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Kunst kann unsichtbare PTBS-Wunden heilen

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    Sie sind ein ranghohes
    Mitglied im Militärdienst,
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    stationiert in Afghanistan.
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    Sie sind verantwortlich für die Leben
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    hunderter Frauen und Männer
  • 0:13 - 0:15
    und Ihr Stützpunkt wird angegriffen.
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    Mörsergranaten explodieren
    überall um Sie herum.
  • 0:20 - 0:23
    Sie bemühen sich, durch den Staub
    und Rauch sehen zu können
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    und tun Ihr Bestes, um
    den Verletzten zu helfen.
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    Dann kriechen Sie zu einem nahen Bunker.
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    Benommen von den Explosionen,
    aber bei Bewusstsein,
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    liegen Sie auf Ihrer Seite
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    und versuchen,
    die Ereignisse zu verarbeiten.
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    Als Sie wieder sehen können,
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    sehen Sie ein blutiges Gesicht,
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    das Sie anstarrt.
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    Der Anblick ist entsetzlich,
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    aber Sie begreifen rasch,
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    dass es nicht echt ist.
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    Dieses Traumbild erscheint Ihnen weiterhin
    mehrmals am Tag und im Schlaf.
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    Sie erzählen niemandem davon,
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    aus Angst, Ihren Job zu verlieren
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    oder als schwach gesehen zu werden.
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    Sie geben diesem Traumbild einen Namen:
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    "Blutiges Gesicht im Bunker",
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    kurz: BGIB.
  • 1:14 - 1:17
    Sie bewahren BGIB in Ihrem Gedächtnis auf
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    und es quält Sie insgeheim
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    die nächsten 7 Jahre lang.
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    Schließen Sie jetzt Ihre Augen.
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    Können Sie BGIB sehen?
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    Wenn ja, dann beginnen Sie das Gesicht
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    der unsichtbaren Kriegswunden zu sehen,
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    gemeinhin bekannt als
    Posttraumatische Belastungsstörung
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    und Schädel-Hirn Trauma.
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    Ich habe keine
    Posttraumatische Belastungsstörung,
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    sie ist mir aber auch nicht fremd.
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    Als kleines Mädchen besuchte ich
    jeden Sommer meine Großeltern.
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    Durch meinen Großvater lernte ich
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    die Auswirkungen von
    Gefecht auf die Psyche kennen.
  • 1:59 - 2:02
    Als mein Großvater im Koreakrieg
    in der Marine diente,
  • 2:02 - 2:07
    bohrte sich eine Kugel durch seinen Hals
    und verhinderte sein Aufschreien.
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    Er musste zusehen, wie
    ein Sanitäter an ihm vorbeiging,
  • 2:10 - 2:12
    ihn für tot erklärte
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    und ihn dem Tod überließ.
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    Jahre später, nachdem seine
    körperlichen Wunden geheilt waren
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    und er nach Hause zurückkehrte,
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    sprach er selten bewusst
    über diese Erfahrung.
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    Nachts aber konnte ich ihn hören,
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    wie er aus seinem Zimmer
    Obszönitäten den Gang hinunter rief.
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    Tagsüber kündigte ich mich an,
    wenn ich seinen Raum betrat,
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    um ihn ja nicht aufzuschrecken
    oder beunruhigen.
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    Er verbrachte seine restlichen Jahre
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    abgeschottet und verschwiegen,
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    ohne eine Möglichkeit, sich auszudrücken.
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    Ich hatte noch nicht die Mittel
    entdeckt, um ihm zu helfen.
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    Ich hatte keinen Namen für
    den Zustand meines Großvaters,
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    bis ich in meinen Zwanzigern war.
  • 2:55 - 2:58
    Ich studierte Kunsttherapie
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    und fühlte mich besonders
    zur Traumaforschung hingezogen.
  • 3:02 - 3:06
    Während ich Vorlesungen über
    Posttraumatische Belastungstörungen,
  • 3:06 - 3:08
    kurz PTBS, anhörte,
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    entschloss ich mich dazu,
    traumatisierten Streitkräften,
  • 3:12 - 3:15
    wie meinem Großvater, zu helfen.
  • 3:15 - 3:18
    Es gab zahlreiche Namen für
    Posttraumatische Belastungen
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    in der Geschichte des Krieges:
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    Heimweh,
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    Kriegszittern,
  • 3:25 - 3:26
    Granatfieber
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    und ein starrer Blick, zum Beispiel.
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    Während meines Studiums
    wütete ein neuer Krieg.
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    Dank moderner Kampfanzüge
    und Militärfahrzeugen
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    überlebten Einsatzkräfte Explosionen,
    die früher tödlich waren.
  • 3:42 - 3:45
    Aber die unsichtbaren Kriegswunden
    nahmen neue Ausmaße an
  • 3:45 - 3:48
    und drängten Armeeärzte und Forscher dazu,
  • 3:48 - 3:53
    die Auswirkungen von
    Schädel-Hirn-Traumata, kurz SHT,
  • 3:53 - 3:56
    und PTBS auf das Gehirn zu untersuchen.
