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Die unbekannte Geschichte der Sixtinischen Kapelle

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    Stellen Sie sich vor, Sie sind in Rom
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    und haben es bis zu
    den Vatikanischen Museen geschafft.
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    Sie sind durch lange Korridore geschlurft,
  • 0:10 - 0:14
    an Statuen, Fresken
    und vielen anderen Dingen vorbei.
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    Sie nähern sich der Sixtinischen Kapelle.
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    Endlich -- ein langer Korridor,
    eine Treppe und eine Tür.
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    Sie befinden sich an der Schwelle
    zur Sixtinischen Kapelle.
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    Was erwarten Sie?
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    Himmelhohe Kuppeln? Engelschöre?
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    Eigentlich gibt es dort nichts davon.
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    Sie werden sich fragen,
    was es denn dann zu sehen gibt?
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    Vorhang auf für die Sixtinische Kapelle.
  • 0:38 - 0:42
    Das meine ich wörtlich, denn man ist
    von gemalten Vorhängen umgeben,
  • 0:42 - 0:44
    der ursprünglichen Dekoration der Kapelle.
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    Die Wandteppiche schützten nicht nur
    während langer Messen gegen die Kälte,
  • 0:49 - 0:52
    sondern bildeten auch
    das große Theater des Lebens ab.
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    Das menschliche Drama, in dem jeder
    eine Rolle spielt, ist gewaltig.
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    Es ist eine Geschichte,
    die die ganze Welt umfasst
  • 1:01 - 1:04
    und die in drei Stufen in den Malereien
    der Sixtinischen Kapelle
  • 1:04 - 1:06
    zur Entfaltung kommt.
  • 1:06 - 1:10
    Dieses Gebäude war zunächst
    ein Raum für eine kleine Gruppe
  • 1:10 - 1:12
    wohlhabender und gebildeter
    christlicher Priester.
  • 1:13 - 1:15
    Dort beteten sie und wählten ihren Papst.
  • 1:15 - 1:20
    Vor 500 Jahren war dies die höchste
    geistliche Menschenhöhle.
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    Vielleicht fragen Sie sich,
    wie diese Höhle jährlich
  • 1:25 - 1:28
    fünf Millionen Menschen
    unterschiedlichster Herkunft
  • 1:28 - 1:30
    anlockt und begeistert?
  • 1:30 - 1:35
    In diesem sehr engen Raum hat
    eine kreative Explosion stattgefunden,
  • 1:35 - 1:40
    die durch die elektrisierte Spannung über
    neue geopolitische Grenzen gezündet wurde,
  • 1:40 - 1:44
    die die alte missionarische Tradition
    der Kirche in Brand steckte
  • 1:44 - 1:47
    und eines der größten Kunstwerke
    der Geschichte hervorbrachte.
  • 1:48 - 1:53
    Dieser Verlauf vollzog sich
    als enorme Entwicklung,
  • 1:53 - 1:55
    die bei einer kleine Elite begann
  • 1:55 - 1:59
    und sich schließlich an
    ein Publikum richtet,
  • 1:59 - 2:01
    das aus der ganzen Welt kommt.
  • 2:01 - 2:04
    Diese Entwicklung durchlief drei Phasen.
  • 2:04 - 2:07
    Jede einzelne ist mit einer
    historischen Gegebenheit verbunden.
  • 2:07 - 2:09
    Die erste besaß nur
    eine begenzte Reichweite.
  • 2:09 - 2:12
    Sie spiegelte eher
    die kirchliche Sicht wider.
  • 2:12 - 2:16
    Die zweite erfolgte, als sich
    nach Kolumbus' historischer Reise
  • 2:16 - 2:19
    die Weltbilder dramatisch veränderten.
  • 2:19 - 2:20
    Die dritte Phase erfolgte,
  • 2:21 - 2:23
    als das Zeitalter der Entdeckungen
    bereits begonnen hatte
  • 2:24 - 2:26
    und die Kirche sich
    der Herausforderung stellte,
  • 2:26 - 2:28
    weltweit aktiv zu werden.
  • 2:28 - 2:32
    Die ursprüngliche Dekoration der Kirche
    spiegelte eine kleinere Welt wider.
