des „gebändigten" Kapitals,
    etwa die 30er Jahre,
  • 72:17 - 72:21
    eher inflationäre Phasen waren,
    in denen die Löhne stiegen,
  • 72:21 - 72:26
    so dass die Kredite für Hausbau
    und dergleichen durch die Inflation
  • 72:26 - 72:29
    schnell abgetragen werden konnten.
  • 72:30 - 72:32
    Heute regieren die Reichen.
  • 72:32 - 72:37
    Man könnte fragen: „Wollt ihr,
    dass die Reichen die Welt regieren?"
  • 72:37 - 72:40
    Aber man fragt:
    „Sie sind doch gegen Inflation?"
  • 72:42 - 72:47
    Zur Durchsetzung ihrer Ideologie
    entwickelten die Neoliberalen
  • 72:47 - 72:52
    im Laufe der Jahre eine bedrohliche
    Strategie zur Gedankenmanipulation.
  • 72:52 - 72:57
    Diese beruht zu grossen Teilen auf
    den Aktivitäten eines globalen Netzwerks
  • 72:57 - 73:01
    für Propaganda, Willenslenkung
    und Indoktrinierung,
  • 73:02 - 73:07
    das sich in vielerlei Gestalt
    auf allen Tribünen Gehör verschafft.
  • 73:08 - 73:13
    Die zum Grossteil in Thinktanks
    erdachte neoliberale Propaganda
  • 73:13 - 73:17
    wird daher über
    viele Kanäle vermittelt.
  • 73:18 - 73:23
    Die Bildung ist zu einem
    der wichtigsten Kanäle geworden.
  • 73:24 - 73:24
    6. PROPAGANDA UND INDOKTRINIERUNG
  • 73:24 - 73:31
    6. PROPAGANDA UND INDOKTRINIERUNG
  • 73:31 - 73:37
    BILDUNG
  • 73:39 - 73:43
    Als die Idee von nationaler Bildung
    im 18. Jahrhundert aufkam,
  • 73:44 - 73:48
    unter anderem im Zuge der Französischen
    Revolution, entstand der Gedanke,
  • 73:49 - 73:54
    dass ein öffentlicher demokratischer
    Raum informierte Menschen voraussetzt,
  • 73:55 - 73:59
    die dazu befähigt wurden,
    nachzudenken, zu diskutieren,
  • 73:59 - 74:05
    an politischen Debatten teilzunehmen.
    Es gab zwei wichtige Institutionen,
  • 74:05 - 74:09
    die gewährleisten sollten,
    dass die Leute zu „Bürgern" wurden:
  • 74:10 - 74:14
    Das war zum einen die Bildung,
    zu deren Aufgaben es zählte,
  • 74:15 - 74:17
    Bürger auszubilden,
    sie vorzubereiten.
  • 74:18 - 74:21
    Und es waren die Medien.
    Dazu kommen wir noch.
  • 74:21 - 74:25
    Der Auftrag der Bildung,
    auch wenn der nicht immer erfüllt
  • 74:25 - 74:28
    oder korrekt erfüllt wurde,
  • 74:28 - 74:30
    war die Ausbildung der Bürger,
  • 74:31 - 74:35
    ihre Befähigung,
    an politischen Debatten teilzunehmen
  • 74:35 - 74:39
    und jenseits ihrer eigenen Interessen
    über Politik nachzudenken.
  • 74:39 - 74:43
    Darum ging es.
    Um eine Sicht auf Politik,
  • 74:43 - 74:47
    auf Wirtschaft und Gesellschaft,
    die uneigennützig war,
  • 74:47 - 74:51
    um die Fähigkeit, vom Interesse
    der Allgemeinheit auszugehen.
  • 74:52 - 74:54
    Das wollte Bildung.
  • 74:54 - 74:59
    Doch im Zuge des „neoliberalen" Wandels
    in den letzten 30 Jahren
  • 74:59 - 75:02
    erkannten die grossen Institutionen,
  • 75:02 - 75:06
    dass es wichtig ist,
    sich der Bildung zu ermächtigen.
  • 75:06 - 75:10
    Nun kann man fragen: Dringen sie
    wirklich ins Bildungswesen ein?
  • 75:10 - 75:13
    Wer genau hinsieht, stellt fest:
    Es stimmt.
  • 75:13 - 75:16
    Von der Grundschule bis zur Universität.
  • 75:16 - 75:19
    Natürlich hängt das vom Land ab
  • 75:19 - 75:23
    und von der Geschichte
    des jeweiligen Systems.
  • 75:23 - 75:27
    Doch wir beobachten
    einen massiven Vorstoss der Konzerne,
  • 75:27 - 75:31
    der privaten Industrie
    in das Bildungswesen.
  • 75:31 - 75:34
    Warum tun sie das?
    Die Antwort ist recht einfach.
  • 75:34 - 75:39
    Der Bildungsmarkt ist sehr einträglich.
    Es ist reizvoll,
  • 75:39 - 75:43
    diesen Raum sozialer und
    wirtschaftlicher Aktivität einzunehmen.
  • 75:44 - 75:46
    Damit erobert man
    die Köpfe der Kinder.
  • 75:46 - 75:49
    Es ist brutal:
    Bildung heisst Köpfe erobern.
  • 75:49 - 75:51
    Das ist etwas ...
  • 75:52 - 75:57
    ... sehr Schwerwiegendes,
    wenn man Kinder für sich vereinnahmt.
  • 75:57 - 76:00
    Das erfordert einen guten Grund,
    und ich weiss nicht,
  • 76:01 - 76:03
    ob wir einen benennen können.
  • 76:03 - 76:07
    Die Wirtschaft möchte also
    die Kinder für sich vereinnahmen.
  • 76:07 - 76:10
    Sie will die Lerninhalte verändern.
  • 76:10 - 76:13
    Dann liegt das Augenmerk nicht mehr
  • 76:13 - 76:16
    auf Staatsbürgerlichkeit
    und dem Allgemeinwohl,
  • 76:16 - 76:20
    sondern auf den Interessen
    der privaten Unternehmen,
  • 76:20 - 76:22
    die das Bildungswesen erobern.
  • 76:22 - 76:27
    Man begreift die Welt durch Kultur,
    Wissen, aus der Aussensicht anders,
  • 76:27 - 76:31
    als durch die Frage,
    was einem ein Unternehmen gibt.
  • 76:31 - 76:33
    Und um Letzteres geht es immer.
  • 76:34 - 76:37
    Also, Eroberung des Marktes,
    der Köpfe der Kinder,
  • 76:37 - 76:41
    Vorbereitung der Arbeitskräfte.
    So verliert Bildung zusehends
  • 76:41 - 76:45
    ihre anderen Zielsetzungen,
  • 76:45 - 76:48
    Vorbereitung auf das bürgerliche Leben,
  • 76:48 - 76:50
    Weltoffenheit,
  • 76:50 - 76:54
    Freude am Verstehen,
    am Lernen um des Lernens willen.
  • 76:55 - 76:57
    Es geht nur
    um den Dienst auf dem Markt,
  • 76:58 - 77:02
    um die Vorbereitung der Subjekte
    auf wirtschaftliche Funktionen.
  • 77:03 - 77:07
    Bildung als Auftakt
    für ein Leben in der Wirtschaft,
  • 77:07 - 77:10
    für das Arbeitsleben.
    Das ist beunruhigend.
  • 77:10 - 77:15
    Diese Entwicklung können wir
    seit etwa 20 Jahren beobachten.
  • 77:15 - 77:20
    Aber im Zuge derAusbreitung dieses
    Phänomens regt sich auch Widerstand.
  • 77:20 - 77:21
    Zum Glück.
  • 77:25 - 77:28
    Channel One ist
    ein amerikanisches Unternehmen.
  • 77:29 - 77:33
    Es ist an der Börse notiert.
    Diese Leute gehen an Schulen,
  • 77:33 - 77:36
    denen es natürlich an Geld mangelt,
  • 77:36 - 77:40
    und sagen: „Ihr bekommt von uns
    Fernseher und Videorekorder,
  • 77:40 - 77:44
    wenn ihr 20 Minuten pro Tag
  • 77:44 - 77:48
    von uns produzierte
    pädagogische Sendungen zeigt."
  • 77:48 - 77:51
    Zum Beispiel Nachrichten für Kinder.
  • 77:51 - 77:55
    Das Publikum hat dabei
    natürlich keine freie Wahl.
  • 77:55 - 77:57
    Dann gibt es also diese Sendungen.
  • 77:57 - 78:00
    Und natürlich kommt darin
    auch Werbung vor.
  • 78:01 - 78:05
    Diese wenigen Minuten
    ermöglichen den Werbetreibenden,
  • 78:05 - 78:09
    sich in einem
    sehr privilegierten Kontext
  • 78:09 - 78:11
    an dieses Publikum zu wenden.
  • 78:11 - 78:13
    In den USA ist das verbreitet,
  • 78:14 - 78:18
    hier in Kanada hat die Firma Athéna
    versucht, das zu etablieren.
  • 78:18 - 78:21
    Sie arbeiten seit einigen Jahren daran,
  • 78:21 - 78:24
    allerdings haben
    die Schulbehörden das abgelehnt.
  • 78:25 - 78:28
    Wir haben hier andere
    öffentliche Haushalte als die USA.
  • 78:28 - 78:32
    Aber das ist ein erneuter Angriff
    auf das Bildungswesen.
  • 78:32 - 78:37
    Die Formen, die das annimmt,
    sind wie gesagt überall verschieden.
  • 78:37 - 78:42
    Die Firma Mobil liefert Beiträge
    über Energie und Umweltschutz,
  • 78:42 - 78:45
    die Firma NutraSweet über Ernährung.
  • 78:45 - 78:48
    Dabei sollen Kinder
    etwas über Ernährung lernen.
  • 78:49 - 78:52
    GM erklärt die Vorzüge des NAFTA.
  • 78:52 - 78:55
    Zum Thema Wald- und Umweltschutz
  • 78:55 - 78:59
    sehen wir Beiträge von Firmen,
    die die Wälder abholzen lassen.
  • 79:01 - 79:06
    Dieses Modell erstreckt sich
    von der Grundschule bis zur Universität.
  • 79:06 - 79:10
    Am Ende gibt es dann,
    das ist natürlich etwas übertrieben,
  • 79:10 - 79:14
    Institute für Ökologie,
    die für Umweltverschmutzung sind.
  • 79:15 - 79:17
    Das ist das Beunruhigende.
  • 79:17 - 79:21
    Der Sinnverlust von geistigen,
    von menschlichen Aktivitäten,
  • 79:21 - 79:23
    zu dem das führt.
  • 79:24 - 79:26
    Je mehr wir glauben,
    effizient zu sein ...
  • 79:27 - 79:31
    Also finanziell effizient, denn es geht
    um die Vermehrung von Geld.
  • 79:31 - 79:36
    Je effizienter wir also dabei sind,
    umso mehr Sinn geht verloren.
  • 79:37 - 79:40
    Wo ist der Sinn,
    wenn man sagt, dass General Motors,
  • 79:40 - 79:43
    nur als Beispiel, effizient ist,
  • 79:43 - 79:47
    weil der Konzern 23 oder 24 Milliarden
    Dollar Reingewinn gemacht hat,
  • 79:47 - 79:49
    in den letzten zehn Jahren,
  • 79:50 - 79:53
    es aber zugleich
    300 000 Entlassungen gab?
  • 79:54 - 79:56
    Ist das sinnvoll?
  • 79:56 - 80:00
    GM ist angeblich effizient,
    aber was bedeutet das?
  • 80:00 - 80:03
    Die US-Wirtschaft
    gilt als sehr effizient.
  • 80:03 - 80:05
    Das ist sie in finanzieller Hinsicht,
  • 80:05 - 80:08
    in Bezug auf Kapitalerträge
    und dergleichen.
  • 80:09 - 80:14
    Aber in den USA lebten noch nie so viele
    Menschen unterhalb derArmutsgrenze,
  • 80:14 - 80:16
    also unter der amerikanischen.
  • 80:16 - 80:20
    Noch nie hatten so viele
    keine Gesundheitsversorgung.
  • 80:20 - 80:25
    40% derAmerikaner haben praktisch
    keinen Zugang zum Gesundheitswesen.
  • 80:26 - 80:31
    Nie zuvor war das Bildungsniveau
    in den USA so niedrig.
  • 80:32 - 80:38
    50% der Amerikaner wissen nicht,
    wo sie England auf einer Karte finden.
  • 80:38 - 80:40
    Das ist verrückt,
  • 80:40 - 80:44
    wenn pro Haushalt mindestens
    50 Fernsehkanäle empfangen werden.
  • 80:44 - 80:47
    Das belegt
    im Prinzip diesen Sinnverlust.
  • 80:48 - 80:51
    Wirtschaftlich werden wir
    immer effizienter,
  • 80:51 - 80:54
    aber ökologisch,
    gesellschaftlich, politisch
  • 80:54 - 80:58
    und menschlich gesehen
    verlieren wir immer mehr an Werten
  • 80:58 - 81:02
    und an Lebensqualität.
    Das ist der Sinnverlust.
  • 81:02 - 81:06
    Wir müssen uns komplett
    vom ökonomischen Diskurs lösen,
  • 81:07 - 81:11
    um wieder Sinn zu stiften.
    Das Problem muss neu formuliert werden.
  • 81:12 - 81:16
    Von Grund auf. Dafür müssen wir
    zurückgehen zu Aristoteles.
  • 81:16 - 81:20
    Der sagte bereits:
    Verwechselt nicht Wirtschaft,
  • 81:21 - 81:26
    also Oikonomia, die Regeln
    der Hauswirtschaft und der Gemeinschaft,
  • 81:26 - 81:30
    mit der Chrematistik,
    der Kunst des Gelderwerbs.
