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Die Freuden des Kaltwasser-Surfens

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    Wenn ich Ihnen sage, dass das
    der Ausdruck purer Freude ist,
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    halten Sie mich dann für verrückt?
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    Ich nehme es Ihnen nicht übel,
  • 0:12 - 0:17
    denn jedes Mal, wenn ich auf dieses
    arktische Selfie sehe, fröstelt es mich.
  • 0:17 - 0:20
    Ich will Ihnen ein bisschen
    mehr zu diesem Foto erzählen.
  • 0:20 - 0:23
    Ich schwamm bei den Lofoten in Norwegen,
  • 0:23 - 0:25
    innerhalb des Polarkreises.
  • 0:25 - 0:28
    Das Wasser war kurz vor dem Gefrieren.
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    Die Luft? Minus zehn plus Wind.
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    Ich konnte fühlen, wie sich das
    Blut aus meinen Händen zurückzog,
  • 0:36 - 0:40
    aus meinen Füßen und meinem Gesicht,
    um meine inneren Organen zu versorgen.
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    Mir war noch nie so kalt.
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    Aber sogar mit geschwollenen Lippen,
    hohlen Augen und geröteten Wangen
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    habe ich erkannt, dass ich an
    diesem Ort pure Freude erleben kann.
  • 0:55 - 0:58
    Der Psychologe Brock Bastian
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    hat Schmerz vermutlich
    am besten definiert:
  • 1:00 - 1:03
    "Schmerz ist eine
    Abkürzung zu Achtsamkeit.
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    Er macht uns mit einem Moment
    auf unsere Umgebung aufmerksam.
  • 1:06 - 1:08
    Er zieht dich schonungslos
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    in eine Sinneswahrnehmung der Welt,
    ganz ähnlich wie Meditation."
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    Wenn Zittern eine Form von Meditation ist,
    bin ich auf jeden Fall Mönch.
  • 1:17 - 1:17
    (Lachen)
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    Bevor wir uns damit befassen,
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    warum irgendwer überhaupt
    in eiskaltem Wasser surfen will,
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    möchte ich Ihnen einen kleinen Einblick
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    in einen Tag meines Lebens geben.
  • 1:30 - 1:36
    (Musik)
  • 2:16 - 2:20
    (Video) Mann: Wir hofften
    alle auf gute Wellen,
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    aber mit so etwas
    haben wir nicht gerechnet.
  • 2:22 - 2:24
    Ich kann nicht aufhören zu zittern.
  • 2:24 - 2:26
    Mir ist so kalt.
  • 2:28 - 2:31
    (Musik)
  • 2:31 - 2:34
    (Applaus)
  • 2:36 - 2:40
    Chris Burkard: Also
    ein Surf-Fotograf, richtig?
  • 2:40 - 2:43
    Ganz ehrlich, ich weiß nicht,
    ob das ein echter Beruf ist.
  • 2:43 - 2:45
    Meine Eltern sahen das
    jedenfalls nicht so,
  • 2:45 - 2:50
    als ich mit 19 Jahren meinen Job kündigte,
    um meinen Traumberuf auszuüben:
  • 2:50 - 2:54
    blauer Himmel, warme tropische Strände
    und das ganze Jahr braungebrannt.
  • 2:54 - 2:58
    Für mich war kein
    schöneres Leben vorstellbar.
  • 2:58 - 3:03
    Ich fotografierte Surfer
    an exotischen Urlaubszielen.
  • 3:03 - 3:05
    Aber es gab ein Problem.
  • 3:05 - 3:08
    Je mehr Zeit ich an diesen
    exotischen Orten verbrachte,
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    desto weniger erfreute ich mich daran.
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    Ich war auf der Suche nach Abenteuern
    und fand doch wieder Alltag.
  • 3:16 - 3:20
    Dinge wie Wi-Fi, Fernsehen, gutes Essen
    und eine konstante Mobilfunkverbindung
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    waren das Um und Auf
    an allen Tourismushochburgen,
  • 3:23 - 3:26
    im und außerhalb des Wassers.
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    Es dauerte nicht lang, bis ich
    das Gefühl bekam, zu ersticken.
  • 3:31 - 3:35
    Ich bekam Lust auf wilde, offene Weiten
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    und so begab ich mich
    auf die Such nach jenen Orten,
  • 3:39 - 3:43
    die andere Surfer für zu kalt,
    abgelegen oder gefährlich hielten.
  • 3:43 - 3:45
    Diese Herausforderung faszinierte mich.
  • 3:45 - 3:49
    Ich begann meinen eigenen
    Kreuzzug gegen alles Alltägliche.
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    Ich habe eine Sache gelernt:
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    Jede Berufswahl,