  • 2:32 - 2:34
    Szenen geschäftigen Treibens
  • 2:34 - 2:38
    erzählten die Geschichten
    von Jesus und Moses
  • 2:38 - 2:42
    und gaben die Entwicklung des jüdischen
    und christlichen Volkes wieder.
  • 2:42 - 2:44
    Papst Sixtus IV. hatte dies
    in Auftrag gegeben
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    und ein Dreamteam aus florentinischen
    Künstlern zusammengestellt,
  • 2:47 - 2:50
    darunter Männer wie
    Sandro Botticelli und Ghirlandaio,
  • 2:50 - 2:55
    Michelangelos künftiger Lehrer.
  • 2:55 - 3:01
    Diese Männer bedeckten die Wände
    mit einem Fries aus reiner Farbe.
  • 3:01 - 3:04
    In diesen Geschichten entdeckt man
    bekannte Landschaften.
  • 3:04 - 3:08
    Die Künstler malten römische Denkmäler
    oder eine toskanische Landschaft,
  • 3:08 - 3:11
    um eine Geschichte, die in fernen Ländern
    spielt, vertrauter zu machen.
  • 3:11 - 3:15
    Zusammen mit den Bildern
    der Freunde und Familie des Papstes
  • 3:15 - 3:18
    war dies die perfekte Ausschmückung
    für einen kleinen Hof,
  • 3:18 - 3:20
    der sich auf Europa beschränkte.
  • 3:20 - 3:25
    Aber 1492 wurde die Neue Welt entdeckt,
  • 3:25 - 3:27
    Horizonte erweiterten sich
  • 3:27 - 3:33
    und dieser kleine 40 x 14 m große
    Mikrokosmos musste sich auch öffnen.
  • 3:33 - 3:35
    Das geschah auch,
  • 3:35 - 3:37
    dank eines kreativen Genies,
  • 3:37 - 3:40
    eines Visionärs und
    einer eindrucksvollen Geschichte.
  • 3:40 - 3:43
    Das kreative Genie
    war Michelangelo Buonarroti.
  • 3:43 - 3:47
    Er war 33, als er ausgewählt wurde, um
    die 1100 qm große Decke auszuschmücken.
  • 3:47 - 3:49
    Er hatte schlechte Karten.
  • 3:49 - 3:52
    Er war Maler, wollte sich aber
    der Bildhauerei zuwenden.
  • 3:52 - 3:56
    In Florenz saßen wütende Auftraggeber,
    weil er viele unvollständige Aufträge
  • 3:56 - 3:58
    hinterlassen hatte und
    nach Rom gelockt worden war,
  • 3:58 - 4:01
    mit Aussicht auf ein
    großes Bildhauerprojekt.
  • 4:01 - 4:03
    Das Projekt war nicht zustande gekommen.
  • 4:03 - 4:07
    Letztendlich wurde er beauftragt,
    12 Apostel vor dekorativem Hintergrund
  • 4:07 - 4:10
    an die Decke der
    Sixtinischen Kapelle zu malen,
  • 4:10 - 4:13
    die wie jede andere Decke
    in Italien aussehen würde.
  • 4:13 - 4:15
    Das Genie stellte sich
    der Herausforderung.
  • 4:15 - 4:19
    In einer Zeit, in der ein Mann es wagte,
    über den Atlantik zu segeln,
  • 4:19 - 4:23
    wagte es Michelangelo,
    neue Wege in der Kunst zu gehen.
  • 4:23 - 4:25
    Auch er würde eine Geschichte erzählen --
  • 4:25 - 4:29
    nicht über Apostel --
    sondern über bedeutende Anfänge,
  • 4:29 - 4:31
    die Geschichte der Genesis.
  • 4:31 - 4:34
    Es ist nicht gerade leicht,
    Geschichten an der Decke umzusetzen.
  • 4:34 - 4:39
    Wie kann man von unten eine belebte Szene
    aus einem Abstand von 20 m erkennen?
  • 4:39 - 4:42
    Die Maltechnik, die seit 200 Jahren
    in den Florentiner Studios
  • 4:42 - 4:45
    weitergereicht wurde, war für
    diese Art von Erzählung nicht gerüstet.
  • 4:46 - 4:49
    Michelangelo war eigentlich kein Maler.
  • 4:49 - 4:51
    Deshalb spielte er seine Stärken aus.