  • 81:30 - 81:32
    Da sind wir wieder bei der Bildung.
  • 81:33 - 81:37
    In welchem Masse
    wird heute noch Aristoteles gelehrt?
  • 81:37 - 81:39
    Wer kennt ihn?
    Wer liest ihn?
  • 81:39 - 81:44
    Ich könnte auch Victor Hugo nehmen,
    Jean-Paul Sartre ...
  • 81:45 - 81:47
    ... Archimedes und so weiter.
  • 81:48 - 81:50
    Heutzutage ...
  • 81:50 - 81:54
    ... gilt unsere Wirtschaft
    als wissensbasiert,
  • 81:54 - 81:57
    aber noch nie waren wir
    so schlecht gebildet.
  • 81:57 - 82:01
    Doch wir haben
    auch noch nie so viel Wert
  • 82:01 - 82:04
    auf so genannte
    Bildungseinrichtungen gelegt.
  • 82:04 - 82:09
    Der Widerspruch und die Unsinnigkeit
    liegen in folgendem Umstand:
  • 82:10 - 82:14
    Fast überall, vor allem in den USA,
    werden Bildungseinrichtungen
  • 82:15 - 82:19
    in Reproduktionsstätten
    für Systemdiener umgewandelt.
  • 82:19 - 82:23
    Oder anderes gesagt,
    für denkende Zweibeiner,
  • 82:23 - 82:27
    denen nur daran gelegen sein soll,
  • 82:27 - 82:30
    dass der freie,
    selbstregulierende Markt erhalten bleibt
  • 82:31 - 82:34
    sowie die Mechanismen
    der Geldvermehrung.
  • 82:34 - 82:39
    Das nennt man „Beschäftigungsfähigkeit".
    Wir bilden „Beschäftigungsfähige" aus.
  • 82:39 - 82:44
    Das heisst, wir reformieren
    unser gesamtes Bildungssystem,
  • 82:44 - 82:48
    um Menschen auszubilden,
    die auf dem Arbeitsmarkt unterkommen.
  • 82:48 - 82:50
    Das ist schrecklich.
  • 82:50 - 82:53
    Wäre Victor Hugo
    heute beschäftigungsfähig?
  • 82:54 - 82:56
    Wäre es Sokrates?
  • 82:56 - 83:00
    Wären Paul Verlaine oder Rimbaud
    beschäftigungsfähig?
  • 83:01 - 83:03
    Nein! Keiner von ihnen.
  • 83:03 - 83:07
    Aber was wäre die Menschheit
    ohne Sokrates, Aristoteles,
  • 83:07 - 83:10
    ohne Rimbaud, Verlaine und Hugo?
  • 83:10 - 83:13
    Was wären wir ohne sie?
    Wir wären Tiere.
  • 83:14 - 83:18
    Unter dem Vorwand,
    dass der Markt sie nicht will,
  • 83:18 - 83:22
    bilden wir heute keine Poeten,
    keine Literaten,
  • 83:22 - 83:27
    keinen reinen Mathematiker,
    keine theoretischen Physiker mehr aus.
  • 83:27 - 83:31
    Wir stellen bereit,
    was die Industrie, die Finanzwelt will,
  • 83:31 - 83:34
    um ihr System aufrechtzuerhalten.
  • 83:35 - 83:37
    Wer ist beschäftigungsfähig?
  • 83:37 - 83:41
    Die Menschen an den Universitäten,
    an denen ich lehre.
  • 83:41 - 83:46
    Also auf höchstem Niveau,
    Master-Studenten und Doktoranden.
  • 83:46 - 83:50
    Die nenne ich Technokraten.
    Also Menschen, die ...
  • 83:50 - 83:54
    Analytische Technokraten
    auf dem Gebiet des Problem Solving.
  • 83:55 - 83:58
    Man redet ihnen ein,
    sie seien intelligent.
  • 83:58 - 84:03
    Problem Solving ist nicht intelligent,
    aber Problemformulierung ist es.
  • 84:03 - 84:06
    Intelligent ist jemand,
    der das Problem formuliert,
  • 84:07 - 84:11
    der es in Worte fasst
    und es in einen Kontext setzt,
  • 84:12 - 84:15
    der eine Frage aufwirft.
    Das ist Intelligenz.
  • 84:15 - 84:18
    Sich mit einem bekannten Problem
    zu befassen,
  • 84:18 - 84:22
    um eine Lösung dafür zu finden,
    ist nicht intelligent.
  • 84:22 - 84:26
    Das wird nur behauptet.
    Analytische Technokraten
  • 84:26 - 84:29
    können analysieren und kalkulieren,
  • 84:29 - 84:33
    und das verwechseln sie mit Nachdenken.
  • 84:33 - 84:38
    Sie treffen gewissenlose Entscheidungen,
    entlassen 60 000 Leute am Tag,
  • 84:38 - 84:42
    verdoppeln ihr Gehalt um eine Million
    und sagen, sie leiden.
  • 84:42 - 84:46
    Wegen der schweren Entscheidungen.
    Das sind Unmenschen.
  • 84:46 - 84:50
    Wer dabei kein schlechtes Gewissen hat
    und das auch sagt,
  • 84:50 - 84:53
    sagt eigentlich:
    „Ich bin ein Unmensch."
  • 84:53 - 84:58
    Wieso lassen wir zu, dass Unmenschen
    über menschliche Wesen entscheiden?
  • 84:58 - 85:03
    Er hat kein schlechtes Gewissen,
    also hat er kein Gewissen. Ein Unmensch.
  • 85:04 - 85:06
    Das sind die Technokraten ganz oben.
  • 85:07 - 85:11
    Die auf mittlerer Ebene nenne ich
    die „produzierenden Techniker".
  • 85:11 - 85:16
    Diese Techniker bedienen Maschinen.
    Sie sind Maschinenbediener.
  • 85:16 - 85:19
    Vom Computer
    bis zur digitalen Anlage,
  • 85:19 - 85:23
    die Plastik-, Eisen-
    oder Aluminiumteile ausspuckt.
  • 85:23 - 85:27
    Diese Menschen sorgen dafür,
  • 85:27 - 85:30
    dass diese
    Produktionsmaschinerie nie ausfällt.
  • 85:30 - 85:33
    Alles, was sie kennen müssen,
  • 85:33 - 85:37
    ist die Funktionsweise der Maschine,
    die sie beaufsichtigen.
  • 85:38 - 85:42
    Das ist alles.
    Ansonsten müssen sie lediglich
  • 85:42 - 85:46
    verstehen können,
    was die Maschine benötigt.
  • 85:47 - 85:52
    Das heisst, es sind nicht einmal sie,
    die die Maschine beherrschen oder ...
  • 85:52 - 85:58
    ... die der Maschine menschlich,
    verstandesmässig überlegen sind,
  • 85:58 - 86:02
    sondern die Maschine sagt:
    „Wenn du intelligent bist,
  • 86:02 - 86:06
    dann entnimm den defekten Chip,
    wechsle die Karte."
  • 86:06 - 86:08
    Ist er zu langsam, taugt er nichts.
  • 86:08 - 86:12
    Auf der unteren Ebene
    bilden wir gar nicht mehr aus.
  • 86:12 - 86:15
    45% derArbeitskräfte
    der multinationalen Konzerne,
  • 86:16 - 86:20
    vor allem der amerikanischen,
    sind totale Analphabeten.
  • 86:20 - 86:23
    Die Konzerne
    wollen daran nichts ändern.
  • 86:23 - 86:27
    Sie wollen nicht, dass diese Menschen
    die geringste Bildung haben,
  • 86:28 - 86:31
    denn sonst würden sie Fragen stellen.
  • 86:31 - 86:35
    Wenn sie Zeitungen,
    Finanzanalysen lesen könnten,
  • 86:35 - 86:39
    würden sie Fragen stellen,
    sich organisieren, nachdenken.
  • 86:39 - 86:41
    Um Gottes willen!
  • 86:41 - 86:46
    Wir haben heute in Nordamerika,
    vor allem in den USA,
  • 86:47 - 86:50
    Grund- und Gesamtschulabsolventen ...
  • 86:50 - 86:55
    Und diese Zahlen
    sind wirklich erschütternd:
  • 86:55 - 86:57
    25% hier in Quebec,
  • 86:58 - 87:03
    und in den USA sind es wahrscheinlich
    genauso viele, wenn nicht mehr,
  • 87:04 - 87:06
    die trotz Abschluss Analphabeten sind,
  • 87:06 - 87:09
    also kaum lesen und schreiben können.
  • 87:09 - 87:13
    Sie waren lange genug da
    und bekamen ein Zeugnis.
  • 87:13 - 87:17
    Durch Anwesenheit und Alter.
    Das kommt dem System zupass.
  • 87:17 - 87:21
    Denn wenn man Bedienpersonal hat,
  • 87:22 - 87:26
    das quasi hirnlos ist
    und nicht nachdenken kann ...
  • 87:26 - 87:29
    Um denken zu lernen,
    muss man lesen.
  • 87:29 - 87:34
    Um das Denken zu erlernen,
    muss ich Hugo lesen, Gedichte ...
  • 87:34 - 87:39
    ... Philosophen, Schriftsteller.
    Dadurch lernt man Denken.
  • 87:39 - 87:44
    Um zu denken, muss ich Wörter im Kopf
    haben und mit ihnen umgehen können.
  • 87:44 - 87:46
    Wenn das fehlt,
    kann ich nicht denken.
  • 87:47 - 87:51
    Aber ich kann ein wunderbarer
    Vervielfältiger des Systems sein,
  • 87:51 - 87:54
    der nicht nachdenkt
    und der das System verteidigt.
  • 87:55 - 87:59
    Es gibt Arbeiter, die sagen ...
    Das habe ich erlebt,
  • 87:59 - 88:04
    in schlimmen Situationen,
    wie Firmenschliessungen mit Entlassungen.
  • 88:04 - 88:07
    Wenn ich die Arbeiter
    nach ihrer Meinung frage,
  • 88:08 - 88:11
    höre ich oft:
    „Das ist das Gesetz des Marktes.
  • 88:11 - 88:15
    Wir müssen wettbewerbsfähiger
    als die Japaner sein..."
  • 88:15 - 88:19
    Sie werden zu Anwälten eines Systems,
    das sie zermalmt.
  • 88:21 - 88:25
    Vorhin haben wir besprochen,
    wie Netzwerke Ideen verbreiten.
  • 88:25 - 88:30
    Bei der Bildung ist es ähnlich.
    Da gibt es ideologische Begründungen
  • 88:30 - 88:33
    von Theoretikern,
    nach denen sich das Bildungswesen
  • 88:33 - 88:37
    in einer Weise verändern soll,
    die ich gleich beschreibe.
  • 88:37 - 88:41
    Dann gibt es die grossen
    transnationalen Konzerne,
  • 88:41 - 88:43
    die das gleiche anstreben.
  • 88:43 - 88:48
    Sie bewegen die Akteure,
    Regierungen, Professoren dazu,
  • 88:48 - 88:50
    nach ihren Idealen zu handeln.
  • 88:50 - 88:54
    Und es gibt die Interessengruppen,
    die Thinktanks, die dasselbe tun.
  • 88:55 - 88:58
    Bei der Bildung kommt
    das alles zusammen.
  • 88:58 - 89:03
    Der einflussreichste Bildungstheoretiker
    der letzten 50 Jahre
  • 89:03 - 89:06
    war kein Pädagoge, sondern ein Ökonom.
  • 89:07 - 89:12
    Der wichtigste Bildungstheoretiker
    war wahrscheinlich Gary Becker.
  • 89:12 - 89:14
    Er lehrt an der Universität
    von Chicago.
  • 89:15 - 89:18
    Er entwickelte
    die Theorie vom Humankapital,
  • 89:18 - 89:22
    nach welcher der Mensch
    und sein Wissen ein Kapital darstellen,
  • 89:22 - 89:26
    in das man investiert,
    um es wirtschaftlich rentabel zu machen.
  • 89:27 - 89:29
    In der Theorie vom Humankapital
  • 89:29 - 89:34
    lassen sich mathematische
    Grundsätze aus der Ökonomie
  • 89:34 - 89:37
    auf Bildung als Kapital anwenden,
  • 89:37 - 89:40
    ein Kapital,
    das man in Zahlen erfassen kann.
  • 89:40 - 89:44
    Das war die einflussreichste
    Theorie der letzten 50 Jahre,
  • 89:44 - 89:49
    und zwar dort, wo Entscheidungsträger
    beeinflusst werden.
  • 89:49 - 89:52
    Orte, an denen Regierungen,
    Bildungsminister
  • 89:53 - 89:56
    und sonstige Schlüsselfiguren
    beeinflusst werden.
  • 89:56 - 90:01
    Der zweite Theoretiker, der die heute
    bestehenden Mechanismen begründete,
  • 90:01 - 90:05
    ist Milton Friedmann,
    der Vater des Monetarismus.
  • 90:05 - 90:09
    Er war für die Einführung
    von Bildungsgutscheinen.
  • 90:09 - 90:14
    Dadurch sollten Marktmechanismen
    ins Bildungswesen einfliessen,
  • 90:14 - 90:16
    wie Wettbewerb unter den Schulen.
  • 90:16 - 90:18
    Diese zwei Theorien,
  • 90:18 - 90:22
    die an pädagogischen Instituten
    sicher nie diskutiert werden,
  • 90:23 - 90:26
    sind die führenden Bildungsansätze
    der letzten Jahre.
