Was wir am Vertrauen nicht verstehen
-
0:00 - 0:02Ich möchte über Vertrauen reden
-
0:02 - 0:04und ich möchte Sie an die
-
0:04 - 0:09gängigen Meinungen
über Vertrauen erinnern. -
0:09 - 0:11Sie sind so allgegenwärtig,
-
0:11 - 0:13dass sie zum Klischee geworden sind.
-
0:13 - 0:15Davon gibt es meiner Ansicht nach drei.
-
0:15 - 0:20Zunächst eine Behauptung:
Vertrauen ist stark im Rückgang, -
0:20 - 0:22glauben viele.
-
0:22 - 0:26Dann ein Ziel:
Wir sollten mehr vertrauen. -
0:26 - 0:32Und eine Aufgabe:
Wir sollten das Vertrauen wieder aufbauen. -
0:32 - 0:36Ich glaube, dass die Behauptung,
das Ziel und die Aufgabe -
0:36 - 0:38auf falschen Vorstellungen beruhen.
-
0:38 - 0:40Ich möchte Ihnen eine andere Geschichte
-
0:40 - 0:45über eine Behauptung, ein Ziel
und eine Aufgabe erzählen, -
0:45 - 0:49die einen viel besseren
Ansatz auf die Sache bieten. -
0:49 - 0:54Erst die Behauptung: Wieso denken Leute,
dass Vertrauen zurückgegangen ist? -
0:54 - 0:58Und wenn ich wirklich mit meinem
aktuellen Wissen darüber nachdenke: -
0:58 - 1:00Ich kenne die Antwort nicht.
-
1:00 - 1:03Vielleicht hat es ja
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1:03 - 1:07in einigen Aktivitäten oder
Einrichtungen abgenommen -
1:07 - 1:09und in anderen vielleicht zugenommen.
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1:09 - 1:11Mir fehlt der Überblick.
-
1:11 - 1:15Aber ich kann mir natürlich
die Umfragen anschauen, -
1:15 - 1:17die ja angeblich die Quelle
-
1:17 - 1:21für den Glauben sind,
dass das Vertrauen zurückgegangen ist. -
1:21 - 1:25Schauen Sie sich Meinungsumfragen
über einen Zeitraum an, -
1:25 - 1:27liegt nicht viel Beweismaterial dafür vor.
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1:27 - 1:30Sozusagen wird den Leuten, denen
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1:30 - 1:31vor 20 Jahren misstraut wurde,
-
1:31 - 1:36hauptsächlich Journalisten und Politikern,
immer noch misstraut. -
1:36 - 1:39Und den Leuten, denen vor 20 Jahren
sehr vertraut wurde, -
1:39 - 1:43wird immer noch sehr vertraut:
Richtern, Krankenschwestern. -
1:43 - 1:45Wir anderen liegen dazwischen.
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1:45 - 1:48Übrigens liegt der durchschnittliche Bürger
-
1:48 - 1:50fast genau in der Mitte.
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1:50 - 1:52Aber ist das ein guter Beweis?
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1:52 - 1:56Meinungsumfragen erheben
– klar – Meinungen. -
1:56 - 1:58Was könnten sie sonst erheben?
-
1:58 - 2:01Sie schauen sich also
die allgemeine Einstellung -
2:01 - 2:05der Leute an, wenn ihnen
bestimmte Fragen gestellt werden. -
2:05 - 2:09Vertrauen Sie Politikern?
Vertrauen Sie Lehrern? -
2:09 - 2:12Wenn Sie jetzt jemand fragte:
Vertrauen Sie Gemüsehändlern? -
2:12 - 2:14Vertrauen Sie Fischhändlern?
-
2:14 - 2:17Vertrauen Sie Grundschullehrern?
-
2:17 - 2:20– dann würden Sie wohl fragen:
"Inwiefern genau?" -
2:20 - 2:24Und das wäre eine vernünftige Reaktion.
-
2:24 - 2:29Und wenn Sie die Antwort darauf
verstehen, sagen Sie vielleicht: -
2:29 - 2:32"Ich vertraue einigen von ihnen,
anderen aber nicht." -
2:32 - 2:34Völlig rational.