  • 4:51 - 4:54
    Anstatt wie gewohnt die Fläche
    mit Geschäftigkeit auszufüllen,
  • 4:54 - 4:58
    griff er nach Hammer und Meißel
    und klopfte Marmorstücke weg,
  • 4:58 - 5:01
    um die Figur darunter freizulegen.
  • 5:01 - 5:03
    Michelangelo war ein Essentialist.
  • 5:03 - 5:07
    Er erzählte seine Geschichte
    mit gewaltigen, dynamischen Körpern.
  • 5:07 - 5:12
    Der legendäre Papst Julius II.
    begrüßte dieses Konzept.
  • 5:12 - 5:16
    Er ließ sich nicht von Michelangelos
    dreister Genialität beeindrucken.
  • 5:16 - 5:18
    Er war der Neffe von Papst Sixtus IV.
  • 5:18 - 5:22
    Er war seit 30 Jahren der Kunst verhaftet
    und war sich seiner Macht bewusst.
  • 5:22 - 5:25
    Die Geschichte hat seinen Spitznamen
    vom Kriegerpapst überliefert,
  • 5:25 - 5:29
    aber er hat dem Vatikan keine Burgen
    oder Artillerie vererbt,
  • 5:29 - 5:30
    sondern Kunst.
  • 5:30 - 5:33
    Er hinterließ uns die Stanzen des Raffael,
  • 5:33 - 5:34
    die Sixtinische Kapelle, den Petersdom
  • 5:34 - 5:40
    und eine außerordentliche Sammlung
    griechisch-römischer Skulpturen --
  • 5:40 - 5:44
    definitiv heidnische Werke,
    die die Grundlage
  • 5:44 - 5:48
    des ersten modernen Museums der Welt,
    der Vatikanischen Museen, bilden würden.
  • 5:48 - 5:50
    Julius war ein Mann,
  • 5:50 - 5:53
    der sich ausmalte, dass der Vatikan
  • 5:53 - 5:56
    aufgrund seiner Größe und Schönheit
    für immer maßgebend sein würde.
  • 5:56 - 5:58
    Er hatte Recht.
  • 5:58 - 6:03
    Dank der Begegnung der beiden Giganten,
    Michelangelo und Julius II.,
  • 6:03 - 6:05
    gibt es die Sixtinsche Kapelle.
  • 6:06 - 6:08
    Michelangelo engagierte sich so sehr
    in diesem Projekt,
  • 6:08 - 6:13
    dass er die Aufgabe innerhalb
    von dreieinhalb Jahren fertigstellte.
  • 6:13 - 6:17
    Er arbeitete mit einer kleinen Gruppe
    und verbrachte stundenlang damit,
  • 6:17 - 6:21
    über seinem Kopf die Geschichten
    an die Decke zu malen.
  • 6:21 - 6:23
    Schauen wir uns die Decke an,
  • 6:23 - 6:26
    sehen wir, wie die Geschichten
    weltweite Bedeutung erlangt haben.
  • 6:26 - 6:31
    Es bestehen keinerlei bekannte
    künstlerische Referenzen.
  • 6:31 - 6:35
    Es gibt nur Raum, Struktur und Energie;
  • 6:35 - 6:40
    ein imposanter gemalter Rahmen,
    der sich über neun Felder verteilt,
  • 6:40 - 6:44
    die sich eher an der Form
    als an den Farben ausrichten.
  • 6:44 - 6:48
    Wir stehen am äußersten Ende,
    in der Nähe des Eingangs,
  • 6:48 - 6:52
    weit weg vom Altar und den
    Chorschranken für den Klerus.
  • 6:52 - 6:57
    Wir schauen in die Ferne
    und suchen nach einem Anfang.
  • 6:57 - 7:01
    Bei wissenschafltichen Untersuchungen
    sowie in der biblischen Überlieferung
  • 7:01 - 7:05
    denken wir an etwas wie einen Zündfunken.
  • 7:05 - 7:07
    Michelangelo malte Ausgangsenergie,
  • 7:07 - 7:10
    als er die Trennung
    von Licht und Finsternis malte;
  • 7:10 - 7:13
    eine rastlose Figur,
    verschwommen in der Ferne
  • 7:13 - 7:15
    und in einen engen Raum gezwängt.
