Es ist so offensichtlich, dass es nahezu sprichwörtlich ist: Ein gekochtes Ei wird nicht wieder roh. Doch es stellt sich heraus, es geht sogar gewissermaßen. Thermische Energie verändert die Moleküle eines Eis, und mechanische Energie kann diese Veränderung rückgängig machen. Eier bestehen haupstächlich aus Wasser und Proteinen. Im Normalzustand sind die Proteine auf komplexe Art zusammengefaltet, die von schwachen chemischen Bindungen zusammengehalten werden . Hinzugefügte Wärme trennt diese Bindungen und ermöglicht den Proteinen sich zu entwinden und frei zu bewegen. Dieser Prozess heißt Denaturieren. Die freigesetzten Proteine stoßen gegen benachbarte Proteine und bilden neue Bindungen miteinander, umso mehr, je wärmer es wird. Irgendwann sind sie so stark verflochten, dass sie feste Form annehmen, und zu einem gekochten Ei werden. Diese Verstrickung sieht zwar endgültig aus, ist es aber nicht. Laut einer Idee aus der Chemie, nämlich dem Prinzip der mikroskopischen Reversibiliät, kann jede Veränderung, wie z. B. das Festwerden der Proteine im Ei, theoretisch rückgängig gemacht werden, wenn man denselben Weg zurückgeht. Doch wenn man mehr Wärme hinzufügt, verwickeln sich die Proteine weiter, und sie runterzukühlen führt nur dazu, dass sie einfrieren. Hier ist der Trick: man muss sie unglaublich schnell herumwirbeln. Das ist kein Scherz. So funktioniert das: Zuerst lösen Wissenschaftler gekochtes Eiweiß mittels einer Chemikalie namens Urea in Wasser auf. Es ist ein kleines Molekül, das als Schmierstoff dient und Proteine umhüllt. Jetzt können sie einfacher außeinander gleiten. Dann wird die Lösung in einem Reagenzglas bei 5000 Rotationen pro Minute in Drehung versetzt. Die Lösung legt sich dadurch als dünner Film am Reagenzglas nieder. Jetzt kommt das Wichtigste: Die Lösung, die der Glaswand am Nächsten ist, dreht sich schneller, als die Lösung in der Mitte. Dieser Geschwindigkeitsunterschied erzeugt Scherkräfte, die die Proteine wiederholt auseinander-und wieder zusammenziehen, bis sie endgültig in ihre Ursprungsform zurückkehren. Sobald die Zentrifuge sich aufgehört hat zu drehen, liegt das Eiweiß wieder im rohen Zustand vor. Dieses Verfahren funktioniert mit allen Arten von Proteinen. Größere, komplexere Proteine sind schwieriger auseinanderzuziehen, deshalb hängen Wissenschaftler eine kleine Plastikperle ans Proteinende, um durch die zusätzliche Belastung das Protein zum Entwinden anzuregen. Diese "Umkehrmethode" funktioniert nicht mit einem ganzen Ei in der Schale, weil sich die Lösung ja in einem zylindrischen Raum verteilen muss. Doch die Anwendungen gehen weit über das "Wieder-roh-machen" eines Eis hinaus. Viele Arzneimittel enthalten Proteine, deren Herstellung sehr teuer ist, zum Teil, weil sie in verwickelten Proteingeflechten stecken bleiben, genau wie bei gekochtem Eiweiß. Bevor sie ihre Funktion erfüllen können, müssen sie entwirrt werden. Dieses Schleuderverfahren kann potenziell eine einfachere, günstigere und schnellere Methode sein, um Proteine neu zu falten, sodass neue Medikamente schneller für mehr Menschen erhältlich sein können. Es gibt noch eine Sache, die beachtet werden muss, bevor man versucht, sein gekochtes Essen wieder roh zu machen: Ein Ei zu kochen ist eigentlich ein ungewöhnlicher Kochvorgang, denn obwohl dabei Form und Bindung von Proteinen verändert werden, ändert sich ihre chemische Identität nicht. Die meisten Kochvorgänge sind der berühmten Maillard-Reaktion ähnlich, bei der chemische Veränderungen entstehen, die Zucker und Proteine in leckeres, knuspriges Karamell verwandeln und viel schwieriger rückgängig zu machen sind. Deshalb kann es sein, dass man ein gekochtes Ei wieder roh machen kann, aber leider geht das noch nicht mit einem gebratenen Ei.