DIE EINKESSELUNG
Die Demokratie
in den Fängen des Neoliberalismus
1 . EINLEITUNG
In den 30er Jahren
galten Regime als totalitär,
wenn es Regime
mit nur einer Partei waren,
in denen die Partei den Auftrag hatte,
alle Aktivitäten innerhalb
der Gesellschaft zu kontrollieren.
Egal, ob es um Politik, Wirtschaft,
Gesellschaft oder Kultur ging,
der Staat lenkte alles.
Als bedauerliche Beispiele hierfür
kennen wir den Faschismus,
den Nazismus und den Stalinismus
als totalitäre Regime
mit einer allmächtigen Partei.
Heute leben wir in einer Demokratie,
jedoch stellen wir fest,
dass es statt einer Einheitspartei
ein Einheitsdenken gibt
und dass die Vertreter
dieses Denkens meinen,
dass es nur eine Lösung,
nämlich die, die der Markt uns vorgibt,
in Bezug auf alle
gesellschaftlichen Aktivitäten gibt.
Das heisst, ganz gleich,
um welche Bereiche es geht,
Politik, Wirtschaft,
Gesellschaft, Kultur oder Sport,
der Markt soll alles bestimmen.
Wir sehen ja, wie der Markt heutzutage
in alle gesellschaftlichen
Räume eindringt,
vergleichbar mit einer Flüssigkeit,
die überall hingelangt.
Daher können wir heute
von „globalitären" Regimen sprechen,
denn es gibt dieses Bestreben,
unseren verschiedenen Problemen mit
einer Art Einheitslösung zu begegnen.
Ich habe „La pensée unique" geschrieben,
im Jahre 1995,
als der Mehrheit unserer Mitbürger
noch nicht richtig bewusst war,
dass wir schlussendlich
in eine Ideologie abgeglitten
und nun in ihr versunken waren.
Diese Ideologie würden wir heute
als neoliberal bezeichnen.
Der Neoliberalismus
ist zwar ein ökonomisches Konzept
oder eine Reihe
von ökonomischen Prinzipien,
aber eigentlich ist er ein ideologisches
Joch, das wir nicht wahrnehmen.
Das war es, was ich zunächst
aufzuzeigen versucht habe,
indem ich beschrieb,
worum es letztlich geht:
Der Neoliberalismus
vertritt eine Reihe von Prinzipien,
vor allem das
der unsichtbaren Hand des Marktes,
die fast alles regelt, ohne dass
Staat und Bürger sich einmischen.
Der Markt soll sich entfalten.
Zu den Prinzipien
gehört auch Deregulierung.
Alles ist zu reguliert,
der Staat ist zu präsent,
es geht um weniger Staat.
Ausserdem wird das Kapital
über die Arbeit gestellt.
Das Kapital ist immer zu bevorzugen.
Und es soll privatisiert werden,
da der Einflussbereich
des Staates minimal
und der des Privaten maximal sein soll.
Der Freihandel soll gefördert werden,
denn Handel heisst Entwicklung.
Beides wurde im Prinzip gleichgesetzt.
Kurz gesagt:
Ich habe versucht aufzuzeigen,
dass diese Prinzipien nicht neu sind.
Sie wurden seit 1944 entwickelt,
seit der Konferenz von Bretton Woods,
die den IWF und die Weltbank
ins Leben rief.
Sie bestimmen die Arbeit des IWF
seit den 60er und 70er Jahren,
also die „Strukturanpassung"
in den Ländern des Südens,
in manchen Ländern bekannt
als „Washington Consensus".
Dabei geht es um die Senkung
der Staatsausgaben um jeden Preis,
die Vermeidung
von Haushaltsdefiziten und Inflation,
die Reduzierung der Zahl der Beamten
sowie der Ausgaben für Gesundheit
und Bildung auf ein Minimum.
Der Staat soll
derartige Ausgaben nicht tätigen.
Viele Länder des Südens
haben darunter natürlich sehr gelitten.
Das habe ich dargelegt. Und wenn
man das alles zusammennimmt,
dann handelt es sich um eine Ideologie.
Damals stand Frankreich
kurz vor den Präsidentschaftswahlen,
die im Mai darauf stattfanden.
Ich schrieb, dass wir es heute
mit dieser Ideologie zu tun haben,
mit diesem Einheitsdenken,
das an eine Einheitspartei erinnert.
„Privatisierung von Links"
Kurz nach dem Fall
des Eisernen Vorhangs erlebt der Westen
bei den meisten linken Parteien
eine Neuorientierung nach rechts,
angefangen bei der britischen
Labour Party über die deutsche SPD,
bis hin zum Parti Québécois,
die alle eine „Reform", einen „Umbau"
oder eine „Modernisierung"
des Staates anstreben,
was sich unverändert
in der Umsetzung
einer neoliberalen Politik äussert.
In Frankreich privatisiert
Lionel Jospins sozialistische Regierung
von 1997 bis 2002
zirka zehn grosse staatliche Unternehmen.
Das entspricht der Anzahl
der Privatisierungen
durch rechte Regierungen
vor oder nach diesem Zeitraum.
Wie aber ist es
der neoliberalen Ideologie gelungen,
bis in sogenannte „sozialistische"
Parteien vorzudringen?
Und woher kommt sie überhaupt?
2. DIE URSPRÜNGE
Generalstreik in Winnipeg, 1919
Der Neoliberalismus
entstand in einem speziellen
intellektuellen
und institutionellen Umfeld.
Von 1914 bis 1945 erlebt
der Kapitalismus
eine beispiellose Krise.
Es war eine materielle Krise.
In den 20er Jahren erstarkt der
Kapitalismus im Zuge des Wiederaufbaus.
Dann führt die Grosse Depression
zu Entlassungen, Firmenpleiten
und politischem Chaos.
Das liberale Credo wird abgelöst
von Forderungen nach
Wirtschaftsplanung, Dirigismus
und einem Misstrauen
gegenüber dem Laissez-faire.
Überall gab es Rufe
nach mehr staatlicher Intervention
zur Lenkung der Wirtschaft.
Dem folgen konkrete Massnahmen,
in den „Diktaturen" gleichermassen
wie in demokratischen Staaten.
Da gab es
den sowjetischen Fünfjahresplan
oder den New Deal in den USA
unter der
National Recovery Administration
und ähnlichen Strukturen.
In Deutschland war es
das Reichswirtschaftsministerium,
in Italien
das Ministerium der Korporationen,
in Frankreich das Ministerium
für nationale Wirtschaft,
ein mit dem Front Populaire
aufgekommenes Novum.
Kommunistische Demonstration,
Berlin, 1929
Wichtig für das neoliberale Netzwerk
in Frankreich
war die Gründung des Verlages
„Les éditions de la Librairie
de Médicis" im Jahr 1937.
Dieser Verlag wurde von
Marie-Thérése Génin gegründet,
was in dieser Männerdomäne
ungewöhnlich war.
Sie war verbunden mit dem führenden
Arbeitgebervertreter Marcel Bourgeois.
Er bewegte sie
zur Gründung eines Verlages,
der Texte von Intellektuellen
für Intellektuelle veröffentlichte.
Dort erschien „La cité libre"
von Walter Lippmann
als Vorbote des Lippmann-Kolloquiums,
aber auch Texte
von Hayek, Rueff oder Ludwig von Mises.
Zwischen 1937 und 1940
waren es über 40 Texte,
darunter die Protokolle
des Lippmann-Kolloquiums
im Internationalen Institut
für geistige Zusammenarbeit.
An seine Stelle trat später die UNESCO.
Der Rahmen
war also ziemlich offiziell.
Es gab 26 Teilnehmer,
deren wichtige Rolle
rückblickend deutlich wird:
Friedrich Hayek gewann später
den Wirtschaftsnobelpreis,
Robert Marjolin ist einer der
Architekten des vereinten Europas.
Anwesend waren auch die Begründer
der Sozialen Marktwirtschaft,
Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke,
de Gaulles Finanzberater Jacques Rueff
sowie Stefan Possony, der Urheber
von Reagans „Star-Wars-Programm".
Damals waren diese Leute
natürlich weniger bekannt.
Das Kolloquium dauerte vier Tage,
und dabei ging es
um den möglichen Beitrag des
Liberalismus zur Krise der 30er Jahre,
um Möglichkeiten für seine Erneuerung
und um eine weltweite Opposition
gegen Planwirtschaft und Sozialismus.
Bereits auf dem
Walter-Lippmann-Kolloquium trifft sich
die Vorhut des bevorstehenden Kampfes
der Neoliberalen.
Unter den erbittertsten Gegnern
des Kollektivismus
heben sich Friedrich von Hayek
und Ludwig von Mises besonders hervor.
Hayek und von Mises vertreten eine
spezielle Strömung des Neoliberalismus,
die Österreichische Schule.
Der von ihnen vertretene Liberalismus
gibt dem Staat nur minimale Befugnisse.
Den Ausdruck „Minimalstaat"
griffen ihre Anhänger häufig auf.
lhre Konzepte
wichen etwas voneinander ab.
Die Liberalen vertuschen oft
ihre verschiedenen Ansichten.
Aber es gab auch Gemeinsamkeiten:
Beide sahen die Wirtschaftslehre
nur als Teil ihres Schaffens an.
Für von Mises war sie Teil
der Lehre vom menschlichen Handeln.
Und Hayek kam bald
von der reinen Ökonomie
zur Psychologie, zur Hirnforschung,
zur Politik und zur Rechtslehre.
Die Wirtschaftslehre
war ihre Ursprungsdisziplin,
aber sie umfasst
nicht alle Humanwissenschaften.
Dann hatten beide ein besonderes
Verständnis von Ökonomie.
Die Österreichische Schule
ist sehr unsachlich:
Es gibt weder Statistiken
noch Zahlenangaben,
sondern lediglich Axiome.
Man geht von
„idealtypischen" Situationen aus
und betrachtet,
wie ein rationales Individuum
zwischen bestimmten Dingen wählt,
zwischen Arbeit oder Freizeit,
schlafen oder sich bereichern,
anhand von Bildern à la Robinson Crusoe
auf der einsamen Insel.
Die dritte, für das Verständnis
dieser Bewegung wichtige Gemeinsamkeit
ist das Verständnis von geistiger Arbeit
und deren Rolle im Sozialismus.
Hayeks und von Mises Denken
war elitär und aristokratisch:
„Die grosse Mehrheit denkt nicht nach."
Diesen Satz findet man in
von Mises Buch „Die Gemeinwirtschaft".
Nur ein paar Intellektuelle
denken für alle anderen.
Die Intellektuellen
müssen also in Ruhe denken,
um ein Gegengewicht
zum Sozialismus zu bilden,
den andere Intellektuelle
erfunden haben.
Er wurde dem Volk von diesen
Intellektuellen in den Kopf gesetzt.
Die Intellektuellen
spielen also bei sozialen,
politischen und wirtschaftlichen
Umbrüchen eine grosse Rolle.
Aus diesem Grund entstand auch
die Mont-Pélerin-Gesellschaft.
Der Krieg setzt dem Kampf
der Neoliberalen vorläufig ein Ende.
Das Internationale Forschungszentrum
zur Erneuerung des Liberalismus (CIRL),
das nach dem Lippmann-Kolloquium
gegründet wurde,
löst sich
nach nur einjährigem Bestehen auf.
Doch direkt nach Kriegsende
führt von Hayek sein Werk fort.
Er lädt mehrere Befürworter
einer Umgestaltung des Liberalismus
zu einem für die neoliberale Bewegung
zukunftsweisenden Treffen ein.
Das Treffen von Mont Pélerin fand ...
... vom 1. bis 10. April 1947 statt,
im Hôtel du Parc
nahe Vevey in der Schweiz.
Das Treffen hatte
die ausdrückliche Zielsetzung,
liberale Intellektuelle
aus Europa und Amerika zu vereinen
und eine internationale Organisation
zur Liberalismusförderung zu gründen.
Hayek nahm bereits
zwei Jahre zuvor Kontakt
zu den Teilnehmern
des Lippmann-Kolloquiums
und zu einigen Briten
und Amerikanern auf.
Diesen Kreis lädt er dann
nach Mont Pélerin ein,
dem namensgebenden Ort
für die Gesellschaft.
Beim ersten Treffen
waren es 39 Teilnehmer,
darunter wieder
wichtige Persönlichkeiten:
die drei späteren Nobelpreisträger
Milton Friedman,
George Stigler und Maurice Allais.
Es kamen Autoren politischer
oder philosophischer Essays,
Karl Popper und Bertrand de Jouvenel,
und Leute mit politischem Einfluss
in ihrem Land,
etwa die Deutschen
Wilhelm Röpke und Walter Eucken,
die für die Soziale Marktwirtschaft
von Bedeutung waren.
Es wurde dann über relativ
allgemeine Themen diskutiert,
wie Christentum und Liberalismus,
die Wettbewerbsordnung,
die mögliche Gründung
eines europäischen Wirtschaftsverbandes.
Dies dauerte mehrere Tage.
Hayek wollte eine flexible Struktur,
die nur hinzu gewählte
Mitglieder aufnimmt,
ohne Büro und mit einer
in Illinois hinterlegten Satzung
mit zweijährlichen Treffen
an wechselnden Orten.
Diese abstrakte Struktur
sprach jene Intellektuellen an,
die den Liberalismus als eine vorrangig
an sie gerichtete Doktrin ansahen.
3. IM HERZEN
DES NEOLIBERALEN NETZWERKS
DlE THINKTANKS
Die Mont-Pélerin-Gesellschaft
ist kein Thinktank,
sondern eine Art Akademie für Liberale.
Dennoch gibt es eine Art Arbeitsteilung
zwischen dieser Gesellschaft,
die nur die renommiertesten
Liberalen aufnimmt,
und den nationalen Aktivitäten
ihrer Mitglieder,
wie zum Beispiel die Gründung
von Verbänden oder Thinktanks.
So gibt es in Frankreich seit den 60ern
den Verband für wirtschaftliche Freiheit
und sozialen Fortschritt als
französische Sparte von Mont Pélerin.
Dessen Mitglieder kommen aus der Politik
und aus Arbeitgeberkreisen.
Dadurch werden
auch Gruppen einbezogen,
die nicht im intellektuellen Milieu
angesiedelt sind.
Ein anderes Model sind Thinktanks,
die Mont Pélerin oft hervorbrachte.
Da wären
das Institute of Economic Affairs,
das 1955 in England gegründet wurde,
oder die 1973 in den USA
gegründete Heritage Foundation,
die den Republikanern nahesteht.
Und diese Thinktanks
beschäftigen eine Reihe von Leuten,
die Mitteilungen schreiben oder
ganze Gesetzesentwürfe verfassen lassen,
die sie dann an Politiker
und Journalisten weitergeben,
um zur Bildung einer liberalen
öffentlichen Meinung beizutragen.
Heute gibt es
Hunderte solcher Thinktanks,
die man nur noch
schwer überblicken kann.
Einige von ihnen,
wie die Atlas Foundation,
sollen Thinktanks an sich fördern,
indem sie „Handbücher" für den
Aufbau eines Thinktanks verteilen.
Das nimmt verschiedene Formen an.
Manche Gruppen
bilden sich um einen Autor,
wie das Hayek Center.
Beim Ludwig von Mises Institute
dreht sich alles um dessen Werk.
Andere Gruppen beschäftigen sich
mit bestimmten Themen
wie Umwelt, Aussenpolitik
und dergleichen.
Das Mass an Qualität und Macht dieser
Thinktanks ist unterschiedlich gross.
Ein starker Thinktank
vereint in sich Intellektuelle,
Unternehmer und hat eine Verankerung
in den konservativen Parteien.
Ein solcher Thinktank
wäre das Center for Policy Studies
von Keith Joseph,
das Margaret Thatcher förderte
und sie dabei unterstützte,
die Konservative Partei
in den 70er Jahren umzugestalten.
Diese Organisation arbeitet
an der Nahtstelle der drei Milieus.
Ein rein intellektueller Thinktank,
der sich allgemein
mit Liberalismus befasst,
hat meist nur wenig Einfluss
auf politische Debatten.