  • 7:15 - 7:18
    Die nächste Figur wird sichtbar
  • 7:18 - 7:21
    und man kann eine Figur
    von einer Seite zur anderen eilen sehen.
  • 7:21 - 7:26
    Sie hinterlässt in ihrem Kielwasser
    Sonne, Mond und Vegetation.
  • 7:26 - 7:30
    Michelangelo konzentrierte sich nicht
    auf die Dinge, die geschaffen wurden,
  • 7:30 - 7:32
    im Gegensatz zu anderen Künstlern.
  • 7:32 - 7:36
    Er konzentrierte sich
    auf den Schöpfungsakt.
  • 7:36 - 7:40
    Dann stopt die Bewegung
    wie eine Zäsur in der Dichtung.
  • 7:40 - 7:42
    Der Schöpfer schwebt in der Luft.
  • 7:42 - 7:43
    Was tut er da?
  • 7:43 - 7:46
    Erschafft er Land oder Meer?
  • 7:46 - 7:50
    Oder schaut er zurück auf sein Werk,
    das Universum und seine Schätze,
  • 7:50 - 7:52
    wie es Michelangelo getan haben muss,
  • 7:52 - 7:55
    der auf sein Werk an der Decke blickte
  • 7:55 - 7:58
    und rief: "Es ist gut."
  • 7:58 - 8:00
    Die Grundlage ist nun gelegt;
  • 8:01 - 8:04
    man gelangt nun zum Höhepunkt
    der Schöpfung, dem Menschen.
  • 8:04 - 8:09
    Adam springt einem ins Auge: eine helle
    Figur vor einem dunklen Hintergrund.
  • 8:09 - 8:10
    Wenn man genauer hinschaut,
  • 8:10 - 8:13
    liegt das Bein ziemlich kraftlos
    auf dem Boden,
  • 8:13 - 8:15
    der Arm liegt schwer auf dem Knie.
  • 8:15 - 8:19
    Adam fehlt der innere Funke,
  • 8:19 - 8:21
    der ihn zu Größerem antreiben wird.
  • 8:21 - 8:26
    Dieser Funke wird ihm gleich
    vom Schöpfer in den Finger übertragen,
  • 8:26 - 8:29
    der einen Millimeter
    von Adams Hand entfernt ist.
  • 8:29 - 8:31
    Nun wird es spannend,
  • 8:31 - 8:34
    weil wir einen Augenblick
    von diesem Kontakt entfernt sind,
  • 8:34 - 8:37
    durch den dieser Mann
    seinen Sinn entdecken, aufspringen
  • 8:37 - 8:40
    und seinen Platz an der Spitze
    der Schöpfung einnehmen wird.
  • 8:40 - 8:43
    Dann hat uns Michelangelo
    völlig überrumpelt.
  • 8:43 - 8:45
    Wen hält Gott in seinem anderen Arm?
  • 8:46 - 8:47
    Eva, die erste Frau.
  • 8:47 - 8:50
    Sie ist kein nachträglicher Einfall.
    Sie ist Teil des Plans.
  • 8:50 - 8:53
    Gott hatte sie schon immer im Sinn.
  • 8:53 - 8:57
    Schauen Sie, sie ist so vertraut mit Gott,
    dass sie ihre Hand auf seinen Arm legt.
  • 8:57 - 9:03
    Für mich als amerikanische
    Kunsthistorikerin des 21. Jahrhunderts
  • 9:03 - 9:06
    war dies der Moment, in dem
    das Gemälde zu mir gesprochen hat.
  • 9:06 - 9:09
    Denn mir wurde bewusst,
    dass es bei dieser Darstellung
  • 9:09 - 9:12
    schon immer um Männer und Frauen ging --
  • 9:12 - 9:16
    und zwar so sehr, dass genau mittig,
    im Herzen der Decke
  • 9:16 - 9:18
    die Erschaffung der Frau liegt,
    nicht die von Adam.
  • 9:18 - 9:22
    Wenn man sie dann zusammen
    im Garten Eden sieht,
  • 9:22 - 9:24
    kommen sie gemeinsam zu Fall
  • 9:24 - 9:28
    und ihre stolze Haltung verändert sich
    in eine gebückte, schmachvolle Haltung.
  • 9:29 - 9:31
    Sie befinden sich an einem
    kritischen Punkt an der Decke.