  • 90:26 - 90:32
    Und diese dringen dann zum IWF,
    zur OECD, zur Weltbank vor.
  • 90:32 - 90:36
    Die beurteilen nationale Bildungssysteme
    von dieser Warte aus
  • 90:36 - 90:39
    und geben
    entsprechende Empfehlungen.
  • 90:40 - 90:43
    Thinktanks und grosse Mediengruppen
  • 90:43 - 90:46
    stehen oft
    in einem privilegierten Verhältnis:
  • 90:46 - 90:49
    die Propaganda der Ersteren
  • 90:49 - 90:52
    gelangt daher
    ganz unbeschwert in die Medien.
  • 90:52 - 90:56
    Vor allem durch
    diesen medialen Übertragungsweg
  • 90:56 - 91:03
    wurde die neoliberale Ideologie
    zu einer Selbstverständlichkeit.
  • 91:04 - 91:04
    7. PROPAGANDA UND INDOKTRINIERUNG
  • 91:04 - 91:12
    7. PROPAGANDA UND INDOKTRINIERUNG
  • 91:12 - 91:17
    DIE MEDIEN
  • 91:20 - 91:23
    Hitler gilt als Erfinder
    der Propaganda.
  • 91:23 - 91:28
    Man liest oft, dass er ihre Wichtigkeit
    im Zweiten Weltkrieg verstanden habe.
  • 91:29 - 91:32
    Und es ist richtig,
    dass Hitler ihre Bedeutung
  • 91:32 - 91:36
    für die Gesellschaft verstand.
    Aber er erfand sie nicht.
  • 91:36 - 91:40
    Er lernte von uns,
    den westlichen Demokratien,
  • 91:40 - 91:43
    vor allem von den Engländern
    und von den Amerikanern.
  • 91:44 - 91:47
    Seit dem Aufkommen
    der modernen Gesellschaften
  • 91:47 - 91:49
    herrschen zwei Ansätze vor:
  • 91:49 - 91:55
    der von der partizipativen Demokratie,
    in der informierte Menschen diskutieren,
  • 91:55 - 91:59
    handeln und Entscheidungen
    beeinflussen können,
  • 91:59 - 92:03
    und der Ansatz, dass ein Teil
    der Menschen abgedrängt werden muss.
  • 92:03 - 92:07
    Sie dürfen sich nicht um Dinge kümmern,
    die sie betreffen.
  • 92:07 - 92:10
    Diese Sicht auf die Gesellschaft
  • 92:10 - 92:12
    und die Wirtschaft
    gibt es auch in unserer Kultur.
  • 92:13 - 92:17
    Besonders sichtbar war dies
    im Ersten Weltkrieg in den USA.
  • 92:17 - 92:23
    Die damalige Regierung wurde gewählt,
    weil sie einen Kriegseintritt ablehnte.
  • 92:23 - 92:26
    Doch nach der Wahl
    kam es aus Gründen,
  • 92:26 - 92:30
    die in der Innenpolitik und
    in der Rolle der Industriellen lagen,
  • 92:30 - 92:34
    zu der Entscheidung,
    doch in den Krieg einzutreten.
  • 92:35 - 92:40
    Das Problem war nun, dass ein grosser
    Teil der Bevölkerung dagegen war.
  • 92:40 - 92:45
    Also wurde eine Kommission einberufen,
    der ein Journalist namens Creel vorsass,
  • 92:46 - 92:48
    die Creel-Kommission.
  • 92:48 - 92:53
    Diese Kommission wird die Techniken
    der modernen Propaganda entwickeln,
  • 92:53 - 92:57
    Techniken zur Beeinflussung
    der öffentlichen Meinung.
  • 92:58 - 93:02
    Die Creel-Kommission
    erfüllte ihre Mission erfolgreich
  • 93:02 - 93:05
    und stimmte
    die Öffentlichkeit schnell um.
  • 93:05 - 93:09
    In ihr arbeiteten sehr bekannte Leute,
    namhafte Intellektuelle,
  • 93:10 - 93:14
    darunter Edward Bernays,
    der Begründer der Öffentlichkeitsarbeit.
  • 93:15 - 93:17
    Sie verliessen später die Kommission
  • 93:17 - 93:22
    und richteten in der Gesellschaft
    Kommunikationsinstrumente ein,
  • 93:22 - 93:26
    die es bis heute gibt und die Teil
    der Propagandamaschinerie sind.
  • 93:26 - 93:31
    Das politische Ziel war der Ausschluss
    eines Teils der Bevölkerung,
  • 93:31 - 93:36
    die Bildung einer öffentlichen Meinung,
    eines gesellschaftlichen Konsenses.
  • 93:36 - 93:39
    Sie erschufen Institutionen
    wie PR-Firmen,
  • 93:39 - 93:45
    aber auch eine neue Konzeption
    des Unternehmens, der PR im Unternehmen,
  • 93:45 - 93:50
    der sozialen Kommunikation, der Medien,
    der Rolle der Intellektuellen,
  • 93:50 - 93:54
    der Rolle der Werbung
    und der Information im Allgemeinen.
  • 93:54 - 93:58
    All das prägte sich Hitler ein,
    zurecht übrigens.
  • 93:58 - 94:02
    Die Mechanismen,
    die heute das Einheitsdenken erzeugen,
  • 94:02 - 94:06
    gingen aus besagter
    Creel-Kommission hervor.
  • 94:06 - 94:12
    Und wenn man noch weiter zurückgeht,
    auch aus der politischen Auffassung,
  • 94:12 - 94:17
    dass eine funktionierende Gesellschaft
    einige Menschen ausschliessen muss.
  • 94:17 - 94:19
    Und das beobachten wir.
  • 94:19 - 94:24
    Doch wenn die erwähnten Akteure
    so gross, mächtig und zahlreich sind,
  • 94:24 - 94:26
    entsteht auch ein Gegendiskurs.
  • 94:26 - 94:29
    Uns werden auch
    andere Analysen präsentiert.
  • 94:29 - 94:32
    Es gibt alternative Medien,
    Intellektuelle,
  • 94:32 - 94:36
    gesellschaftliche Gruppen
    mit einem neuen Denken.
  • 94:36 - 94:38
    Es gibt beide Seiten.
  • 94:38 - 94:41
    Leider überwiegt aber
    das Einheitsdenken.
  • 94:41 - 94:44
    Die Propaganda erfüllt ihren Zweck.
  • 94:44 - 94:47
    Durch solche Mechanismen
    und Institutionen
  • 94:47 - 94:52
    sorgt eine Weltanschauung,
    ein Vokabular, eine Denkweise dafür,
  • 94:52 - 94:54
    dass nur bestimmte Fragen möglich sind,
  • 94:55 - 95:00
    nur bestimmte Antworten und Analysen,
    während andere ausgeschlossen sind.
  • 95:03 - 95:07
    Die herrschende Ideologie
    ist eine allumfassende Ideologie,
  • 95:07 - 95:12
    deren offizielle Seite
    das besagte Einheitsdenken ist.
  • 95:12 - 95:16
    Ihre inoffizielle Seite ist die Sprache,
    die die Medien ...
  • 95:16 - 95:20
    ... oder alle Verhaltensweisen,
    die die Medien vorgeben.
  • 95:20 - 95:24
    Sie kommt uns
    nicht wie eine Ideologie vor,
  • 95:24 - 95:29
    sondern wie etwas ganz Normales,
    das man ganz selbstverständlich tut.
  • 95:29 - 95:32
    Ein Fernseher
    ist eine Selbstverständlichkeit.
  • 95:33 - 95:37
    „Wie kann man Ende des 20. Jahrhunderts
    keinen Fernseher haben?"
  • 95:38 - 95:43
    Es ist selbstverständlich,
    dass wir Werbung akzeptieren.
  • 95:43 - 95:46
    „Sie werden doch nicht ...
  • 95:46 - 95:51
    ... am Anfang des 21 . Jahrhunderts
    die Werbung in Frage stellen!"
  • 95:51 - 95:55
    Alles, was ideologisch ist,
    was eine Wahl darstellt,
  • 95:56 - 96:00
    was das System,
    ohne uns zu fragen, organisiert hat,
  • 96:00 - 96:04
    wird uns
    als selbstverständlich präsentiert,
  • 96:04 - 96:07
    worüber man gar nicht reden muss.
  • 96:07 - 96:11
    Das ist interessant.
    Was das Einheitsdenken betrifft ...
  • 96:12 - 96:17
    Es stellt eine uniforme,
    partielle und sektiererische Art dar,
  • 96:17 - 96:20
    Wirtschaft zu interpretieren
    oder zu betreiben.
  • 96:20 - 96:24
    Alain Minc ersetzte „Einheitsdenken"
    durch „Einheitswirklichkeit".
  • 96:24 - 96:27
    Von da an stellte niemand mehr in Frage,
  • 96:28 - 96:31
    was die liberale
    oder ultraliberale Wirtschaft trieb.
  • 96:32 - 96:35
    Das war eben die Realität,
    der man sich fügen musste.
  • 96:35 - 96:39
    Man sagt:
    „Die Globalisierung ist eine Realität."
  • 96:39 - 96:43
    Natürlich ist sie das,
    aber nicht zwangsläufig eine gute.
  • 96:44 - 96:49
    Die Ideologie sagt: „Es ist Realität,
    also müssen wir diesen Weg gehen."
  • 96:50 - 96:52
    Das gilt auch für die Globalisierung.
  • 96:53 - 96:56
    Und für die Privatisierung.
  • 96:56 - 96:59
    Es wird gemacht,
    also muss es gemacht werden.
  • 96:59 - 97:01
    Man musste es machen.
  • 97:01 - 97:04
    Man präsentiert vollendete Tatsachen,
  • 97:05 - 97:10
    die die Leute akzeptieren müssen,
    anstatt sie vorher zu fragen.
  • 97:11 - 97:14
    Das ist dem zuzuordnen,
  • 97:14 - 97:18
    was ich über den Trugschluss des
    Unvermeidbaren geschrieben habe.
  • 97:18 - 97:24
    Die meisten Politiker stellen
    ihr Handeln und ihre Entscheidungen,
  • 97:24 - 97:30
    die ja richtungsweisend sind,
    als etwas Unvermeidbares dar.
  • 97:30 - 97:32
    „Wir konnten nicht anders.
  • 97:32 - 97:35
    Es wurde verfügt.
    Die Amerikaner machen es."
  • 97:35 - 97:39
    Und jeder weiss:
    Das, was heute in Frankreich passiert,
  • 97:39 - 97:42
    passierte zehn Jahre vorher in den USA.
  • 97:42 - 97:44
    Also müssen wir es hier auch tun.
  • 97:45 - 97:49
    Renault hatte in Belgien
    ein Werk geschlossen.
  • 97:50 - 97:53
    Sie wollten umstrukturieren ...
  • 97:55 - 97:57
    ... und anderswo Werke eröffnen,
  • 97:57 - 98:00
    in denen die gleiche Arbeit
    geringer entlohnt wird.
  • 98:01 - 98:04
    Das hatte also
    mit wirtschaftlichem Kalkül zu tun.
  • 98:05 - 98:11
    Über diese Schliessung äusserte sich
    der französische Staatschef wie folgt:
  • 98:12 - 98:15
    „Werkschliessungen passieren leider.
  • 98:15 - 98:17
    Bäume wachsen, leben und sterben.
  • 98:17 - 98:21
    Genau wie Pflanzen, Tiere,
    Menschen und Unternehmen."
  • 98:21 - 98:25
    Das ist ein gutes Beispiel
    für die „Naturalisierung"
  • 98:25 - 98:28
    des Geschehens,
    also eine Depolitisierung.
  • 98:28 - 98:31
    Die Leute müssen
    als natürlich hinnehmen,
  • 98:32 - 98:35
    als vom Willen der Politiker unabhängig,
  • 98:35 - 98:39
    was um sie herum entschieden wird.
  • 98:40 - 98:41
    Dadurch ...
  • 98:42 - 98:45
    ... manipuliert man letztlich die Bürger
  • 98:45 - 98:50
    und bringt sie davon ab,
    an ihr eigenes Votum zu glauben.
  • 98:52 - 98:57
    Heute ermöglicht die Funktionsweise
    der Medien die Erzeugung von Wahrheit.
  • 98:57 - 99:03
    Natürlich ergibt sich Wahrheit
    nur aus der Konfrontation ...
  • 99:04 - 99:08
    ... aus der Überprüfung
    einer gegebenen Version,
  • 99:08 - 99:10
    für die es verschiedene Zeugen gibt.
  • 99:10 - 99:15
    Wahrheitsfindung ist schwer.
    Das sehen wir bei Ermittlungsrichtern,
  • 99:15 - 99:19
    bei Wissenschaftlern,
    die Analysen durchführen,
  • 99:19 - 99:22
    um die Wahrheit herauszufinden.
  • 99:22 - 99:25
    Aber in der heutigen
    Medienlandschaft genügt es,
  • 99:25 - 99:31
    wenn alle Medien dasselbe
    über ein bestimmtes Ereignis berichten,
  • 99:31 - 99:34
    die Presse, das Radio, das Fernsehen,
  • 99:34 - 99:38
    damit etwas als Wahrheit gilt,
    selbst wenn es unwahr ist.
  • 99:38 - 99:44
    Das war der Fall beim Golfkrieg und bei
    Grossereignissen der jüngeren Geschichte.
  • 99:47 - 99:51
    Hier stellen wir
    eine falsche Gleichung auf, nämlich:
  • 99:51 - 99:53
    Wiederholung ist gleich Beweis.