-
2:34 - 2:37Kurz gesagt versuchen wir
in unseren kurzen Leben, -
2:37 - 2:41Vertrauen auf unterschiedliche
Arten anzubringen. -
2:41 - 2:44Wir gehen ja nicht davon aus,
-
2:44 - 2:48dass wir jedem Beamten oder Vertreter in
-
2:48 - 2:52einer offiziellen oder
institutionellen Einrichtung -
2:52 - 2:54gleichermaßen vertrauen.
-
2:54 - 2:57So könnte ich etwa sagen,
dass ich einer bestimmten -
2:57 - 3:00mir bekannten Grundschullehrerin
dahingehend vertraue, -
3:00 - 3:03der ersten Klasse
das Lesen beizubringen, -
3:03 - 3:06doch würde ich sie nicht
den Schulbus fahren lassen. -
3:06 - 3:09Vielleicht weiß ich ja zufällig,
dass sie nicht gut Auto fährt. -
3:09 - 3:13Ich vertraue darauf, dass meine
schwatzhafteste Freundin -
3:13 - 3:15ein Gespräch am Laufen hält,
-
3:15 - 3:24aber vielleicht nicht darauf,
dass sie ein Geheimnis wahrt. -
3:24 - 3:26Einfach.
-
3:26 - 3:30So wissen wir aus unserem Alltag,
-
3:30 - 3:33wie unterschiedlich Vertrauen
aussehen kann. -
3:33 - 3:36Doch wieso blenden wir
dieses Wissen aus, -
3:36 - 3:39wenn wir abstrakter
über Vertrauen nachdenken? -
3:39 - 3:42Die Umfragen geben hier
sehr schlecht Auskunft -
3:42 - 3:45über das tatsächliche Vertrauensniveau,
-
3:45 - 3:49da sie den gesunden
Menschenverstand ignorieren, -
3:49 - 3:52den man bei Vertrauenssachen anwendet.
-
3:52 - 3:54Zweitens, kommen wir zum Ziel.
-
3:54 - 3:57Das Ziel ist es, mehr zu vertrauen.
-
3:57 - 4:00Ehrlich gesagt finde ich das Ziel dumm.
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4:00 - 4:02Darauf würde ich nicht abzielen.
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4:02 - 4:06Ich würde versuchen,
den Vertrauenswürdigen mehr zu vertrauen, -
4:06 - 4:09den Vertrauensunwürdigen aber nicht.
-
4:09 - 4:15Ich ziele sogar aktiv darauf ab,
Vertrauensunwürdigen nicht zu vertrauen. -
4:15 - 4:19Und diejenigen, die z. B.
ihre Ersparnisse in die Hände -
4:19 - 4:24eines gewissen Mr. Madoff legten,
der sich dann, wie der Name schon andeutet, -
4:24 - 4:26damit aus dem Staub machte,
["made off" – "er haute ab"] -
4:26 - 4:29dann denke ich mir, tja,
-
4:29 - 4:30zu viel Vertrauen.
-
4:30 - 4:34"Mehr Vertrauen" ist kein kluges Ziel
in diesem Leben. -
4:34 - 4:38Vertrauen klug einzusetzen
und zu verweigern -
4:38 - 4:41sollte das Ziel sein.
-
4:41 - 4:44Und dann sagt man, ja, okay,
-
4:44 - 4:47was also am wichtigsten ist,
ist nicht Vertrauen, -
4:47 - 4:51sondern Vertrauenswürdigkeit.
-
4:51 - 4:53Die Vertrauenswürdigkeit von Menschen
-
4:53 - 4:55einschätzen zu können.
-
4:55 - 4:59Und um das zu tun, müssen wir
drei Dinge betrachten: -
4:59 - 5:04Sind sie kompetent? Sind sie ehrlich?