  • 9:31 - 9:34
    Es ist genau der Punkt, an dem Sie und ich
  • 9:34 - 9:36
    nicht weiter in die Kirche gehen können.
  • 9:36 - 9:39
    Die Chorschranke hält uns
    vom Allerheiligsten fern
  • 9:39 - 9:42
    und wir sind vertrieben wie Adam und Eva.
  • 9:42 - 9:44
    Die restlichen Szenen an der Decke
  • 9:44 - 9:46
    spiegeln das beengte Chaos wider,
    das uns umgibt.
  • 9:46 - 9:49
    Hier ist Noah mit seiner Arche
    und der Sintflut.
  • 9:49 - 9:52
    Hier ist Noah, als er ein Opfer bringt
    und mit Gott ein Abkommen trifft.
  • 9:52 - 9:54
    Vielleicht ist er der Heiland.
  • 9:54 - 9:57
    Ach nein, Noah ist derjenige,
    der Trauben züchtete, den Wein erfand,
  • 9:57 - 10:00
    sich betrank und nackt
    in seinem Stall bewusstlos wurde.
  • 10:00 - 10:03
    Es ist merkwürdig,
    die Decke so zu gestalten,
  • 10:03 - 10:05
    dabei mit Gottes Schöpfung zu beginnen
  • 10:05 - 10:08
    und mit einem Typ zu enden,
    der betrunken in einem Stall liegt.
  • 10:08 - 10:10
    Verglichen mit Adam
  • 10:10 - 10:12
    könnte man meinen, Michelangelo
    mache sich über uns lustig.
  • 10:12 - 10:15
    Aber er ist dabei,
    die Finsternis zu vertreiben,
  • 10:15 - 10:18
    indem er diese hellen Farben
    genau unterhalb von Noah verwendet:
  • 10:18 - 10:22
    Smaragdgrün, Topazgelb, Scharlachrot
    für den Propheten Zacharias.
  • 10:22 - 10:25
    Zacharias sieht ein aus dem Osten
    kommendes Licht voraus
  • 10:25 - 10:28
    und an dieser Stelle werden wir
    in eine neue Richtung gelenkt.
  • 10:28 - 10:32
    Sibyllen und Propheten werden uns
    zu einem Defilee führen.
  • 10:32 - 10:36
    Es gibt Helden und Heldinnen,
    die für Sicherheit auf dem Weg sorgen.
  • 10:36 - 10:38
    Wir folgen den Müttern und Vätern.
  • 10:38 - 10:42
    Sie sind die Motoren dieses riesigen
    Triebwerks und treiben es voran.
  • 10:42 - 10:45
    Jetzt sind wir am Grundpfeiler der Decke,
  • 10:45 - 10:47
    am Höhepunkt des Ganzen.
  • 10:47 - 10:51
    Diese Figur sieht so aus,
    als würde sie gleich herausfallen,
  • 10:51 - 10:52
    in unseren Raum hinein,
  • 10:52 - 10:53
    um ihn einzunehmen.
  • 10:53 - 10:56
    Dies ist die wichtigste Verbindungsstelle.
  • 10:56 - 10:58
    Vergangenheit trifft auf Gegenwart.
  • 10:58 - 11:01
    Dies ist Jonas, der drei Tage lang
    in einem Wal saß.
  • 11:01 - 11:04
    Für die Christen ist er das Symbol
    der Erneuerung der Menschheit
  • 11:04 - 11:05
    durch das Opfer Jesu,
  • 11:05 - 11:08
    aber für die vielen Besucher,
    die täglich in dieses Museum kommen
  • 11:08 - 11:11
    und die aus allen
    Glaubensrichtungen stammen,
  • 11:11 - 11:17
    ist dies der Moment, in dem die frühe
    Vergangenheit die direkte Realität trifft.
  • 11:18 - 11:23
    Das alles bringt uns zu dem
    Bogenfeld an der Altarwand,
  • 11:23 - 11:25
    an der Michealangelos
    Jüngstes Gericht zu sehen ist,
  • 11:25 - 11:29
    das er 1534 gemalt hat, nachdem
    sich die Welt wieder verändert hatte.