  • 99:53 - 99:55
    Vor Kurzem habe ich
  • 99:55 - 100:00
    noch einmal „Schöne neue Welt"
    von Aldous Huxley gelesen
  • 100:00 - 100:03
    und einen Satz
    über Hypnopädie wiedergefunden,
  • 100:03 - 100:08
    also diese Art von Hypnose,
    die kleine Kinder überzeugen soll,
  • 100:09 - 100:12
    dass sie glücklich mit sich selbst sind.
  • 100:13 - 100:18
    Und einer der Direktoren
    des Konditionierungszentrums
  • 100:18 - 100:20
    lässt verlauten,
  • 100:20 - 100:24
    dass 64 000 Wiederholungen
    gleich Wahrheit sind.
  • 100:25 - 100:28
    Wir leben heute in Huxleys Welt.
  • 100:38 - 100:42
    Unterstützt durch die Propaganda
    und den Bekehrungseifer,
  • 100:42 - 100:45
    die unaufhörlich aus den
    diversen Sprachrohren
  • 100:45 - 100:50
    eines verflochtenen Netzwerks
    zur Bewusstseinskontrolle dringen,
  • 100:50 - 100:53
    setzen sich die neoliberalen Reformen
  • 100:53 - 100:59
    allmählich im narkotisierten Bewusstsein
    der westlichen Demokratien fest.
  • 100:59 - 101:02
    Im Namen eines notwendigen „Realismus"
  • 101:02 - 101:07
    verabschieden rechte wie linke Parteien
    dieser Länder Massnahmen,
  • 101:08 - 101:11
    die den Sozialstaat
    jeden Tag ein Stück mehr
  • 101:11 - 101:13
    zugunsten des Marktes untergraben.
  • 101:14 - 101:18
    Andernorts, wo die Propaganda
    nicht so erfolgreich ist,
  • 101:18 - 101:21
    vor allem in den Entwicklungsländern,
  • 101:21 - 101:24
    werden andere Massnahmen angewendet.
  • 101:25 - 101:28
    Drastische Massnahmen.
  • 101:28 - 101:32
    Was verbirgt sich hinter
    dem ideologischen Rauchvorhang,
  • 101:32 - 101:36
    hinter den schönen Konzepten
    von spontaner Ordnung,
  • 101:36 - 101:40
    von Interessenharmonie
    auf einem freiem Markt?
  • 101:40 - 101:46
    Was verbirgt sich hinter dem
    Allheilmittel der „unsichtbaren Hand"?
  • 101:46 - 101:51
    Was sind die wahren Motive
    der Bankiers und der Industriellen,
  • 101:51 - 101:56
    die den Aufbau des neoliberalen
    Netzwerks finanziert haben?
  • 101:58 - 102:05
    8. NEOLIBERALISMUS
    ODER NEOKOLONIALISMUS?
  • 102:05 - 102:13
    DIE DRUCKAUSÜBUNG
    DURCH DlE FINANZMÄRKTE
  • 102:15 - 102:18
    Es ist schon frappierend zu sehen,
  • 102:18 - 102:21
    dass jedes Element des Neoliberalismus
  • 102:22 - 102:25
    entworfen wurde,
    um die Demokratie zu schwächen.
  • 102:25 - 102:28
    Aber man bespricht
    nur die wirtschaftlichen Effekte.
  • 102:28 - 102:32
    Denken Sie nur einmal
    an die finanzielle Globalisierung.
  • 102:33 - 102:37
    Für Keynes war die grösste Errungenschaft
  • 102:38 - 102:43
    des Bretton-Woods-Systems
    die finanzielle Regulierung.
  • 102:45 - 102:49
    Das hat seinen Grund:
    Es verschafft den Regierungen Raum,
  • 102:49 - 102:53
    um Programme durchzuführen,
    die von der Bevölkerung gewollt sind.
  • 102:53 - 102:57
    Wenn der Kapitalfluss
    keinen Regeln unterliegt,
  • 102:57 - 103:00
    können Währungen
    einfach so angegriffen werden.
  • 103:00 - 103:03
    Dann entsteht das,
    was internationale Ökonomen
  • 103:03 - 103:08
    ein virtuelles Parlament
    von Investoren und Kapitalgebern nennen,
  • 103:08 - 103:11
    die, ich zitiere aus der Fachliteratur,
  • 103:11 - 103:16
    „jederzeit über die Politik
    der Regierung abstimmen können".
  • 103:16 - 103:18
    Halten sie die Politik für irrational,
  • 103:19 - 103:24
    stimmen sie durch Kapitalabzug
    oder Angriffe auf die Währungen dagegen.
  • 103:24 - 103:29
    „Irrational" wäre die Politik für sie,
    wenn sie die Menschen begünstigt
  • 103:29 - 103:34
    und nicht den Profit erhöht
    oder den Marktzugang verbessert.
  • 103:34 - 103:38
    Die Regierungen haben es
    mit zwei Wählerschaften zu tun:
  • 103:38 - 103:41
    der Bevölkerung
    und dem virtuellen Parlament.
  • 103:41 - 103:46
    Meist gewinnt Letzteres,
    vor allem in armen Ländern.
  • 103:46 - 103:49
    In den reichen Staaten
    ist es differenzierter.
  • 103:49 - 103:54
    Dort wurde das neoliberale „Paket"
    nicht in vollem Umfang angenommen,
  • 103:54 - 103:59
    wie etwa in Lateinamerika.
    Da sind die Auswirkungen vorhersehbar.
  • 103:59 - 104:03
    Das gleiche gilt für andere Elemente
    des Neoliberalismus.
  • 104:03 - 104:06
    Privatisierung ist
    zu einem Mantra geworden.
  • 104:08 - 104:11
    Privatisierung
    untergräbt die Demokratie.
  • 104:11 - 104:15
    Öffentliche Güter geraten in die Hände
  • 104:15 - 104:20
    von nicht haftenden, privaten Tyrannen,
    die der Staat erschafft und fördert:
  • 104:20 - 104:22
    die Konzerne.
  • 104:23 - 104:25
    Früher ...
  • 104:26 - 104:32
    ... bis in die 70er Jahre, wurden fast
    alle Aktivitäten der Banken überwacht.
  • 104:33 - 104:37
    Alle Operationen liefen
    über die französische Zentralbank,
  • 104:37 - 104:39
    die alles nachverfolgte.
  • 104:39 - 104:42
    Heute agieren die Banken im Freiverkehr.
  • 104:42 - 104:48
    Etwas mehr als die Hälfte
    ihres Umsatzes erwirtschaften sie
  • 104:49 - 104:52
    durch Geschäfte,
    die keiner Kontrolle unterliegen.
  • 104:52 - 104:56
    So, als gäbe es einen „normalen" Markt
    und einen Schwarzmarkt.
  • 104:56 - 105:01
    Also hier ein Laden mit ausgewiesenen
    Preisen und einer Kasse
  • 105:01 - 105:03
    und gleich daneben der Schwarzmarkt.
  • 105:04 - 105:09
    Laut der Banque de France,
    die die Bilanzen der Banken überprüft,
  • 105:10 - 105:13
    werden 50% der Transaktionen
    nicht bilanziert.
  • 105:13 - 105:17
    Sie unterliegen keiner Aufsicht
    durch ein höheres Gremium,
  • 105:17 - 105:20
    wie einem Schatzamt
    oder einer Zentralbank.
  • 105:21 - 105:24
    Diese Geschäfte
    ausserhalb der Bilanz bewirken,
  • 105:25 - 105:27
    dass Staaten bedeutungslos werden.
  • 105:28 - 105:30
    Ungefähr ...
  • 105:31 - 105:35
    ... 500 Milliarden US-Dollar
  • 105:35 - 105:39
    wandern täglich in Offshore-Fonds
    und dergleichen.
  • 105:39 - 105:44
    Wenn der Staat einer Bank dumm kommt,
    ist der Bank das egal.
  • 105:44 - 105:48
    Sie transferiert ihr Geld
    mit einem ihrer ausländischen Partner,
  • 105:48 - 105:52
    einer anderen multinationalen Bank,
    in einen Offshore-Fonds.
  • 105:53 - 105:58
    Kein Problem, das Geld ist frei.
    Es gibt keine staatliche Aufsicht.
  • 105:58 - 106:00
    Ausserbilanzgeschäfte ...
  • 106:05 - 106:09
    ... sind ein grosses Problem,
    denn die Kontrolle der Wirtschaft
  • 106:10 - 106:11
    fängt beim Geld an.
  • 106:14 - 106:18
    Ausserbilanzgeschäfte
    werden im Allgemeinen
  • 106:18 - 106:24
    mit relativ neuen Finanzinstrumenten,
    den Derivaten, getätigt:
  • 106:24 - 106:29
    Futures, Forwards, Optionen, Swaps usw.
  • 106:30 - 106:34
    Es sind im Grunde Versicherungsverträge,
    das heisst,
  • 106:35 - 106:39
    man versichert sich
    gegen zukünftige Schwankungen,
  • 106:39 - 106:42
    also Zins- oder Kursschwankungen.
  • 106:42 - 106:45
    Du schliesst
    einen Vertrag mit jemandem ab,
  • 106:47 - 106:49
    an den du
    in sechs Monaten zahlen musst.
  • 106:49 - 106:52
    Der Vertrag wird in Dollar geschlossen.
  • 106:54 - 106:56
    Steigt der Dollar, hast du ein Problem,
  • 106:56 - 107:00
    denn dann musst du Dollar
    mit 10% Aufschlag kaufen.
  • 107:00 - 107:03
    Also schliesst du eine Versicherung
  • 107:03 - 107:06
    über den Wert des Dollar ab.
  • 107:06 - 107:12
    Dabei übernimmt jemand das Risiko,
    was dich etwa 3% oder 4% mehr kostet.
  • 107:12 - 107:17
    Egal, wie der Kurs ist ...
    Der Versicherer gewinnt, wenn er fällt.
  • 107:17 - 107:21
    Du bist entspannt. Du bist versichert.
    Das sind Derivate.
  • 107:21 - 107:25
    Das Interessante ist, dass dadurch
    eine Risikowirtschaft entsteht.
  • 107:25 - 107:30
    Währungen, Kapitalflüsse
    werden ja nicht mehr kontrolliert.
  • 107:30 - 107:32
    Das Risiko wird also unterhalten,
  • 107:33 - 107:36
    um oberhalb dieses Systems
  • 107:36 - 107:39
    ein System einzurichten,
    das diese Risiken abdeckt.
  • 107:40 - 107:45
    Aber der Unterschied
    zu Gefahren wie Autounfällen ist,
  • 107:45 - 107:50
    dass Autounfälle vorhersagbar sind.
    Das ist das Gesetz der grossen Zahlen.
  • 107:50 - 107:53
    Die Risiken auf dem Finanzmarkt
  • 107:54 - 107:58
    sind dagegen seltene Epiphänomene.
  • 107:58 - 108:01
    Sie können nicht
    statistisch erfasst werden.
  • 108:01 - 108:04
    Es sind absolute,
    unvorhersehbare Risiken.
  • 108:04 - 108:09
    Diese Versicherungsverträge
    oberhalb der normalen Wirtschaft
  • 108:09 - 108:12
    bilden eine zweite,
    noch risikoreichere Schicht.
  • 108:12 - 108:17
    Manche Versicherungen versichern also
    das Risiko von Versicherungsverträgen.
  • 108:17 - 108:20
    Dadurch entsteht eine Risikopyramide,
  • 108:20 - 108:23
    auf deren Basis die Leute spekulieren.
  • 108:23 - 108:28
    Man erzeugt ein rein spekulatives System
    durch Erhaltung des Risikos.
  • 108:28 - 108:33
    Der heutige Kapitalismus zeichnet sich
    dadurch aus, dass das finanzielle Risiko
  • 108:34 - 108:38
    systematisch aufrechterhalten
    und systematisch vermarktet wird.
  • 108:39 - 108:41
    So ist das.
  • 108:43 - 108:47
    In den 80er Jahren
    verabschieden mehrere Länder
  • 108:47 - 108:50
    unter dem Einfluss
    von Thatcher und Reagan
  • 108:50 - 108:55
    Reformen zur Deregulierung
    der Finanzmärkte.
  • 108:55 - 109:00
    Doch durch die Autorisierung
    eines freien Kapitalflusses
  • 109:00 - 109:06
    potenzieren die Regierungen die Macht
    grosser institutioneller Spekulanten:
  • 109:07 - 109:11
    Hedge Fonds,
    Handelsbanken, Pensionsfonds,
  • 109:11 - 109:15
    Versicherungsgesellschaften usw.
  • 109:15 - 109:19
    Aus ihrer Position der Macht heraus
    fungieren diese
  • 109:19 - 109:24
    als neue Übermittler
    der neoliberalen Ideologie.
  • 109:24 - 109:28
    Dabei zwingen sie sogar
    die aufmüpfigsten Staaten,
  • 109:28 - 109:33
    die Liberalisierung
    ihrer Wirtschaft zu beschleunigen.
  • 109:33 - 109:38
    Von den hierfür eingesetzten Methoden
    erweisen sich Spekulationsattacken
  • 109:39 - 109:43
    als besonders wirksam ...
    und verheerend.
  • 109:43 - 109:49
    Zwar bestehen des Kaisers neue Kleider
    aus komplexen Mechanismen,
  • 109:49 - 109:53
    die selbst
    die neugierigsten Geister verschrecken.
  • 109:53 - 109:57
    Doch auch wenn der Kolonialismus
    nun ein anderes Gesicht hat,
  • 109:57 - 110:01
    bleibt sein Ziel
    die Anhäufung von Kapital.
  • 110:03 - 110:07
    Zunächst einmal
    verfügt die Spekulation ...
  • 110:08 - 110:10
    ... über mehrere Instrumente.
