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Was meine Religion wirklich über Frauen sagt

  • 0:01 - 0:04
    Auf dem Flug hierher
  • 0:04 - 0:10
    führte ich ein interessantes Gespräch
    mit meinem Sitznachbarn.
  • 0:10 - 0:14
    Er sagte: "Der USA scheinen
    die Jobs auszugehen,
  • 0:14 - 0:16
    denn sie erfinden einfach welche:
  • 0:16 - 0:23
    Katzenpsychologe,
    Hundeflüsterer, Tornadojäger."
  • 0:23 - 0:26
    Ein paar Sekunden später fragte er mich:
  • 0:26 - 0:28
    "Und was arbeiten Sie?"
  • 0:28 - 0:31
    Ich antwortete: "Friedenskonsolidiererin?"
  • 0:31 - 0:33
    (Lachen)
  • 0:35 - 0:39
    Tagtäglich setze ich mich für Frauen
    und die Stärkung ihrer Stimmen ein,
  • 0:39 - 0:42
    ich informiere die Öffentlichkeit
    über ihre Erlebnisse
  • 0:42 - 0:48
    und ihren Beitrag zu Konfliktlösung
    und Friedensprozessen.
  • 0:48 - 0:51
    Durch meine Arbeit weiß ich,
  • 0:51 - 0:56
    dass eine vollständige, weltweite
    Einbeziehung von Frauen nur gelingen wird,
  • 0:56 - 0:59
    wenn sie die Religion zurückerobern.
  • 0:59 - 1:03
    Das liegt mir sehr am Herzen.
  • 1:03 - 1:08
    Als junge Muslimin bin ich
    sehr stolz auf meinen Glauben,
  • 1:08 - 1:13
    jeden Tag gibt er mir Kraft und
    Überzeugung für meine Arbeit.
  • 1:13 - 1:16
    Dank ihm kann ich heute vor Ihnen stehen.
  • 1:16 - 1:21
    Ich weiß auch, dass viel Schaden
    im Namen der Religion entsteht,
  • 1:21 - 1:26
    nicht nur meiner Religion,
    sondern aller Weltreligionen.
  • 1:26 - 1:30
    Falschdarstellung, Missbrauch und
    Manipulation religiöser Schriften
  • 1:30 - 1:34
    beeinflussen unsere kulturellen
    und gesellschaftlichen Normen,
  • 1:34 - 1:37
    unsere Gesetze, unser tägliches Leben,
  • 1:37 - 1:40
    und manchmal merken wir das gar nicht.
  • 1:41 - 1:47
    Meine Eltern zogen zu Beginn der 1980er
    von Libyen in Nordafrika nach Kanada.
  • 1:47 - 1:51
    Ich bin das mittlere von 11 Kindern.
  • 1:51 - 1:52
    Richtig, 11.
  • 1:53 - 1:56
    Als Kind sah ich meine Eltern,
  • 1:56 - 1:59
    die tiefreligiös und spirituell waren,
  • 1:59 - 2:02
    zu Gott beten und ihm
    für seine Gaben danken,
  • 2:02 - 2:07
    also für mich -- unter anderem.
    (Lachen)
  • 2:07 - 2:10
    Sie waren gütig, lustig, geduldig,
  • 2:10 - 2:16
    sie besaßen die unendliche Geduld, die
    Eltern von 11 Kindern einfach brauchen.
  • 2:16 - 2:18
    Und sie waren gerecht.
  • 2:18 - 2:23
    Sie haben mir die Religion nie durch
    einen kulturellen Filter vermittelt.
  • 2:23 - 2:25
    Ich wurde gleich behandelt,
  • 2:25 - 2:27
    von mir wurde das Gleiche erwartet.
  • 2:27 - 2:32
    Mir wurde nie gesagt, dass Gott
    nach Geschlecht urteilt.
  • 2:33 - 2:39
    Meine Eltern sahen in Gott einen Freund
    und Fürsorger, barmherzig und gnädig,
  • 2:39 - 2:42
    und formten damit mein Weltbild.
  • 2:43 - 2:47
    Meine Erziehung hatte weitere Vorteile.
  • 2:47 - 2:52
    Eins von 11 Kindern zu sein, lehrt einem
    diplomatisches Geschick. (Lachen)
  • 2:52 - 2:55
    Noch heute werde ich
    nach meiner Ausbildung gefragt:
  • 2:55 - 2:58
    "Haben Sie die Politikschule
    in Harvard besucht?"
  • 2:58 - 2:59
    Ich sehe sie an und antworte:
  • 2:59 - 3:03
    "Nein, die Murabit-Schule für
    Internationale Angelegenheiten."