  • 3:57 - 4:00
    Durch Fortschritte in der Technologie
    und in der Bildgebung
  • 4:00 - 4:03
    ist uns bekannt, dass das
    Sprachzentrum des Gehirns,
  • 4:03 - 4:08
    genannt Broca-Areal, sich abschaltet,
    wenn eine Person Trauma erlebt.
  • 4:09 - 4:11
    Diese physiologische Veränderung
  • 4:11 - 4:14
    wird auch "Sprachloses Entsetzen" genannt.
  • 4:14 - 4:17
    Zusammen mit den Vorurteilen
    gegenüber psychisch Erkrankten,
  • 4:17 - 4:20
    der Angst vor Verurteilung
    und Missverständnissen
  • 4:20 - 4:23
    und dem mögliche Verlust
    des gegenwärtigen Postens,
  • 4:23 - 4:27
    führt sie zu einem unsichtbaren
    inneren Kampf unserer Einsatzkräfte.
  • 4:28 - 4:31
    Generationen von Kriegsveteranen
  • 4:31 - 4:35
    haben sich dazu entschieden,
    nicht über ihre Erlebnisse zu reden
  • 4:35 - 4:37
    und im Stillen zu leiden.
  • 4:39 - 4:42
    Ich hatte viel Arbeit vor mir,
    als ich meinen ersten Job
  • 4:42 - 4:46
    als Kunsttherapeutin am
    Walter-Reed-Militärklinikum bekam,
  • 4:46 - 4:47
    dem größten des Landes.
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    Nach ein paar Jahren Arbeit
    auf einer geschlossenen Psychiatrie
  • 4:51 - 4:56
    wechselte ich an das National
    Intrepid Centre of Excellence, NICoE,
  • 4:56 - 5:00
    das die SHT-Betreuung für Streitkräfte
    im aktiven Dienst leitet.
  • 5:01 - 5:03
    Ich glaubte an Kunsttherapie,
  • 5:03 - 5:06
    aber ich musste auch
    die Einsatzkräfte davon überzeugen,
  • 5:06 - 5:08
    große, knallharte, starke, mannhafte
  • 5:08 - 5:11
    Soldaten und einige Soldatinnen,
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    dass sie einmal Kunst als
    Psychotherapie ausprobieren.
  • 5:17 - 5:21
    Die Ergebnisse waren spektakulär.
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    Lebhafte, symbolische Kunstwerke
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    werden von unseren
    Einsatzkräften erschaffen
  • 5:27 - 5:31
    und jedes Kunstwerk erzählt
    seine eigene Geschichte.
  • 5:31 - 5:34
    Wir haben beobachtet, dass Kunsttherapie
  • 5:34 - 5:37
    das Sprachproblem des Gehirns umgeht.
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    Kunst und Trauma wirken in derselben
    sensorischen Gehirnregion.
  • 5:42 - 5:46
    Einsatzkräfte können durch
    künstlerisches Schaffen ihre Erlebnisse
  • 5:46 - 5:48
    auf eine unbedrohliche Weise verarbeiten.
  • 5:48 - 5:51
    Sie können dann Worte
    für ihre Werke verwenden
  • 5:51 - 5:55
    und damit die linke und rechte
    Gehirnhälfte reintegrieren.
  • 5:57 - 6:00
    Wir haben gesehen, dass das
    mit allen Kunstformen funktioniert:
  • 6:00 - 6:03
    Zeichnen, Malen und Collagen erstellen.
  • 6:03 - 6:06
    Den größten Einfluss aber
  • 6:06 - 6:09
    übt die Fertigung von Masken aus.
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    Endlich haben diese unsichtbaren Wunden
    nicht nur einen Namen,
  • 6:14 - 6:15
    sondern ein Gesicht.
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    Wenn Einsatzkräfte Masken herstellen,
  • 6:19 - 6:24
    können sie damit ihr Trauma buchstäblich
    in den Griff bekommen.
  • 6:24 - 6:26
    Es ist erstaunlich, wie oft sie damit
  • 6:26 - 6:30
    ihr Trauma überwinden
    und wieder genesen können.
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    Erinnern Sie sich an BGIB?
  • 6:34 - 6:37
    Das war eine echte Erfahrung
    eines meiner Patienten.
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    Als er seine Maske erschuf,
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    konnte er das quälende Bild
    endlich loslassen.
  • 6:43 - 6:46
    Anfangs war es für ihn
    ein beängstigender Prozess,
  • 6:46 - 6:49
    aber dann begann er, BGIB
    nur als Maske zu sehen
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    und nicht als seine innere Wunde.
  • 6:51 - 6:53
    Am Ende einer jeden Therapiestunde
  • 6:53 - 6:56
    gab er mir seine Maske und sagte:
    "Melissa, pass auf ihn auf."
  • 6:56 - 7:01
    Schließlich legten wir BGIB in eine Kiste,
    um ihn weiter wegzuschließen.