  • 110:13 - 110:15
    Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen,
  • 110:16 - 110:22
    möchte ich einmal darlegen, was während
    derAsienkrise im Jahr 1997 passierte.
  • 110:24 - 110:28
    Sie führte in mehreren Ländern
    zum Zusammenbruch der Währungen.
  • 110:29 - 110:34
    Und zwar in Ländern, die als
    „Tigerstaaten" eingestuft wurden,
  • 110:34 - 110:38
    die also eine
    leistungsfähige Wirtschaft hatten.
  • 110:40 - 110:43
    Die Krise hatte mehrere Ursachen.
  • 110:43 - 110:48
    Doch meiner Meinung nach
    war einer der wesentlichen Faktoren
  • 110:48 - 110:52
    die vorherige Deregulierung
    der Devisenmärkte.
  • 110:52 - 110:57
    In einigen Fällen
    war diese Deregulierung erzwungen
  • 110:57 - 111:03
    oder wurde sogar vom
    Internationalen Währungsfonds gefordert.
  • 111:04 - 111:05
    Die Spekulanten ...
  • 111:08 - 111:11
    ... ermächtigten sich
    der Reserven der Zentralbanken,
  • 111:12 - 111:15
    und zwar durch folgenden Mechanismus:
  • 111:16 - 111:19
    Sie spekulierten gegen ...
  • 111:20 - 111:22
    ... die nationalen Währungen,
  • 111:22 - 111:25
    indem sie Leerverkäufe tätigten.
  • 111:26 - 111:29
    Bei Leerverkäufen
    wird darauf spekuliert,
  • 111:29 - 111:33
    dass der Preis eines Wertpapiers
    sinkt und nicht steigt,
  • 111:33 - 111:37
    wie es gewöhnlich der Fall ist.
  • 111:37 - 111:43
    Ist ein Wertpapier jedoch Gegenstand
    eines massiven Leerverkaufs,
  • 111:44 - 111:49
    führt das zu einem Absinken
    der Nachfrage und somit des Preises.
  • 111:50 - 111:54
    Man kann also
    von einer Spekulationsattacke sprechen,
  • 111:54 - 111:59
    da die Spekulanten selbst
    den Wertverlust verursachen,
  • 111:59 - 112:04
    indem sie auf einen
    Preisrückgang spekulieren.
  • 112:05 - 112:09
    Nehmen wir an, ich möchte
    koreanische Won leerverkaufen.
  • 112:09 - 112:14
    Dafür verkaufe ich
    riesige Summen koreanischer Won,
  • 112:14 - 112:17
    die irgendwann fällig werden.
  • 112:17 - 112:20
    Die Verträge laufen
    über drei oder sechs Monate.
  • 112:20 - 112:23
    Am Fälligkeitstag muss ich also
  • 112:23 - 112:28
    eine riesige Summe koreanischer Won
    oder thailändischer Baht liefern.
  • 112:29 - 112:33
    Aber ich besitze sie nicht.
    Ich kann verkaufen, so viel ich will.
  • 112:33 - 112:38
    Ich kann Won im Wert
    von Milliarden von Dollar verkaufen.
  • 112:40 - 112:42
    Und wer kauft diese Won?
  • 112:42 - 112:45
    Die koreanische Zentralbank.
  • 112:46 - 112:52
    Diese ist durch Abkommen
    mit dem IWF dazu verpflichtet,
  • 112:52 - 112:54
    ihre Währung zu stabilisieren.
  • 112:56 - 112:58
    Praktisch ist Folgendes passiert:
  • 112:58 - 113:03
    Als der Wert
    der koreanischen Währung fiel,
  • 113:04 - 113:10
    liefen einige Monate später
    die Verträge über die Leerverkäufe aus,
  • 113:10 - 113:13
    und in diesem Moment ...
  • 113:13 - 113:18
    ... erfolgte eine Beschlagnahme
    der Reserven dieser Zentralbank.
  • 113:18 - 113:20
    Die Währung ist ja nichts mehr wert.
  • 113:21 - 113:26
    Die Spekulanten mussten die Won
    lediglich auf dem Spotmarkt aufkaufen,
  • 113:26 - 113:32
    um ihren vertraglichen Verpflichtungen
    nachkommen zu können.
  • 113:32 - 113:36
    Die Zentralbank kauft nun ihre Währung
    zurück, was nicht rentabel ist.
  • 113:36 - 113:39
    Dafür werden
    ihre Reserven beschlagnahmt
  • 113:39 - 113:45
    und wandern in die Taschen
    von grossen westlichen Banken.
  • 113:45 - 113:48
    Das ist der Mechanismus.
  • 113:48 - 113:51
    Nun wurden die Reserven geplündert.
  • 113:52 - 113:58
    Korea muss nun zum Internationalen
    Währungsfonds gehen und sagen:
  • 114:00 - 114:04
    „Unsere Reserven wurden geplündert.
    Wir müssen..."
  • 114:04 - 114:08
    Das Geld ist ja noch nicht
    unterwegs zu den Gläubigern.
  • 114:08 - 114:11
    „Wir müssen es
    an die Gläubiger zurückzahlen."
  • 114:11 - 114:12
    Was nun?
  • 114:13 - 114:15
    Wenn der Internationale Währungsfonds
  • 114:16 - 114:19
    einen Kredit
    von 56 Millionen Dollar gewährt,
  • 114:19 - 114:23
    dann sind dabei
    mehrere Länder involviert.
  • 114:23 - 114:25
    Es waren 24 Länder.
  • 114:26 - 114:30
    Da ging es ja
    um astronomische Summen.
  • 114:30 - 114:33
    Also Staatsgelder aus Amerika,
    Kanada ...
  • 114:33 - 114:35
    Die grossen westlichen Staaten.
  • 114:36 - 114:40
    Wenn aber
    der amerikanische, der kanadische
  • 114:40 - 114:47
    oder ein anderer westlicher Staat
    einen Kredit von 56 Milliarden vergibt,
  • 114:47 - 114:50
    steigt dessen Schuldenniveau.
  • 114:50 - 114:52
    Das heisst, sie müssen ...
  • 114:54 - 114:58
    ... mit ihren Schulden
    an den Börsen verhandeln.
  • 114:58 - 115:03
    Es ist ein Markt der Schulden.
    Und wer kontrolliert diesen Markt ...
  • 115:03 - 115:06
    ... der westlichen Staatsschulden?
  • 115:06 - 115:11
    Diese Bank hier, also die Spekulanten.
    Hier schliesst sich der Kreis.
  • 115:12 - 115:15
    Man greift Korea an,
    kommt dem Land zu Hilfe,
  • 115:15 - 115:19
    beschlagnahmt seine Staatsreserven,
    leiht im Geld ...
  • 115:20 - 115:25
    ... aus den öffentlichen Kassen
    der westlichen Staaten.
  • 115:25 - 115:29
    Und um den Schuldenstand
    der westlichen Länder anzuheben,
  • 115:30 - 115:35
    ist eine Absicherung durch diese Banken
    aus dem privaten Sektor nötig,
  • 115:37 - 115:41
    die ja die Zeichner
    für diese Staatsschulden sind.
  • 115:41 - 115:44
    Am Ende verschulden sich also alle,
  • 115:45 - 115:50
    ausser die Spekulanten,
    die ja die Gläubiger von Korea sind,
  • 115:50 - 115:53
    aber auch die
    der westlichen Regierungen,
  • 115:53 - 115:59
    die Korea in Form von Hilfsprogrammen
    des IWF unterstützt haben.
  • 115:59 - 116:01
    Was passiert also?
  • 116:04 - 116:08
    Die koreanische Wirtschaft
    ist dem Bankrott geweiht.
  • 116:08 - 116:10
    Die Vermögenswerte der Banken
  • 116:10 - 116:14
    und die Hightech-lndustrie
    werden billig verkauft.
  • 116:16 - 116:19
    Und gegenwärtig beobachten wir,
  • 116:19 - 116:24
    dass der gesamte
    industrielle Reichtum dieses Landes
  • 116:24 - 116:28
    an amerikanische Investoren übergeht.
  • 116:29 - 116:34
    Letztlich werden diese Vermögenswerte
    praktisch übernommen,
  • 116:34 - 116:37
    und das zu absolut
    lächerlichen Beträgen.
  • 116:38 - 116:40
    Nehmen wir das Beispiel ...
  • 116:41 - 116:45
    ... einer der führenden
    koreanischen Banken,
  • 116:45 - 116:49
    die auf Empfehlung des IWF
    umstrukturiert wurde.
  • 116:49 - 116:52
    Infolge dieses Vorgangs,
    denn dafür gab es Bedingungen.
  • 116:53 - 116:58
    Diese Bank, die Korea First Bank,
    wurde für 450 Millionen Dollar verkauft,
  • 116:59 - 117:04
    und zwar an kalifornische
    und texanische Investoren.
  • 117:04 - 117:08
    Aber eine der Bedingungen
    für den Verkauf war,
  • 117:08 - 117:10
    dass die koreanische Regierung
  • 117:11 - 117:15
    für die uneinbringlichen
    Forderungen dieser Bank
  • 117:15 - 117:18
    in Form von Subventionen aufkommt,
  • 117:19 - 117:22
    die 35 Mal höher
    als der Kaufpreis waren.
  • 117:22 - 117:25
    Das heisst, etwa 15 Milliarden Dollar.
  • 117:25 - 117:28
    Diese Investoren
    kommen also nach Korea
  • 117:28 - 117:31
    und erobern praktisch über Nacht
  • 117:31 - 117:35
    den gesamten koreanischen Finanzmarkt,
    die Handelsbanken.
  • 117:35 - 117:39
    Und sie verwalten die Schulden
    grosser koreanischer Konzerne
  • 117:39 - 117:42
    wie Hyundai oder Daewoo.
  • 117:42 - 117:47
    Sie sind also in der Lage, eine Spaltung
    dieser Unternehmen anzuordnen.
  • 117:47 - 117:51
    Ein Teil von Daewoo
    wurde an General Motors verkauft.
  • 117:51 - 117:55
    Andere koreanische Unternehmen
    werden verkauft.
  • 117:55 - 118:02
    Durch einen Mechanismus, der mit der
    Manipulation der Finanzmärkte beginnt,
  • 118:04 - 118:08
    ermächtigt man sich
    der Wirtschaft eines ganzen Landes.
  • 118:08 - 118:13
    „Koreanische Unternehmen fürchten
    wegen Bankenkrise um ihre Kredite
  • 118:13 - 118:17
    Eine Million Menschen arbeitslos
  • 118:17 - 118:19
    Die 'Bettler beim IWF'
  • 118:19 - 118:23
    Die schwerste soziale Krise
    in Südkorea seit Kriegsbeginn:
  • 118:23 - 118:26
    seit März über
    eine Million Arbeitslose"
  • 118:26 - 118:30
    Die von den Finanzmärkten
    durchgeführte Kampagne
  • 118:30 - 118:35
    zur Liberalisierung der Wirtschaft
    wäre nicht so erfolgreich gewesen
  • 118:35 - 118:40
    ohne die wertvolle Unterstützung
    der Institutionen von Bretton Woods,
  • 118:40 - 118:45
    die ebenfalls wichtige Transporteure
    der neoliberalen Ideologie sind:
  • 118:46 - 118:49
    der Internatonale Währungsfonds (IWF),
  • 118:49 - 118:53
    die Weltbank (WB)
  • 118:53 - 118:58
    und die Welthandelsorganisation
    (WTO, ehemals GATT).
  • 118:58 - 119:01
    Der IWF und die Weltbank wurden 1944
  • 119:01 - 119:04
    zur Gewährleistung
    der Stabilität der Wechselkurse
  • 119:04 - 119:07
    und zur Unterstützung
    des Wiederaufbaus
  • 119:07 - 119:11
    in den durch den Zweiten Weltkrieg
    zerstörten Ländern gegründet.
  • 119:11 - 119:15
    Mit der Zeit jedoch
    veränderten die USA und Europa
  • 119:15 - 119:18
    in beachtlichem Masse den Auftrag
  • 119:19 - 119:22
    der Schwesterorganisationen
    mit Sitz in Washington.
  • 119:23 - 119:27
    Kurz nach der einseitigen
    Entscheidung der USA im Jahr 1971 ,
  • 119:27 - 119:32
    dem internationalen Währungssystem
    ein Ende zu setzen,
  • 119:32 - 119:37
    wurde dem IWF und der Weltbank
    eine völlig neue Mission zuteil:
  • 119:38 - 119:43
    die Durchsetzung der Liberalisierung der
    Wirtschaft in den Entwicklungsländern
  • 119:43 - 119:47
    mittels einer „Konditionalität",
    nach der die Kreditvergabe
  • 119:47 - 119:52
    an die Umsetzung einer Reihe von
    neoliberalen Massnahmen gebunden ist.
  • 119:52 - 119:57
    Manche bezeichneten
    diese Wirtschaftsreformen
  • 119:57 - 120:00
    als „Schocktherapie",
  • 120:00 - 120:05
    während sie andere ironisch
    den „Washington Consensus" nannten.
  • 120:06 - 120:06
    9. NEOLlBERALISMUS
    ODER NEOKOLONIALISMUS?
  • 120:06 - 120:13
    9. NEOLIBERALISMUS
    ODER NEOKOLONIALISMUS?
  • 120:13 - 120:23
    DIE DRUCKAUSÜBUNG DURCH
    DIE INSTITUTIONEN VON BRETTON WOODS
  • 120:23 - 120:25
    ODER
  • 120:25 - 120:30
    DER WASHINGTON CONSENSUS
  • 120:33 - 120:37
    Washington, wo die Weltbank
    und der IWF ihren Sitz haben,
  • 120:37 - 120:42
    begann, dem Rest der Welt,
    vor allem den ärmsten Ländern,
  • 120:42 - 120:44
    die quasi bankrott waren,
  • 120:44 - 120:46
    vorzuschreiben,
    wie Wirtschaft funktioniert.