  • 3:03 - 3:08
    Sehr exklusiv. Um reinzukommen,
    müssen Sie mit meiner Mutter sprechen.
  • 3:08 - 3:11
    Sie haben Glück, sie ist hier.
  • 3:12 - 3:16
    Eins von 11 Kindern zu sein,
    10 Geschwister zu haben,
  • 3:16 - 3:20
    vermittelt ein gutes Verständnis für
    Machtstrukturen und Allianzen.
  • 3:20 - 3:23
    Es lehrt Fokus, man muss
    schnell reden oder sich kurz fassen,
  • 3:23 - 3:26
    denn man wird immer unterbrochen.
  • 3:26 - 3:29
    Man lernt, wie wichtig Verständigung ist.
  • 3:29 - 3:33
    Man muss geschickt fragen, um die
    gewünschten Antworten zu erhalten,
  • 3:33 - 3:37
    man muss wissen, wie man Nein sagt,
    ohne den Frieden zu gefährden.
  • 3:37 - 3:41
    Doch die allerwichtigste Lehre war,
  • 3:41 - 3:45
    dass man am Tisch sitzen muss.
  • 3:45 - 3:49
    Zerbrach Mutters Lieblingslampe
    und sie suchte den Schuldigen,
  • 3:49 - 3:53
    musste ich anwesend sein,
    um mich zu verteidigen,
  • 3:53 - 3:57
    um zu verhindern, dass alle
    anderen auf mich zeigten
  • 3:57 - 4:00
    und ich Hausarrest bekam.
  • 4:00 - 4:03
    Ich spreche natürlich nicht aus Erfahrung.
  • 4:04 - 4:10
    2005, im Alter von 15 Jahren,
    beendete ich die Oberschule
  • 4:10 - 4:12
    und zog von Saskatoon in Kanada
  • 4:12 - 4:16
    nach Zawiya in Libyen,
    der Heimatstadt meiner Eltern,
  • 4:16 - 4:19
    eine sehr traditionelle Stadt.
  • 4:19 - 4:24
    Zuvor hatte ich Libyen
    nur im Urlaub besucht,
  • 4:24 - 4:28
    und als 7-jährige war ich entzückt.
  • 4:28 - 4:33
    Es gab Eis, Strandausflüge
    und begeisterte Verwandte.
  • 4:33 - 4:38
    Doch als 15-jährige junge Frau
    empfand ich es ganz anders.
  • 4:38 - 4:44
    Schon bald erlebte ich die
    kulturelle Seite der Religion.
  • 4:44 - 4:49
    Worte wie "haram"
    -- aus religiöser Sicht verboten --
  • 4:49 - 4:52
    und "aib" -- kulturell unangebracht --
  • 4:52 - 4:55
    wurden leichtfertig vertauscht,
  • 4:55 - 4:59
    als hätten sie die gleiche Bedeutung,
    die gleichen Konsequenzen.
  • 4:59 - 5:04
    Ich führte unzählige Gespräche
    mit Klassenkameraden,
  • 5:04 - 5:08
    Kollegen, Lehrern, Freunden,
    sogar Verwandten
  • 5:08 - 5:12
    und hinterfragte meine
    eigenen Prinzipien und Ziele.
  • 5:12 - 5:16
    Trotz der soliden Vorprägung
    durch meine Eltern
  • 5:16 - 5:20
    zweifelte ich nun an der Rolle
    der Frau in meiner Religion.
  • 5:21 - 5:24
    An der Murabit-Schule für
    Internationale Angelegenheiten
  • 5:24 - 5:27
    legen wir viel Wert auf Debatten,
  • 5:27 - 5:31
    und Regel Nr. 1 ist,
    sich gut zu informieren.
  • 5:31 - 5:32
    Und das tat ich.
  • 5:33 - 5:36
    Ich war überrascht, wie einfach es war,
  • 5:36 - 5:40
    in meinem Glauben
    religiöse Führerinnen zu finden,
  • 5:40 - 5:44
    Frauen, die innovativ und stark waren,
  • 5:44 - 5:47
    politisch, wirtschaftlich
    und sogar militärisch.
  • 5:47 - 5:52
    Khadija finanzierte
    die ersten Schritte des Islams.
  • 5:52 - 5:55
    Ohne sie wären wir heute nicht hier.
  • 5:56 - 5:58
    Und trotzdem lernen wir nichts über sie.
  • 5:58 - 6:01
    Warum hören wir nichts von diesen Frauen?
  • 6:01 - 6:03
    Warum werden Frauen in Rollen
  • 6:03 - 6:07
    aus vor-islamischen Epochen
    zurückgedrängt?
  • 6:07 - 6:09
    Warum sind wir alle gleich vor Gott
  • 6:09 - 6:12
    und ungleich in den Augen der Männer?