  • 11:29 - 11:31
    Die Reformation hatte
    die Kirche gespalten,
  • 11:31 - 11:34
    das Osmanische Reich hatte aus
    dem Islam ein Alltagswort gemacht
  • 11:34 - 11:38
    und Magellan hatte einen Weg
    zum Pazifischen Ozean gefunden.
  • 11:38 - 11:43
    Wie wird ein 59-jähriger Künstler, der nie
    weiter als bis nach Venedig gekommen war,
  • 11:43 - 11:45
    diese neue Welt ansprechen?
  • 11:45 - 11:48
    Michelangelo hatte beschlossen,
    das Schicksal zu malen,
  • 11:48 - 11:50
    das universelle Verlangen,
  • 11:50 - 11:51
    das uns allen vertraut ist,
  • 11:51 - 11:54
    um ein Vermächtnis an
    Meisterleistung zu hinterlassen.
  • 11:54 - 11:57
    In Bezug auf die christliche Sicht
    des Jüngsten Gerichts,
  • 11:57 - 11:59
    und des Weltendes,
  • 11:59 - 12:02
    hat uns Michelangelo eine Reihe Figuren
  • 12:02 - 12:05
    mit auffallend schönen
    Körpern hinterlassen.
  • 12:05 - 12:08
    Sie sind nicht mehr bedeckt
    und es gibt keine Porträts mehr,
  • 12:08 - 12:09
    von wenigen abgesehen.
  • 12:09 - 12:12
    Es handelt sich um eine Komposition
    aus 391 Körpern,
  • 12:12 - 12:15
    von denen keiner dem anderen gleicht.
  • 12:15 - 12:18
    Sie sind einzigartig wie jeder von uns.
  • 12:18 - 12:22
    In der unteren Ecke beginnen sie,
    sich vom Boden zu lösen;
  • 12:22 - 12:24
    sie kämpfen und versuchen, aufzusteigen.
  • 12:24 - 12:27
    Die bereits aufgestiegen sind,
    versuchen, anderen zu helfen.
  • 12:27 - 12:29
    An einer beeindruckenden Stelle
  • 12:29 - 12:32
    werden ein schwarzer und ein weißer Mann
    zusammen nach oben gezogen.
  • 12:32 - 12:34
    Dies zeigt eine unglaubliche Sicht
    menschlicher Einheit
  • 12:34 - 12:36
    in dieser neuen Welt.
  • 12:36 - 12:39
    Der Löwenanteil gehört dem Siegerkreis.
  • 12:39 - 12:44
    Dort gibt es Männer und Frauen,
    die nackt wie Athleten sind.
  • 12:44 - 12:47
    Sie haben das Elend überwunden
  • 12:47 - 12:50
    und Michelangelos Sicht auf die Menschen,
    die das Elend bekämpfen,
  • 12:50 - 12:52
    Hindernisse überwinden --
  • 12:52 - 12:54
    sie sind genau wie Athleten.
  • 12:54 - 12:57
    Männer und Frauen lassen
    Muskeln spielen und posieren
  • 12:57 - 12:59
    in diesem besonderen Rampenlicht.
  • 13:00 - 13:02
    Jesus führt den Vorsitz
    über diese Versammlung.
  • 13:02 - 13:04
    Erst war er ein leidender Mann am Kreuz,
  • 13:04 - 13:07
    nun ist er ein glorreicher
    Herrscher im Himmel.
  • 13:07 - 13:10
    Michelangelo zeigt in seinem Gemälde,
  • 13:10 - 13:12
    dass harte Umstände,
    Rückschläge und Hindernisse
  • 13:12 - 13:15
    Meisterleistung nicht einschränken,
    sondern sie formen.
  • 13:16 - 13:18
    Dies führt uns zu einer komischen Sache.
  • 13:19 - 13:21
    Das ist die private Kapelle des Papstes.
  • 13:21 - 13:24
    Man kann sie am besten als "Eintopf"
    von Aktbildern beschreiben.
  • 13:24 - 13:28
    Michelangelo versuchte, nur die beste
    künstlerische Sprache einzusetzen
  • 13:28 - 13:30
    und dachte an die gängigste:
  • 13:30 - 13:32
    die Sprache des menschlichen Körpers.
  • 13:32 - 13:38
    Anstatt Tugenden wie Standhaftigkeit
    oder Selbstbeherrschung zu zeigen,
  • 13:38 - 13:42
    übernahm er einiges aus Julius' II.
    wundervoller Skulpturensammlung,
  • 13:42 - 13:46
    um innere Stärke als
    äußere Kraft zu zeigen.