  • 120:47 - 120:50
    Das nannte man
    „Strukturanpassungsmassnahmen"
  • 120:50 - 120:53
    oder „Strukturanpassungsprogramme",
    auferlegt vom IWF
  • 120:54 - 120:59
    im Zusammenhang mit den Krediten der
    Weltbank für die betreffenden Länder.
  • 120:59 - 121:01
    ÄQUATORIALGUINEA, 2006
  • 121:01 - 121:05
    Eine grosse Zahl von Ländern
    wurde ins Chaos gestürzt,
  • 121:06 - 121:11
    aufgrund eben dieser Massnahmen
    des IWF und der Weltbank.
  • 121:11 - 121:17
    Sie sind zahlreich. Es ginge zu weit,
    fundamentale Anpassungsmassnahmen,
  • 121:17 - 121:20
    zyklische Massnahmen
    und Ähnliches zu erörtern.
  • 121:20 - 121:22
    lm Prinzip ...
  • 121:23 - 121:27
    ... lässt sich das auf drei oder vier
    Massnahmen zusammenfassen.
  • 121:27 - 121:31
    ERSTE MASSNAHME:
    SENKUNG DER STAATSAUSGABEN
  • 121:32 - 121:36
    Die erste Massnahme für Länder,
    denen Zahlungsunfähigkeit drohte,
  • 121:37 - 121:40
    also die absolute Misere,
    war ...
  • 121:41 - 121:45
    ... die Beseitigung oder Reduzierung
    des Staatsdefizits,
  • 121:45 - 121:47
    also die Senkung der Staatsausgaben.
  • 121:48 - 121:51
    Der Staat soll weniger ausgeben.
  • 121:52 - 121:56
    ZWEITE MASSNAHME:
    PRIVATISIERUNGEN
  • 121:57 - 121:59
    Wer kauft bei Privatisierungen?
  • 122:00 - 122:02
    Lokale Akteure gibt es ja keine.
  • 122:03 - 122:06
    Gäbe es genügend
    lokale Mittel für den Kauf
  • 122:06 - 122:12
    ganzer Firmen aus der Öl-,
    Phosphat- oder Eisenindustrie,
  • 122:13 - 122:15
    wäre das Land ja nicht so arm.
  • 122:17 - 122:22
    Die Öffnung der Wirtschaft dieser
    verarmten Drittweltstaaten geht so weit,
  • 122:23 - 122:27
    dass sie ihre letzten
    nationalen Wirtschaftsinteressen
  • 122:27 - 122:30
    an ausländische Investoren
    verschleudern.
  • 122:31 - 122:34
    Multinationale Konzerne
    kaufen die Firmen
  • 122:34 - 122:37
    und siedeln in diese Ländern um,
  • 122:37 - 122:40
    aufgrund der dortigen
    Lohn- und Preisstruktur.
  • 122:41 - 122:44
    Für diese Konzerne
    wird es zunehmend günstiger,
  • 122:44 - 122:47
    dort zu produzieren,
    als in ihren Herkunftsländern.
  • 122:47 - 122:51
    Aber es geht ihnen auch
    um den günstigen Erwerb
  • 122:51 - 122:54
    von Produktionsanlagen und -kapazitäten:
  • 122:54 - 122:58
    für die Produktion
    und Raffination von Zucker,
  • 122:58 - 123:01
    für die Förderung
    und Verarbeitung von Öl oder Gas,
  • 123:01 - 123:05
    für die Gasverflüssigung
    oder die Förderung von Erz.
  • 123:05 - 123:10
    Es wird verschleudert, was die lokale
    Wirtschaft Jahre gekostet hat.
  • 123:11 - 123:15
    DRITTE MASSNAHME:
    WÄHRUNGSABWERTUNG
  • 123:15 - 123:20
    Währungsabwertung bedeutet
    für die Länder, die bereits arm sind,
  • 123:21 - 123:25
    dass sich alle importierten Waren
    plötzlich in dem Masse verteuern,
  • 123:26 - 123:28
    in dem der Wert der Währung sinkt.
  • 123:29 - 123:32
    Als der CFA-Franc plötzlich
    nur noch die Hälfte wert war,
  • 123:32 - 123:34
    Anfang der 90er Jahre,
  • 123:34 - 123:40
    besass ein Drittel Afrikas oder mehr,
  • 123:40 - 123:43
    das diese Währung hatten,
  • 123:43 - 123:48
    von einem Tag auf den anderen
    nur noch die Hälfte seiner Kaufkraft.
  • 123:48 - 123:53
    Ihr Lohn, der ihnen bisher einen
    gewissen Lebensstandard sicherte,
  • 123:53 - 123:55
    reicht jetzt nur noch für die Hälfte.
  • 123:56 - 124:01
    Das ist eine
    plötzliche Inflation von 100%.
  • 124:02 - 124:05
    Hinzu kommt,
    dass Halbfertigerzeugnisse,
  • 124:05 - 124:08
    Fertigerzeugnisse, raffinierte Produkte,
  • 124:08 - 124:14
    also alles, was in dieser Region Afrikas
    aus dem Ausland importiert wird,
  • 124:14 - 124:19
    durch die Abwertung des CFA-Francs
    plötzlich doppelt so teuer ist.
  • 124:19 - 124:24
    Hinzu kommen auch die lokalen
    Auswirkungen dieser Abwertung.
  • 124:24 - 124:29
    Alle Produkte und Dienstleistungen
    werden um ein Vielfaches teurer.
  • 124:29 - 124:31
    Aber wirklich über Nacht!
  • 124:31 - 124:34
    Und die Zeit tut noch das Ihrige.
  • 124:34 - 124:39
    Denn alles, was aus importierten
    Halbfertigerzeugnissen hergestellt wird,
  • 124:39 - 124:45
    oder was importierte Bindemittel, Leim,
    Lösungsmittel oder Farbe erfordert,
  • 124:45 - 124:48
    wird auf längere Sicht,
  • 124:48 - 124:53
    nach mehreren Monaten
    ebenfalls um ein Vielfaches teurer sein.
  • 124:54 - 124:55
    VIERTE MASSNAHME:
  • 124:55 - 125:00
    NEUORIENTIERUNG DER NATIONALEN
    WIRTSCHAFT AUF DEN EXPORT
  • 125:00 - 125:05
    Wenn wir betrachten, wie sich
    die Verpflichtung dieser Länder,
  • 125:05 - 125:08
    in denen IWF und Weltbank eingreifen,
  • 125:08 - 125:11
    vermehrt für den Export zu produzieren,
    auswirkt,
  • 125:13 - 125:16
    sehen wir, dass diese Länder
    zu Konkurrenten werden.
  • 125:17 - 125:21
    Die Kaffee produzierenden Länder
    werden mehr Kaffee produzieren,
  • 125:21 - 125:25
    das gleiche gilt für Kakao oder Öl.
  • 125:26 - 125:27
    Bauxit ...
  • 125:28 - 125:30
    Ich weiss nicht ...
  • 125:31 - 125:33
    Zucker, Weizen ...
  • 125:34 - 125:36
    Alle Basisprodukte ...
  • 125:37 - 125:42
    ... unterliegen einem Preisverfall
    aufgrund der Überproduktion.
  • 125:42 - 125:46
    Die Preise fallen,
    die Länder werden zu Konkurrenten,
  • 125:47 - 125:52
    und hinzu kommt die Inflation
    durch besagte Währungsabwertung
  • 125:52 - 125:56
    sowie die automatische Verteuerung
    aller importierten Produkte.
  • 125:57 - 126:01
    Wir beobachten also eine Umkehrung
    der Interessen dieser Länder,
  • 126:01 - 126:03
    denen man angeblich helfen will.
  • 126:04 - 126:06
    Und zwar schon deswegen,
  • 126:06 - 126:10
    weil alles, was sie importieren,
    immer teurer wird
  • 126:10 - 126:13
    und ihre Exporte
    immer weniger einbringen.
  • 126:13 - 126:16
    Sie geraten in eine Schuldenspirale,
  • 126:16 - 126:20
    so dass heute, im Jahr 2002,
  • 126:20 - 126:25
    allein die Zinslast
    der ärmsten Länder ...
  • 126:25 - 126:30
    Ich spreche von Ländern
    wie Bangladesch, Ruanda, Burundi,
  • 126:30 - 126:32
    Togo und solchen Ländern,
  • 126:32 - 126:36
    die bereits bei minus 250% liegen.
  • 126:36 - 126:42
    Nur die Zinsen können da 600 Mal höher
    als die Erlöse aus dem Export sein.
  • 126:43 - 126:46
    FÜNFTE MASSNAHME:
    ANPASSUNG DER PREISE
  • 126:47 - 126:50
    Diese Massnahme beinhaltet Folgendes:
  • 126:50 - 126:53
    keine Subventionen mehr
    für Grundbedürfnisse,
  • 126:53 - 126:57
    also für das Wohnungs-
    und Gesundheitswesen,
  • 126:57 - 127:00
    für Öl, Reis ...
  • 127:01 - 127:03
    ... Transport und dergleichen.
  • 127:03 - 127:07
    Dadurch sollen die Preise
    entzerrt werden. Was bedeutet das?
  • 127:07 - 127:12
    Das heisst, dass sich die Preise
    gemessen am Dollar weltweit angleichen.
  • 127:12 - 127:18
    Wenn Sie mit Dollar verreisen,
    so wie ich als Kanadier,
  • 127:18 - 127:23
    kosten Produkte und Dienstleistungen
    überall etwa gleich viel.
  • 127:23 - 127:27
    Sei es in Cotonou in Benin,
    einem der ärmsten Länder der Welt,
  • 127:27 - 127:30
    in Chicago, in New York oder Paris.
  • 127:30 - 127:35
    Ihr Zimmer im Holiday Inn, im Sheraton,
    Ihr Essen im Holiday Inn
  • 127:35 - 127:39
    kostet in Dollar
    überall ungefähr gleich viel.
  • 127:40 - 127:45
    Aber in Cotonou, der Hauptstadt Benins,
    einem der ärmsten Länder der Welt,
  • 127:46 - 127:50
    kostet eine Nacht im Sheraton,
    wo ich dann schlafen würde,
  • 127:50 - 127:55
    so viel, wie ein Beamter in Benin
    in sechs Monaten verdient.
  • 127:56 - 128:00
    Für ein Essen im Restaurant
    dieses Hotels in Cotonou
  • 128:00 - 128:05
    müsste ein kleiner Beamter in Benin
    eine Woche arbeiten.
  • 128:06 - 128:07
    SECHSTE MASSNAHME:
  • 128:07 - 128:12
    OFFENHEIT FÜR INVESTITIONEN
    UND ANPASSUNG DER LÖHNE
  • 128:12 - 128:18
    Diese Massnahme lässt sich im Prinzip
    auf eine einfache Formel reduzieren:
  • 128:18 - 128:24
    Die Löhne werden an die niedrigsten
    Löhne einer Branche angenähert.
  • 128:25 - 128:27
    Und zwar ...
  • 128:28 - 128:34
    ... in Übereinstimmung mit der
    sogenannten Liberalisierung des Handels.
  • 128:34 - 128:38
    Zur Erklärung:
    Durch ein Abkommen wie das NAFTA,
  • 128:38 - 128:42
    das Freihandelsabkommen
    zwischen Mexiko, USA und Kanada,
  • 128:42 - 128:48
    werden die Löhne vom Niveau der USA
    auf das Niveau von Mexiko sinken.
  • 128:49 - 128:54
    Weil Wettbewerb unter den Arbeitern
    Mexikos, Kanadas und der USA herrscht.
  • 128:54 - 128:57
    Bei Standortverlagerungen heisst es:
  • 128:57 - 129:00
    Das NAFTA
    schafft Arbeitsplätze in Mexiko.
  • 129:01 - 129:02
    Das heisst ...
  • 129:02 - 129:07
    ... etwa sechs oder sieben Jahre
    nach dem NAFTA ...
  • 129:08 - 129:13
    ... sind die Löhne
    in der Gegend um Leôn,
  • 129:13 - 129:17
    im Norden von Mexiko,
    wo sich die US-Konzerne niederliessen ...
  • 129:18 - 129:20
    Wobei es in den USA Entlassungen gab.
  • 129:21 - 129:24
    Es wurden Arbeitsplätze abgebaut,
  • 129:24 - 129:28
    die im mexikanischen Vergleich
    sehr gut bezahlt waren,
  • 129:28 - 129:32
    um in Mexiko
    „Arbeitsplätze zu schaffen",
  • 129:32 - 129:34
    bei weitaus niedrigerer Bezahlung.
  • 129:35 - 129:37
    In den letzten fünf Jahren
  • 129:38 - 129:43
    sind die Löhne in dieser Region,
    der reichsten Region Mexikos,
  • 129:43 - 129:46
    in der sich die
    US-Konzerne ansiedelten,
  • 129:46 - 129:52
    dort sind die Löhne und damit
    die Kaufkraft um 23% gesunken.
  • 129:53 - 129:55
    Das heisst, vor fünf Jahren
  • 129:55 - 130:00
    konnte ein Arbeiter
    bei General Motors im Norden Mexikos
  • 130:00 - 130:05
    eine Familie mit zwei Kindern ernähren.
  • 130:05 - 130:10
    Heute kann dieserArbeiter
    nicht einmal für sich selbst sorgen,
  • 130:10 - 130:12
    selbst überleben.