Nationaler Industriellenverband
Von Mises und Hayek
waren auch deshalb erfolgreich,
weil sie den führenden
Arbeitgebervertretern sehr nahestanden.
Von Mises war in den USA verbunden mit
der Foundation for Economic Education
und dadurch mit Arbeitgebern.
Hayek liess sich in Chicago
von amerikanischen Unternehmern
finanzieren,
die eine auf Amerika bezogene Version
von „Der Weg zur Knechtschaft" wollten.
Diese Intellektuellen
bekamen mehr Macht,
als sie sich mit einflussreichen
Leuten zusammenschlossen.
Hayeks Werk
mag etwas Utopisches beinhalten,
aber es ist die Utopie der Mächtigen,
nicht die der Benachteiligten.
Finanziert durch Konzerne
und grosse Privatvermögen,
profitieren
die neoliberalen Thinktanks sehr oft
vom Status
gemeinnütziger Organisationen.
Die grosszügigen Spender haben somit
Anspruch auf Steuerminderungen.
Dennoch schreibt das Gesetz vor,
dass gemeinnützige Organisationen
nicht politisch tätig sein dürfen.
1989 wurde Greenpeace der Status
einer gemeinnützigen Organisation
von der Kanadischen Regierung
aberkannt.
Die kanadische Steueraufsicht befand,
dass diese NGO nicht immer
im öffentlichen Interesse handele.
Sie trage dazu bei,
„Menschen durch die Forderung
nach Abschaffung umweltschädlicher
Industrien in Armut zu stürzen."
Jedoch wurde bisher
bei keinem liberalen Thinktank
mit gemeinnützigem Status
derartig eingegriffen.
Bei ihrer Jahreserklärung
vor der Kanadischen Regierung
bekunden diese „unparteiischen"
Forschungsinstitute feierlich,
„weder die öffentliche Meinung
beeinflussen noch die Änderung
eines Gesetzes oder einer
politischen Linie bewirken zu wollen."
Es gab immer
rechtsgerichtete Thinktanks,
aber das Phänomen nahm erst in den
frühen 70ern bedeutende Ausmasse an.
Das war Teil
einer sehr breiten Reaktion ...
... auf den Aktivismus der 60er,
der die Eliten in Angst versetzt hatte.
Denn er demokratisierte die Gesellschaft,
und das missfiel ihnen natürlich.
Der deutlichste Ausdruck
von liberalen
internationalistischen Ansichten
war eine Studie
der Trilateralen Kommission,
die liberale Internationalisten
aus Europa, den USA und Japan vereint.
Drei starke Regionen.
Sie erschien 1974
und hiess „Die Krise der Demokratie".
Darin hiess es, dass die Länder
zu demokratisch werden.
Das nannte man
„ein Übermass an Demokratie".
Menschen, die eigentlich
passiv und apathisch waren,
wurden aktiv und stellten Forderungen.
Das waren
„besondere Interessengruppen",
wie Frauen, junge Leute, alte Leute,
Bauern, Arbeiter,
also das ganze Land.
Nur eine Gruppe wurde nicht dazugezählt:
die Privatwirtschaft.
Sie lenkte ja die Welt und das Land,
war also von „nationalem Interesse".
Aber der Rest der Bevölkerung
wurde einfach zu aktiv,
in der Studentenbewegung,
in der Frauenbewegung,
in Umweltfragen.
Diese Zeit ...
... hatte eine sehr zivilisatorische
Wirkung auf die Gesellschaft.
Sie veränderte viel
und das war beängstigend.
Es gab heftige Gegenreaktionen.
Die Trilaterale Kommission rief
zu einer Mässigung in der Demokratie auf:
Der Druck sei zu gross,
der Staat könne nicht allem nachkommen.
Die „Institutionen
zur Indoktrinierung der Jugend..."
Untereinander konnten sie ja offen sein.
Diese Institutionen also
sollten härter durchgreifen.
Die Presse sei ausser Kontrolle,
was Unsinn ist,
und vielleicht müsse
der Staat eingreifen.
Dies spiegelte das allgemeine Befinden
der liberalen Internationalisten
in der Welt,
also in Europa, den USA und Japan wider.
Deshalb sprach man auch
von der „Zeit der Unruhen".
Die wachsende Teilhabe an Demokratie
und Aktivismus war für sie ein Ärgernis.
Das rief an vielen Fronten
starke Reaktionen hervor.
Eine davon war die Erstarkung
von rechtsgerichteten Thinktanks,
die versuchten, den Tenor der Diskussion
zumindest innerhalb der breiten Masse
nach rechts zu verschieben.
Zugleich verstärkten die Unternehmen
ihre Lobbyarbeit,
um ihren Einfluss
auf die Gesetzgebung sicherzustellen.
„Wie kann der Markt
die Wahlmöglichkeiten
und die Freiheit des Einzelnen stärken?
Studentisches Seminar
des Fraser Institutes
zum Thema Politik
im öffentlichen Sektor,
in Kooperation mit dem
Wirtschaftsinstitut Montreal,
am Samstag, den 10.2.2001,
gefördert von den Spendern
des Fraser Institutes in Quebec."
Überlässt man das Monopol
auf die Ausübung von Druck
einer Kraft,
die wir Regierung nennen,
gibt es immer die Tendenz
zu einer unwissenden oder aber
missbräuchlichen Nutzung dieser Macht.
Und Macht neigt immer dazu,
weiter zu wachsen.
Deshalb möchte das Fraser Institute
untersuchen und untermauern,
wo die Grenzen
der Regierung liegen sollen
und wo die der privaten
Unternehmen liegen sollen,
also des freiwilligen
Austauschs zwischen Individuen.
Und genau das ist ...
... die Trennlinie
zwischen Zwang und Freiwilligkeit,
um die es in meinem
heutigen Vortrag gehen wird.
Sie werden auch andere Redner hören,
die an dem heutigen Seminar teilnehmen.
„Dinner-Konferenz der Foundation
for Economic Education in New York.
In seiner Präsentation
„Gesundet durch den Kapitalismus"
erklärt der Liberalismus-Experte,
wie unser gestiegener Lebensstandard
uns den „Luxus" gestattet,
zum Beispiel über Umweltfragen
nachzudenken."
Ich bin der Präsident der Foundation
for Economic Education in New York,
die 1946 gegründet wurde.
Damals war sie
die einzige marktorientierte,
klassisch-liberale
Organisation der Welt.
Seit dieser Zeit
sind andere hinzugekommen.
Aber uns gibt es seit 1946,
und unser Ziel ist die Heranführung
der Menschen an die Ideen
und Ideale einer liberalen,
dezentralisierten Gesellschaft,
die vom Privateigentum
und weniger vom Staat gesteuert wird.
Mir ging es gar nicht darum,
zu bestreiten,
dass der industrielle Kapitalismus
zu Umweltverschmutzung geführt hat.
Mir ging es darum,
dass diese Verschmutzung,
ganz gleich, als wie gravierend
man sie einschätzen mag,
in ein Verhältnis gesetzt werden muss
zu den Lebensumständen
in der Vergangenheit,
vor der Industrialisierung.
Gemessen an heutigen Standards
war das Lebensumfeld damals
extrem schmutzig,
ungesund und gefährlich.
Und zwar aufgrund von
natürlichen Schadstoffen,
mit denen es unsere Vorfahren
täglich zu tun hatten.
Viele von ihnen
sind durch sie umgekommen.
Das kapitalistische System
hat viele dieser Gefahren eliminiert
und die Konsequenzen
fast aller anderen Gefahren reduziert.
Ich sage nicht, dass es
keine Umweltverschmutzung gibt,
sondern dass wir den heutigen Zustand
mit dem damaligen vergleichen sollten,
wenn es darum geht,
ob man für den Kapitalismus ...
... oder gegen ihn ist.
Das Seminar wird nicht von der Regierung
sondern aus privater Hand finanziert.
Es ist ermutigend,
wenn Leute bereit sind,
in ihre Überzeugungen zu investieren.
Ich finde,
es gibt zu viele Leistungen,
wie die Arbeitslosenversicherung,
Gesundheit, Bildung,
die einem Monopol unterliegen,
nämlich dem der Regierung
als einzigem Anbieter dieser Leistungen.
Warum soll es da
keinen Wettbewerb geben?
Wir könnten bei der Bereitstellung
dieser Leistungen Wettbewerb zulassen.
Unsere Fürsorge
für die Armen könnte sich
dann in Beihilfen
zu diesen Leistungen äussern.
Es geht um die Abkopplung
der Produktion, die privat
und wettbewerbsorientiert sein soll,
von der Finanzierung,
die in Teilen staatlich sein könnte.
Ich spreche ungern von „Märkten",
denn Märkte existieren nicht
ohne den Staat.
Jeder Markt braucht Regeln.
Jeder Markt braucht
ein gewisses Mass an Zwang.
Ich spreche auch ungern
von Freiheit als einem Wert in sich.
Viele Menschen wollen keine Freiheit.
Ich hätte gern die Freiheit,
meine Machthaber selbst auszuwählen.
Was ich ...
... in meinen Vorträgen
zu erörtern versuche, ist,
wie wir ...
... eine Staatsform erlangen können,
in der wir die Art unserer Vertreter,
die Art der Zwänge selbst wählen können.
Wir alle müssen uns Zwängen fügen,
auch die überzeugtesten Libertäre.
4. KURZE ANTHOLOGIE
DES LIBERALISMUS
LIBERALISMUS
UND PUBLIC-CHOICE-THEORIE
Le Québécois Libre,
Leitartikel
„Was sollen die Libertäre tun?"
Der Libertarismus ging hervor
aus der klassischen
liberalen Philosophie.
Er betont die Freiheit des Individuums.
Ökonomisch gesehen
geht es um einen freien Markt,
politisch gesehen um einen Minimalstaat
mit minimalen Zwängen,
einer minimaler Regulierung,
der dem Individuum Raum gibt,
um sich zu entfalten
und freiwillige Beziehungen
zu anderen zu unterhalten.
Gesellschaftlich gesehen
ist dies das Gegenteil der Philosophien,
die eine soziale, religiöse oder
kulturelle Ordnung durchsetzen wollen.
Wenn sich freie Individuen
innerhalb eines Rahmens bewegen,
in dem Eigentum
und Individuum geschützt sind,
wird jeder Beziehungen auf
freiwilliger Basis unterhalten können.
Das erzeugt Harmonie
und keine Anarchie,
keinen „Raubtierkapitalismus",
in dem jeder gegen jeden kämpft.
Im Gegenteil,
man lässt den Menschen Raum
für freiwillige, friedliche Beziehungen
zu anderen Individuen.
Le Québécois Libre,
Leitartikel
Neoliberal, anarchistisch oder libertär?"
Der Libertarismus
ging hervor aus dem Liberalismus,
einer Philosophie, die sich im 17.
und 18. Jahrhundert entwickelt hat.
Er war eine Reaktion auf
die autoritären Monarchien von damals.
Der Liberalismus besagte:
Gegenüber dem Monarchen
braucht das Individuum mehr Freiheiten.
Daraus entwickelte sich
über die Jahrhunderte
der heutige Liberalismus,
der einen freien Markt propagiert.
Aber die Libertäre des 20. Jahrhunderts
heben sich etwas von den Liberalen ab,
da „liberal"
heute anders definiert wird.
In den USA ist ein Liberaler heute ...
... ein Sozialdemokrat oder ein Linker.
In Europa bedeutet „liberal" gemäss
der französischen Tradition „liberal".
Das ist etwas verwirrend.
Die Amerikaner als klassische Liberale
nannten sich seit den 20er
oder 30er Jahren „Libertäre",
in Abgrenzung zu den „liberals".
Auch die libertäre Philosophie
ist schlüssiger und radikaler
als der klassische Liberalismus,
nämlich in ihrer Forderung
nach einem Rückzug des Staates,
der nach Auffassung mancher Libertäre
komplett abgeschafft werden soll.
Dann würden sogar Armee,
Polizei und Justiz privatisiert.
Le Québécois Libre,
Leitartikel
„Umverteilung von Reichtum
ist unmoralisch."
In der heutigen Gesellschaft,
in der die Staatsausgaben
einem Anteil von 45 bis 55 Prozent
vom Bruttoinlandsprodukt entsprechen,
kontrolliert der Staat
das Gesundheits- und Bildungswesen
sowie verschiedene andere Bereiche.
Er subventioniert fast jeden.
Ein Grossteil der Bevölkerung ...
... lebt nur von der Umverteilung
von Reichtum.
Sie produzieren nichts, was auf
dem freien Markt nachgefragt wird,
sondern erhalten nur Geld vom Staat,
das dieser
von den Steuerzahlern einzieht.
Es gibt also sehr viele Leute ...
... die auf Kosten anderer leben.
Aus libertärer Sicht kann man
die Gesellschaft aufteilen in jene,
die produzieren und jene,
die auf Kosten anderer leben
und letztlich Parasiten sind.
Das klingt hart, trifft aber zu.
Man kann nicht für Eigenverantwortung
sein und so etwas vertreten.
Alle, die von anderen abhängig leben,
sind wirklich unverantwortlich.
Sie bringen nichts Nützliches hervor
und profitieren von staatlichen Zwängen,
also der Umverteilung des Reichtums
von einer Gruppe an eine andere.
Wenn man also Freiheit
und Verantwortung fördern will,
kann man diese Abhängigkeit grosser
Bevölkerungsteile nicht hinnehmen.
Die Public-Choice-Theorie besagt,
dass die Politik der Regierung
nicht vom Interesse
der Gemeinschaft bestimmt wird,
sondern von Einzelinteressen
verschiedener Gesellschaftsgruppen.
1986 gewinnt James M. Buchanan,
der geistige Vater dieser Theorie,
die die Ineffizienz des Staates beklagt
und eine Begrenzung der
Staatsausgaben predigt,
den Wirtschaftsnobelpreis.
Die Regierungen ...
Entgegen der Auffassung,
die hier bei uns verbreitet wird,
leben wir in Quebec
in einer etatistischen Kultur.
Wir sind so durchdrungen davon,
dass wir es gar nicht merken.
Aber es ist eine etatistische Kultur,
die ganz naiv ...
... davon ausgeht, dass der Staat
das Gemeingut maximiert.
Mit anderen Worten ...
Das ist eine Auffassung ...
Wie soll ich sagen? Das ist eine
komplette Verklärung des Staates.
Das hat mit der Realität nichts zu tun.
Wieso glauben wir,
dass unsere Regierungen,
so demokratisch,
wie sie zum Glück sind,
das Gemeingut maximieren?
Das tun sie nicht.
Regierungen gehorchen den Spielregeln,
die für sie gelten.
Und welche sind das?
Es ist der Wahlvorgang.
Das ist ja das Gute daran.
Was heisst das?
Das heisst zunächst ...
... dass wir oft das erleben werden,
was „Diktatur der Mehrheit" heisst.
Da die Politik in erster Linie
auf Mehrheiten angewiesen ist,
wird eine neu gewählte Regierung
zuerst die Mehrheit begünstigen.
Wenn diese Mehrheit
aber kleine und mittlere Einkommen hat,
dann heisst das, dass die Politik
den Reichtum zugunsten
dieser Mehrheit umverteilen wird.
Sie will ihn weder maximieren
noch das Wachstum ankurbeln.
Effizienz ist einer Regierung
kein grosses Anliegen.
Ihr erstes Ziel
ist die Umverteilung des Reichtums
an ihre Wähler, also an die Mehrheit.
Deshalb gibt es
umfassende Sozialsysteme.
Deshalb gibt es ...
... diese Vorliebe der Mehrheit,
wohlgemerkt der Mehrheit,
für staatliche Monopole
auf Gesundheit und Bildung.
Es ist weder Mitgefühl
noch das Anliegen,
den Reichtum zu verteilen,
was diesen Standpunkt bedingt.
Die Mehrheit lässt sich Dinge
von einer Minderheit bezahlen,
die ein etwas höheres Einkommen hat.
Darum geht es.
Es ist also ein grosser Schwindel
zu behaupten,
dass Mitgefühl der Grund ...
... für ein staatliches Gesundheits-
und Bildungswesen sei.
Die zweite Dimension ist die,
dass die Leute, also die Mehrheit,
eher unpolitisch sind.