  • 13:47 - 13:51
    Ein Zeitgenosse schrieb,
  • 13:51 - 13:55
    die Kapelle sei zu schön,
    um keine Kontroverse auszulösen.
  • 13:55 - 13:56
    Genau das war der Fall.
  • 13:56 - 14:00
    Michelangelo musste bald feststellen,
    dass sich mit Hilfe der Druckpresse
  • 14:00 - 14:03
    Beschwerden über die Nackheit
    im Gemälde rasch verbreiteten.
  • 14:03 - 14:07
    Bald wurde sein Meisterstück
    als Pornografie bezeichnet,
  • 14:07 - 14:09
    woraufhin er zwei weitere
    Porträts hinzufügte:
  • 14:09 - 14:12
    eines von dem päpstlichen Höfling,
    der ihn kritisierte,
  • 14:12 - 14:16
    und ein anderes von ihm selbst, aber nicht
    als Athlet, sondern als verdorrte Hülse,
  • 14:16 - 14:18
    in den Händen eines langmütigen Märtyrers.
  • 14:18 - 14:22
    In dem Jahr, als er starb,
    wurden viele dieser Figuren bedeckt:
  • 14:22 - 14:28
    ein Triumph für triviale Ablenkungen
    gegenüber seinem Aufruf zur Herrlichkeit.
  • 14:28 - 14:32
    Jetzt stehen wir im Hier und Jetzt.
  • 14:32 - 14:34
    Wir sind in dem Raum
  • 14:34 - 14:36
    zwischen Anfang und Ende
  • 14:36 - 14:41
    in der großartigen, riesigen Totalität
    der menschlichen Erfahrung gefangen.
  • 14:41 - 14:44
    Die Sixtinische Kapelle zwingt uns
    herumzuschauen, als wäre sie ein Spiegel.
  • 14:44 - 14:46
    Wer bin ich in diesem Bild?
  • 14:46 - 14:47
    Gehöre ich zu der Menschenmenge?
  • 14:47 - 14:49
    Bin ich der betrunkene Typ?
  • 14:49 - 14:50
    Bin ich der Athlet?
  • 14:50 - 14:52
    Wenn wir diesen Hafen
    erbaulicher Schönheit verlassen,
  • 14:52 - 14:56
    werden wir dazu angeregt, uns die
    wichtigsten Fragen des Lebens zu stellen:
  • 14:56 - 15:02
    Wer bin ich und welche Rolle spiele ich
    in diesem großen Theater des Lebens?
  • 15:02 - 15:03
    Vielen Dank.
  • 15:03 - 15:06
    (Applaus)
  • 15:06 - 15:09
    Bruno Giussani:
    Elizabeth Lev, vielen Dank.
  • 15:09 - 15:13
    Elizabeth, Sie erwähnten
    das Thema Pornografie,
  • 15:13 - 15:18
    zu viele Nackte und zu viele Alltagsszenen
    und ungehörige Dinge
  • 15:19 - 15:20
    in den Augen der damaligen Zeit.
  • 15:20 - 15:22
    Eigentlich geht es um mehr.
  • 15:22 - 15:25
    Es geht nicht darum, einige Figuren
    nachzubessern oder zu bedecken.
  • 15:25 - 15:28
    Dieses Kunstwerk wurde
    beinahe deswegen zerstört.
  • 15:28 - 15:31
    Elizabeth Lev: Die Wirkung
    des Jüngsten Gerichts war gewaltig.
  • 15:31 - 15:34
    Die Druckpresse sorgte dafür,
    dass es jeder sehen konnte.
  • 15:34 - 15:38
    Das passierte nicht innerhalb
    von ein paar Wochen.
  • 15:38 - 15:41
    Über einen Zeitraum von
    20 Jahren hinweg wandte man sich
  • 15:41 - 15:44
    mit Artikeln und Klagen an die Kirche:
  • 15:44 - 15:48
    "Ihr könnt uns doch nicht erzählen,
    wie wir unser Leben zu führen haben.
  • 15:48 - 15:51
    Habt Ihr gemerkt, dass in der Kapelle
    des Papstes Pornografie hängt?"