  • 130:12 - 130:17
    Und nun, kurz vor dem Gipfel,
    der im Norden von Mexiko stattfindet,
  • 130:18 - 130:23
    wird in Monterrey eine Mauer gebaut,
    damit man die Elendsviertel nicht sieht.
  • 130:24 - 130:27
    Eine drei Meter hohe
    und kilometerlange Mauer
  • 130:27 - 130:31
    soll die Armut
    vor den Gipfelteilnehmern verbergen.
  • 130:31 - 130:33
    Das steckt dahinter.
  • 130:33 - 130:38
    Die Löhne werden auf das niedrigste
    Niveau einer Branche gesenkt.
  • 130:38 - 130:42
    Und da die modernen Branchen,
    wie Informatik
  • 130:43 - 130:44
    oder Elektronik,
  • 130:45 - 130:49
    zunehmend auch in der
    Dritten Welt betreibbar sind,
  • 130:49 - 130:53
    gibt es Fluggesellschaften,
    wie Swissair, glaube ich,
  • 130:53 - 130:56
    oder Firmen aus der Stahlindustrie
    und so weiter,
  • 130:57 - 131:02
    die alles, was mit Buchhaltung, Finanzen
    und IT zu tun hat, nach Bombay verlegen.
  • 131:03 - 131:06
    Ein Buchhalter,
    der dort die gleiche Arbeit
  • 131:06 - 131:11
    wie ein Buchhalter in der Schweiz oder
    in Kanada macht, kostet 100 Mal weniger.
  • 131:11 - 131:16
    Jemand, der ein Lufftahrtprogramm
    erstellt, kostet 200 Mal weniger.
  • 131:16 - 131:20
    Und so weiter.
    Das ist die Anpassung der Löhne.
  • 131:20 - 131:24
    Was mich dabei stört,
    ist, dass alles zusammengenommen,
  • 131:24 - 131:27
    die Währungsabwertung,
    die Exporte, die Schulden,
  • 131:28 - 131:31
    Privatisierung,
    Kürzung der Staatsausgaben,
  • 131:31 - 131:34
    was zu Entlassungen,
    zu Arbeitslosigkeit führt ...
  • 131:34 - 131:38
    Das alles in Verbindung
    mit der Preis- und Lohnanpassung
  • 131:38 - 131:40
    führt zur aktuellen Lage:
  • 131:40 - 131:43
    Die reichen Länder sind unendlich reich,
  • 131:43 - 131:46
    und die armen Länder sind unendlich arm.
  • 131:46 - 131:48
    Ich bin bestürzt darüber,
  • 131:49 - 131:54
    dass der IWF und die Weltbank in
    Argentinien genau das wiederholen wollen,
  • 131:54 - 131:57
    was die argentinische Wirtschaft
    zugrunde gerichtet hat.
  • 131:58 - 132:00
    So, als wären wir unbelehrbar.
  • 132:00 - 132:03
    Und das ist nicht ohne Grund so.
  • 132:03 - 132:05
    Es gibt ein Interesse daran,
  • 132:05 - 132:10
    dass diese Ideologie,
    die die Welt erklärt, so lange besteht,
  • 132:10 - 132:15
    wie der gesamte Planet
    in diesem Sinne verwertbar ist.
  • 132:18 - 132:22
    Beim Internationalen Währungsfonds
    wird das Stimmrecht
  • 132:22 - 132:25
    innerhalb des Gouverneursrates ausgeübt.
  • 132:26 - 132:29
    Dieses Stimmrecht basiert auf ...
  • 132:30 - 132:32
    ... der finanziellen Partizipation,
  • 132:32 - 132:35
    dem finanziellen Beitrag
    der einzelnen Staaten.
  • 132:36 - 132:40
    Sie sind die Aktionäre des IWF.
    So ist es auch bei der Weltbank.
  • 132:40 - 132:42
    Das ist nicht wie bei der UNO.
  • 132:42 - 132:48
    Und die Hauptaktionäre des IWF
    sind natürlich die Vereinigten Staaten,
  • 132:48 - 132:52
    Deutschland, Japan,
    Grossbritannien, Frankreich.
  • 132:52 - 132:54
    Aber am Ende ist das nur ein Aspekt,
  • 132:54 - 132:59
    denn neben
    der politischen Repräsentation
  • 132:59 - 133:03
    in einer zwischenstaatlichen
    Organisation geht es um andere Belange:
  • 133:04 - 133:06
    Das sind die Korridore ...
  • 133:06 - 133:12
    Es geht um die Zuspielung von Macht
    zwischen der Wall Street und Washington,
  • 133:13 - 133:16
    um die Verbindungen
    zwischen IWF und den Thinktanks,
  • 133:16 - 133:19
    der Heritage Foundation,
    dem Brookings Institute.
  • 133:19 - 133:24
    Die Staatskasse der USA ist involviert,
    die US Federal Reserve.
  • 133:26 - 133:30
    All das bildet
    den sogenannten „Washington Consensus".
  • 133:30 - 133:32
    Es ist ein Machtpoker.
  • 133:33 - 133:39
    Im Jahr 2005 kommt Paul Wolfowitz,
    einer der radikalsten Ideologen
  • 133:39 - 133:44
    der imperialistischen Politik
    und Kriegstreiberei von Präsident Bush,
  • 133:44 - 133:51
    vom Verteidigungsministerium
    direkt an die Spitze der Weltbank.
  • 133:51 - 133:54
    Diese Ernennung, die jegliche Zweifel
  • 133:54 - 133:58
    an den tatsächlichen Zielen
    der Weltbank ausräumt,
  • 133:58 - 134:03
    enthüllt das wahre Gesicht
    der Institutionen von Bretton Woods.
  • 134:12 - 134:15
    KONFERENZ VON BRETTON WOODS,
    MOUNT WASHINGTON HOTEL, 1944
  • 134:15 - 134:19
    Nach dem Krieg
    kam es natürlich zur Gründung
  • 134:19 - 134:23
    des IWF und der Weltbank.
  • 134:23 - 134:28
    Nach John Maynard Keynes,
    dem Architekten dieser Institutionen,
  • 134:29 - 134:34
    fehlte aber noch ein dritter „Gauner",
    eine dritte Organisation,
  • 134:34 - 134:37
    also eigentlich
    die Welthandelsorganisation.
  • 134:38 - 134:40
    Aber das wollten die Amerikaner nicht.
  • 134:41 - 134:46
    Also wurde als Ausweichlösung
    das GATT ins Leben gerufen,
  • 134:46 - 134:49
    das „General Agreement
    on Tariffs and Trade".
  • 134:50 - 134:52
    Es wurde 1947 abgeschlossen
  • 134:52 - 134:56
    und hatte die Senkung
  • 134:56 - 134:59
    der Zölle
    für Industrieerzeugnisse zum Ziel.
  • 135:00 - 135:02
    Das GATT erfüllte seinen Zweck,
  • 135:03 - 135:06
    denn in den 50 Jahren seines Bestehens
  • 135:06 - 135:12
    kam es immerhin
    zu beachtlichen Senkungen der Zölle,
  • 135:12 - 135:18
    von durchschnittlich 40% bis 50%
  • 135:18 - 135:20
    auf 4% oder 5%.
  • 135:20 - 135:24
    Aber das betraf
    nur die industriellen Erzeugnisse.
  • 135:25 - 135:29
    Dadurch wurde die Notwendigkeit gesehen,
  • 135:29 - 135:34
    vor allem auf Seiten
    der transnationalen Finanzunternehmen,
  • 135:35 - 135:39
    eine Organisation ins Leben zu rufen,
  • 135:39 - 135:42
    die viele andere Bereiche umfasste
  • 135:42 - 135:45
    als nur industrielle Erzeugnisse.
  • 135:45 - 135:50
    Und deshalb wurde
    am Ende der Uruguay-Runde,
  • 135:50 - 135:53
    der letzten Welthandelsrunde
    im Rahmen des GATT,
  • 135:54 - 135:59
    die Entscheidung für die Gründung
    der Welthandelsorganisation gefällt,
  • 136:00 - 136:05
    die am 1 . Januar 1995
    in die Tat umgesetzt wurde.
  • 136:05 - 136:10
    Dabei wurden zahlreiche Abkommen
    miterfasst, nicht nur das GATT,
  • 136:10 - 136:13
    sondern auch
    das Landwirtschaftsabkommen,
  • 136:13 - 136:17
    das TRIPS-Abkommen
    über geistiges Eigentum,
  • 136:17 - 136:21
    das Allgemeine Dienstleistungsabkommen,
    das sehr umfassend ist
  • 136:21 - 136:25
    und elf Hauptbereiche
    und 160 Unterbereiche einschliesst.
  • 136:25 - 136:29
    Dadurch unterliegen
    sämtliche menschliche Aktivitäten ...
  • 136:30 - 136:32
    ... den GATT-Regelungen,
  • 136:32 - 136:36
    von Bildung über Gesundheit,
    Kultur bis hin zur Umwelt.
  • 136:37 - 136:40
    Dann gibt es noch
    andere technische Abkommen,
  • 136:40 - 136:45
    die zumindest technisch erscheinen,
    aber eigentlich sehr politisch sind:
  • 136:45 - 136:49
    das Abkommen
    über technische Handelshemmnisse,
  • 136:49 - 136:52
    über Gesundheits- und Pflanzenschutz.
  • 136:52 - 136:58
    Das sind Abkommen über Normen,
    die die Mitglieder, also die Staaten,
  • 136:58 - 137:00
    umsetzen können.
  • 137:00 - 137:06
    Diese Normen sind im Grunde genommen
    technische Handelshemmnisse.
  • 137:06 - 137:11
    Das vielleicht weniger bekannte
    und doch wichtigste Abkommen
  • 137:11 - 137:15
    ist der Beschluss
    des Streitschlichtungsverfahrens,
  • 137:15 - 137:20
    das ein sehr mächtiges
    rechtliches Instrument
  • 137:20 - 137:22
    der WTO darstellt.
  • 137:22 - 137:27
    Damit kann sie Streitigkeiten
    zwischen Mitgliedern beilegen
  • 137:27 - 137:29
    und Recht sprechen.
  • 137:30 - 137:32
    Wer urteilt also?
  • 137:33 - 137:38
    Das weiss man nicht genau.
    Es sind von Listen ausgewählte Experten.
  • 137:39 - 137:44
    Die Länder können Personen
    für diese Listen vorschlagen.
  • 137:44 - 137:46
    Meistens sind es Privatpersonen,
  • 137:47 - 137:52
    Wirtschaftsanwälte oder manchmal
    auch ehemalige Geschäftsführer.
  • 137:52 - 137:56
    Aber ihre Namen sind unbekannt.
    Sie treffen sich im Geheimen,
  • 137:56 - 137:58
    meist zu dritt.
  • 137:59 - 138:05
    Sie entscheiden recht schnell.
    Es kann Widerspruch eingelegt werden,
  • 138:05 - 138:07
    aber die Bedingungen sind dieselben:
  • 138:07 - 138:12
    Es ist ein neues Gremium,
    und es wird im Geheimen entschieden.
  • 138:12 - 138:18
    Über dieses Streitschlichtungsgremium
    muss man wissen,
  • 138:18 - 138:20
    dass es zugleich ...
  • 138:21 - 138:26
    ... gesetzgebende, rechtsprechende
    und ausführende Gewalt ist,
  • 138:26 - 138:31
    denn es spricht Urteile aus
    und stellt eine Rechtsprechung auf.
  • 138:33 - 138:36
    Es stellt sich über alle Gesetze,
  • 138:36 - 138:43
    welche die Rechtsprechungen
    der einzelnen Länder beschlossen haben,
  • 138:43 - 138:45
    aber auch über Internationales Recht,
  • 138:46 - 138:48
    das in 50 Jahren
    mühsam erarbeitet wurde.
  • 138:48 - 138:51
    Die Menschenrechte,
  • 138:52 - 138:55
    multilaterale Umweltabkommen,
  • 138:55 - 139:00
    die grundlegenden Arbeitsnormen
    der Internationalen Arbeitsorganisation.
  • 139:00 - 139:05
    All das ist hinfällig.
    Die WTO fällt Entscheidungen,
  • 139:05 - 139:08
    die besagen:
    „Der Handel steht über allem.
  • 139:09 - 139:14
    Von euren Umweltabkommen
    wollen wir nichts hören."
  • 139:14 - 139:20
    Und die WTO hat die ausführende Gewalt,
    denn sie kann Sanktionen anordnen.
  • 139:20 - 139:24
    Ist ein Land nicht einverstanden
    mit dem Urteil, heisst es: „Gut!
  • 139:25 - 139:30
    Dann ändert ihr eure Gesetze eben nicht,
    sondern ihr zahlt.
  • 139:30 - 139:35
    Jedes Jahr.
    Und zwar in Form von Zöllen,
  • 139:35 - 139:40
    die euer Gegner im
    Streitschlichtungsverfahren festlegt."
  • 139:40 - 139:43
    Wenn die USA entscheiden,
  • 139:43 - 139:47
    in Europa Zölle anzuordnen,
    für Frankreich,
  • 139:47 - 139:51
    auf Stopfleber, Senf und Roquefort,
  • 139:51 - 139:54
    dann ist das ihr gutes Recht.
  • 139:54 - 139:57
    Das wird teuer,
    und nur wenige Länder können
  • 139:58 - 140:01
    diese jährlichen Einschnitte verkraften.
  • 140:02 - 140:08
    Bei der WTO werden mehrere
    Verhandlungen gleichzeitig geführt.