Sind sie verlässlich? -
5:04 - 5:06Wenn wir eine Person in
den entsprechenden Themen -
5:06 - 5:08kompetent, verlässlich
-
5:08 - 5:10und ehrlich finden,
-
5:10 - 5:12dann haben wir einen guten Grund,
ihr zu vertrauen, -
5:12 - 5:14dann ist sie vertrauenswürdig.
-
5:14 - 5:18Ist die Person aber unverlässlich,
dann wahrscheinlich nicht. -
5:18 - 5:20Einige meiner Freunde
sind kompetent und ehrlich, -
5:20 - 5:22ich würde sie aber keinen Brief
abschicken lassen, -
5:22 - 5:24denn sie sind vergesslich.
-
5:24 - 5:27Ich habe Freunde, die sehr in ihre
-
5:27 - 5:29eigene Kompetenz vertrauen,
-
5:29 - 5:34aber diese überschätzen sie um einiges.
-
5:34 - 5:36Und ich bin sehr froh darüber,
dass ich nicht viele Freunde habe, -
5:36 - 5:40die kompetent und verlässlich,
aber unehrlich sind. -
5:40 - 5:41(Lachen)
-
5:41 - 5:44Falls doch, habe ich es noch nicht erkannt.
-
5:44 - 5:46Aber danach suchen wir:
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5:46 - 5:49erst Vertrauenswürdigkeit, dann Vertrauen.
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5:49 - 5:50Vertrauen ist die Reaktion.
-
5:50 - 5:53Die Vertrauenswürdigkeit
müssen wir einschätzen. -
5:53 - 5:54Das ist natürlich schwer.
-
5:54 - 5:58Über die letzten Jahrzehnte
haben wir versucht, -
5:58 - 6:01Kontrollsysteme
bei allen möglichen Einrichtungen -
6:01 - 6:03und bei Experten und Ämtern einzurichten,
-
6:03 - 6:08die es uns leichter machen,
ihre Vertrauenswürdigkeit einzuschätzen. -
6:08 - 6:11Viele dieser Systeme haben
den gegenteiligen Effekt. -
6:11 - 6:13Sie funktionieren nicht wie beabsichtigt.
-
6:13 - 6:17Eine Hebamme sagte einst zu mir:
-
6:17 - 6:20"Das Problem ist, dass
der Papierkram länger dauert, -
6:20 - 6:23als das Baby auf die Welt zu bringen."
-
6:23 - 6:27Überall in unserem öffentlichen Alltag,
in unseren Einrichtungen, -
6:27 - 6:29tritt dieses Problem auf.
-
6:29 - 6:31Dieses Kontrollsystem
-
6:31 - 6:34soll Vertrauenswürdigkeit
-
6:34 - 6:36und Glaubwürdigkeit sicherstellen,
-
6:36 - 6:38führt aber zum Gegenteil.
-
6:38 - 6:43Es lenkt Menschen
wie Hebammen von ihren -
6:43 - 6:45schwierigen Aufgaben ab,
-
6:45 - 6:48indem sie erstmal Häkchen
setzen müssen. -
6:48 - 6:51Hierzu kann sicherlich jeder
Beispiele beitragen. -
6:51 - 6:53So viel also zum Ziel.
-
6:53 - 6:56Das Ziel ist mehr Vertrauenswürdigkeit,
-
6:56 - 6:58und das wird schwierig,
-
6:58 - 7:00wenn wir vertrauenswürdig
sein wollen -
7:00 - 7:03und das an andere
kommunizieren möchten, -
7:03 - 7:06und wenn wir einschätzen
möchten, ob andere Leute, -
7:06 - 7:09oder Beamte oder Politiker,
vertrauenswürdig sind. -
7:09 - 7:13Es ist nicht einfach.
Man muss es abschätzen. -
7:13 - 7:18Einfache Reaktionen oder
Haltungen reichen nicht aus. -
7:18 - 7:22Und nun zur Aufgabe.
-
7:22 - 7:25Diese als Wiederaufbau des Vertrauens
zu beschreiben, -
7:25 - 7:27verdreht den Sachverhalt wieder.
