Ich habe mir neue Schuhe gekauft und ich wollte sie Ihnen allen zeigen. Dieser Mann hat sie mir verkauft. Er heißt Catalino und lebt seit 20 Jahren im Bahnhof Rosario Norte. Hier gibt er mir gerade seine Schuhe. Ich kaufte sie für diesen Talk, denn er ist etwas Besonderes für mich und dafür brauchte ich ganz neue Schuhe. Ich habe Marketing studiert, das war in Buenos Aires, und einmal bekamen wir die Aufgabe, auf die Straße zu gehen und etwas zu verändern, um zu sehen, wie die Leute reagierten. Also zog ich das an, was ich auch jetzt trage und ging zum Obelisk. Als die Autos an der Ampel hielten, bat ich sie nicht um Geld, sondern gab ihnen 1 Peso. Was überprüfte ich damit? Ich überprüfte die Vorurteile der Menschen. Denn kaum sahen sie mich, kurbelten sie die Fenster hoch oder schauten weg. Sie taten so, als stünde da niemand, und schufen eine unangenehme Lage, bis sie an der nächsten Ampel hielten und sich wieder unwohl fühlten, weil sie jemand anderen ignorierten. Die meisten Frauen legten ihre Handtasche auf den Rücksitz. Das Projekt war ein Erfolg, und ich bekam eine Anstellung in meiner ersten Agentur, Agulla y Baccetti. Dann arbeitete ich für Vega Olmos Ponce, und 2001 entfloh ich dem ohrenbetäubenden Betriebslärm, um nach London zu gehen -- mit 1000 Dollar, einem Touristenvisum und null Englischkenntnissen. Ich hielt mich ein Jahr lang über Wasser, indem ich Teller wusch, Baustellengerüste aufbaute sowie Kühlschränke und Klimaanlagen einrichtete. Ich wurde aus London ausgewiesen, weil ich illegal arbeitete und doppelt so viele Stunden wie erlaubt, aber das war die schönste Erfahrung meines Lebens. Dann arbeitete ich 2 Jahre lang bei einer neuen Werbeagentur, bis ich ein Angebot aus New York erhielt. Ich zog weg, ohne zu überlegen, nur diesmal in eine bezahlte Wohnung gegenüber dem Empire State Building, und ich verdiente 60 000 Dollar im Jahr. Eine komplett andere Erfahrung, die ich aber sehr zu schätzen weiß, nach der Zeit in London. Dann verliebte ich mich und kurz nachdem wir zusammengezogen waren, rief mich eine Agentur aus Austin, Texas, mit einem Angebot an. Ich sagte: "Ich bin erst vor einem Monat mit meiner Freundin zusammengezogen, es geht nicht. Sie arbeitet hier." Sie sagten, sie könnten auch ihr Arbeit geben. Also gingen wir für ein Wochenende hin, uns gefiel die Stadt, wir zogen hin. Wir kamen sonntags an und am Montag erfuhren wir, dass sie schwanger war. Für unsere Hochzeit holte ich meine Eltern aus Argentinien und wir heirateten in Puerto Rico, noch während sie schwanger war, aber wir waren sehr glücklich. Und 2009 kam Elena, die Liebe meines Lebens, auf die Welt. Dieser Wonneproppen hier. Als sie eineinhalb war, rief mich mein Bruder an, ich frühstückte gerade, und sagte mir, meine Eltern wären in einen schweren Verkehrsunfall geraten. Er wusste nicht, wie es ihnen ging, nur dass sie schwer verletzt waren, dass der Unfall bei Rafaela von Santiago del Estero kommend passierte und sonst nichts bekannt war. Völlig ahnungslos sprang ich ins nächste Flugzeug nach Ezeiza zu einem Freund und dann weiter nach Rafaela. Und da sah ich das. Ich erfuhr, dass mein Vater im Koma lag und ... (Schluchzen) ... und dass meine Mutter sich all ihre Knochen gebrochen hatte. Nach 10 Monaten im Koma starb mein Vater, meine Mutter lag 6 Monate im Bett und musste sechsmal operiert werden. Hier hielt ich zum letzten Mal