In der Ökonomie
nennen wir das „rationale Ignoranz".
Es wäre doch dumm von uns ...
... uns viel Wissen
über Politik anzueignen,
über deren Auswirkungen auf uns,
abgesehen von ein paar Sonderfällen.
Wieso? Weil wir in der Vielzahl
der Wähler sowieso untergehen.
Ob wir informiert sind oder nicht,
ob wir klug wählen oder nicht,
ist am Ende egal.
Also werden alle
möglichst wenig unternehmen,
um Politik zu verstehen
und sich über sie zu informieren.
Viele kennen ja nicht mal
den Namen ihres Abgeordneten.
Sie wären nicht in der Lage zu erklären,
welchen Sinn
eine politische Massnahme für sie hat.
Es wäre, wie gesagt, mühsam,
sich zu informieren,
wenn der Einfluss, den man hätte,
eigentlich gleich null ist.
Also sind die Leute
apathisch, unpolitisch
und nehmen nicht an der Politik teil,
weil es sich nicht lohnt.
Das wiederum ebnet den Weg
für strategisch eingesetzte Gruppen,
also Interessengruppen.
Deshalb sind die so dominant.
Organisationen wie
der kanadische Gewerkschaftsbund
oder der Bund der Industrie
sind schon da.
Sie betreiben Politik,
Propaganda und Lobby-Arbeit.
Es kostet sie fast nichts,
weil sie bereits organisiert sind.
Das bedeutet,
dass politische Entscheidungen
von strategisch eingesetzten,
organisierten Gruppen bestimmt werden.
„Alle grossen Regierungen dieser Welt,
von damals wie von heute,
waren nichts als Diebesbanden,
deren Ziel die Plünderung,
Eroberung und Versklavung
ihrer Mitmenschen war.
lhre Gesetze, wie sie sie nennen,
sind lediglich Abmachungen,
die sie für nötig befanden,
um ihre Organisation zu erhalten
und um andere Menschen
gemeinschaftlich auszurauben,
sie zu versklaven
und um allen den verabredeten Teil
der Beute zu sichern.
Aus all diesen Gesetzen
ergeben sich nicht mehr Verpflichtungen
als aus Abmachungen, die Ganoven,
Banditen und Piraten schliessen."
Lysander Spooner
in: „Natural Law;
or the Science of Justice", 1882
Wenn wir die objektiven Fakten
betrachten, ist der Staat ...
... eine Zwangsinstitution. Er kann
Dinge nur durch Zwang durchsetzen.
Zum Beispiel ...
... besitzt unser Staat
das Monopol Hydro Québec.
Wenn ich mich entscheide,
Strom zu produzieren und zu verkaufen,
ausserhalb des Monopols,
dann bekomme ich dafür
nicht nur ein paar auf die Finger,
sondern ich muss ins Gefängnis,
wenn ich darauf bestehe,
etwas zu tun, das der Staat verbietet.
Der Staat greift mich also physisch an,
wenn ich etwas anbiete,
das der Staat, also dessen Vertreter,
zum Monopol erklärt hat.
Wenn der Staat
mir 50 Prozent meines Gehalts stiehlt ...
Es tut mir leid, aber niemand
hat mich gefragt, also ist es Diebstahl.
Da kann man noch so oft sagen,
dass wir Leute gewählt haben,
die das für uns entscheiden.
Die Demokratie
ist eine „friedliche" Form
von staatlichem Banditentum.
Ich habe nicht für die Wegnahme meines
Gehaltes gestimmt, andere wollen das.
Weil sie auf Staatskosten leben.
Der Staat nimmt mir etwas weg
und gibt es ihnen.
Demokratie ist also
keine richtige Freiheit.
Ich bin kein Anti-Demokrat,
der einen autoritären Staat will.
Wer etwas gegen Demokratie sagt,
gilt immer als Befürworter
eines autoritären Staates.
Aber ich bin für einen Staat,
der absolut nicht autoritär ist,
insoweit als er ...
... sein Handeln nicht
mit Demokratie rechtfertigt.
Individuelle und demokratische
Freiheit sind nicht dasselbe.
Wenn man Leute
demokratisch dazu ermächtigt,
uns Dinge wegzunehmen
oder aufzuzwingen,
ist das gegen die individuelle Freiheit.
Wenn man individuelle Freiheit will,
ist man nicht für mehr Demokratie,
sprich für eine
noch weitergehende Umverteilung
von gestohlenen Ressourcen.
Wir sind für einen
drastischen Rückzug des Staates,
damit die Individuen frei sind.
Sie sollen nicht entscheiden,
welchen Fuchs sie
in den Hühnerstall schicken,
sondern darüber,
was mit ihrem Eigentum passiert.
Die Anreize
in der Sozialpolitik sind falsch,
für die Armen und die Allgemeinheit.
Ich meine, bei uns gibt es
eine öffentliche Sozialwirtschaft
parallel zur
kapitalistischen Marktwirtschaft.
Die eine ist produktiv, die andere fusst
auf dem Modell der früheren UdSSR.
Sie schafft Anreize, die allen schaden.
Wir belohnen die Leute dafür,
dass sie nicht arbeiten.
Wir belohnen sie
für instabile Familienverhältnisse.
Durch Beihilfen
für alleinerziehende Mütter
fördern wir Geburten
ausserhalb der Familie.
Und wir belohnen die Armut,
so muss man es sagen.
Armut folgt denselben Regeln
wie alles andere auch:
Subventionen begünstigen die Armut,
denn die Leute finden Gefallen an ihr.
Das wurde in Ontario und in den USA
in den letzten fünf Jahren deutlich.
Dort hat man
den Zugang zu Beihilfen und staatlichen
Leistungen wirklich begrenzt.
Und die Zahl der Armen hat sich
innerhalb weniger Jahre halbiert!
Es gab kein Geld mehr,
die Bedingungen wurden geändert,
man zwang die Leute zu arbeiten,
wie auch immer.
Das heisst ...
... es gibt Mittel zur Förderung
der Wiedereingliederung der Leute
in die produktive Wirtschaft.
Anstatt sie in Sozialwohnungen
zu stecken, in Gettos,
in denen alle arm sind.
Gäbe man ihnen
Coupons oder Gutscheine,
mit denen sie Zugang zu Eigentum haben,
anstatt Arbeitslosigkeit
zu subventionieren ...
Auch die Arbeitslosenversicherung
subventioniert die Arbeitslosigkeit.
Wer nicht arbeitslos ist,
bekommt nichts.
Man könnte stattdessen
Sparfonds einrichten,
durch die sich die Menschen absichern,
steuerfrei, im Falle einer
Arbeitslosigkeit sogar bezuschusst.
Jeder würde also versuchen,
eine Arbeitslosigkeit zu vermeiden,
denn es ist das eigene Ersparte.
Jeder würde also
von seiner Sparsamkeit profitieren.
Vieles wäre denkbar.
Doch unsere Sozialpolitik
fördert die Entstehung einer Industrie
der Armut, der Abhängigkeit,
die dem Beamtenapparat,
der sie umgibt, zugute kommt.
Sie erzeugt
in der Gesellschaft Abhängigkeit,
aber auch politischen Zuspruch.
Allerdings ohne Langzeiteffekt.
Die Sozialpolitik
hat nirgends die Armut reduziert.
Das ist der Schluss, zu dem wir
in dieserAngelegenheit kommen.
„Wie die Sozialhilfe Kindern schadet"
Wir stellen fest ...
... dass Wachstum ...
In der Geschichte aller Länder
war das Wachstum der wirtschaftlichen
Erträge das Einzige,
was den Armen hilft.
Das ist eindeutig belegt.
Die einzige Variable,
durch die Armut reduziert wird,
und zwar in verschiedenen Ländern,
ist wachsender Wohlstand.
Die Sozialpolitik ist nutzlos.
Wessen Anliegen es also ist,
den Armen
und Unterprivilegierten zu helfen,
muss das Wachstum fördern.
Daraus folgt, dass alle,
die gegen den Freihandel sind,
im Namen der armen Länder
und im Namen der Armen in den Ländern,
unrecht haben,
sie schätzen das falsch ein.
Die Fakten sagen etwas anderes.
Die beste Hilfe ist der Freihandel,
da er die Einkommen steigen lässt.
Statistisch gesehen steigt das Einkommen
der Armen mit dem aller anderen.
Damit das passiert,
muss man die Wirtschaft öffnen.
Und ganz abgesehen ...
... von der Unterstützung der Armen
durch sinnvolle Massnahmen,
sehe ich ...
... keinen Grund
für die Umverteilung des Reichtums.
Die Regierungen verteilen jedoch
sehr viel Reichtum um,
zugunsten der Mittelschicht,
weil sie die entscheidende Kraft ist.
Doch die moralische Grundlage fehlt.
Die einzige soziale Gerechtigkeit
ist der Schutz der Eigentumsrechte.
Aus libertärer Sicht
gibt es kein Allgemeingut.
Es wurde erfunden, um staatliches
Eingreifen zu rechtfertigen.
Die Logik ist, dass es immer äussere
Faktoren gibt, wie etwa Verschmutzung.
Wir können nicht produzieren,
ohne dass Rauch entsteht,
ohne dass es Rückstände gibt,
die in den Fluss geleitet werden.
Der Grund dafür ist,
dass es etwa für Wasser
kein Eigentumsrecht gibt.
Flüsse sind öffentlich,
das heisst ...
... der Grund, wieso die Industrie
im 19. Jahrhundert ...
... die Flüsse verunreinigen durfte,
was sie noch bis vor Kurzem tat,
ist der, dass der Fluss
staatlicher Kontrolle unterlag.
Er war also eine staatliche Ressource.
Und der Staat erlaubte den Unternehmen,
ihn zu verschmutzen.
Hätte man den Fluss aber privatisiert
und hätte jeder der Eigentümer
befragt werden müssen,
ob er dem Unternehmen
das Einleiten von Rückständen erlaubt,
dann wäre das sicher nicht passiert.
Oder es wäre passiert, wenn die Firma
den wahren Preis dafür bezahlt hätte,
also wenn sie für die Erlaubnis
des Eigentümers hätte zahlen müssen.
Die Ressourcenverteilung
wäre ganz anderes gewesen.
Man hätte sich stärker bemüht,
andere Lösungen zu finden.
Die Unternehmen hätten
in „saubere" Technologien investiert
oder sich auf bestimmte Orte
zur Entsorgung geeinigt,
etwa bei jemandem, der die
Verschmutzung gegen Bezahlung zulässt.
Die Prioritäten bei der Produktion
wären anders angeordnet.
„Allgemeingut" ist also etwas,
das nur existiert, weil der Staat ...
... die Produktion verzerrt,
indem er die Umwelt verstaatlicht.
5. KRITIK
Liberalismus
stand einmal für Fortschritt.
Aber der klassische Liberalismus,
den Adam Smith vertrat,
der Begründer der Politischen Ökonomie,
hat wenig mit dem gemein,
was derzeit als „Liberalismus"
in dem Wort „Neoliberalismus" kursiert.
Das hat wenig miteinander zu tun.
Der war historisch gesehen
ein Fortschritt,
da er sich gegen
den königlichen Absolutismus wendete
und dem Individuum Rechte zusprach.
Zu diesen Rechten gehörte,
im Liberalismus von Locke und Smith,
das Recht auf privates Eigentum.
Das war ein Fortschritt.
Es ist nicht abwegig,
dass der Anarchismus
aus dem Liberalismus hervorging.
Der frühe Liberalismus
hatte etwas Radikales.
Angesichts
der „liberalen" Denker von heute
würde sich Adam Smith
im Grab umdrehen,
da er nicht wiedererkennen würde,
was heute als seine Theorie kursiert.
Nehmen wir das Privateigentum:
Wenn es aus Interaktionen resultiert,
deren Akteure
transnationale Konzerne sind,
dann ist das im Rahmen des
klassischen Liberalismus nicht denkbar.
Da wäre es ausgeschlossen,
dass private Tyrannen
wie GM oder Bombardier Rechte haben,
seien es Eigentumsrechte oder
über dem Menschen stehende Rechte.
Doch die Frage
der Eigentumsrechte ist schwierig.
Eine einfache Antwort gibt es da nicht.
Allerdings wären,
selbst im Rahmen des Liberalismus,
die aktuellen Praktiken der Akteure,
also der grossen Konzerne,
deren Rechte, im klassischen
Liberalismus nicht denkbar.
Wir müssen die Eigentumsrechte prüfen.
Ich folge dem klassischen Anarchismus:
Das Privateigentum an Produktionsmitteln
scheint mir unsinnig.
Aber das, was Proudhon „Eigentum"
nennt, ist sinnvoll und gesund.
Doch die heutige Liberalismus-
oder Neoliberalismus-Doktrin ist absurd.
Nehmen wir einmal an,
in unserer Welt könnte sich jemand
mit den Mitteln, durch die man sich
üblicherweise Eigentum verschafft ...
Nehmen wir an, ich würde mir
mit legalen Mitteln etwas aneignen,
was für das Leben
aller Menschen unabdingbar ist.
Sie könnten sterben
oder sich mir verkaufen.
Der Neoliberalismus sieht so etwas
als richtig an, aber es ist falsch.
Die Antwort ist nicht so einfach,
wie die Welt es uns weismachen will.
Die Frage bleibt schwierig.
Ich sage:
Produktionsmittel
sollten nicht privat sein,
aber Eigentumsrechte an Dingen,
die wir nutzen, sind gut.
Der Begriff
des „Neoliberalismus" ist seltsam.
Zunächst ist er nicht liberal.
In keiner Weise.
Und er ist auch nicht neu.
Die neoliberale Politik
im weitesten Sinne
hat die Dritte Welt geschaffen.
Blickt man zurück ins 18. Jahrhundert,
da waren die Zentren der Weltwirtschaft
vor allem Indien und China.
Das ist jetzt anders.
Die Kluft zwischen Arm und Reich
war bei Weitem nicht so gross wie heute.
Europa entwickelte sich,
zuerst England, dann die USA,
Deutschland, Italien ...
Und das geschah durch massive Verstösse
gegen neoliberale Prinzipien.
Starke Staaten,
direkte Eingriffe in die Wirtschaft usw.
Das war verheerend
für Indien und später China.
Genauso ergeht es
der heutigen Dritten Welt. Wieso?
Weil ihr die Marktprinzipien
aufgezwungen werden.
Das ist weithin bekannt.
Ein ernst zu nehmender
Wirtschaftshistoriker wie Paul Bairoch
legt dar, dass Protektionismus
und staatliche Intervention
die reichen Nationen entstehen liessen.
Er nennt das erzwungene Liberalisierung,
nicht Neoliberalismus.
Durch sie entstand die Dritte Welt.
Das erkannte man im 18. Jahrhundert.
Nehmen wir Adam Smith,
den alle verehren, aber keiner liest.
Wenn man ihn liest ...
Er war ja ein intelligenter Mann.
Jeder kennt die „unsichtbare Hand",
aber nur wenige kennen
den Ursprung des Begriffs.
Er verwendet ihn ein Mal
in „Der Wohlstand der Nationen".
Und es ist eine Kritik
an besagtem „Neoliberalismus".
Er bezog sich dabei
auf England und schrieb:
„Nehmen wir an,
dass Händler und Produzenten,
die das Land und die Politik steuern,
im Ausland investieren und
aus dem Ausland importieren wollen.
Dann ist das einträglich für sie,
aber schädlich für England."
Und aus mehreren Gründen,
sei es ihre Verbundenheit zu England,
Sicherheit oder was auch immer,
würden alle das verwerfen.
Daher würde,
wie durch eine unsichtbare Hand,
England von den Verwüstungen
des Neoliberalismus verschont bleiben.
Die Vorahnung stimmte,
die Argumente nicht.
David Ricardo,
ein anderer führender Ökonom,
sagte im Prinzip dasselbe.
Er erkannte ...
Nehmen wir das Standardbeispiel
Portugal und England.
Er sagte,
wenn britische Kapitalisten
in Portugal in Wein
und Textilien investieren wollten,
könnten sie profitieren,
aber, und das untergrub seine Theorie
vom komparativen Vorteil,
zum Schaden des englische Volkes.
