Ich habe als Mediziner
Infektionskrankheiten studiert,
und nach meiner Ausbildung
zog ich von San Francisco
nach Somalia.
Zum Abschied sagte mir
der Oberarzt der Abteilung
für Infektionskrankheiten
im Krankenhaus San Francisco General:
"Gary, das ist der größte
Fehler Ihres Lebens."
Dann kam ich in die Situation,
mit einer Millionen
Flüchtlingen in 40 Lagern
und 6 Ärzten auskommen zu müssen.
Dort wüteten viele Seuchen.
Mein Verantwortungsbereich
lag hauptsächlich
bei Tuberkulose,
und dann brach eine
Cholera-Epidemie aus.
Also musste ich die Verbreitung
der Tuberkulose und der Cholera
in Schach halten.
Um diese Aufgabe zu bewältigen,
mussten wir wegen des Mangels an
medizinischem Personal
Flüchtlinge heranziehen und
zu einer Art Pflegepersonal ausbilden.
Nach drei Jahren Arbeit in Somalia
beauftragte mich die WHO,
mich der AIDS-Epidemie zu widmen.
Ich war hauptsächlich in Uganda tätig,
aber auch in Ruanda, Burundi,
Zaire -- dem jetzigen Kongo --
Tansania, Malawi
und einigen anderen Ländern.
Zuletzt leitete ich eine Einheit
namens Interventionsentwicklung,
die Interventionsmaßnahmen
entwickeln sollte.
Nach 10 Jahren Arbeit im Ausland
war ich völlig erschöpft.
Ich hatte fast keine Energie mehr.
Ich war von Land zu Land gezogen.
Ich fühlte mich
emotional ziemlich isoliert.
Ich wollte nach Hause.
Ich hatte so viele Tote gesehen,
die meisten davon waren
an Epidemien gestorben.
Seuchentod erlebt man anders.
Er ist von Angst und Panik gezeichnet.
Ich hatte Frauen in der Wüste
klagen und weinen gehört.
Ich wollte nach Hause,
eine Pause machen
und vielleicht von vorne anfangen.
In Amerika waren
mir keine Probleme
mit Seuchen bekannt.
In der Tat war ich mir gar keiner
Probleme in Amerika bewusst.
Im Ernst jetzt.
Wenn ich Freunde besuchte,
fiel mir auf,
dass Wasser direkt zu ihnen ins Haus kam.
Wer kann das noch
von sich behaupten?
(Gelächter)
Und dann hatten manche,
sogar viele,
Wasseranschlüsse in mehr
als nur einem Zimmer.
Und mir fiel auf,
dass sie mit dem Regler am Thermostat
die Temperatur in ihrem Haus
bis auf einen Grad genau
einstellen konnten.
Und ich mache das jetzt auch.
Ich wusste nicht, was
ich als Nächstes tun sollte,
aber dann erzählten mir
meine Freunde von Kindern,
die mit Pistolen
auf andere Kinder schossen.
Und ich fragte sie:
Was tut ihr dagegen?
Was unternehmt ihr in Amerika dagegen?
Dazu gab es zwei vorherrschende
Erklärungen oder Vorstellungen.
Die eine war Bestrafung.
Davon hatte ich schon gehört.
Wir, die sich mit Verhalten
auseinandersetzten,
wussten, dass Bestrafung
zwar diskutiert wurde,
aber auch, dass sie
ziemlich überbewertet wird.
Weder war es der
Hauptantrieb für Verhalten,
noch für Verhaltensänderung.
Außerdem erinnerte es mich
an historische Epidemien,
die anfangs völlig
fehlinterpretiert wurden,
weil es die Wissenschaften
noch nicht gab;
Pestepidemien
oder auch Typhus oder Lepra,
die hauptsächlich mit
bösen Menschen, negativer Stimmung
oder schlechter Luft assoziiert wurden.
Witwen wurden durch Gräben gezogen,
und Kerker waren Teil der Lösung.
Die zweite Erklärung oder auch
der zweite Lösungsvorschlag war,
dass man alles in Ordnung bringen sollte:
die Schulen, die Gemeinde,
die Wohnungen, die Familien,
einfach alles.
Auch das hatte ich schonmal gehört.