die Hand meines Vaters, weil er mich am Anfang noch hören konnte und reagierte, aber dann nicht mehr. (Schluchzen) Ich kehrte nach Austin zurück, weil ich weiterarbeiten musste. Und ungefähr 5 Monate vor dem Tod meines Vaters hatte ich eines Morgens Streit mit meiner Frau, schlug die Tür zu als ich zur Arbeit ging, erhielt am Tag danach einen Scheidungsantrag und landete auf der Straße. Ich verlor meine Tochter, mein Haus, und mit der Situation meiner Eltern in Argentinien war ich plötzlich komplett allein und musste im Haus eines Freundes auf dem Sofa schlafen. Damals benutzte ich Instagram, diese Foto-App, wie jeder, und machte Bilder vom Himmel, von Vögeln, von allem Möglichen. Eines Tages traf ich diesen Herrn hier und bat darum, ein Foto von ihm zu machen, gab ihm 1 Dollar dafür und hörte ihm dann zu, wie er von sich erzählte. Plötzlich kamen mir meine eigenen Probleme so klein vor im Vergleich zu denen dieses Herrn. Ich lernte wertzuschätzen, was ich hatte, was nicht wenig war. Ich war gesund, meine Tochter auch, ich hatte ein Sofa zum Schlafen, was echt eine Menge ist. Seit diesem Tag mache ich Bilder von den Menschen auf der Straße. Sie gaben mir die Familie und die Unterstützung, die mir fehlte. Ihre Geschichten lehrten mich, wertzuschätzen, was ich hatte. Und ich bekam immer mehr Abonnenten. Ich lud immer die Bilder der Menschen mit ihrem Namen hoch. Ich erzählte von ihrer Geschichte, wenn sie interessant war. Und ich fand in ihnen die Familie, die mir fehlte. Dann traf ich eines Tages diesen Herrn. Wir unterhielten uns, ich fotografierte ihn, bezahlte ihn. Als ich gehen wollte, fragte er mich: "Wissen Sie, was ich gerne vor meinem Tod erleben würde?" Ich sage: "Nein." Und er: "Das Oktoberfest." "Das Oktoberfest?" – "Ja ..." Denn er stammte aus Deutschland und wollte schon immer dahin. Wir lachten beide und ich ging zur Arbeit. Und auf dem Weg zur Arbeit -- ich hatte damals etwa 5000 Abonnenten auf Instagram -- auf dem Weg zur Arbeit kam mir eine Idee: Wenn jeder meiner Abonnenten mir einen Dollar gibt, genau so viel, wie ich auch ihnen gab, kann ich diesen Kerl mit nach Deutschland nehmen und in einem Buch davon erzählen, und ich fing an, davon zu träumen. Ohne groß nachzudenken, lud ich sein Bild mit der Aufschrift hoch: "Wer will diesen Kerl mit zum Oktoberfest nehmen?" Ich richtete ein PayPal-Konto ein, erstellte die Website "One Dollar Dreams" und da schickte mir auf einmal eine Frau aus Japan 100 Dollar und ein Typ aus Südafrika fünf und einer aus den USA zwei. Mir wurde klar, dass das eine wichtige Idee war, eine große Idee. Mein Vater starb in der Zeit und ein Freund aus Kolumbien fragte mich: "Willst du nicht etwas bei mir bleiben? Dich von deinen Problemen ablenken." Ich löste meine Meilen ein und flog hin. In Kolumbien machte ich Fotos. Während mein Freund arbeitete, machte ich auf der Straße Fotos, hörte mir Geschichten an, schrieb mir Namen auf. Dann wurde mir diese Realität bewusst, die ganz anders als die der USA war, genauso abweichend wie die aller Länder Lateinamerikas. Die Realität der Menschen auf der Straße hier ist ganz anders. Ich traf diesen Kerl, der mich um Geld für Schuhe anbettelte, und da klar war, dass er es für etwas anderes ausgeben würde, ging ich mit ihm, um sie ihm zu kaufen. Hier probiert er gerade die Schuhe und hier freut er sich über sie. Ich machte weiter Fotos, bis ich auf -- So schlafen die Menschen in Kolumbien. Sie sind Teil der Landschaft, wir bemerken sie gar nicht. Sehen Sie, wie die Leute an ihnen vorbeilaufen -- es gibt sie nicht. Sie sind nur Abfall. Schauen Sie, wo der Bus hier durchfährt. Bis ich auf diesen Kerl namens Alex traf. Er ist aus einer Stadt im Landesinneren, er kam nach Medellín, um in den Bussen Gitarre zu spielen, er war von der Droge Paco abhängig. Er ging Drogen kaufen und als er gerade mit den Drogen rauskam, wurde er niedergestochen und ausgeraubt. Drogen, Gitarre, Schuhe -- alles weg. Er war schon 3 Tage auf der Straße, humpelte, konnte nicht laufen. Er hatte einen Wisch von einer Entzugsklinik. Und er sagte mir, er sei am Ende, er hat die Polizei gebeten, ihn hinzubringen, aber die beachtete ihn nicht. Darauf fragte ich ihn, ob es ihm ernst war mit dem Entzug und er sagte mir ja, er hielte es nicht mehr aus. Wir nahmen ein Taxi und ich brachte ihn zur Klinik, wurde sein Mentor, und Alex blieb 10 Monate dort, bis er entlassen wurde und Arbeit bekam. Dann schickte meine Agentur mich für einen Werbespot nach Mexiko. Nach dem Dreh verbrachte ich das Wochenende bei einem Freund und machte Fotos in Mexiko. Als Erstes fotografierte ich dieses Kind, das wie ein Clown geschminkt war und an den Ampeln bettelte. Seine Eltern tranken an der Ecke Wein und erwarteten, dass er arbeitete. So sieht Mexiko aus, überall Kinder auf der Straße. Ich sammelte weiterhin Geschichten, veröffentlichte sie auf Instagram, bekam mehr Abonnenten, fand Menschen, die mir Kraft gaben; all das tat meiner Geschichte sehr wohl, meiner eigenen Geschichte, aber auch meiner Arbeit in der Werbebranche. Mich begeistern Ideen und die Lösung von Problemen, aber nicht, diese Käseflips von Monsanto zu verkaufen. Verstehen Sie? Dieses Projekt wurde zu etwas, was mein Leben mit Sinn erfüllte. Zur Bearbeitung des Spots musste ich nach Los Angeles, von einem Mittwoch auf einen Donnerstag. Das Wochenende verbrachte ich ohne Geld auf der Straße, machte Fotos in Los Angeles und teilte die Erfahrung sofort auf Instagram. Ich machte die Bilder in Los Angeles und ging wieder nach Austin, wo ich auf diesen Herrn traf -- er war Koch und damals arbeitslos. Ich kaufte ihm eine komplette Kochausstattung und ein Messerset, ging mit ihm in verschiedene Restaurants und bot ihnen an, online Werbung für sie zu machen, damit er eine Stelle findet. Schon das erste Restaurant nahm ihn. Dann stand ein Vortrag in Uruguay an und ich ging 10 Tage früher hin. Ich machte dort Fotos. Für den Vortrag schnappte ich mir diesen Straßenjungen, Sebastián. Ich tat das Gegenteil von dem, was ich heute hier tat: Ich kleidete ihn als Publizist, er bekam ein Hotelzimmer, neue Klamotten und konnte sich auf dem Fest unters Volk mischen. Ich zeigte damit, dass das Aussehen einer Person auch umgekehrt wirken kann. Wenn sie sich gut kleiden, werden auch Alkoholiker und Obdachlose respektiert. Ich ging nach Spanien zu einem Freund; es ist wundervoll, überall auf der Welt Freunde zu haben. Ich machte 10 Tage lang Fotos in Madrid und eine Journalistin bot mir über Instagram ein Interview an. Dann stellte sie mir ihre Wohnung in Barcelona zu Verfügung, und ich ging hin und blieb 10 Tage dort. Ich machte Fotos in Barcelona. Danach Spanien; von dort hab ich viele Bilder. Man lud mich nach El Salvador ein, wo ich das gleiche machte. Ich ging 10 Tage vorher