Sie würden es also nicht tun.
Er nennt psychologische
und andere Gründe dafür,
Heimatliebe und dergleichen.
Doch die Erkenntnis stimmt.
Das erkannte man im 18. Jahrhundert,
und es hat sich bewahrheitet:
Die erzwungene Liberalisierung
war enorm schädlich.
Alle reichen Länder
würden sie für sich ablehnen.
Der Freihandel
ist ein sehr schönes Konzept.
Er kam im 18. Jahrhundert auf
und hat sich sicher verdient gemacht,
denn es ist logisch zu sagen:
Ihr müsst besser
und billiger produzieren
und mit anderen Handel treiben.
Anstatt Wein in England herzustellen,
kauft ihn in Portugal.
Dafür kaufen
die Portugiesen eure Wollstoffe.
Das war Ricardos Originalbeispiel.
Aber die grossen Theoretiker
des 18. Jahrhunderts
hätten sich nie träumen lassen,
dass das Kapital dahin fliesst,
wohin es will,
und dass eine Firma
aus Amerika oder England
in China investieren könnte,
um das repressive System
in China auszunutzen,
das Gewerkschaften ablehnt,
weshalb die Löhne dort
extrem niedrig sind.
Die Umweltkosten werden „ausgelagert",
und der Planet zahlt dafür, denn
Verschmutzung kostet die Firma weniger.
Anstelle eines
komparativen Kostenvorteils,
ich produziere Wein billiger als ihr,
ihr produziert Stoff billiger als ich,
gibt es einen absoluten Kostenvorteil.
Mein Kapital fliesst dahin,
wo es die besten Aussichten
auf Gewinn vorfindet.
Und das verzerrt den Handel
und bringt
die transnationalen Konzerne dazu,
die grösstmögliche Freiheit
für sich selbst zu fordern.
Aber es steht ausser Frage,
dass Arbeit umherwandern kann,
abgesehen
von den „modernen Nomaden",
also hoch qualifizierten Fachkräften,
die Dienstleistungsabkommen unterliegen.
Sie hätten das Recht,
sich niederzulassen, wo sie wollen.
Aber für die meisten Menschen
trifft das nicht zu.
Am 17. Dezember 1992 unterzeichnete
der US-Präsident H. W. Bush
das nordamerikanische
Freihandelsabkommen (NAFTA)
mit Kanada und Mexiko.
14 Jahre später,
am 26. Oktober 2006,
verkündete sein Sohn, George W. Bush,
den „Secure Fence Act".
Dieses Gesetz sieht den Bau
eines 4,5 m hohen und 1200 km langen,
doppelten Sicherheitszaunes
entlang der mexikanischen Grenze vor.
Dieser ist zudem mit modernster
Überwachungstechnik ausgestattet:
Wachtürme, Kameras,
Bodensensoren, Drohnen usw.
Beim komparativen Vorteil
geht es um Spezialisierung.
Diese Theorie besagt,
dass sich die Nationen
entsprechend ihrer komparativen Vorteile
spezialisieren müssen.
Diese Theorie ist starr.
Man ordnet Figuren in einer Box an,
ohne zu fragen, warum die Box diese
Form hat und ob sie sich verändern wird.
Es ist eine Theorie für den Augenblick.
Warum funktioniert sie nicht?
Weil der Welthandel
kein neutraler Handel ist,
bei dem nette Eingeborene
mit den netten Eroberern
Geschäfte machen.
Das war und ist niemals der Fall.
Erst mal töten die Eroberer alle,
und dann kommt der Handel
als zweite Phase der Befriedung.
Im internationalen Handel
als Matrix der Wirtschaft ...
Das ist auch so ein Vorurteil.
Handel findet nicht in Dörfern,
dann in Städten, Regionen, Nationen
und schliesslich
zwischen den Nationen statt.
Es ist umgekehrt.
Der internationale Handel
folgt dem Militär, er folgt dem Raubzug,
und dann kommt ein Prozess,
die Befriedung nach innen.
DER WOHLSTAND DER NATIONEN
Adam Smiths Theorie
ist aussergewöhnlich.
Sie geht davon aus,
dass die Menschen schlecht sind.
Sie ist scharfsinnig.
Und bezieht diese Annahme ein:
Die Menschen sind egoistisch, gierig,
gemein, denken nur an sich,
mögen die Gemeinschaft nicht,
sie sind unsolidarisch,
unsozial, eigennützig.
Sorgen wir also dafür,
dass diese schlechten Eigenschaften
sich zum Vorteil
der Gemeinschaft auswirken.
Lassen wir alles laufen,
und aus ihrem Egoismus
wird allgemeines Glück erwachsen.
Das ist die Theorie
der „unsichtbaren Hand".
Bei jedem Eingreifen,
bei jedem Versuch,
diesen Antagonismus
der Egoismen aufzuheben,
wird alles noch schlimmer.
Eine bekannte These der Reaktionäre
ist die vom gegenteiligen Effekt.
Hirschmann hat das toll beschrieben.
Die rechte Reaktion
warf den Linken immer vor,
Gutes zu wollen,
aber Schlechtes zu bewirken.
Ihr wollt den Armen helfen,
aber die Armut wird zunehmen.
Am prägnantesten fand ich
ein Bild im Economist
nach dem Treffen von Seattle.
Es zeigte hungernde Menschen
aus der Dritten Welt,
schwarze Kinder, und da stand:
„Die Opfer des Scheitern von Seattle"
Das ist widerwärtig,
schlimmer als die Benetton-Werbung.
Die Botschaft war:
Ihr wolltet die WTO aufhalten
und wozu hat das geführt?
Zu Armut, Unglück und Hunger.
Wo doch dieses System
die Armut und den Hunger erzeugt.
Aber die „unsichtbare Hand",
das bedeutet Laissez-faire.
Ihr könnt nichts tun.
Der Mensch ist böse.
Nur die Bosheit eines anderen
kann ihn stoppen.
Das gleicht sich aus.
Man muss sie nur machen lassen.
Seit 1776 studieren die Ökonomen
die „unsichtbare Hand".
Sie untersuchen das Problem
also schon seit einer ganzen Weile.
Damit das funktioniert,
müssten die Menschen autonom sein.
Ohne Beziehungen,
ohne die Gemeinschaft.
Ihre Rationalität müsste
von der aller anderen losgelöst sein.
Ein absoluter Individualismus,
das ist die erste Bedingung.
Die zweite ist umfassende Information.
Man müsste Jahrhunderte
im Voraus wissen, was passieren wird.
Die zweite Bedingung.
Nein, das war die dritte.
Also, umfassende Information.
Und drittens
dürfte es keine Unsicherheit geben,
wie einen Sturm, einen Zufall,
derAbsturz der Ariane beim 25. Flug
und nicht beim dritten.
Die Welt müsste frei von Risiken sein,
eine Folge umfassender Information.
Unter diesen Bedingungen ...
... könnte das Ganze funktionieren,
aber sicher wäre es nicht.
Denn Folgendes muss man wissen:
Die grössten liberalen Ökonomen,
die Mathematiker unter ihnen,
die Renommiertesten,
die Nobelpreisträger
beweisen es seit etwa 25 Jahren.
Die Lehre von der „unsichtbaren Hand"
ist nicht haltbar.
Sie ist Blödsinn, erwiesenermassen.
Viele hatten es ja seit Langem geahnt.
Keynes zum Beispiel.
Die Idee eines Gleichgewichts
in der Wirtschaft war für ihn abwegig.
Er sagte das Gegenteil:
Wirtschaft ist chaotisch.
Auch die Hardliner unter den Ökonomen,
die angesehensten Liberalen
mit dem höchsten Prestige,
der unerbittlichsten Wissenschaft,
allen voran der Nobelpreisträger
Gérard Debreu, sagen seit 25 Jahren:
Das funktioniert nicht.
Es führt zu keinem Gleichgewicht,
es ist nicht effizient.
Der Markt ist nicht im Gleichgewicht,
also Angebot und Nachfrage
bedeuten nichts,
und er ist nicht effizient,
also Laissez-faire ist das Schlimmste.
Das Schlimmste, was man tun kann.
Danke, ihr lieben Liberalen!
Gut, dass ihr das auch mal sagt.
Wer heute von der „unsichtbaren Hand",
Marktgleichgewicht und Ähnlichem redet,
ist entweder ein Betrüger,
und davon gibt es viele,
einer, der seine Augen verschliesst,
das kommt auch vor,
ein Lump nach Sartre,
der wissend schweigt,
oder er ist inkompetent,
das gibt es auch.
Angeblich wollen alle Freihandel.
Aber was heisst das eigentlich?
Zunächst können Länder wie die USA
oder auch die Länder Westeuropas
keine Freihandelsabkommen schliessen,
aus einem einfachen Grund:
Sie akzeptieren den Markt
zu Hause nicht.
Da kann man
keine Freihandelsabkommen schliessen.
Nehmen wir die US-Wirtschaft als Zentrum
der Weltwirtschaft seit dem Krieg.
Sie basiert zu grossen Teilen auf
dem dynamischen öffentlichen Sektor.
Nehmen wir diesen Ort hier, das MIT.
Was ist das MIT?
Eines der grössten
technischen Institute der Welt,
aber es ist auch ein Kanal,
durch den staatliche Mittel
in die Taschen
privater Konzerne fliessen.
Hier wurden Technologien
wie das Internet,
Computer und andere
Spitzentechnologien entwickelt,
wobei grösstenteils der Staat
die Kosten und das Risiko trägt.
Das geschah
unter dem Deckmantel des Pentagons,
was sich für die elektronikbasierte
Hightech-Industrie anbietet.
Das ging über Jahrzehnte.
Computer und das Internet
blieben 30 Jahre lang im Staatssektor,
bevor sie der Privatwirtschaft
übergeben wurden.
Das gilt für fast alles um uns herum.
Denken wir nur an die zivile Luftfahrt,
die viel exportiert wird.
Sie ist fast ein Ableger der Air Force.
Deshalb interessieren sich Europäer,
Amerikaner, Japaner und andere
so sehr für die Entwicklung
von Militärflugzeugen:
wegen der Spin-Off-Effekte
auf die zivile Luftfahrt,
die Wachstum
in der Tourismusbranche generiert.
Oder nehmen wir einfach den Handel.
Dafür braucht man Container.
Wo kommen die her?
Von der US-Navy.
Bei Adam Smith, David Ricardo,
Karl Marx, John Stuart Mill,
bei Malthus mehr oder weniger ...
Bei allen klassischen Ökonomen
gab es eine soziale Komponente.
Sie waren eher Sozialphilosophen
als reine Ökonomen im heutigen Sinne.
Aber die Neoklassiker seit Auguste
und Léon Walras, Vater und Sohn,
begründeten seit Mitte des
19. Jahrhunderts eine Wirtschaftslehre,
die sich als
wissenschaftlich bezeichnet.
Sie klammerte moralische
oder philosophische Überlegungen aus
und befreite sich von allem,
was die Klassiker bis Marx umtrieb,
nämlich folgende Fragestellungen:
Wer verdient Geld?
Warum verdient er Geld?
Darf er so viel Geld verdienen?
Ist das gerecht?
Ist es gut für die Gemeinschaft?
Da gab es eine ethische Dimension.
Doch diese verschwand
mit dem neoklassischen Denken.
Das hat dem neoliberalen Denken
den Weg geebnet.
Das neoliberale Denken verlieh
dem neoklassischen Denken eine Art ...
... wissenschaftlichen Status.
Bei uns ist es wie in der Physik:
Wir stellen fest,
das Geld fliesst von A nach B.
Wir zählen, beobachten, klassifizieren,
aber wir hüten uns vor einem Urteil.
Denn die Physik als Mutter
aller Wissenschaft urteilt nicht.
Der Vorteil der Ökonomie ist,
dass sie neutral zu sein scheint,
ein neutraler Diskurs,
der weder Gut noch Böse kennt,
sondern der
einfach wissenschaftlich ist
und uns ganz normal vorkommt.
Druck auf die Löhne ist nötig,
damit es keine Inflation gibt.
Es darf keine Inflation geben.
Auch wenn dafür die Ungleichheit wächst,
auch wenn Menschen verelenden,
die Kluft zwischen Nord und Süd wächst,
eine Kaste von Reichen
das Geschehen bestimmt,
wenn Staatsgewalt
und Sozialsysteme sich auflösen.
Ungeachtet all dessen
gibt es nur eine Wahrheit:
Sie können doch keine Inflation wollen!
In der Geschichte sehen wir aber,
dass die seltenen Momente
des „gebändigten" Kapitals,
etwa die 30er Jahre,
eher inflationäre Phasen waren,
in denen die Löhne stiegen,
so dass die Kredite für Hausbau
und dergleichen durch die Inflation
schnell abgetragen werden konnten.
Heute regieren die Reichen.
Man könnte fragen: „Wollt ihr,
dass die Reichen die Welt regieren?"
Aber man fragt:
„Sie sind doch gegen Inflation?"
Zur Durchsetzung ihrer Ideologie
entwickelten die Neoliberalen
im Laufe der Jahre eine bedrohliche
Strategie zur Gedankenmanipulation.
Diese beruht zu grossen Teilen auf
den Aktivitäten eines globalen Netzwerks
für Propaganda, Willenslenkung
und Indoktrinierung,
das sich in vielerlei Gestalt
auf allen Tribünen Gehör verschafft.
Die zum Grossteil in Thinktanks
erdachte neoliberale Propaganda
wird daher über
viele Kanäle vermittelt.
Die Bildung ist zu einem
der wichtigsten Kanäle geworden.
6. PROPAGANDA UND INDOKTRINIERUNG
6. PROPAGANDA UND INDOKTRINIERUNG
BILDUNG
Als die Idee von nationaler Bildung
im 18. Jahrhundert aufkam,
unter anderem im Zuge der Französischen
Revolution, entstand der Gedanke,
dass ein öffentlicher demokratischer
Raum informierte Menschen voraussetzt,
die dazu befähigt wurden,
nachzudenken, zu diskutieren,
an politischen Debatten teilzunehmen.
Es gab zwei wichtige Institutionen,
die gewährleisten sollten,
dass die Leute zu „Bürgern" wurden:
Das war zum einen die Bildung,
zu deren Aufgaben es zählte,
Bürger auszubilden,
sie vorzubereiten.
Und es waren die Medien.
Dazu kommen wir noch.
Der Auftrag der Bildung,
auch wenn der nicht immer erfüllt
oder korrekt erfüllt wurde,
war die Ausbildung der Bürger,
ihre Befähigung,
an politischen Debatten teilzunehmen
und jenseits ihrer eigenen Interessen
über Politik nachzudenken.
Darum ging es.
Um eine Sicht auf Politik,
auf Wirtschaft und Gesellschaft,
die uneigennützig war,
um die Fähigkeit, vom Interesse
der Allgemeinheit auszugehen.
Das wollte Bildung.
Doch im Zuge des „neoliberalen" Wandels
in den letzten 30 Jahren
erkannten die grossen Institutionen,
dass es wichtig ist,
sich der Bildung zu ermächtigen.
Nun kann man fragen: Dringen sie
wirklich ins Bildungswesen ein?
Wer genau hinsieht, stellt fest:
Es stimmt.
Von der Grundschule bis zur Universität.
Natürlich hängt das vom Land ab
und von der Geschichte
des jeweiligen Systems.
Doch wir beobachten
einen massiven Vorstoss der Konzerne,
der privaten Industrie
in das Bildungswesen.
Warum tun sie das?
Die Antwort ist recht einfach.
Der Bildungsmarkt ist sehr einträglich.
Es ist reizvoll,
diesen Raum sozialer und
wirtschaftlicher Aktivität einzunehmen.
Damit erobert man
die Köpfe der Kinder.
Es ist brutal:
Bildung heisst Köpfe erobern.
Das ist etwas ...
... sehr Schwerwiegendes,
wenn man Kinder für sich vereinnahmt.
Das erfordert einen guten Grund,
und ich weiss nicht,
ob wir einen benennen können.
Die Wirtschaft möchte also
die Kinder für sich vereinnahmen.
Sie will die Lerninhalte verändern.
