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Die Weisheiten bedeutender Schriftsteller über jedes Lebensjahr

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    Im nächsten Monat werde ich 44
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    und ich habe das Gefühl,
    dass 44 ein gutes Jahr wird --
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    ein Jahr voller Erfüllung
    und Verwirklichung.
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    Ich habe dieses Gefühl,
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    nicht weil mir
    etwas Besonderes bevorsteht,
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    sondern weil ich das in
    einem Buch von Norman Mailer
  • 0:19 - 0:22
    aus dem Jahre 1968 gelesen habe.
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    "Er spürte sein Alter, 44 Jahre ...",
  • 0:25 - 0:28
    schrieb Mailer in "Heere aus der Nacht",
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    "... er fühlte sich, als wäre er
    eine massive Verkörperung
  • 0:31 - 0:35
    aus Knochen, Muskeln, Herz, Verstand
    und dem Gefühl, ein Mann zu sein,
  • 0:35 - 0:37
    so als wäre er angekommen."
  • 0:37 - 0:40
    Ich weiß, dass Mailer
    nicht über mich schrieb.
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    Ich weiß aber auch, dass er es getan hat;
  • 0:43 - 0:47
    für uns alle -- Sie, ich
    und die Hauptperson seines Buches
  • 0:47 - 0:49
    altern mehr oder weniger im Gleichschritt;
  • 0:49 - 0:53
    wir folgen von Geburt an
    gleichen Abschnitten:
  • 0:53 - 0:56
    durch die Wunder und
    Einschränkungen der Kindheit;
  • 0:56 - 1:00
    die Emanzipation und
    Frustrationen der Jugend;
  • 1:00 - 1:04
    die Rechte und Mühlsteine
    des Erwachsenenlebens;
  • 1:04 - 1:08
    die Erkenntnisse
    und Resignation des Alters.
  • 1:08 - 1:10
    Es gibt Lebensmuster,
  • 1:10 - 1:12
    die geteilt werden.
  • 1:12 - 1:17
    Thomas Mann schrieb:
    "Es wird mich und auch sie treffen."
  • 1:17 - 1:20
    Wir leben nicht einfach nur diese Muster.
  • 1:20 - 1:22
    Wir protokollieren sie auch.
  • 1:22 - 1:25
    Wir schreiben sie in Büchern auf
    und lassen sie zu Erzählungen werden,
  • 1:25 - 1:28
    die wir dann lesen und
    wiedererkennen können.
  • 1:28 - 1:30
    Bücher erzählen uns, wer wir waren,
  • 1:30 - 1:33
    wer wir sind und auch wer wir sein werden.
  • 1:33 - 1:36
    Das war jahrtausendelang so.
  • 1:36 - 1:38
    James Salter schrieb:
  • 1:38 - 1:43
    "Das Leben fließt in Seiten ein,
    wenn es überhaupt in etwas einfließt."
  • 1:43 - 1:46
    Vor 6 Jahren kam mir ein Gedanke:
  • 1:46 - 1:49
    Wenn das Leben in Seiten einfließt,
  • 1:49 - 1:53
    müsste es irgendwo Abschnitte
    über jedes Alter geben.
  • 1:53 - 1:56
    Wenn ich sie finde, könnte ich sie
    in einer Erzählung zusammenführen.
  • 1:56 - 1:59
    Ich könnte sie zu einem Leben
    zusammenführen,
  • 1:59 - 2:01
    zu einem langen, hundertjährigen Leben,
  • 2:01 - 2:03
    zur Gesamtheit dieser Abschnitte,
  • 2:03 - 2:07
    durch die die Glücklichsten
    unter uns durchkommen.
  • 2:07 - 2:10
    Damals war ich 37,
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    "ein Alter von Einsicht",
    schrieb William Trevor.
  • 2:15 - 2:18
    Ich war anfällig für Meditationen
    über Zeit und Alter.
  • 2:18 - 2:21
    Eine Krankheit in der Familie
    sowie eine Verletzung bei mir
  • 2:21 - 2:25
    hatten bereits deutlich gemacht, dass man
    nicht voraussetzen könne, alt zu werden.
  • 2:25 - 2:29
    Darüber hinaus verschiebt das Älterwerden
    nur das Unvermeidliche:
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    durch Zeit etwas zu begreifen,
    was durch den Umstand nicht gelang.
  • 2:32 - 2:34
    Es war alles ein wenig entmutigend.
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    Eine Liste hingegen würde Bestand haben.
  • 2:37 - 2:41
    Ein Leben aufzuzeichnen,
    Jahr um wehrloses Jahr,
  • 2:41 - 2:44
    würde bedeuten, das zu ergreifen und
    zu erden, was dahineilt,
  • 2:44 - 2:47
    würde mir und anderen einen
    Blick in die Zukunft vermitteln,
  • 2:47 - 2:49
    ob wir es schafften oder nicht.
  • 2:50 - 2:54
    Als ich meine Liste erstellte,
    war ich schnell besessen davon,