  • 6:13 - 6:18
    Das alles hat mich an die Lektionen
    meiner Kindheit erinnert.
  • 6:18 - 6:22
    Leute, die Entscheidungen treffen
    und Meinungen vertreten,
  • 6:22 - 6:25
    sitzen am Tisch
  • 6:25 - 6:32
    und in allen Weltreligionen
    sind das leider nicht die Frauen.
  • 6:32 - 6:35
    Religiöse Institutionen werden
    von Männern dominiert,
  • 6:35 - 6:37
    von Männern gelenkt,
  • 6:37 - 6:41
    ihre Maßnahmen sind auf sie zugeschnitten.
  • 6:41 - 6:44
    Solange wir das System
    nicht völlig umstellen,
  • 6:44 - 6:47
    können wir nicht erwarten,
  • 6:47 - 6:51
    dass sich Frauen voll an
    Wirtschaft und Politik beteiligen.
  • 6:52 - 6:55
    Unser Fundament ist kaputt.
  • 6:55 - 7:01
    Meine Mutter sagt: "Auf einem schiefen
    Fundament kann kein gerades Haus stehen."
  • 7:03 - 7:09
    2011 brach die libysche Revolution aus.
    Meine Familie kämpfte ganz vorne mit.
  • 7:10 - 7:13
    In Kriegen passiert Außergewöhnliches,
  • 7:13 - 7:16
    fast ein kultureller Wandel,
    nur vorübergehend.
  • 7:16 - 7:22
    Zum ersten Mal wurde meine Beteiligung
    nicht nur akzeptiert, sondern begrüßt.
  • 7:22 - 7:24
    Sie wurde gefordert.
  • 7:24 - 7:27
    Ich und andere Frauen
    bekamen einen Platz am Tisch.
  • 7:27 - 7:31
    Nicht aus zeremoniellen Gründen,
  • 7:31 - 7:32
    sondern um Entscheidungen zu treffen.
  • 7:32 - 7:36
    Unser Wissen war gefragt,
    wir waren ausschlaggebend.
  • 7:36 - 7:41
    Gern hätte ich diese Errungenschaft
    für immer beibehalten.
  • 7:42 - 7:45
    Doch das ging nicht so einfach.
  • 7:45 - 7:50
    Nur wenige Wochen später
    waren meine Mitstreiterinnen
  • 7:50 - 7:52
    in ihre alten Rollen zurück geschlüpft,
  • 7:52 - 7:58
    oft von religiösen oder politischen
    Figuren dazu ermuntert,
  • 7:58 - 8:02
    die sich meistens auf
    religiöse Schriften beriefen.
  • 8:02 - 8:06
    So bildeten sie ihre Anhängerschaft.
  • 8:07 - 8:12
    Anfangs kämpfte ich für die politische
    und wirtschaftliche Stärkung der Frauen.
  • 8:12 - 8:16
    Ich dachte, gesellschaftlicher und
    kultureller Wandel würden folgen.
  • 8:16 - 8:20
    Doch es bewirkte nur wenig.
  • 8:20 - 8:25
    Also beschloss ich, sie mit
    ihren eigenen Waffen zu schlagen
  • 8:25 - 8:29
    und zitierte islamische Schriften.
  • 8:29 - 8:33
    In den Jahren 2012 und 2013
    führte meine Organisation
  • 8:33 - 8:36
    die größte und verbreitetste
    Kampagne Libyens.
  • 8:36 - 8:41
    Wir besuchten Haushalte, Schulen,
    Universitäten, sogar Moscheen.
  • 8:41 - 8:43
    Wir sprachen mit 50 000 Personen
  • 8:43 - 8:47
    und erreichten Hunderttausende mehr
    durch Anschlagtafeln, Fernsehwerbung,
  • 8:47 - 8:50
    Radiowerbung und Plakate.
  • 8:50 - 8:53
    Wie gelang einer Frauenrechtsorganisation
  • 8:53 - 8:59
    so eine Kampagne in
    frauenfeindlichen Gemeinden?
  • 9:00 - 9:02
    Ich zitierte religiöse Texte.
  • 9:02 - 9:07
    Ich entnahm Verse aus dem Koran
    und Worte des Propheten,
  • 9:07 - 9:12
    im Hadith wird er wie folgt zitiert:
  • 9:12 - 9:15
    "Die Besten unter euch sind jene,
    die das Beste für ihre Familie wollen."
  • 9:15 - 9:19
    "Erlaube deinem Bruder nicht,
    andere zu unterdrücken."
  • 9:19 - 9:24
    Zum ersten Mal haben die
    Freitagsgebete des örtlichen Imam
  • 9:24 - 9:26
    Frauenrechte unterstützt.