  • 15:51 - 15:54
    Nach vielen Beschwerden
    und dem Beharren darauf,
  • 15:54 - 15:56
    dieses Kunstwerk zu zerstören,
  • 15:56 - 15:59
    ging die Kirche schließlich
    in Michelangelos Todesjahr
  • 15:59 - 16:01
    einen Kompromiss ein,
  • 16:01 - 16:02
    um das Gemälde zu retten,
  • 16:02 - 16:05
    indem sie diese 30 zusätzlichen
    Bedeckungen anbrachte.
  • 16:05 - 16:09
    Damit begann die systematische
    Übermalung der unsittlichen Stellen.
  • 16:09 - 16:10
    Dort fing es an
  • 16:10 - 16:14
    und es geschah in einer Kirche,
    die versuchte, ein Kunstwerk zu retten,
  • 16:14 - 16:16
    anstatt es zu verunstalten
    oder zu zerstören.
  • 16:17 - 16:20
    BG: Was Sie uns gerade erzählt haben,
    ist nicht die übliche Tour,
  • 16:20 - 16:23
    die die Besucher der Sixtinischen Kapelle
    heutzutage bekommen.
  • 16:23 - 16:25
    (Gelächter)
  • 16:25 - 16:27
    EL: Ich weiß nicht, ist das Werbung?
  • 16:27 - 16:28
    (Gelächter)
  • 16:28 - 16:31
    BG: Nein, nein, nicht unbedingt,
    es ist eine Feststellung.
  • 16:31 - 16:35
    Das Kunsterlebnis
    trifft heutzutage auf Probleme.
  • 16:35 - 16:38
    Zu viele Menschen wollen dies sehen,
  • 16:38 - 16:41
    mit dem Ergebnis, dass 5 Millionen Leute
    durch diese winzige Tür gehen
  • 16:41 - 16:44
    und das Kunstwerk völlig anders erfahren,
  • 16:44 - 16:45
    als wir das gerade taten.
  • 16:45 - 16:48
    EL: Richtig. Dem stimme ich zu. Es ist
    schön, wenn man in Ruhe schauen kann.
  • 16:48 - 16:51
    Aber selbst damals,
  • 16:51 - 16:53
    bei 28 000 Menschen pro Tag,
  • 16:53 - 16:56
    selbst damals, als man mit all
    diesen anderen Menschen dort war,
  • 16:56 - 16:58
    schaute man sich um und dachte,
    wie wundervoll es ist,
  • 16:58 - 17:02
    dass ein 500 Jahre alter bemalter Putz
  • 17:02 - 17:05
    immer noch all diese Menschen anzieht,
    die dicht bei einem stehen
  • 17:05 - 17:07
    und auch mit offenem Mund
    nach oben schauen.
  • 17:07 - 17:10
    Es handelt sich um
    eine großartige Erklärung,
  • 17:10 - 17:15
    wie Schönheit uns über Zeit
    und Ort hinweg ansprechen kann.
  • 17:15 - 17:16
    BG: Liz, Grazie.
  • 17:16 - 17:17
    EL: Grazie a te.
  • 17:17 - 17:18
    BG: Vielen Dank
  • 17:18 - 17:20
    (Applaus)
Title:
Die unbekannte Geschichte der Sixtinischen Kapelle
Speaker:
Elizabeth Lev
Description:

Die Sixtinische Kapelle gehört zu den symbolträchtigsten Gebäuden der Welt, aber es gibt noch viele Dinge, die wahrscheinlich unbekannt sind. In diesem meisterlichen Vortrag führt uns die Kunsthistorikerin Elizabeth Lev in einer entlang der Deckenmalereien des berühmten Gebäudes und Michelangelos lebendiger Schilderung traditioneller Geschichten. Sie zeigt dabei, wie der Maler über die religiöse Ikonographie der Zeit hinausgriff, um in der Kunst neue Wege zu gehen. Laut Lev werden wir 500 Jahre nach Entstehung des Gemäldes gezwungen, uns umzuschauen, als wäre die Sixtinsiche Kapelle ein Spiegel und uns zu fragen: "Wer bin ich und welche Rolle spiele ich in diesem großen Theater des Lebens?"

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Video Language:
English
Team:
closed TED
Project:
TEDTalks
Duration:
17:33

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