  • 2:54 - 2:57
    Seiten nach Lebensaltern zu durchsuchen.
  • 2:57 - 3:02
    Da hatten wir jeden jährlichen Schritt
    durch unsere ersten 100 Jahre.
  • 3:03 - 3:06
    "27 ... eine Zeit
    überraschender Offenbarungen",
  • 3:07 - 3:11
    "62 ... eine Zeit leichten Abfalls".
  • 3:12 - 3:16
    Natürlich war mir bewusst,
    dass solche Einsichten relativ waren.
  • 3:16 - 3:21
    Erst einmal leben wir jetzt länger
    und altern daher langsamer.
  • 3:21 - 3:24
    Christopher Isherwood gebrauchte
    die Redewendung "das gelbe Blatt",
  • 3:24 - 3:27
    um einen Mann mit 53 zu beschreiben,
  • 3:27 - 3:31
    nur ein Jahrhundert nachdem Lord Byron
    sich selbst so mit 36 beschrieben hatte.
  • 3:31 - 3:33
    (Gelächter)
  • 3:33 - 3:37
    Mir war auch bewusst, dass das Leben
    wild und unvorhersehbar umschwenken kann,
  • 3:37 - 3:39
    von einem zum anderen Jahr
  • 3:39 - 3:42
    und dass Menschen dasselbe Alter
    unterschiedlich erfahren können.
  • 3:42 - 3:45
    Je mehr die Liste zusammenwuchs,
  • 3:45 - 3:49
    desto mehr merkte ich auf den Seiten,
    deutlich wie eine Reflexion im Spiegel,
  • 3:49 - 3:52
    dass das auch für das Leben galt,
    das ich gelebt hatte:
  • 3:52 - 3:56
    mit 20 zu merken, dass "man immer
    unsicherer wird, wer man ist",
  • 3:56 - 4:01
    mit 30 aus der "Ödnis der Vorbereitung
    für das aktive Leben" aufzutauchen,
  • 4:01 - 4:05
    mit 40 zu lernen, "... leise die Türen
    zu schließen zu Räumen,
  • 4:05 - 4:08
    in die ich nicht zurückkehren würde."
  • 4:09 - 4:10
    Da war ich nun.
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    Natürlich gilt das für uns alle.
  • 4:15 - 4:17
    Milton Glaser,
    der großartige Grafikdesigner,
  • 4:17 - 4:20
    dessen wunderschöne Visualisierungen
    Sie hier sehen,
  • 4:20 - 4:22
    und der heute 85 ist --
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    all die Jahre "... ein Reifen und eine
    Vergötterung", schrieb Nabokov --
  • 4:27 - 4:31
    sagte mir, dass Literatur,
    wie Kunst und Farbe, uns hilft,
  • 4:31 - 4:35
    uns an das zu erinnern,
    was wir erlebt haben.
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    Als ich die Liste meinem Großvater zeigte,
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    nickte er bestätigend.
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    Damals war er 95 und starb bald,
  • 4:45 - 4:47
    was, so schrieb Roberto Bolaño,
  • 4:47 - 4:51
    "... dasselbe ist,
    als niemals zu sterben."
  • 4:52 - 4:55
    Rückblickend sagte er mir,
  • 4:55 - 5:01
    dass Proust Recht hatte, dass wir mit 22
    sicher sind, nicht zu sterben,
  • 5:01 - 5:05
    so wie ein Thanatologe namens
    Edwin Shneidman Recht hatte,
  • 5:05 - 5:08
    dass man mit 90 sicher ist,
    dass man stirbt.
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    Es hat ihn getroffen
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    und sie auch.
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    Jetzt ist die Liste fertig:
  • 5:18 - 5:20
    hundert Jahre.
  • 5:21 - 5:23
    Wenn ich zurückblicke,
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    weiß ich, dass ich nicht fertig bin.
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    Ich muss mein Leben leben
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    und habe noch viele offene Seiten.
  • 5:33 - 5:34
    In Gedanken an Mailer,
  • 5:34 - 5:37
    warte ich das Alter von 44 ab.
  • 5:37 - 5:38
    Vielen Dank.
  • 5:38 - 5:46
    (Applaus)
Title:
Die Weisheiten bedeutender Schriftsteller über jedes Lebensjahr
Speaker:
Joshua Prager
Description:

Wir Menschen sind zwar alle unterschiedlich, aber wir altern doch in den gleichen Etappen und die gemeinsamen Lebensmuster fließen in die Bücher ein, die wir mögen. In diesem ergreifenden Vortrag erkundet der Journalist Joshua Prager die Lebensabschnitte mit Hilfe von Zitaten von Norman Mailer, Joyce Carol Oates, William Trevor und anderen bedeutenden Schriftstellern, unterlegt mit Visualisierungen des Grafikdesigners Milton Glaser. "Bücher sagen uns, wer wir waren, wer wir sind und auch wer wir sein werden", sagt Prager.

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
06:01

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