  • 7:01 - 7:03
    Als diese Einsatzkraft NICoE verließ,
  • 7:03 - 7:06
    entschied er sich dazu,
    BGIB zurück zu lassen.
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    Im folgenden Jahr hatte er BGIB
    nur zweimal gesehen.
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    Beide Male lächelte BGIB
  • 7:11 - 7:13
    und der Soldat spürte keine Angst.
  • 7:14 - 7:18
    Immer wenn dieser Soldat jetzt von einer
    traumatischen Erinnerung verfolgt wird,
  • 7:18 - 7:19
    fängt er an zu malen.
  • 7:20 - 7:23
    Jedes Mal, wenn er diese
    erschreckenden Bilder malt,
  • 7:23 - 7:26
    sieht er sie seltener oder gar nicht mehr.
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    Philosophen erzählen uns
    seit Jahrtausenden,
  • 7:31 - 7:32
    dass die schöpferische Kraft
  • 7:32 - 7:36
    sehr eng verbunden ist
    mit der zerstörerischen Kraft.
  • 7:36 - 7:38
    Die Wissenschaft zeigt uns jetzt,
    dass die Gehirnregion,
  • 7:38 - 7:40
    die traumatische Wunden erfährt,
  • 7:40 - 7:44
    auch die Region sein kann,
    wo Heilung passiert.
  • 7:44 - 7:48
    Kunsttherapie zeigt uns,
    wie man diese Verbindung herstellt.
  • 7:48 - 7:50
    Wir haben eine Einsatzkraft gebeten,
  • 7:50 - 7:54
    die Wirkung von Maskenherstellung
    auf seine Behandlung zu beschreiben.
  • 7:54 - 7:56
    Folgendes hatte er zu sagen:
  • 7:56 - 7:58
    (Video) Einsatzkraft: Du vertiefst
    dich ganz in die Maske.
  • 7:58 - 8:00
    Du vertiefst dich ganz in die Zeichnung.
  • 8:00 - 8:04
    Für mich hat es die Blockade gelöst,
  • 8:05 - 8:08
    sodass ich das tun konnte.
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    Beim erneuten Anblick
    nach zwei Tagen dachte ich:
  • 8:11 - 8:15
    "Hier ist das Bild, hier ist die Lösung,
    hier ist das Rätsel."
  • 8:15 - 8:17
    Ab dann ging es steil bergauf.
  • 8:17 - 8:20
    Meine Behandlung lief fantastisch,
  • 8:20 - 8:23
    sie fragten mich: "Kurt, erkläre
    uns dies, erkläre uns das".
  • 8:23 - 8:25
    Zum ersten Mal seit 23 Jahren
  • 8:25 - 8:28
    konnte ich tatsächlich mit jedem
    über diese Sachen offen reden.
  • 8:28 - 8:31
    Ich könnte mit Ihnen jetzt
    darüber reden, wenn ich wollte,
  • 8:31 - 8:33
    denn ich habe die Blockade gelöst.
  • 8:33 - 8:35
    Es ist einfach erstaunlich.
  • 8:35 - 8:44
    Es ermöglichte mir, 23 Jahre PTBS und SHT
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    an einen Ort zu platzieren.
  • 8:47 - 8:49
    Das war vorher nie der Fall.
  • 8:50 - 8:51
    Entschuldigung.
  • 8:52 - 8:54
    Melissa Walker: In den letzten 5 Jahren
  • 8:54 - 8:58
    wurden bei uns
    über 1 000 Masken gefertigt.
  • 8:58 - 9:00
    Ziemlich erstaunlich, oder?
  • 9:01 - 9:02
    Danke.
  • 9:02 - 9:04
    (Applaus)
  • 9:07 - 9:12
    Ich wünschte, ich hätte diese Methode
    mit meinem Großvater teilen können.
  • 9:12 - 9:15
    Ich weiß, dass er davon begeistert wäre,
  • 9:15 - 9:17
    dass wir Wege finden,
  • 9:17 - 9:21
    um den Einsatzkräften von heute und morgen
    bei ihrer Genesung zu helfen.
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    Und dass wir die Mittel dazu
    in ihnen selbst finden,
  • 9:25 - 9:26
    die sie anzapfen können,
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    um sich selbst zu heilen.
  • 9:30 - 9:31
    Vielen Dank.
  • 9:31 - 9:34
    (Applaus)
Title:
Kunst kann unsichtbare PTBS-Wunden heilen
Speaker:
Melissa Walker
Description:

Trauma hinterlässt stumme Opfer, sagt die Kunsttherapeutin Melissa Walker. Kunst kann aber denjenigen, die an psychischen Kriegswunden leiden, dabei helfen, sich zu öffnen und zu genesen. In diesem inspirierenden Vortrag erklärt Melissa Walker, wie insbesondere Maskenfertigung betroffenen Einsatzkräften ermöglicht, über traumatische Erlebnisse zu reden – und diese zu überwinden.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
09:48

German subtitles

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