Dann liegt das Augenmerk nicht mehr
auf Staatsbürgerlichkeit
und dem Allgemeinwohl,
sondern auf den Interessen
der privaten Unternehmen,
die das Bildungswesen erobern.
Man begreift die Welt durch Kultur,
Wissen, aus der Aussensicht anders,
als durch die Frage,
was einem ein Unternehmen gibt.
Und um Letzteres geht es immer.
Also, Eroberung des Marktes,
der Köpfe der Kinder,
Vorbereitung der Arbeitskräfte.
So verliert Bildung zusehends
ihre anderen Zielsetzungen,
Vorbereitung auf das bürgerliche Leben,
Weltoffenheit,
Freude am Verstehen,
am Lernen um des Lernens willen.
Es geht nur
um den Dienst auf dem Markt,
um die Vorbereitung der Subjekte
auf wirtschaftliche Funktionen.
Bildung als Auftakt
für ein Leben in der Wirtschaft,
für das Arbeitsleben.
Das ist beunruhigend.
Diese Entwicklung können wir
seit etwa 20 Jahren beobachten.
Aber im Zuge derAusbreitung dieses
Phänomens regt sich auch Widerstand.
Zum Glück.
Channel One ist
ein amerikanisches Unternehmen.
Es ist an der Börse notiert.
Diese Leute gehen an Schulen,
denen es natürlich an Geld mangelt,
und sagen: „Ihr bekommt von uns
Fernseher und Videorekorder,
wenn ihr 20 Minuten pro Tag
von uns produzierte
pädagogische Sendungen zeigt."
Zum Beispiel Nachrichten für Kinder.
Das Publikum hat dabei
natürlich keine freie Wahl.
Dann gibt es also diese Sendungen.
Und natürlich kommt darin
auch Werbung vor.
Diese wenigen Minuten
ermöglichen den Werbetreibenden,
sich in einem
sehr privilegierten Kontext
an dieses Publikum zu wenden.
In den USA ist das verbreitet,
hier in Kanada hat die Firma Athéna
versucht, das zu etablieren.
Sie arbeiten seit einigen Jahren daran,
allerdings haben
die Schulbehörden das abgelehnt.
Wir haben hier andere
öffentliche Haushalte als die USA.
Aber das ist ein erneuter Angriff
auf das Bildungswesen.
Die Formen, die das annimmt,
sind wie gesagt überall verschieden.
Die Firma Mobil liefert Beiträge
über Energie und Umweltschutz,
die Firma NutraSweet über Ernährung.
Dabei sollen Kinder
etwas über Ernährung lernen.
GM erklärt die Vorzüge des NAFTA.
Zum Thema Wald- und Umweltschutz
sehen wir Beiträge von Firmen,
die die Wälder abholzen lassen.
Dieses Modell erstreckt sich
von der Grundschule bis zur Universität.
Am Ende gibt es dann,
das ist natürlich etwas übertrieben,
Institute für Ökologie,
die für Umweltverschmutzung sind.
Das ist das Beunruhigende.
Der Sinnverlust von geistigen,
von menschlichen Aktivitäten,
zu dem das führt.
Je mehr wir glauben,
effizient zu sein ...
Also finanziell effizient, denn es geht
um die Vermehrung von Geld.
Je effizienter wir also dabei sind,
umso mehr Sinn geht verloren.
Wo ist der Sinn,
wenn man sagt, dass General Motors,
nur als Beispiel, effizient ist,
weil der Konzern 23 oder 24 Milliarden
Dollar Reingewinn gemacht hat,
in den letzten zehn Jahren,
es aber zugleich
300 000 Entlassungen gab?
Ist das sinnvoll?
GM ist angeblich effizient,
aber was bedeutet das?
Die US-Wirtschaft
gilt als sehr effizient.
Das ist sie in finanzieller Hinsicht,
in Bezug auf Kapitalerträge
und dergleichen.
Aber in den USA lebten noch nie so viele
Menschen unterhalb derArmutsgrenze,
also unter der amerikanischen.
Noch nie hatten so viele
keine Gesundheitsversorgung.
40% derAmerikaner haben praktisch
keinen Zugang zum Gesundheitswesen.
Nie zuvor war das Bildungsniveau
in den USA so niedrig.
50% der Amerikaner wissen nicht,
wo sie England auf einer Karte finden.
Das ist verrückt,
wenn pro Haushalt mindestens
50 Fernsehkanäle empfangen werden.
Das belegt
im Prinzip diesen Sinnverlust.
Wirtschaftlich werden wir
immer effizienter,
aber ökologisch,
gesellschaftlich, politisch
und menschlich gesehen
verlieren wir immer mehr an Werten
und an Lebensqualität.
Das ist der Sinnverlust.
Wir müssen uns komplett
vom ökonomischen Diskurs lösen,
um wieder Sinn zu stiften.
Das Problem muss neu formuliert werden.
Von Grund auf. Dafür müssen wir
zurückgehen zu Aristoteles.
Der sagte bereits:
Verwechselt nicht Wirtschaft,
also Oikonomia, die Regeln
der Hauswirtschaft und der Gemeinschaft,
mit der Chrematistik,
der Kunst des Gelderwerbs.
Da sind wir wieder bei der Bildung.
In welchem Masse
wird heute noch Aristoteles gelehrt?
Wer kennt ihn?
Wer liest ihn?
Ich könnte auch Victor Hugo nehmen,
Jean-Paul Sartre ...
... Archimedes und so weiter.
Heutzutage ...
... gilt unsere Wirtschaft
als wissensbasiert,
aber noch nie waren wir
so schlecht gebildet.
Doch wir haben
auch noch nie so viel Wert
auf so genannte
Bildungseinrichtungen gelegt.
Der Widerspruch und die Unsinnigkeit
liegen in folgendem Umstand:
Fast überall, vor allem in den USA,
werden Bildungseinrichtungen
in Reproduktionsstätten
für Systemdiener umgewandelt.
Oder anderes gesagt,
für denkende Zweibeiner,
denen nur daran gelegen sein soll,
dass der freie,
selbstregulierende Markt erhalten bleibt
sowie die Mechanismen
der Geldvermehrung.
Das nennt man „Beschäftigungsfähigkeit".
Wir bilden „Beschäftigungsfähige" aus.
Das heisst, wir reformieren
unser gesamtes Bildungssystem,
um Menschen auszubilden,
die auf dem Arbeitsmarkt unterkommen.
Das ist schrecklich.
Wäre Victor Hugo
heute beschäftigungsfähig?
Wäre es Sokrates?
Wären Paul Verlaine oder Rimbaud
beschäftigungsfähig?
Nein! Keiner von ihnen.
Aber was wäre die Menschheit
ohne Sokrates, Aristoteles,
ohne Rimbaud, Verlaine und Hugo?
Was wären wir ohne sie?
Wir wären Tiere.
Unter dem Vorwand,
dass der Markt sie nicht will,
bilden wir heute keine Poeten,
keine Literaten,
keinen reinen Mathematiker,
keine theoretischen Physiker mehr aus.
Wir stellen bereit,
was die Industrie, die Finanzwelt will,
um ihr System aufrechtzuerhalten.
Wer ist beschäftigungsfähig?
Die Menschen an den Universitäten,
an denen ich lehre.
Also auf höchstem Niveau,
Master-Studenten und Doktoranden.
Die nenne ich Technokraten.
Also Menschen, die ...
Analytische Technokraten
auf dem Gebiet des Problem Solving.
Man redet ihnen ein,
sie seien intelligent.
Problem Solving ist nicht intelligent,
aber Problemformulierung ist es.
Intelligent ist jemand,
der das Problem formuliert,
der es in Worte fasst
und es in einen Kontext setzt,
der eine Frage aufwirft.
Das ist Intelligenz.
Sich mit einem bekannten Problem
zu befassen,
um eine Lösung dafür zu finden,
ist nicht intelligent.
Das wird nur behauptet.
Analytische Technokraten
können analysieren und kalkulieren,
und das verwechseln sie mit Nachdenken.
Sie treffen gewissenlose Entscheidungen,
entlassen 60 000 Leute am Tag,
verdoppeln ihr Gehalt um eine Million
und sagen, sie leiden.
Wegen der schweren Entscheidungen.
Das sind Unmenschen.
Wer dabei kein schlechtes Gewissen hat
und das auch sagt,
sagt eigentlich:
„Ich bin ein Unmensch."
Wieso lassen wir zu, dass Unmenschen
über menschliche Wesen entscheiden?
Er hat kein schlechtes Gewissen,
also hat er kein Gewissen. Ein Unmensch.
Das sind die Technokraten ganz oben.
Die auf mittlerer Ebene nenne ich
die „produzierenden Techniker".
Diese Techniker bedienen Maschinen.
Sie sind Maschinenbediener.
Vom Computer
bis zur digitalen Anlage,
die Plastik-, Eisen-
oder Aluminiumteile ausspuckt.
Diese Menschen sorgen dafür,
dass diese
Produktionsmaschinerie nie ausfällt.
Alles, was sie kennen müssen,
ist die Funktionsweise der Maschine,
die sie beaufsichtigen.
Das ist alles.
Ansonsten müssen sie lediglich
verstehen können,
was die Maschine benötigt.
Das heisst, es sind nicht einmal sie,
die die Maschine beherrschen oder ...
... die der Maschine menschlich,
verstandesmässig überlegen sind,
sondern die Maschine sagt:
„Wenn du intelligent bist,
dann entnimm den defekten Chip,
wechsle die Karte."
Ist er zu langsam, taugt er nichts.
Auf der unteren Ebene
bilden wir gar nicht mehr aus.
45% derArbeitskräfte
der multinationalen Konzerne,
vor allem der amerikanischen,
sind totale Analphabeten.
Die Konzerne
wollen daran nichts ändern.
Sie wollen nicht, dass diese Menschen
die geringste Bildung haben,
denn sonst würden sie Fragen stellen.
Wenn sie Zeitungen,
Finanzanalysen lesen könnten,
würden sie Fragen stellen,
sich organisieren, nachdenken.
Um Gottes willen!
Wir haben heute in Nordamerika,
vor allem in den USA,
Grund- und Gesamtschulabsolventen ...
Und diese Zahlen
sind wirklich erschütternd:
25% hier in Quebec,
und in den USA sind es wahrscheinlich
genauso viele, wenn nicht mehr,
die trotz Abschluss Analphabeten sind,
also kaum lesen und schreiben können.
Sie waren lange genug da
und bekamen ein Zeugnis.
Durch Anwesenheit und Alter.
Das kommt dem System zupass.
Denn wenn man Bedienpersonal hat,
das quasi hirnlos ist
und nicht nachdenken kann ...
Um denken zu lernen,
muss man lesen.
Um das Denken zu erlernen,
muss ich Hugo lesen, Gedichte ...
... Philosophen, Schriftsteller.
Dadurch lernt man Denken.
Um zu denken, muss ich Wörter im Kopf
haben und mit ihnen umgehen können.
Wenn das fehlt,
kann ich nicht denken.
Aber ich kann ein wunderbarer
Vervielfältiger des Systems sein,
der nicht nachdenkt
und der das System verteidigt.
Es gibt Arbeiter, die sagen ...
Das habe ich erlebt,
in schlimmen Situationen,
wie Firmenschliessungen mit Entlassungen.
Wenn ich die Arbeiter
nach ihrer Meinung frage,
höre ich oft:
„Das ist das Gesetz des Marktes.
Wir müssen wettbewerbsfähiger
als die Japaner sein..."
Sie werden zu Anwälten eines Systems,
das sie zermalmt.
Vorhin haben wir besprochen,
wie Netzwerke Ideen verbreiten.
Bei der Bildung ist es ähnlich.
Da gibt es ideologische Begründungen
von Theoretikern,
nach denen sich das Bildungswesen
in einer Weise verändern soll,
die ich gleich beschreibe.
Dann gibt es die grossen
transnationalen Konzerne,
die das gleiche anstreben.
Sie bewegen die Akteure,
Regierungen, Professoren dazu,
nach ihren Idealen zu handeln.
Und es gibt die Interessengruppen,
die Thinktanks, die dasselbe tun.
Bei der Bildung kommt
das alles zusammen.
Der einflussreichste Bildungstheoretiker
der letzten 50 Jahre
war kein Pädagoge, sondern ein Ökonom.
Der wichtigste Bildungstheoretiker
war wahrscheinlich Gary Becker.
Er lehrt an der Universität
von Chicago.
Er entwickelte
die Theorie vom Humankapital,
nach welcher der Mensch
und sein Wissen ein Kapital darstellen,
in das man investiert,
um es wirtschaftlich rentabel zu machen.
In der Theorie vom Humankapital
lassen sich mathematische
Grundsätze aus der Ökonomie
auf Bildung als Kapital anwenden,
ein Kapital,
das man in Zahlen erfassen kann.
Das war die einflussreichste
Theorie der letzten 50 Jahre,
und zwar dort, wo Entscheidungsträger
beeinflusst werden.
Orte, an denen Regierungen,
Bildungsminister
und sonstige Schlüsselfiguren
beeinflusst werden.
Der zweite Theoretiker, der die heute
bestehenden Mechanismen begründete,
ist Milton Friedmann,
der Vater des Monetarismus.
Er war für die Einführung
von Bildungsgutscheinen.
Dadurch sollten Marktmechanismen
ins Bildungswesen einfliessen,
wie Wettbewerb unter den Schulen.
Diese zwei Theorien,
die an pädagogischen Instituten
sicher nie diskutiert werden,
sind die führenden Bildungsansätze
der letzten Jahre.
Und diese dringen dann zum IWF,
zur OECD, zur Weltbank vor.
Die beurteilen nationale Bildungssysteme
von dieser Warte aus
und geben
entsprechende Empfehlungen.
Thinktanks und grosse Mediengruppen
stehen oft
in einem privilegierten Verhältnis:
die Propaganda der Ersteren
gelangt daher
ganz unbeschwert in die Medien.
Vor allem durch
diesen medialen Übertragungsweg
wurde die neoliberale Ideologie
zu einer Selbstverständlichkeit.
7. PROPAGANDA UND INDOKTRINIERUNG
7. PROPAGANDA UND INDOKTRINIERUNG
DIE MEDIEN
Hitler gilt als Erfinder
der Propaganda.
Man liest oft, dass er ihre Wichtigkeit
im Zweiten Weltkrieg verstanden habe.
Und es ist richtig,
dass Hitler ihre Bedeutung
für die Gesellschaft verstand.
Aber er erfand sie nicht.
Er lernte von uns,
den westlichen Demokratien,
vor allem von den Engländern
und von den Amerikanern.
Seit dem Aufkommen
der modernen Gesellschaften
herrschen zwei Ansätze vor:
der von der partizipativen Demokratie,
in der informierte Menschen diskutieren,
handeln und Entscheidungen
beeinflussen können,
und der Ansatz, dass ein Teil
der Menschen abgedrängt werden muss.
Sie dürfen sich nicht um Dinge kümmern,
die sie betreffen.
Diese Sicht auf die Gesellschaft
und die Wirtschaft
gibt es auch in unserer Kultur.
Besonders sichtbar war dies
im Ersten Weltkrieg in den USA.
Die damalige Regierung wurde gewählt,
weil sie einen Kriegseintritt ablehnte.
Doch nach der Wahl
kam es aus Gründen,
die in der Innenpolitik und
in der Rolle der Industriellen lagen,
zu der Entscheidung,
doch in den Krieg einzutreten.
Das Problem war nun, dass ein grosser
Teil der Bevölkerung dagegen war.
Also wurde eine Kommission einberufen,
der ein Journalist namens Creel vorsass,
die Creel-Kommission.
Diese Kommission wird die Techniken
der modernen Propaganda entwickeln,
Techniken zur Beeinflussung
der öffentlichen Meinung.
Die Creel-Kommission
erfüllte ihre Mission erfolgreich
und stimmte
die Öffentlichkeit schnell um.
In ihr arbeiteten sehr bekannte Leute,
namhafte Intellektuelle,
darunter Edward Bernays,
der Begründer der Öffentlichkeitsarbeit.