  • 140:09 - 140:13
    Ein Land,
    das keinen Botschafter in Genf hat
  • 140:13 - 140:16
    oder sich einen
    mit anderen Ländern teilt,
  • 140:17 - 140:22
    was bei den afrikanischen Staaten
    oder den Kleinststaaten der Fall ist ...
  • 140:27 - 140:31
    ... dann ist es diesem Land unmöglich,
    die Verhandlungen zu verfolgen.
  • 140:32 - 140:34
    Das heisst, der Süden ...
  • 140:36 - 140:39
    ... ist nicht umfassend informiert.
  • 140:39 - 140:42
    Ein Botschafter
    aus dem Süden sagte einmal:
  • 140:42 - 140:46
    „Die WTO ist wie ein Multiplex-Kino.
  • 140:46 - 140:49
    Man muss sich
    für einen Film entscheiden."
  • 140:51 - 140:56
    Also wählen sie das aus, was ihnen
    für ihr Land wichtig erscheint.
  • 140:56 - 140:59
    Wer entscheidet also wirklich?
  • 140:59 - 141:03
    Man spricht von einem Konsens.
    In der WTO wurde noch nie abgestimmt.
  • 141:04 - 141:06
    Ein Botschafter der USA sagte mal,
  • 141:06 - 141:09
    eine Abstimmung wäre
    ein schlechter Präzedenzfall.
  • 141:10 - 141:12
    So viel zum Thema Demokratie.
  • 141:13 - 141:17
    In Wahrheit
    hat die Vierer-Gruppe das Sagen:
  • 141:17 - 141:22
    Kanada, die USA,
    die Europäische Union und Japan.
  • 141:22 - 141:28
    Sie treffen sich ständig,
    haben sehr viel Personal bei der WTO
  • 141:28 - 141:31
    und finden ihren eigenen Konsens.
  • 141:32 - 141:36
    Dann kommen sie
    in die Plenarsitzung und sagen:
  • 141:36 - 141:38
    „lhr seid doch einverstanden, oder?"
  • 141:40 - 141:44
    Es ist sehr schwer
    für die Länder des Südens,
  • 141:45 - 141:49
    Nein zu sagen.
    Das erfordert viel Mut und Überzeugung.
  • 141:49 - 141:53
    Denn die Druckmittel gegen sie
    sind vorhanden.
  • 141:54 - 141:59
    Da darf man sich nichts vormachen:
    Wenn Sie vom IWF abhängig sind
  • 141:59 - 142:03
    oder wenn Sie Probleme
    mit den USA haben,
  • 142:03 - 142:07
    dann dürfen Sie nicht allzu sehr
    aus der Reihe tanzen.
  • 142:08 - 142:13
    Gewiss sind die Finanzmärkte
    und die Institutionen von Bretton Woods
  • 142:13 - 142:15
    zu den privilegierten Instrumenten
  • 142:16 - 142:19
    des neoliberalen
    Eroberungsfeldzuges geworden.
  • 142:19 - 142:23
    Aber es gibt noch immer Länder,
    die sich hartnäckig weigern,
  • 142:23 - 142:26
    sich diesem erzwungenen
    Markt hinzugeben.
  • 142:27 - 142:31
    Und genau dann wirft der Kolonialismus
    seine neuen Kleider ab
  • 142:31 - 142:35
    und präsentiert sich
    in seiner alten Kriegsmontur.
  • 142:35 - 142:39
    Angefangen beim
    auseinanderbrechen Jugoslawien
  • 142:39 - 142:43
    über den Darfur-Konflikt
    bis hin zum Afghanistankrieg:
  • 142:43 - 142:46
    Die Konflikte aus der Zeit
    nach dem Kalten Krieg
  • 142:46 - 142:50
    werden von
    ganz anderen Interessen bestimmt,
  • 142:50 - 142:53
    als es uns die westliche Propaganda
  • 142:53 - 142:58
    unter der Überschrift eines „neuen
    militärischen Humanismus" darlegt.
  • 142:58 - 143:02
    Die Kontrolle von Ressourcen,
    aber auch von Geldflüssen
  • 143:02 - 143:05
    und von geostrategischen Räumen,
  • 143:05 - 143:11
    sowie das Diktat des IWF,
    der Weltbank und der WTO
  • 143:11 - 143:15
    festigen die Herrschaft
    der grossen Konzerne
  • 143:15 - 143:20
    und der Grossanleger
    über den gesamten Planeten.
  • 143:20 - 143:25
    Zudem haben die von den Eroberern
    eingesetzten Kolonialregierungen
  • 143:25 - 143:30
    die Dogmen der neoliberalen Ideologie
    zügig umgesetzt.
  • 143:30 - 143:34
    Die Einkesselung ist vollführt.
  • 143:35 - 143:35
    10. NEOLIBERALISMUS
    ODER NEOKOLONIALISMUS?
  • 143:35 - 143:43
    10. NEOLIBERALISMUS
    ODER NEOKOLONIALISMUS?
  • 143:43 - 143:50
    DIE DRUCKAUSÜBUNG
    DURCH DEN MILITÄRISCHEN HUMANISMUS
  • 143:51 - 143:52
    ODER
  • 143:53 - 143:58
    „KRIEG IST FRIEDEN"
  • 144:02 - 144:05
    Das Abkommen von Dayton wurde 1995
  • 144:05 - 144:08
    auf einer US-Militärbasis unterzeichnet.
  • 144:08 - 144:13
    Wenn man
    die Texte des Abkommens durchsieht,
  • 144:13 - 144:16
    taucht da die Verfassung
    von Bosnien-Herzegowina
  • 144:17 - 144:20
    im Anhang des Dayton-Abkommens auf.
  • 144:20 - 144:26
    Sie wurde von amerikanischen Beratern
    und Rechtsanwälten geschrieben.
  • 144:26 - 144:31
    Die versammelten sich und verfassten
    ein so wichtiges Dokument,
  • 144:31 - 144:35
    und zwar ohne
    eine Verfassungsgebende Versammlung
  • 144:35 - 144:37
    der Bürger in Bosnien-Herzegowina.
  • 144:38 - 144:41
    Und in dieser Verfassung,
  • 144:41 - 144:46
    die von den Vereinigten Staaten
    aufgesetzt wurde,
  • 144:47 - 144:51
    gibt es diesen Artikel:
  • 144:52 - 144:55
    Die Zentralbank von Bosnien-Herzegowina
  • 144:55 - 144:59
    fungiert nicht als Zentralbank,
  • 144:59 - 145:02
    sondern als Ausgabestelle,
  • 145:03 - 145:07
    Currency Board genannt,
    also eigentlich eine Kolonialbank,
  • 145:08 - 145:11
    die keine Möglichkeit
    zur Geldschöpfung hat.
  • 145:12 - 145:17
    Das heisst, sie ist ihren externen
    Gläubigern völlig ausgeliefert.
  • 145:17 - 145:22
    Das ist das Modell,
    das es zur Zeit in Argentinien gibt.
  • 145:22 - 145:28
    Zudem besagt diese in Dayton entstandene
    Verfassung von Bosnien-Herzegowina,
  • 145:29 - 145:32
    dass der Internationale Währungsfonds
  • 145:33 - 145:37
    den Präsidenten der Zentralbank
    von Bosnien-Herzegowina ernennt.
  • 145:37 - 145:39
    Dieser darf ...
  • 145:41 - 145:46
    ... kein Bürger Bosnien-Herzegowinas
    oder eines Nachbarlandes sein.
  • 145:46 - 145:50
    Mit anderen Worten:
    Man sieht, dass diese Verfassung,
  • 145:51 - 145:53
    die einfach angefertigt wurde
  • 145:53 - 145:58
    und die keine bürgerliche Grundlage
    in Bosnien-Herzegowina hat,
  • 145:58 - 146:01
    eine Kolonialregierung einrichtet.
  • 146:02 - 146:07
    So nennen wir das natürlich nicht.
    Es ist die Internationale Gemeinschaft.
  • 146:07 - 146:11
    Aber letzten Endes sieht man,
    dass alle ...
  • 146:11 - 146:17
    ... dass alle Verwaltungsstrukturen
    von Ausländern beherrscht werden.
  • 146:17 - 146:19
    Ausländer bestimmen über die Etats,
  • 146:19 - 146:23
    eine Währungspolitik
    gibt es erst gar nicht.
  • 146:26 - 146:30
    Und trotzdem wird
    das Abkommen von Dayton heute
  • 146:30 - 146:35
    von der sogenannten
    Internationalen Gemeinschaft
  • 146:35 - 146:39
    als Antwort auf die Probleme
    verschiedener Länder präsentiert.
  • 146:39 - 146:44
    Sie wollen sogar
    dasselbe Modell für die Verwaltung,
  • 146:47 - 146:50
    eine Kolonialverwaltung,
  • 146:51 - 146:55
    in Ländern wie Mazedonien
    oder Jugoslawien einsetzen.
  • 146:55 - 147:01
    Eigentlich sprechen wir über ein Mosaik,
    ein Mosaik von Protektoraten.
  • 147:02 - 147:05
    „Militärischer Humanismus"
    ist ein schöner Begriff,
  • 147:05 - 147:12
    der Nötigung, Eroberung
    und Unterdrückung verschleiern soll.
  • 147:12 - 147:17
    Aber das einzig Neue ist der Begriff.
    Wenn man in die Geschichte blickt,
  • 147:17 - 147:22
    dann wurden Eroberungen, Imperialismus,
    Unterdrückung und Gewalt
  • 147:23 - 147:26
    fast immer
    in humanistische Worte gefasst.
  • 147:26 - 147:30
    Die Franzosen verwirklichten
    eine „zivilisatorische Mission",
  • 147:30 - 147:35
    während ihr Kriegsminister
    zum Völkermord in Algerien aufrief.
  • 147:35 - 147:41
    Die Briten brachten den Barbaren
    in Indien selbstlos die Zivilisation,
  • 147:41 - 147:44
    wobei sie dann das weltweit
  • 147:44 - 147:49
    grösste Drogenimperium schufen,
    um auf chinesische Märkte vorzustossen,
  • 147:49 - 147:51
    während sie von Freihandel redeten.
  • 147:51 - 147:54
    In den USA heisst das
    „American exceptionalism".
  • 147:54 - 147:57
    Wir sind so edelmütig,
    keiner ist wie wir.
  • 147:57 - 148:02
    Jedes andere mächtige System
    behauptet dasselbe von sich.
  • 148:03 - 148:08
    Aus der Zeit, als die Japaner
    die Mandschurei in Nordchina eroberten,
  • 148:08 - 148:11
    gibt es Dokumente,
    denn sie wurden ja erobert,
  • 148:11 - 148:15
    die nur so
    vor humanistischer Rhetorik strotzen.
  • 148:15 - 148:21
    Sie würden ein Paradies auf Erden
    erschaffen und Japan sei so selbstlos ...
  • 148:22 - 148:25
    ... sich für das Wohl
    anderer Menschen aufzugeben.
  • 148:25 - 148:31
    Es gab da vor Kurzem einen interessanten
    Artikel in The Globe and Mail,
  • 148:31 - 148:35
    von einem russischen Emigranten,
    der Soldat in Afghanistan war.
  • 148:36 - 148:40
    Er lebt heute in Kanada und verglich ...
  • 148:40 - 148:46
    ... die Beschreibung
    der russischen Invasion in Afghanistan
  • 148:46 - 148:50
    mit jener der US-Invasion
    im Irak und in Afghanistan,
  • 148:50 - 148:54
    am Beispiel kanadischer Truppen
    in Afghanistan: nahezu dasselbe.
  • 148:54 - 148:57
    Er war selbst Soldat,
    und alle glaubten daran,
  • 148:57 - 149:01
    dass sie den armen Menschen
    in Afghanistan helfen würden,
  • 149:01 - 149:06
    dass sie, bedrängt von den
    vom ClA ausgebildeten Terroristen,
  • 149:06 - 149:09
    sich für medizinische
    Versorgung einsetzten,
  • 149:09 - 149:11
    für Frauenrechte und so weiter.
  • 149:11 - 149:15
    Und sie schafften es nicht
    wegen der enthemmten Terroristen,
  • 149:15 - 149:17
    was ja zum Teil auch stimmt.
  • 149:18 - 149:20
    Aber das ist etwa die Art,
  • 149:21 - 149:24
    wie Kanada seine Mission
    in Afghanistan beschreibt,
  • 149:25 - 149:29
    wie die Irak-Mission beschrieben wird.
    Das ist beinahe universell.
  • 149:29 - 149:32
    Jetzt heisst es
    „militärischer Humanismus".
  • 149:32 - 149:35
    Der Neoliberalismus
    soll reine Wirtschaft sein,
  • 149:35 - 149:39
    aber wenn man genau hinsieht,
    wird klar, dass es ein Machtspiel
  • 149:40 - 149:43
    der multinationalen Konzerne
    und einiger Staaten ist,
  • 149:43 - 149:46
    die sich für deren Interessen einsetzen.
  • 149:48 - 149:52
    Eigentlich ist es Neokolonialismus,
    es heisst lediglich anders.
  • 149:53 - 149:55
    Das zieht sich durch die Geschichte.
  • 149:55 - 149:58
    Hätten wir Dokumente
    von Attila, dem Hunnen,
  • 149:59 - 150:02
    wären sie wahrscheinlich
    voll von tugendhafter Rhetorik.
  • 153:26 - 153:27
    BABELFISCH TRANSLATIONS
    Untertitel: Melanie Molnàr
  • 153:28 - 153:32
    Ripped & srt:
    Tokadime
Title:
L'Encerclement - La démocratie dans les rets du néolibéralisme
Video Language:
French
Duration:
02:33:30

German subtitles

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