Die vielen Bedeutungen von Michelangelos David - James Earle

Die ganze Lektion: http://ed.ted.com/lessons/the-many-meanings-of-michelangelo-s-statue-of-david-james-earle

Üblicherweise erleben wir klassische Kunstwerke in einem Museum, losgelöst von ihrem ursprünglichen Kontext. Aber diese ruhige Umgebung kann über eine bewegte Geschichte hinwegtäuschen. Ein Beispiel dafür ist Michelangelos Statue des David: als religiöses Symbol entworfen, als politisches Wahrzeichen übernommen und später als Ikone ästhetischer Schönheit verehrt. James Earle führt uns durch die Geschichte der Statue und zeigt, wie Kunst im Laufe der Zeit mehrere Bedeutungsebenen erlangt.

Lektion von James Earle, Animation von Avi Ofer.

Wenn wir an klassische
Kunstwerke denken,

stellen wir sie uns üblicherweise
in einem Museum vor.

Wir vergessen oft,
dass viele Kunstwerke,

als sie entstanden,
nicht für Museen gedacht waren.

Was passiert mit einem Kunstwerk,

wenn man es aus dem Kontext löst,
für den es geschaffen wurde?

Nehmen wir beispielsweise
Michelangelos Statue des David,

dem jungen Helden, der Goliath,
den Riesen der Philister, erschlug,

gewappnet nur mit seinem Mut
und einer Steinschleuder.

Als Michelangelo an einem reinweißen
Marmorblock zu arbeiten begann,

um die berühmte
Bibelgeschichte zu erzählen,

plante die Stadt Florenz, das fertige Werk

auf ihre gewaltige Kathedrale zu setzen.

Die 5,17 Meter hohe Statue

wäre bei ihrer Größe gut sichtbar gewesen

und ihre Platzierung
neben 11 Statuen von Helden

aus dem Alten Testament, die sich
über dem Betrachter erheben sollten,

hätte eine mächtige
religiöse Bedeutung gehabt:

Der Betrachter wäre gezwungen gewesen,
in Ehrfurcht gen Himmel zu blicken.

Doch als Michelangelo
das Werk 1504 fertigstellte,

hatte man die Pläne für
die anderen Statuen aufgegeben.

Der Stadt wurde auch klar:
Eine so große Statue aufs Dach zu heben,

würde viel schwieriger als angenommen.

Außerdem war die Statue
so detailreich und lebensecht --

bis hin zu den dicken Venen auf Davids Arm

und der Entschlossenheit
in seinem Gesicht --,

dass es eine Verschwendung schien,
sie fern vom Betrachter zu verbergen.

Ein Rat aus Politikern und Künstlern

sollte über einen neuen Standort
für die Statue entscheiden.

Sie stimmten schließlich für einen Platz
vor dem Palazzo della Signoria,

dem Rathaus und Sitz der neuen
republikanischen Regierung.

Der neue Standort gab der Statue
eine neue Bedeutung.

Die Familie Medici, die seit Generationen
über Florenz geherrscht hatte,

indem sie die Banken kontrollierte,
war gerade erst verbannt worden.

Florenz sah sich nun als freie Stadt,

von allen Seiten bedroht
von reichen und mächtigen Rivalen.

Als Symbol heldenhaften Widerstandes
angesichts einer überwältigenden Übermacht

drückte Davids durchdringender Blick
nun strenge Warnung aus und

man richtete seine Augen nach Rom,

dem Sitz des Kardinals Giovanni de Medici.

Obwohl die Statue selbst
unverändert geblieben war,

verlieh ihre Platzierung
nahezu jedem ihrer Aspekte

statt einer religiösen
nun eine politische Bedeutung.

Vor dem Palazzo steht
zwar noch eine Kopie des David,

das Original jedoch wurde 1873

in die Galleria dell'Accademia gebracht,
wo es sich bis heute befindet.

In der geordneten, stillen
Museumsumgebung,

neben zahlreichen
unvollendeten Skulpturen Michelangelos,

fallen offenkundige religiöse und
politische Deutungen weg und

lassen eine unvoreingenommene
Betrachtung von Michelangelos

künstlerischem und technischem Können zu.

Aber selbst hier mag
dem wachen Betrachter auffallen,

dass Davids Kopf und Hand
unverhältnimäßig groß scheinen --

eine Erinnerung, dass sie für
den Blick von unten gemacht wurden.

So verändert der Kontext
nicht nur Bedeutung

und Interpretation eines Werks
im Lauf seiner Geschichte,

seine Geschichte kann gelegentlich
auch auf überraschende Weise

wieder zum Vorschein treten.