Sie verliessen später die Kommission
und richteten in der Gesellschaft
Kommunikationsinstrumente ein,
die es bis heute gibt und die Teil
der Propagandamaschinerie sind.
Das politische Ziel war der Ausschluss
eines Teils der Bevölkerung,
die Bildung einer öffentlichen Meinung,
eines gesellschaftlichen Konsenses.
Sie erschufen Institutionen
wie PR-Firmen,
aber auch eine neue Konzeption
des Unternehmens, der PR im Unternehmen,
der sozialen Kommunikation, der Medien,
der Rolle der Intellektuellen,
der Rolle der Werbung
und der Information im Allgemeinen.
All das prägte sich Hitler ein,
zurecht übrigens.
Die Mechanismen,
die heute das Einheitsdenken erzeugen,
gingen aus besagter
Creel-Kommission hervor.
Und wenn man noch weiter zurückgeht,
auch aus der politischen Auffassung,
dass eine funktionierende Gesellschaft
einige Menschen ausschliessen muss.
Und das beobachten wir.
Doch wenn die erwähnten Akteure
so gross, mächtig und zahlreich sind,
entsteht auch ein Gegendiskurs.
Uns werden auch
andere Analysen präsentiert.
Es gibt alternative Medien,
Intellektuelle,
gesellschaftliche Gruppen
mit einem neuen Denken.
Es gibt beide Seiten.
Leider überwiegt aber
das Einheitsdenken.
Die Propaganda erfüllt ihren Zweck.
Durch solche Mechanismen
und Institutionen
sorgt eine Weltanschauung,
ein Vokabular, eine Denkweise dafür,
dass nur bestimmte Fragen möglich sind,
nur bestimmte Antworten und Analysen,
während andere ausgeschlossen sind.
Die herrschende Ideologie
ist eine allumfassende Ideologie,
deren offizielle Seite
das besagte Einheitsdenken ist.
Ihre inoffizielle Seite ist die Sprache,
die die Medien ...
... oder alle Verhaltensweisen,
die die Medien vorgeben.
Sie kommt uns
nicht wie eine Ideologie vor,
sondern wie etwas ganz Normales,
das man ganz selbstverständlich tut.
Ein Fernseher
ist eine Selbstverständlichkeit.
„Wie kann man Ende des 20. Jahrhunderts
keinen Fernseher haben?"
Es ist selbstverständlich,
dass wir Werbung akzeptieren.
„Sie werden doch nicht ...
... am Anfang des 21 . Jahrhunderts
die Werbung in Frage stellen!"
Alles, was ideologisch ist,
was eine Wahl darstellt,
was das System,
ohne uns zu fragen, organisiert hat,
wird uns
als selbstverständlich präsentiert,
worüber man gar nicht reden muss.
Das ist interessant.
Was das Einheitsdenken betrifft ...
Es stellt eine uniforme,
partielle und sektiererische Art dar,
Wirtschaft zu interpretieren
oder zu betreiben.
Alain Minc ersetzte „Einheitsdenken"
durch „Einheitswirklichkeit".
Von da an stellte niemand mehr in Frage,
was die liberale
oder ultraliberale Wirtschaft trieb.
Das war eben die Realität,
der man sich fügen musste.
Man sagt:
„Die Globalisierung ist eine Realität."
Natürlich ist sie das,
aber nicht zwangsläufig eine gute.
Die Ideologie sagt: „Es ist Realität,
also müssen wir diesen Weg gehen."
Das gilt auch für die Globalisierung.
Und für die Privatisierung.
Es wird gemacht,
also muss es gemacht werden.
Man musste es machen.
Man präsentiert vollendete Tatsachen,
die die Leute akzeptieren müssen,
anstatt sie vorher zu fragen.
Das ist dem zuzuordnen,
was ich über den Trugschluss des
Unvermeidbaren geschrieben habe.
Die meisten Politiker stellen
ihr Handeln und ihre Entscheidungen,
die ja richtungsweisend sind,
als etwas Unvermeidbares dar.
„Wir konnten nicht anders.
Es wurde verfügt.
Die Amerikaner machen es."
Und jeder weiss:
Das, was heute in Frankreich passiert,
passierte zehn Jahre vorher in den USA.
Also müssen wir es hier auch tun.
Renault hatte in Belgien
ein Werk geschlossen.
Sie wollten umstrukturieren ...
... und anderswo Werke eröffnen,
in denen die gleiche Arbeit
geringer entlohnt wird.
Das hatte also
mit wirtschaftlichem Kalkül zu tun.
Über diese Schliessung äusserte sich
der französische Staatschef wie folgt:
„Werkschliessungen passieren leider.
Bäume wachsen, leben und sterben.
Genau wie Pflanzen, Tiere,
Menschen und Unternehmen."
Das ist ein gutes Beispiel
für die „Naturalisierung"
des Geschehens,
also eine Depolitisierung.
Die Leute müssen
als natürlich hinnehmen,
als vom Willen der Politiker unabhängig,
was um sie herum entschieden wird.
Dadurch ...
... manipuliert man letztlich die Bürger
und bringt sie davon ab,
an ihr eigenes Votum zu glauben.
Heute ermöglicht die Funktionsweise
der Medien die Erzeugung von Wahrheit.
Natürlich ergibt sich Wahrheit
nur aus der Konfrontation ...
... aus der Überprüfung
einer gegebenen Version,
für die es verschiedene Zeugen gibt.
Wahrheitsfindung ist schwer.
Das sehen wir bei Ermittlungsrichtern,
bei Wissenschaftlern,
die Analysen durchführen,
um die Wahrheit herauszufinden.
Aber in der heutigen
Medienlandschaft genügt es,
wenn alle Medien dasselbe
über ein bestimmtes Ereignis berichten,
die Presse, das Radio, das Fernsehen,
damit etwas als Wahrheit gilt,
selbst wenn es unwahr ist.
Das war der Fall beim Golfkrieg und bei
Grossereignissen der jüngeren Geschichte.
Hier stellen wir
eine falsche Gleichung auf, nämlich:
Wiederholung ist gleich Beweis.
Vor Kurzem habe ich
noch einmal „Schöne neue Welt"
von Aldous Huxley gelesen
und einen Satz
über Hypnopädie wiedergefunden,
also diese Art von Hypnose,
die kleine Kinder überzeugen soll,
dass sie glücklich mit sich selbst sind.
Und einer der Direktoren
des Konditionierungszentrums
lässt verlauten,
dass 64 000 Wiederholungen
gleich Wahrheit sind.
Wir leben heute in Huxleys Welt.
Unterstützt durch die Propaganda
und den Bekehrungseifer,
die unaufhörlich aus den
diversen Sprachrohren
eines verflochtenen Netzwerks
zur Bewusstseinskontrolle dringen,
setzen sich die neoliberalen Reformen
allmählich im narkotisierten Bewusstsein
der westlichen Demokratien fest.
Im Namen eines notwendigen „Realismus"
verabschieden rechte wie linke Parteien
dieser Länder Massnahmen,
die den Sozialstaat
jeden Tag ein Stück mehr
zugunsten des Marktes untergraben.
Andernorts, wo die Propaganda
nicht so erfolgreich ist,
vor allem in den Entwicklungsländern,
werden andere Massnahmen angewendet.
Drastische Massnahmen.
Was verbirgt sich hinter
dem ideologischen Rauchvorhang,
hinter den schönen Konzepten
von spontaner Ordnung,
von Interessenharmonie
auf einem freiem Markt?
Was verbirgt sich hinter dem
Allheilmittel der „unsichtbaren Hand"?
Was sind die wahren Motive
der Bankiers und der Industriellen,
die den Aufbau des neoliberalen
Netzwerks finanziert haben?
8. NEOLIBERALISMUS
ODER NEOKOLONIALISMUS?
DIE DRUCKAUSÜBUNG
DURCH DlE FINANZMÄRKTE
Es ist schon frappierend zu sehen,
dass jedes Element des Neoliberalismus
entworfen wurde,
um die Demokratie zu schwächen.
Aber man bespricht
nur die wirtschaftlichen Effekte.
Denken Sie nur einmal
an die finanzielle Globalisierung.
Für Keynes war die grösste Errungenschaft
des Bretton-Woods-Systems
die finanzielle Regulierung.
Das hat seinen Grund:
Es verschafft den Regierungen Raum,
um Programme durchzuführen,
die von der Bevölkerung gewollt sind.
Wenn der Kapitalfluss
keinen Regeln unterliegt,
können Währungen
einfach so angegriffen werden.
Dann entsteht das,
was internationale Ökonomen
ein virtuelles Parlament
von Investoren und Kapitalgebern nennen,
die, ich zitiere aus der Fachliteratur,
„jederzeit über die Politik
der Regierung abstimmen können".
Halten sie die Politik für irrational,
stimmen sie durch Kapitalabzug
oder Angriffe auf die Währungen dagegen.
„Irrational" wäre die Politik für sie,
wenn sie die Menschen begünstigt
und nicht den Profit erhöht
oder den Marktzugang verbessert.
Die Regierungen haben es
mit zwei Wählerschaften zu tun:
der Bevölkerung
und dem virtuellen Parlament.
Meist gewinnt Letzteres,
vor allem in armen Ländern.
In den reichen Staaten
ist es differenzierter.
Dort wurde das neoliberale „Paket"
nicht in vollem Umfang angenommen,
wie etwa in Lateinamerika.
Da sind die Auswirkungen vorhersehbar.
Das gleiche gilt für andere Elemente
des Neoliberalismus.
Privatisierung ist
zu einem Mantra geworden.
Privatisierung
untergräbt die Demokratie.
Öffentliche Güter geraten in die Hände
von nicht haftenden, privaten Tyrannen,
die der Staat erschafft und fördert:
die Konzerne.
Früher ...
... bis in die 70er Jahre, wurden fast
alle Aktivitäten der Banken überwacht.
Alle Operationen liefen
über die französische Zentralbank,
die alles nachverfolgte.
Heute agieren die Banken im Freiverkehr.
Etwas mehr als die Hälfte
ihres Umsatzes erwirtschaften sie
durch Geschäfte,
die keiner Kontrolle unterliegen.
So, als gäbe es einen „normalen" Markt
und einen Schwarzmarkt.
Also hier ein Laden mit ausgewiesenen
Preisen und einer Kasse
und gleich daneben der Schwarzmarkt.
Laut der Banque de France,
die die Bilanzen der Banken überprüft,
werden 50% der Transaktionen
nicht bilanziert.
Sie unterliegen keiner Aufsicht
durch ein höheres Gremium,
wie einem Schatzamt
oder einer Zentralbank.
Diese Geschäfte
ausserhalb der Bilanz bewirken,
dass Staaten bedeutungslos werden.
Ungefähr ...
... 500 Milliarden US-Dollar
wandern täglich in Offshore-Fonds
und dergleichen.
Wenn der Staat einer Bank dumm kommt,
ist der Bank das egal.
Sie transferiert ihr Geld
mit einem ihrer ausländischen Partner,
einer anderen multinationalen Bank,
in einen Offshore-Fonds.
Kein Problem, das Geld ist frei.
Es gibt keine staatliche Aufsicht.
Ausserbilanzgeschäfte ...
... sind ein grosses Problem,
denn die Kontrolle der Wirtschaft
fängt beim Geld an.
Ausserbilanzgeschäfte
werden im Allgemeinen
mit relativ neuen Finanzinstrumenten,
den Derivaten, getätigt:
Futures, Forwards, Optionen, Swaps usw.
Es sind im Grunde Versicherungsverträge,
das heisst,
man versichert sich
gegen zukünftige Schwankungen,
also Zins- oder Kursschwankungen.
Du schliesst
einen Vertrag mit jemandem ab,
an den du
in sechs Monaten zahlen musst.
Der Vertrag wird in Dollar geschlossen.
Steigt der Dollar, hast du ein Problem,
denn dann musst du Dollar
mit 10% Aufschlag kaufen.
Also schliesst du eine Versicherung
über den Wert des Dollar ab.
Dabei übernimmt jemand das Risiko,
was dich etwa 3% oder 4% mehr kostet.
Egal, wie der Kurs ist ...
Der Versicherer gewinnt, wenn er fällt.
Du bist entspannt. Du bist versichert.
Das sind Derivate.
Das Interessante ist, dass dadurch
eine Risikowirtschaft entsteht.
Währungen, Kapitalflüsse
werden ja nicht mehr kontrolliert.
Das Risiko wird also unterhalten,
um oberhalb dieses Systems
ein System einzurichten,
das diese Risiken abdeckt.
Aber der Unterschied
zu Gefahren wie Autounfällen ist,
dass Autounfälle vorhersagbar sind.
Das ist das Gesetz der grossen Zahlen.
Die Risiken auf dem Finanzmarkt
sind dagegen seltene Epiphänomene.
Sie können nicht
statistisch erfasst werden.
Es sind absolute,
unvorhersehbare Risiken.
Diese Versicherungsverträge
oberhalb der normalen Wirtschaft
bilden eine zweite,
noch risikoreichere Schicht.
Manche Versicherungen versichern also
das Risiko von Versicherungsverträgen.
Dadurch entsteht eine Risikopyramide,
auf deren Basis die Leute spekulieren.
Man erzeugt ein rein spekulatives System
durch Erhaltung des Risikos.
Der heutige Kapitalismus zeichnet sich
dadurch aus, dass das finanzielle Risiko
systematisch aufrechterhalten
und systematisch vermarktet wird.
So ist das.
In den 80er Jahren
verabschieden mehrere Länder
unter dem Einfluss
von Thatcher und Reagan
Reformen zur Deregulierung
der Finanzmärkte.
Doch durch die Autorisierung
eines freien Kapitalflusses
potenzieren die Regierungen die Macht
grosser institutioneller Spekulanten:
Hedge Fonds,
Handelsbanken, Pensionsfonds,
Versicherungsgesellschaften usw.
Aus ihrer Position der Macht heraus
fungieren diese
als neue Übermittler
der neoliberalen Ideologie.
Dabei zwingen sie sogar
die aufmüpfigsten Staaten,
die Liberalisierung
ihrer Wirtschaft zu beschleunigen.
Von den hierfür eingesetzten Methoden
erweisen sich Spekulationsattacken
als besonders wirksam ...
und verheerend.
Zwar bestehen des Kaisers neue Kleider
aus komplexen Mechanismen,
die selbst
die neugierigsten Geister verschrecken.
Doch auch wenn der Kolonialismus
nun ein anderes Gesicht hat,
bleibt sein Ziel
die Anhäufung von Kapital.
Zunächst einmal
verfügt die Spekulation ...
... über mehrere Instrumente.
Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen,
möchte ich einmal darlegen, was während
derAsienkrise im Jahr 1997 passierte.
Sie führte in mehreren Ländern
zum Zusammenbruch der Währungen.
Und zwar in Ländern, die als
„Tigerstaaten" eingestuft wurden,
die also eine
leistungsfähige Wirtschaft hatten.
Die Krise hatte mehrere Ursachen.
Doch meiner Meinung nach
war einer der wesentlichen Faktoren
die vorherige Deregulierung
der Devisenmärkte.
In einigen Fällen
war diese Deregulierung erzwungen
oder wurde sogar vom
Internationalen Währungsfonds gefordert.
Die Spekulanten ...
... ermächtigten sich
der Reserven der Zentralbanken,
und zwar durch folgenden Mechanismus:
Sie spekulierten gegen ...
... die nationalen Währungen,
indem sie Leerverkäufe tätigten.
Bei Leerverkäufen
wird darauf spekuliert,
dass der Preis eines Wertpapiers
sinkt und nicht steigt,
wie es gewöhnlich der Fall ist.
Ist ein Wertpapier jedoch Gegenstand
eines massiven Leerverkaufs,
führt das zu einem Absinken
der Nachfrage und somit des Preises.
Man kann also
von einer Spekulationsattacke sprechen,
da die Spekulanten selbst
den Wertverlust verursachen,
indem sie auf einen
Preisrückgang spekulieren.
Nehmen wir an, ich möchte
koreanische Won leerverkaufen.
Dafür verkaufe ich
riesige Summen koreanischer Won,
die irgendwann fällig werden.
Die Verträge laufen
über drei oder sechs Monate.