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    auch die scheinbar glanzvolle
    eines Surf-Fotografen,
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    läuft Gefahr monoton zu werden.
  • 4:01 - 4:04
    Als ich nun versuchte, aus der
    Monotonie auszubrechen, sah ich:
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    Nur ein Drittel aller Ozeane auf
    der Welt sind warme Gewässer,
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    nur ein schmales Band rund um den Äquator.
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    Die perfekten Wellen waren also
  • 4:12 - 4:15
    vermutlich dort, wo es kalt ist,
  • 4:15 - 4:17
    wo das Meer bekanntlich rau ist,
  • 4:17 - 4:19
    und genau nach diesen Orten suchte ich.
  • 4:19 - 4:22
    Bei meiner ersten Reise nach Island
  • 4:22 - 4:24
    hatte ich das Gefühl,
    das Richtige gefunden zu haben.
  • 4:25 - 4:28
    Die Schönheit der Natur war umwerfend.
  • 4:28 - 4:32
    Aber vor allem konnte ich nicht glauben,
    dass wir die perfekte Wellen
  • 4:32 - 4:36
    an so einem abgelegenen und
    schroffen Teil der Welt fanden.
  • 4:36 - 4:38
    Einmal kamen wir zum Strand
  • 4:38 - 4:41
    und fanden riesige Eisklötze
    gestapelt entlang der Küste.
  • 4:41 - 4:43
    Sie bildeten ein Hindernis
    auf dem Weg zum Meer
  • 4:43 - 4:46
    und wir schlängelten uns durchs
    Eis wie durch ein Labyrinth,
  • 4:46 - 4:48
    um in Startposition zu kommen.
  • 4:48 - 4:52
    Dort schoben wir die Eisblöcke weg,
    um in die Wellen zu kommen.
  • 4:52 - 4:55
    Es war eine unglaubliche Erfahrung,
    die ich nie vergessen werde.
  • 4:55 - 4:58
    Inmitten dieser harschen Bedingungen
  • 4:58 - 5:03
    hatte ich das Gefühl, ich sei an einem
    der letzten ruhigen Plätze angekommen.
  • 5:03 - 5:06
    Ein Ort, an dem ich Klarheit
    und eine Verbindung zur Welt fand,
  • 5:06 - 5:10
    wie ich sie nie an einem
    überfüllten Strand finden würde.
  • 5:10 - 5:13
    Es hat mich gefangen.
    Ich war süchtig. (Lachen)
  • 5:13 - 5:16
    Meine Gedanken drehten sich
    noch nur um das kalte Wasser.
  • 5:16 - 5:17
    Seit jenem Moment
  • 5:17 - 5:21
    konzentrierte sich mein Beruf
    auf diese harschen Landschaften.
  • 5:21 - 5:25
    So kam ich nach Russland,
    Norwegen, Alaska, Island, Chile,
  • 5:25 - 5:28
    auf die Färöer-Inseln und
    viele andere Orte dazwischen.
  • 5:28 - 5:31
    An diesen Orten reizen mich ganz besonders
  • 5:31 - 5:34
    die Herausforderung und nötige
    Kreativität, um überhaupt hinzukommen.
  • 5:34 - 5:37
    Stunden, Tage, Wochen
    saß ich vor Google Earth,
  • 5:37 - 5:41
    um abgelegene Strände oder Riffe
    zu finden, die wir erreichen könnten.
  • 5:41 - 5:45
    Die Fahrzeuge vor Ort waren
    nicht minder kreativ:
  • 5:45 - 5:48
    Schneemobile, sechs-rädrige
    sowjetische Truppentransporter
  • 5:48 - 5:51
    und einige sehr grenzwertige
    Hubschrauberflüge.
  • 5:51 - 5:53
    (Lachen)
  • 5:53 - 5:56
    Hubschrauber machen mir echt Angst.
  • 5:56 - 5:59
    Einmal waren wir auf
    einer holprigen Bootsfahrt
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    in Richtung Vancouver Island
    zu einem abgelegenen Surf-Spot,
  • 6:02 - 6:05
    wo wir hilflos vom Wasser zusehen mussten,
  • 6:05 - 6:07
    wie Bären unseren Zeltplatz verwüsteten.
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    Sie liefen mit unserem Essen
    und Teilen von unserem Zelt davon,
  • 6:10 - 6:13
    und zeigten uns klar, dass wir
    in der Nahrungskette ganz unten waren,
  • 6:13 - 6:16
    und das ihr Zuhause war, nicht unseres.
  • 6:16 - 6:19
    Für mich war diese Reise
    ein Zeugnis der Wildnis,
  • 6:19 - 6:22
    die ich gegen die
    Touristenstrände eingetauscht habe.
  • 6:24 - 6:28
    Aber erst in Norwegen -- (Lachen) --
  • 6:28 - 6:31
    lernte ich, die Kälte zu schätzen.
  • 6:32 - 6:34
    Das ist ein Ort,
  • 6:34 - 6:38
    wo einige der größten
    und stärksten Stürme der Welt
  • 6:38 - 6:41
    riesige Wellen an die Küste schleudern.
  • 6:41 - 6:45
    Wir waren in einem kleinen, abgelegenen
    Fjord innerhalb des Polarkreises.
  • 6:45 - 6:47
    Es gab mehr Schafe als Menschen dort.
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    Hätten wir Hilfe gebraucht,
    wir hätten sie nicht gefunden.
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    Ich war im Wasser und
    fotografierte die Surfer,
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    als es zu schneien begann.
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    Und dann fiel die Temperatur ab.
  • 7:00 - 7:04
    Ich sagte mir: Du gehst jetzt