-
7:27 - 7:32Denn es deutet an, dass Sie und ich
Vertrauen wiederaufbauen sollten. -
7:32 - 7:34Wir können das natürlich
für uns selbst tun. -
7:34 - 7:37Wir können ein bisschen
Vertrauenswürdigkeit gewinnen. -
7:37 - 7:40So können zwei Leute
ihr Vertrauen ineinander verbessern. -
7:40 - 7:44Aber letztendlich ist Vertrauen
dadurch charakterisiert, -
7:44 - 7:46dass es einem von anderen gegeben wird.
-
7:46 - 7:49Man kann nicht das wieder aufbauen,
was andere einem geben. -
7:49 - 7:52Man muss ihnen eine Basis geben,
-
7:52 - 7:55dass sie einem vertrauen.
-
7:55 - 7:59Man muss also vertrauenswürdig sein.
-
7:59 - 8:01Das liegt natürlich daran,
dass man normalerweise -
8:01 - 8:05nicht alle Leute zugleich
an der Nase herumführen kann. -
8:05 - 8:09Aber Sie müssen auch
Beweismaterial vorbringen, -
8:09 - 8:11dass Sie vertrauenswürdig sind.
-
8:11 - 8:12Wie geht das?
-
8:12 - 8:15Das geschieht jeden Tag, überall.
-
8:15 - 8:18Normale Leute tun es, Beamte, Ämter,
-
8:18 - 8:20sehr effektiv.
-
8:20 - 8:24Hier ist ein einfaches kommerzielles Beispiel.
-
8:24 - 8:28Der Laden, in dem ich meine Socken kaufe,
lässt sie mich zurückbringen -
8:28 - 8:30und sie stellen keine Fragen.
-
8:30 - 8:32Sie nehmen sie zurück und
geben mir das Geld zurück, -
8:32 - 8:34oder ein paar der Socken
in der gewünschten Farbe. -
8:34 - 8:37Das ist toll. Ich vertraue ihnen,
-
8:37 - 8:40da sie sich mir gegenüber verletzlich gezeigt haben.
-
8:40 - 8:42Darin steckt eine wichtige Moral.
-
8:42 - 8:45Zeigt man sich dem Gegenüber
als verletzlich, -
8:45 - 8:49ist das ein sehr guter Hinweis,
dass man vertrauenswürdig ist, -
8:49 - 8:52und dass man seinen eigenen Worten
Glauben schenkt. -
8:52 - 8:54Unser Ziel ist also im Prinzip
-
8:54 - 8:58nicht sehr schwierig zu erkennen.
-
8:58 - 9:02Es sind Beziehungen
zwischen vertrauenswürdigen Menschen, -
9:02 - 9:06und das Einschätzungsvermögen, wann und ob
-
9:06 - 9:07der andere vertrauenswürdig ist.
-
9:07 - 9:11Die Moral von der Geschichte ist also,
-
9:11 - 9:14sehr viel weniger
über Vertrauen nachzudenken, -
9:14 - 9:17oder über Einstellungen zum Vertrauen,
-
9:17 - 9:21die von Meinungsumfragen korrekt
oder inkorrekt festgestellt werden, -
9:21 - 9:24und viel mehr über
Vertrauenswürdigkeit, -
9:24 - 9:28und wie man Menschen
adäquate, nützliche -
9:28 - 9:30und einfache Beweise der eigenen
Vertrauenswürdigkeit bringt. -
9:30 - 9:31Danke.
-
9:31 - 9:34(Beifall)
- Title:
- Was wir am Vertrauen nicht verstehen
- Speaker:
- Onora O'Neill
- Description:
-
Das Vertrauen nimmt ab, und wir müssen es wieder aufbauen. Ein vielgehörter Vorschlag für eine bessere Welt – doch, so Philosophin Onora O'Neill, verstehen wir unseren eigenen Vorschlag nicht so recht. Sie dreht die Frage um und zeigt uns, dass unsere drei häufigsten Konzepte von Vertrauen auf falschen Vorstellungen beruhen.
- Video Language:
- English
- Team:
- closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 09:50
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Judith Matz edited German subtitles for What we don't understand about trust | ||
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