Am Fälligkeitstag muss ich also
eine riesige Summe koreanischer Won
oder thailändischer Baht liefern.
Aber ich besitze sie nicht.
Ich kann verkaufen, so viel ich will.
Ich kann Won im Wert
von Milliarden von Dollar verkaufen.
Und wer kauft diese Won?
Die koreanische Zentralbank.
Diese ist durch Abkommen
mit dem IWF dazu verpflichtet,
ihre Währung zu stabilisieren.
Praktisch ist Folgendes passiert:
Als der Wert
der koreanischen Währung fiel,
liefen einige Monate später
die Verträge über die Leerverkäufe aus,
und in diesem Moment ...
... erfolgte eine Beschlagnahme
der Reserven dieser Zentralbank.
Die Währung ist ja nichts mehr wert.
Die Spekulanten mussten die Won
lediglich auf dem Spotmarkt aufkaufen,
um ihren vertraglichen Verpflichtungen
nachkommen zu können.
Die Zentralbank kauft nun ihre Währung
zurück, was nicht rentabel ist.
Dafür werden
ihre Reserven beschlagnahmt
und wandern in die Taschen
von grossen westlichen Banken.
Das ist der Mechanismus.
Nun wurden die Reserven geplündert.
Korea muss nun zum Internationalen
Währungsfonds gehen und sagen:
„Unsere Reserven wurden geplündert.
Wir müssen..."
Das Geld ist ja noch nicht
unterwegs zu den Gläubigern.
„Wir müssen es
an die Gläubiger zurückzahlen."
Was nun?
Wenn der Internationale Währungsfonds
einen Kredit
von 56 Millionen Dollar gewährt,
dann sind dabei
mehrere Länder involviert.
Es waren 24 Länder.
Da ging es ja
um astronomische Summen.
Also Staatsgelder aus Amerika,
Kanada ...
Die grossen westlichen Staaten.
Wenn aber
der amerikanische, der kanadische
oder ein anderer westlicher Staat
einen Kredit von 56 Milliarden vergibt,
steigt dessen Schuldenniveau.
Das heisst, sie müssen ...
... mit ihren Schulden
an den Börsen verhandeln.
Es ist ein Markt der Schulden.
Und wer kontrolliert diesen Markt ...
... der westlichen Staatsschulden?
Diese Bank hier, also die Spekulanten.
Hier schliesst sich der Kreis.
Man greift Korea an,
kommt dem Land zu Hilfe,
beschlagnahmt seine Staatsreserven,
leiht im Geld ...
... aus den öffentlichen Kassen
der westlichen Staaten.
Und um den Schuldenstand
der westlichen Länder anzuheben,
ist eine Absicherung durch diese Banken
aus dem privaten Sektor nötig,
die ja die Zeichner
für diese Staatsschulden sind.
Am Ende verschulden sich also alle,
ausser die Spekulanten,
die ja die Gläubiger von Korea sind,
aber auch die
der westlichen Regierungen,
die Korea in Form von Hilfsprogrammen
des IWF unterstützt haben.
Was passiert also?
Die koreanische Wirtschaft
ist dem Bankrott geweiht.
Die Vermögenswerte der Banken
und die Hightech-lndustrie
werden billig verkauft.
Und gegenwärtig beobachten wir,
dass der gesamte
industrielle Reichtum dieses Landes
an amerikanische Investoren übergeht.
Letztlich werden diese Vermögenswerte
praktisch übernommen,
und das zu absolut
lächerlichen Beträgen.
Nehmen wir das Beispiel ...
... einer der führenden
koreanischen Banken,
die auf Empfehlung des IWF
umstrukturiert wurde.
Infolge dieses Vorgangs,
denn dafür gab es Bedingungen.
Diese Bank, die Korea First Bank,
wurde für 450 Millionen Dollar verkauft,
und zwar an kalifornische
und texanische Investoren.
Aber eine der Bedingungen
für den Verkauf war,
dass die koreanische Regierung
für die uneinbringlichen
Forderungen dieser Bank
in Form von Subventionen aufkommt,
die 35 Mal höher
als der Kaufpreis waren.
Das heisst, etwa 15 Milliarden Dollar.
Diese Investoren
kommen also nach Korea
und erobern praktisch über Nacht
den gesamten koreanischen Finanzmarkt,
die Handelsbanken.
Und sie verwalten die Schulden
grosser koreanischer Konzerne
wie Hyundai oder Daewoo.
Sie sind also in der Lage, eine Spaltung
dieser Unternehmen anzuordnen.
Ein Teil von Daewoo
wurde an General Motors verkauft.
Andere koreanische Unternehmen
werden verkauft.
Durch einen Mechanismus, der mit der
Manipulation der Finanzmärkte beginnt,
ermächtigt man sich
der Wirtschaft eines ganzen Landes.
„Koreanische Unternehmen fürchten
wegen Bankenkrise um ihre Kredite
Eine Million Menschen arbeitslos
Die 'Bettler beim IWF'
Die schwerste soziale Krise
in Südkorea seit Kriegsbeginn:
seit März über
eine Million Arbeitslose"
Die von den Finanzmärkten
durchgeführte Kampagne
zur Liberalisierung der Wirtschaft
wäre nicht so erfolgreich gewesen
ohne die wertvolle Unterstützung
der Institutionen von Bretton Woods,
die ebenfalls wichtige Transporteure
der neoliberalen Ideologie sind:
der Internatonale Währungsfonds (IWF),
die Weltbank (WB)
und die Welthandelsorganisation
(WTO, ehemals GATT).
Der IWF und die Weltbank wurden 1944
zur Gewährleistung
der Stabilität der Wechselkurse
und zur Unterstützung
des Wiederaufbaus
in den durch den Zweiten Weltkrieg
zerstörten Ländern gegründet.
Mit der Zeit jedoch
veränderten die USA und Europa
in beachtlichem Masse den Auftrag
der Schwesterorganisationen
mit Sitz in Washington.
Kurz nach der einseitigen
Entscheidung der USA im Jahr 1971 ,
dem internationalen Währungssystem
ein Ende zu setzen,
wurde dem IWF und der Weltbank
eine völlig neue Mission zuteil:
die Durchsetzung der Liberalisierung der
Wirtschaft in den Entwicklungsländern
mittels einer „Konditionalität",
nach der die Kreditvergabe
an die Umsetzung einer Reihe von
neoliberalen Massnahmen gebunden ist.
Manche bezeichneten
diese Wirtschaftsreformen
als „Schocktherapie",
während sie andere ironisch
den „Washington Consensus" nannten.
9. NEOLlBERALISMUS
ODER NEOKOLONIALISMUS?
9. NEOLIBERALISMUS
ODER NEOKOLONIALISMUS?
DIE DRUCKAUSÜBUNG DURCH
DIE INSTITUTIONEN VON BRETTON WOODS
ODER
DER WASHINGTON CONSENSUS
Washington, wo die Weltbank
und der IWF ihren Sitz haben,
begann, dem Rest der Welt,
vor allem den ärmsten Ländern,
die quasi bankrott waren,
vorzuschreiben,
wie Wirtschaft funktioniert.
Das nannte man
„Strukturanpassungsmassnahmen"
oder „Strukturanpassungsprogramme",
auferlegt vom IWF
im Zusammenhang mit den Krediten der
Weltbank für die betreffenden Länder.
ÄQUATORIALGUINEA, 2006
Eine grosse Zahl von Ländern
wurde ins Chaos gestürzt,
aufgrund eben dieser Massnahmen
des IWF und der Weltbank.
Sie sind zahlreich. Es ginge zu weit,
fundamentale Anpassungsmassnahmen,
zyklische Massnahmen
und Ähnliches zu erörtern.
lm Prinzip ...
... lässt sich das auf drei oder vier
Massnahmen zusammenfassen.
ERSTE MASSNAHME:
SENKUNG DER STAATSAUSGABEN
Die erste Massnahme für Länder,
denen Zahlungsunfähigkeit drohte,
also die absolute Misere,
war ...
... die Beseitigung oder Reduzierung
des Staatsdefizits,
also die Senkung der Staatsausgaben.
Der Staat soll weniger ausgeben.
ZWEITE MASSNAHME:
PRIVATISIERUNGEN
Wer kauft bei Privatisierungen?
Lokale Akteure gibt es ja keine.
Gäbe es genügend
lokale Mittel für den Kauf
ganzer Firmen aus der Öl-,
Phosphat- oder Eisenindustrie,
wäre das Land ja nicht so arm.
Die Öffnung der Wirtschaft dieser
verarmten Drittweltstaaten geht so weit,
dass sie ihre letzten
nationalen Wirtschaftsinteressen
an ausländische Investoren
verschleudern.
Multinationale Konzerne
kaufen die Firmen
und siedeln in diese Ländern um,
aufgrund der dortigen
Lohn- und Preisstruktur.
Für diese Konzerne
wird es zunehmend günstiger,
dort zu produzieren,
als in ihren Herkunftsländern.
Aber es geht ihnen auch
um den günstigen Erwerb
von Produktionsanlagen und -kapazitäten:
für die Produktion
und Raffination von Zucker,
für die Förderung
und Verarbeitung von Öl oder Gas,
für die Gasverflüssigung
oder die Förderung von Erz.
Es wird verschleudert, was die lokale
Wirtschaft Jahre gekostet hat.
DRITTE MASSNAHME:
WÄHRUNGSABWERTUNG
Währungsabwertung bedeutet
für die Länder, die bereits arm sind,
dass sich alle importierten Waren
plötzlich in dem Masse verteuern,
in dem der Wert der Währung sinkt.
Als der CFA-Franc plötzlich
nur noch die Hälfte wert war,
Anfang der 90er Jahre,
besass ein Drittel Afrikas oder mehr,
das diese Währung hatten,
von einem Tag auf den anderen
nur noch die Hälfte seiner Kaufkraft.
Ihr Lohn, der ihnen bisher einen
gewissen Lebensstandard sicherte,
reicht jetzt nur noch für die Hälfte.
Das ist eine
plötzliche Inflation von 100%.
Hinzu kommt,
dass Halbfertigerzeugnisse,
Fertigerzeugnisse, raffinierte Produkte,
also alles, was in dieser Region Afrikas
aus dem Ausland importiert wird,
durch die Abwertung des CFA-Francs
plötzlich doppelt so teuer ist.
Hinzu kommen auch die lokalen
Auswirkungen dieser Abwertung.
Alle Produkte und Dienstleistungen
werden um ein Vielfaches teurer.
Aber wirklich über Nacht!
Und die Zeit tut noch das Ihrige.
Denn alles, was aus importierten
Halbfertigerzeugnissen hergestellt wird,
oder was importierte Bindemittel, Leim,
Lösungsmittel oder Farbe erfordert,
wird auf längere Sicht,
nach mehreren Monaten
ebenfalls um ein Vielfaches teurer sein.
VIERTE MASSNAHME:
NEUORIENTIERUNG DER NATIONALEN
WIRTSCHAFT AUF DEN EXPORT
Wenn wir betrachten, wie sich
die Verpflichtung dieser Länder,
in denen IWF und Weltbank eingreifen,
vermehrt für den Export zu produzieren,
auswirkt,
sehen wir, dass diese Länder
zu Konkurrenten werden.
Die Kaffee produzierenden Länder
werden mehr Kaffee produzieren,
das gleiche gilt für Kakao oder Öl.
Bauxit ...
Ich weiss nicht ...
Zucker, Weizen ...
Alle Basisprodukte ...
... unterliegen einem Preisverfall
aufgrund der Überproduktion.
Die Preise fallen,
die Länder werden zu Konkurrenten,
und hinzu kommt die Inflation
durch besagte Währungsabwertung
sowie die automatische Verteuerung
aller importierten Produkte.
Wir beobachten also eine Umkehrung
der Interessen dieser Länder,
denen man angeblich helfen will.
Und zwar schon deswegen,
weil alles, was sie importieren,
immer teurer wird
und ihre Exporte
immer weniger einbringen.
Sie geraten in eine Schuldenspirale,
so dass heute, im Jahr 2002,
allein die Zinslast
der ärmsten Länder ...
Ich spreche von Ländern
wie Bangladesch, Ruanda, Burundi,
Togo und solchen Ländern,
die bereits bei minus 250% liegen.
Nur die Zinsen können da 600 Mal höher
als die Erlöse aus dem Export sein.
FÜNFTE MASSNAHME:
ANPASSUNG DER PREISE
Diese Massnahme beinhaltet Folgendes:
keine Subventionen mehr
für Grundbedürfnisse,
also für das Wohnungs-
und Gesundheitswesen,
für Öl, Reis ...
... Transport und dergleichen.
Dadurch sollen die Preise
entzerrt werden. Was bedeutet das?
Das heisst, dass sich die Preise
gemessen am Dollar weltweit angleichen.
Wenn Sie mit Dollar verreisen,
so wie ich als Kanadier,
kosten Produkte und Dienstleistungen
überall etwa gleich viel.
Sei es in Cotonou in Benin,
einem der ärmsten Länder der Welt,
in Chicago, in New York oder Paris.
Ihr Zimmer im Holiday Inn, im Sheraton,
Ihr Essen im Holiday Inn
kostet in Dollar
überall ungefähr gleich viel.
Aber in Cotonou, der Hauptstadt Benins,
einem der ärmsten Länder der Welt,
kostet eine Nacht im Sheraton,
wo ich dann schlafen würde,
so viel, wie ein Beamter in Benin
in sechs Monaten verdient.
Für ein Essen im Restaurant
dieses Hotels in Cotonou
müsste ein kleiner Beamter in Benin
eine Woche arbeiten.
SECHSTE MASSNAHME:
OFFENHEIT FÜR INVESTITIONEN
UND ANPASSUNG DER LÖHNE
Diese Massnahme lässt sich im Prinzip
auf eine einfache Formel reduzieren:
Die Löhne werden an die niedrigsten
Löhne einer Branche angenähert.
Und zwar ...
... in Übereinstimmung mit der
sogenannten Liberalisierung des Handels.
Zur Erklärung:
Durch ein Abkommen wie das NAFTA,
das Freihandelsabkommen
zwischen Mexiko, USA und Kanada,
werden die Löhne vom Niveau der USA
auf das Niveau von Mexiko sinken.
Weil Wettbewerb unter den Arbeitern
Mexikos, Kanadas und der USA herrscht.
Bei Standortverlagerungen heisst es:
Das NAFTA
schafft Arbeitsplätze in Mexiko.
Das heisst ...
... etwa sechs oder sieben Jahre
nach dem NAFTA ...
... sind die Löhne
in der Gegend um Leôn,
im Norden von Mexiko,
wo sich die US-Konzerne niederliessen ...
Wobei es in den USA Entlassungen gab.
Es wurden Arbeitsplätze abgebaut,
die im mexikanischen Vergleich
sehr gut bezahlt waren,
um in Mexiko
„Arbeitsplätze zu schaffen",
bei weitaus niedrigerer Bezahlung.
In den letzten fünf Jahren
sind die Löhne in dieser Region,
der reichsten Region Mexikos,
in der sich die
US-Konzerne ansiedelten,
dort sind die Löhne und damit
die Kaufkraft um 23% gesunken.
Das heisst, vor fünf Jahren
konnte ein Arbeiter
bei General Motors im Norden Mexikos
eine Familie mit zwei Kindern ernähren.
Heute kann dieserArbeiter
nicht einmal für sich selbst sorgen,
selbst überleben.
Und nun, kurz vor dem Gipfel,
der im Norden von Mexiko stattfindet,
wird in Monterrey eine Mauer gebaut,
damit man die Elendsviertel nicht sieht.
Eine drei Meter hohe
und kilometerlange Mauer
soll die Armut
vor den Gipfelteilnehmern verbergen.
Das steckt dahinter.
Die Löhne werden auf das niedrigste
Niveau einer Branche gesenkt.
Und da die modernen Branchen,
wie Informatik
oder Elektronik,
zunehmend auch in der
Dritten Welt betreibbar sind,
gibt es Fluggesellschaften,
wie Swissair, glaube ich,
oder Firmen aus der Stahlindustrie
und so weiter,
die alles, was mit Buchhaltung, Finanzen
und IT zu tun hat, nach Bombay verlegen.