hin und machte in El Salvador Fotos. Aber ich kontaktierte auch die Mutter von jemandem aus dem Publikum, ohne dass der davon wusste, kleidete sie wie eine Obdachlose und machte so Fotos von ihr. Als ich die Fotos zeigte, so wie jetzt beim Vortrag, tauchte plötzlich die Mutter von dem Kerl auf -- die hier. Nur er erkannte, was los war, aber von da an sah er Obdachlose mit ganz anderen Augen. Warum? Wenn es eine geliebte Person ist, ändert sich die Perspektive, wenn es um jemanden geht, den wir gern haben. Diese Menschen auf der Straße sind jemandes Geschwister, jemandes Kinder, jemandes Mutter -- sie alle. Danach kehrte ich nach Austin zurück und wollte mein Projekt auf mehr Orte in den USA ausweiten, weil ich bisher nur in Austin und Los Angeles war. Ich hatte kein Geld, und irgendwie, wie bisher auch, startete ich doch das Auto, nahm 1000 Dollar mit, genau so viel wie ich in London dabei hatte. Ich fuhr los und legte in 2 Monaten rund 16 000 km zurück. Ich war in Las Vegas, Los Angeles, San Francisco, Denver, Saint Louis, Detroit, New York, Washington, Atlanta, Miami, Key West, New Orleans und dann wieder zurück in Austin. Die Leute öffneten mir ihre Türen, gaben mir Geld, Essen und unendlich viel Kraft. In San Francisco lud ich einen Jungen von der Straße ein, mit mir zu kommen, und wir reisten einen Monat lang zusammen, bis ich ihn in Key West absetzte. Die Reise war ein Erfolg. Als Letztes will ich Ihnen noch vom Glück erzählen. Davon, wie wertvoll es ist, denn oft diskriminieren wir die Menschen einfach nur wegen ihres Aussehens, ohne zu beachten, dass wir einfach Glück hatten. Sie haben viel Glück, heute hier zu sein, mich reden zu hören und gut gekleidet zu sein. Glück ist ausschlaggebend, nicht nur für das, was wir im Leben haben, sondern auch für unsere Entscheidungen. Denn es beeinflusst unsere weiteren Entscheidungen im Leben. So stammt die Mütze, die ich trage, von einem Vater, der trank und schlug. Diese Mütze. Dieses Sakko ist mein Bruder, der mich verprügelte, als ich sieben war. Diese Schuhe stehen dafür, nie die Schule besucht zu haben. Catalinos Schuhe, die so sehr wehtun. Dieses Hemd, das ich anhabe, kommt von guten Freunden, die mich im Viertel zusammenschlugen. Und als Letztes diese Hose, meine Mutter, die auf den Strich ging und nie zu Hause war. Sie sehen, wir sind alle gleich, mit mehr oder minder großen Unterschieden. Besser, man ist dankbar für das, was man hat, und nicht besorgt darüber, was einem fehlt, nicht? (Beifall und Jubel) Diese ... Diese Unterhose ... steht dafür, im Sanatorio Británico geboren worden zu sein mit der Hilfe von erstklassigen Ärzten. Dafür steht die Unterhose. Dieses T-Shirt steht für den Besuch der Maristen-Schule, von der Vorschule bis zur Oberstufe. Martín Jáuregui: Warte, ich helfe dir. Applaudieren wir doch weiter. (Beifall) Pachi Tamer: Gebügelt von meiner Mutter. Sie hat es mir gestern Abend gebügelt. Diese Hose steht für meine Unentschlossenheit bei der Berufswahl und für meine Eltern, die mich die ganze Zeit unterstützt haben. (Beifall) (Beifall verstummt) Und als letztes meine Schuhe, die ich jeden Tag anziehe, die für den Einsatz meiner Mutter stehen, die mit 74 immer noch arbeitet, damit ich wegen einer dummen Scheidung nicht auf der Straße lande. Dies sind meine Schuhe. Danke, dass Sie sie 18 Minuten lang getragen haben. Danke, Mama und allen anderen. (Beifall)