    auf keinen Fall aus dem Wasser.
  • 7:04 - 7:07
    Du bist den ganzen weiten Weg gereist
    und hast genau darauf gewartet:
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    Eiskalte Bedingungen mit perfekten Wellen.
  • 7:10 - 7:13
    Obwohl ich meinen Finger
    am Auslöser nicht mehr spürte,
  • 7:13 - 7:14
    wollte ich nicht aus dem Wasser.
  • 7:14 - 7:17
    Also versuchte ich,
    die Kälte einfach abzuschütteln.
  • 7:17 - 7:19
    Aber genau in jenem Moment
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    traf mich ein Windstoß.
  • 7:21 - 7:26
    Was als leichter Schneefall begann, wurde
    zu einem erbarmungslosen Schneesturm.
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    Ich begann die Orientierung zu verlieren.
  • 7:31 - 7:34
    Ich wusste nicht, ob ich
    in Richtung Meer oder Küste trieb.
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    Ich konnte nur die dumpfen
    Geräusche der Möwen
  • 7:38 - 7:40
    und der brechenden Wellen hören.
  • 7:41 - 7:46
    Hier waren schon Schiffe gesunken
    und Flugzeuge abgestürzt.
  • 7:46 - 7:50
    Als ich draußen herumtrieb,
    wurde ich schon etwas nervös.
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    Eigentlich bin ich total ausgeflippt.
  • 7:53 - 7:56
    (Lachen) -- Ich war an
    der Grenze zur Unterkühlung.
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    Meine Freunde mussten
    mir aus dem Wasser helfen.
  • 8:00 - 8:03
    Ich weiß nicht, ob ich schon
    im Delirium war oder so was,
  • 8:03 - 8:05
    aber sie erzählten mir später,
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    dass ich die ganze Zeit gelächelt hatte.
  • 8:10 - 8:13
    Auf dieser Reise,
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    während diesem Erlebnis wurde mir bewusst,
  • 8:16 - 8:20
    dass jedes Foto etwas Wertvolles war.
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    Es wurde plötzlich zu etwas,
    das ich mir erarbeiten musste.
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    Das Zittern hat mich sogar etwas gelehrt:
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    Im Leben gibt es keine
    Abkürzungen zur Freude.
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    Was auch immer wir erreichen wollen,
    wir werden darum kämpfen müssen.
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    Wenn auch nur ein bisschen.
  • 8:41 - 8:45
    Dieser kleine Kampf, den ich für
    meine Fotografie durchmachte,
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    brachte meiner Arbeit mehr Wert.
    Sie wurde ungemein bedeutender
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    als nur die Seiten
    eines Magazins zu füllen.
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    Sehen Sie, ich habe einen Teil
    von mir dort gelassen
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    und ich verließ diesen Ort
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    mit dem Gefühl der Erfüllung,
    nach dem ich so lange gesucht hatte.
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    Beim Anblick dieses Fotos
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    sieht man gleich die gefrorenen Finger
    und den kalten Neoprenanzug,
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    auch die Anstrengung,
    nur um dorthin zu kommen.
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    Am allermeisten aber sehe ich pure Freude.
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    Vielen Dank.
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    (Applaus)
Title:
Die Freuden des Kaltwasser-Surfens
Speaker:
Chris Burkard
Description:

"Was auch immer wir erreichen wollen, wir werden darum ein wenig kämpfen müssen,“ sagt der Surf-Fotograf Chris Burkard. Er erzählt von seiner Leidenschaft für die kältesten, wildesten und abgelegensten Strände der Welt. Mit umwerfenden Bildern und Geschichten von Orten, die nur sehr wenige Menschen je gesehen, geschweige denn gesurft haben, nimmt er uns mit auf seinen „persönlichen Kreuzzug gegen alles Alltägliche."

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
09:42
  • Hallo Johanna, hallo Angelika,

    vielen Dank für die Korrekturen, ich lerne immer neu dazu :)
    Eine Anmerkung zum Titel von meiner Seite: Eiswasser-Surfen ist in der Surfszene kein geläufiger Ausdruck. Ich bin selbst Teil der Szene und habe mir mit der Übersetzung schwer getan weil man dann doch den englischen Begriff des "Coldwater" Surfens verwendet. So gesehen würde ich es beim Kaltwasser-Surfen belassen.

    Lieben Gruß aus Salzburg,
    Christina

German subtitles

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