  • 9:26 - 9:30
    Sie haben Tabuthemen,
    wie häusliche Gewalt, angesprochen.
  • 9:31 - 9:34
    Maßnahmen wurden geändert.
  • 9:34 - 9:37
    In manchen Orten mussten wir
    einen Schritt weiter gehen
  • 9:37 - 9:41
    und erklären: "Die Internationale
    Menschenrechtsdeklaration der UNO,
  • 9:41 - 9:45
    der ihr euch widersetzt, weil sie nicht
    von religiösen Gelehrten stammt,
  • 9:45 - 9:50
    entspricht in Wirklichkeit den
    Geboten unserer Heiligen Schrift.
  • 9:50 - 9:54
    Die UNO hat uns quasi kopiert."
  • 9:56 - 10:00
    Wir änderten die Botschaft
    und ermöglichten der Religion
  • 10:00 - 10:03
    Frauenrechte in Libyen zu unterstützen.
  • 10:03 - 10:08
    Das wurde inzwischen
    international wiederholt,
  • 10:08 - 10:13
    obwohl es nicht leicht ist,
    das weiß ich selbst am besten.
  • 10:13 - 10:16
    Liberale beklagen unseren Religionsbezug
    und nennen uns schlechte Konservative.
  • 10:16 - 10:20
    Konservative sagen alles Mögliche, z. B.:
  • 10:20 - 10:24
    "Deine Eltern schämen sich sehr für dich."
  • 10:24 - 10:26
    -- falsch, sie sind meine größten Fans --
  • 10:26 - 10:29
    "Du wirst deinen nächsten
    Geburtstag nicht erleben."
  • 10:29 - 10:32
    -- auch falsch, das habe ich nämlich.
  • 10:32 - 10:35
    Ich bin weiterhin überzeugt,
  • 10:35 - 10:41
    dass Frauenrechte und
    Religion vereinbar sind.
  • 10:42 - 10:45
    Aber wir Frauen müssen am Tisch sitzen.
  • 10:46 - 10:50
    Wir dürfen unsere Position nicht aufgeben,
    denn mit unserem Schweigen
  • 10:50 - 10:55
    ermöglichen wir Verfolgung und
    Missbrauch von Frauen weltweit.
  • 10:56 - 10:59
    Aber wenn wir behaupten,
    Frauenrechte zu verteidigen
  • 10:59 - 11:03
    und Extremismus mit
    Bomben und Krieg bekämpfen,
  • 11:03 - 11:07
    legen wir lokale Gesellschaften lahm,
    die diese Themen ansprechen müssen,
  • 11:07 - 11:09
    um zukunftsfähig zu sein.
  • 11:11 - 11:17
    Es ist nicht einfach, verdrehte
    religiöse Botschaften herauszufordern,
  • 11:17 - 11:22
    man erfährt viele Beleidigungen,
    Spott und Drohungen.
  • 11:22 - 11:24
    Doch wir müssen es tun.
  • 11:24 - 11:31
    Wir müssen zeigen, dass Menschenrechte
    die Grundlage unseres Glaubens sind,
  • 11:31 - 11:34
    nicht für uns, nicht für
    die Frauen in unseren Familien,
  • 11:34 - 11:36
    nicht für die hier anwesenden Frauen,
  • 11:36 - 11:39
    nicht einmal für die Frauen da draußen,
  • 11:39 - 11:42
    sondern für die Gesellschaften,
  • 11:42 - 11:46
    die sich durch die Beteiligung der Frauen
    völlig verändern werden.
  • 11:46 - 11:48
    Und der einzige Weg dahin,
  • 11:48 - 11:50
    unsere einzige Möglichkeit ist,
  • 11:50 - 11:54
    am Tisch zu sitzen und zu bleiben.
  • 11:54 - 11:56
    Danke.
  • 11:56 - 11:59
    (Applaus)
Title:
Was meine Religion wirklich über Frauen sagt
Speaker:
Alaa Murabit
Description:

Im Alter von 15 Jahren zog Alaa Murabit mit ihrer Familie von Kanada nach Libyen. Zuvor hatte sie sich ihren Brüdern gleichgestellt gefühlt, doch in dem neuen Umfeld sah sie ihre Ambitionen durch strenge Verbote eingeschränkt. Als überzeugte Muslimin suchte sie deshalb nach den wahren Prinzipien ihrer Religion. Mit Humor, Leidenschaft und erfrischend rebellischem Temperament erzählt sie von ihrer erfolgreichen Suche nach Beispielen für religiöse Führerinnen in der Geschichte ihrer Religion – und wie sie mit Hilfe von Koran-Zitaten eine Kampagne für Frauenrechte startete.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
12:13

German subtitles

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