Ein Buchhalter,
der dort die gleiche Arbeit
wie ein Buchhalter in der Schweiz oder
in Kanada macht, kostet 100 Mal weniger.
Jemand, der ein Lufftahrtprogramm
erstellt, kostet 200 Mal weniger.
Und so weiter.
Das ist die Anpassung der Löhne.
Was mich dabei stört,
ist, dass alles zusammengenommen,
die Währungsabwertung,
die Exporte, die Schulden,
Privatisierung,
Kürzung der Staatsausgaben,
was zu Entlassungen,
zu Arbeitslosigkeit führt ...
Das alles in Verbindung
mit der Preis- und Lohnanpassung
führt zur aktuellen Lage:
Die reichen Länder sind unendlich reich,
und die armen Länder sind unendlich arm.
Ich bin bestürzt darüber,
dass der IWF und die Weltbank in
Argentinien genau das wiederholen wollen,
was die argentinische Wirtschaft
zugrunde gerichtet hat.
So, als wären wir unbelehrbar.
Und das ist nicht ohne Grund so.
Es gibt ein Interesse daran,
dass diese Ideologie,
die die Welt erklärt, so lange besteht,
wie der gesamte Planet
in diesem Sinne verwertbar ist.
Beim Internationalen Währungsfonds
wird das Stimmrecht
innerhalb des Gouverneursrates ausgeübt.
Dieses Stimmrecht basiert auf ...
... der finanziellen Partizipation,
dem finanziellen Beitrag
der einzelnen Staaten.
Sie sind die Aktionäre des IWF.
So ist es auch bei der Weltbank.
Das ist nicht wie bei der UNO.
Und die Hauptaktionäre des IWF
sind natürlich die Vereinigten Staaten,
Deutschland, Japan,
Grossbritannien, Frankreich.
Aber am Ende ist das nur ein Aspekt,
denn neben
der politischen Repräsentation
in einer zwischenstaatlichen
Organisation geht es um andere Belange:
Das sind die Korridore ...
Es geht um die Zuspielung von Macht
zwischen der Wall Street und Washington,
um die Verbindungen
zwischen IWF und den Thinktanks,
der Heritage Foundation,
dem Brookings Institute.
Die Staatskasse der USA ist involviert,
die US Federal Reserve.
All das bildet
den sogenannten „Washington Consensus".
Es ist ein Machtpoker.
Im Jahr 2005 kommt Paul Wolfowitz,
einer der radikalsten Ideologen
der imperialistischen Politik
und Kriegstreiberei von Präsident Bush,
vom Verteidigungsministerium
direkt an die Spitze der Weltbank.
Diese Ernennung, die jegliche Zweifel
an den tatsächlichen Zielen
der Weltbank ausräumt,
enthüllt das wahre Gesicht
der Institutionen von Bretton Woods.
KONFERENZ VON BRETTON WOODS,
MOUNT WASHINGTON HOTEL, 1944
Nach dem Krieg
kam es natürlich zur Gründung
des IWF und der Weltbank.
Nach John Maynard Keynes,
dem Architekten dieser Institutionen,
fehlte aber noch ein dritter „Gauner",
eine dritte Organisation,
also eigentlich
die Welthandelsorganisation.
Aber das wollten die Amerikaner nicht.
Also wurde als Ausweichlösung
das GATT ins Leben gerufen,
das „General Agreement
on Tariffs and Trade".
Es wurde 1947 abgeschlossen
und hatte die Senkung
der Zölle
für Industrieerzeugnisse zum Ziel.
Das GATT erfüllte seinen Zweck,
denn in den 50 Jahren seines Bestehens
kam es immerhin
zu beachtlichen Senkungen der Zölle,
von durchschnittlich 40% bis 50%
auf 4% oder 5%.
Aber das betraf
nur die industriellen Erzeugnisse.
Dadurch wurde die Notwendigkeit gesehen,
vor allem auf Seiten
der transnationalen Finanzunternehmen,
eine Organisation ins Leben zu rufen,
die viele andere Bereiche umfasste
als nur industrielle Erzeugnisse.
Und deshalb wurde
am Ende der Uruguay-Runde,
der letzten Welthandelsrunde
im Rahmen des GATT,
die Entscheidung für die Gründung
der Welthandelsorganisation gefällt,
die am 1 . Januar 1995
in die Tat umgesetzt wurde.
Dabei wurden zahlreiche Abkommen
miterfasst, nicht nur das GATT,
sondern auch
das Landwirtschaftsabkommen,
das TRIPS-Abkommen
über geistiges Eigentum,
das Allgemeine Dienstleistungsabkommen,
das sehr umfassend ist
und elf Hauptbereiche
und 160 Unterbereiche einschliesst.
Dadurch unterliegen
sämtliche menschliche Aktivitäten ...
... den GATT-Regelungen,
von Bildung über Gesundheit,
Kultur bis hin zur Umwelt.
Dann gibt es noch
andere technische Abkommen,
die zumindest technisch erscheinen,
aber eigentlich sehr politisch sind:
das Abkommen
über technische Handelshemmnisse,
über Gesundheits- und Pflanzenschutz.
Das sind Abkommen über Normen,
die die Mitglieder, also die Staaten,
umsetzen können.
Diese Normen sind im Grunde genommen
technische Handelshemmnisse.
Das vielleicht weniger bekannte
und doch wichtigste Abkommen
ist der Beschluss
des Streitschlichtungsverfahrens,
das ein sehr mächtiges
rechtliches Instrument
der WTO darstellt.
Damit kann sie Streitigkeiten
zwischen Mitgliedern beilegen
und Recht sprechen.
Wer urteilt also?
Das weiss man nicht genau.
Es sind von Listen ausgewählte Experten.
Die Länder können Personen
für diese Listen vorschlagen.
Meistens sind es Privatpersonen,
Wirtschaftsanwälte oder manchmal
auch ehemalige Geschäftsführer.
Aber ihre Namen sind unbekannt.
Sie treffen sich im Geheimen,
meist zu dritt.
Sie entscheiden recht schnell.
Es kann Widerspruch eingelegt werden,
aber die Bedingungen sind dieselben:
Es ist ein neues Gremium,
und es wird im Geheimen entschieden.
Über dieses Streitschlichtungsgremium
muss man wissen,
dass es zugleich ...
... gesetzgebende, rechtsprechende
und ausführende Gewalt ist,
denn es spricht Urteile aus
und stellt eine Rechtsprechung auf.
Es stellt sich über alle Gesetze,
welche die Rechtsprechungen
der einzelnen Länder beschlossen haben,
aber auch über Internationales Recht,
das in 50 Jahren
mühsam erarbeitet wurde.
Die Menschenrechte,
multilaterale Umweltabkommen,
die grundlegenden Arbeitsnormen
der Internationalen Arbeitsorganisation.
All das ist hinfällig.
Die WTO fällt Entscheidungen,
die besagen:
„Der Handel steht über allem.
Von euren Umweltabkommen
wollen wir nichts hören."
Und die WTO hat die ausführende Gewalt,
denn sie kann Sanktionen anordnen.
Ist ein Land nicht einverstanden
mit dem Urteil, heisst es: „Gut!
Dann ändert ihr eure Gesetze eben nicht,
sondern ihr zahlt.
Jedes Jahr.
Und zwar in Form von Zöllen,
die euer Gegner im
Streitschlichtungsverfahren festlegt."
Wenn die USA entscheiden,
in Europa Zölle anzuordnen,
für Frankreich,
auf Stopfleber, Senf und Roquefort,
dann ist das ihr gutes Recht.
Das wird teuer,
und nur wenige Länder können
diese jährlichen Einschnitte verkraften.
Bei der WTO werden mehrere
Verhandlungen gleichzeitig geführt.
Ein Land,
das keinen Botschafter in Genf hat
oder sich einen
mit anderen Ländern teilt,
was bei den afrikanischen Staaten
oder den Kleinststaaten der Fall ist ...
... dann ist es diesem Land unmöglich,
die Verhandlungen zu verfolgen.
Das heisst, der Süden ...
... ist nicht umfassend informiert.
Ein Botschafter
aus dem Süden sagte einmal:
„Die WTO ist wie ein Multiplex-Kino.
Man muss sich
für einen Film entscheiden."
Also wählen sie das aus, was ihnen
für ihr Land wichtig erscheint.
Wer entscheidet also wirklich?
Man spricht von einem Konsens.
In der WTO wurde noch nie abgestimmt.
Ein Botschafter der USA sagte mal,
eine Abstimmung wäre
ein schlechter Präzedenzfall.
So viel zum Thema Demokratie.
In Wahrheit
hat die Vierer-Gruppe das Sagen:
Kanada, die USA,
die Europäische Union und Japan.
Sie treffen sich ständig,
haben sehr viel Personal bei der WTO
und finden ihren eigenen Konsens.
Dann kommen sie
in die Plenarsitzung und sagen:
„lhr seid doch einverstanden, oder?"
Es ist sehr schwer
für die Länder des Südens,
Nein zu sagen.
Das erfordert viel Mut und Überzeugung.
Denn die Druckmittel gegen sie
sind vorhanden.
Da darf man sich nichts vormachen:
Wenn Sie vom IWF abhängig sind
oder wenn Sie Probleme
mit den USA haben,
dann dürfen Sie nicht allzu sehr
aus der Reihe tanzen.
Gewiss sind die Finanzmärkte
und die Institutionen von Bretton Woods
zu den privilegierten Instrumenten
des neoliberalen
Eroberungsfeldzuges geworden.
Aber es gibt noch immer Länder,
die sich hartnäckig weigern,
sich diesem erzwungenen
Markt hinzugeben.
Und genau dann wirft der Kolonialismus
seine neuen Kleider ab
und präsentiert sich
in seiner alten Kriegsmontur.
Angefangen beim
auseinanderbrechen Jugoslawien
über den Darfur-Konflikt
bis hin zum Afghanistankrieg:
Die Konflikte aus der Zeit
nach dem Kalten Krieg
werden von
ganz anderen Interessen bestimmt,
als es uns die westliche Propaganda
unter der Überschrift eines „neuen
militärischen Humanismus" darlegt.
Die Kontrolle von Ressourcen,
aber auch von Geldflüssen
und von geostrategischen Räumen,
sowie das Diktat des IWF,
der Weltbank und der WTO
festigen die Herrschaft
der grossen Konzerne
und der Grossanleger
über den gesamten Planeten.
Zudem haben die von den Eroberern
eingesetzten Kolonialregierungen
die Dogmen der neoliberalen Ideologie
zügig umgesetzt.
Die Einkesselung ist vollführt.
10. NEOLIBERALISMUS
ODER NEOKOLONIALISMUS?
10. NEOLIBERALISMUS
ODER NEOKOLONIALISMUS?
DIE DRUCKAUSÜBUNG
DURCH DEN MILITÄRISCHEN HUMANISMUS
ODER
„KRIEG IST FRIEDEN"
Das Abkommen von Dayton wurde 1995
auf einer US-Militärbasis unterzeichnet.
Wenn man
die Texte des Abkommens durchsieht,
taucht da die Verfassung
von Bosnien-Herzegowina
im Anhang des Dayton-Abkommens auf.
Sie wurde von amerikanischen Beratern
und Rechtsanwälten geschrieben.
Die versammelten sich und verfassten
ein so wichtiges Dokument,
und zwar ohne
eine Verfassungsgebende Versammlung
der Bürger in Bosnien-Herzegowina.
Und in dieser Verfassung,
die von den Vereinigten Staaten
aufgesetzt wurde,
gibt es diesen Artikel:
Die Zentralbank von Bosnien-Herzegowina
fungiert nicht als Zentralbank,
sondern als Ausgabestelle,
Currency Board genannt,
also eigentlich eine Kolonialbank,
die keine Möglichkeit
zur Geldschöpfung hat.
Das heisst, sie ist ihren externen
Gläubigern völlig ausgeliefert.
Das ist das Modell,
das es zur Zeit in Argentinien gibt.
Zudem besagt diese in Dayton entstandene
Verfassung von Bosnien-Herzegowina,
dass der Internationale Währungsfonds
den Präsidenten der Zentralbank
von Bosnien-Herzegowina ernennt.
Dieser darf ...
... kein Bürger Bosnien-Herzegowinas
oder eines Nachbarlandes sein.
Mit anderen Worten:
Man sieht, dass diese Verfassung,
die einfach angefertigt wurde
und die keine bürgerliche Grundlage
in Bosnien-Herzegowina hat,
eine Kolonialregierung einrichtet.
So nennen wir das natürlich nicht.
Es ist die Internationale Gemeinschaft.
Aber letzten Endes sieht man,
dass alle ...
... dass alle Verwaltungsstrukturen
von Ausländern beherrscht werden.
Ausländer bestimmen über die Etats,
eine Währungspolitik
gibt es erst gar nicht.
Und trotzdem wird
das Abkommen von Dayton heute
von der sogenannten
Internationalen Gemeinschaft
als Antwort auf die Probleme
verschiedener Länder präsentiert.
Sie wollen sogar
dasselbe Modell für die Verwaltung,
eine Kolonialverwaltung,
in Ländern wie Mazedonien
oder Jugoslawien einsetzen.
Eigentlich sprechen wir über ein Mosaik,
ein Mosaik von Protektoraten.
„Militärischer Humanismus"
ist ein schöner Begriff,
der Nötigung, Eroberung
und Unterdrückung verschleiern soll.
Aber das einzig Neue ist der Begriff.
Wenn man in die Geschichte blickt,
dann wurden Eroberungen, Imperialismus,
Unterdrückung und Gewalt
fast immer
in humanistische Worte gefasst.
Die Franzosen verwirklichten
eine „zivilisatorische Mission",
während ihr Kriegsminister
zum Völkermord in Algerien aufrief.
Die Briten brachten den Barbaren
in Indien selbstlos die Zivilisation,
wobei sie dann das weltweit
grösste Drogenimperium schufen,
um auf chinesische Märkte vorzustossen,
während sie von Freihandel redeten.
In den USA heisst das
„American exceptionalism".
Wir sind so edelmütig,
keiner ist wie wir.
Jedes andere mächtige System
behauptet dasselbe von sich.
Aus der Zeit, als die Japaner
die Mandschurei in Nordchina eroberten,
gibt es Dokumente,
denn sie wurden ja erobert,
die nur so
vor humanistischer Rhetorik strotzen.
Sie würden ein Paradies auf Erden
erschaffen und Japan sei so selbstlos ...
... sich für das Wohl
anderer Menschen aufzugeben.
Es gab da vor Kurzem einen interessanten
Artikel in The Globe and Mail,
von einem russischen Emigranten,
der Soldat in Afghanistan war.
Er lebt heute in Kanada und verglich ...
... die Beschreibung
der russischen Invasion in Afghanistan
mit jener der US-Invasion
im Irak und in Afghanistan,
am Beispiel kanadischer Truppen
in Afghanistan: nahezu dasselbe.
Er war selbst Soldat,
und alle glaubten daran,
dass sie den armen Menschen
in Afghanistan helfen würden,
dass sie, bedrängt von den
vom ClA ausgebildeten Terroristen,
sich für medizinische
Versorgung einsetzten,
für Frauenrechte und so weiter.
Und sie schafften es nicht
wegen der enthemmten Terroristen,
was ja zum Teil auch stimmt.
Aber das ist etwa die Art,
wie Kanada seine Mission
in Afghanistan beschreibt,
wie die Irak-Mission beschrieben wird.
Das ist beinahe universell.
Jetzt heisst es
„militärischer Humanismus".
Der Neoliberalismus
soll reine Wirtschaft sein,
aber wenn man genau hinsieht,
wird klar, dass es ein Machtspiel
der multinationalen Konzerne
und einiger Staaten ist,
die sich für deren Interessen einsetzen.
Eigentlich ist es Neokolonialismus,
es heisst lediglich anders.
Das zieht sich durch die Geschichte.
Hätten wir Dokumente
von Attila, dem Hunnen,
wären sie wahrscheinlich
voll von tugendhafter Rhetorik.
BABELFISCH TRANSLATIONS
Untertitel: Melanie Molnàr
Ripped & srt:
Tokadime