Ich nannte es die "Alles"-Theorie,
"AadW: Alles auf der Welt".
Wir hatten jedoch auch schon
bei der Bewältigung anderer
Prozesse und Probleme erkannt,
dass man manchmal
nicht alles ändern muss.
Ich hatte das Gefühl,
dass hier eine
gigantische Lücke klaffte.
Das Gewaltproblem
steckte in einer Sackgasse.
In der Geschichte ist das schon
bei vielen anderen
Problemen so gewesen.
Bei Durchfallerkrankungen
und Malaria kam man nicht voran.
Oft muss eine Strategie
überdacht werden.
Ich hatte noch keine
genaue Vorstellung davon,
aber ich hatte das Gefühl,
dass wir eine neue Kategorie
von Mitarbeitern brauchten,
auch eine Art Verhaltensänderung
und öffentliche Bewusstseinsbildung.
Aber ich fing an, Fragen zu stellen
und nach den bekannten
Dingen zu suchen,
die ich schon vorher erforscht hatte,
z.B. wie sehen die Karten aus?
Wie verhalten sich die Grafiken?
Worauf deuten die Statistiken?
Die Geografie der Gewalt
sah in den meisten
US-amerikanischen Städten so aus:
Es gab Ballungen.
Das erinnerte mich an die Ballungen,
die wir bei Seuchen
beobachtet hatten,
z.B. bei Cholera.
Dann sahen wir uns die Karten an,
und sie zeigten
diese typischen Wellen,
Welle um Welle,
weil jede Epidemie
eine Kombination
vieler Epidemien ist.
Es sah auch wie
eine ansteckende Epidemie aus.
Dann stellten wir die Frage:
Wie kündigt sich ein Gewaltakt an?
Es stellte sich heraus,
dass die sicherste Vorhersage
für einen Gewaltakt
ein vorausgegangener Gewaltakt ist.
Das erinnert an eine Grippeinfektion:
Sie bricht aus,
wenn man von jemandem
damit angesteckt wird, oder:
Das größte Risiko
einer Tuberkuloseinfektion hat man,
wenn man damit
in Berührung gekommen ist.
Wir sehen also,
dass sich Gewalt ähnlich
wie eine ansteckende
Krankheit verhält.
Uns ist das ohnehin bewusst,
selbst in unseren
täglichen Erfahrungen
oder in Zeitungsartikeln
über sich ausbreitende
Gewalt bei Kämpfen
bei Banden- oder Bürgerkriegen,
sogar beim Völkermord.
Also gibt es auch gute Nachrichten,
denn Epidemien
lassen sich zurückdrängen.
Man muss tatsächlich
nur drei Dinge tun,
um Epidemien zurückzudrängen.
Zuerst muss die Übertragung
unterbrochen werden.
Für diese Unterbrechung
muss man die ersten
Ausbrüche aufspüren.
Anders gesagt, bei T.B.
muss man die Person finden,
die ein aktiver Träger ist
und andere Leute ansteckt.
Leuchtet das ein?
Dafür gibt es spezielles Personal.
Eigens für dieses Problem
haben wir eine neue
Helferkategorie entworfen,
die -- wie SARS-Helfer
oder solchen, die nach
Vogelgrippe Ausschau halten --
nach Erstausbrüchen sucht.
Hier ist es jemand,
der sehr wütend ist,
weil jemand seine
Freundin angesehen hat
oder ihm Geld schuldet.
Man kann dazu Leute suchen und sie
für diese spezielle
Tätigkeit ausbilden.
Der zweite Schritt ist natürlich,
eine weitere Verbreitung
zu verhindern
d.h. herauszufinden,
wer dem noch ausgesetzt war,
aber momentan noch nicht
viel zur Verbreitung beiträgt,
wie jemand mit einem
weniger akuten Fall von T.B.,
oder jemand, der sich nur
in der Umgebung aufhält,
aber in derselben Gruppe ist.
Auch um sie muss man sich irgendwie
im Rahmen dieses speziellen
Krankheitsprozesses kümmern.
Der letzte Schritt beinhaltet
die Normverschiebung.
Dazu benötigt man eine
Reihe von Gemeinschaftsaktivitäten,
Umgestaltung, öffentliche Aufklärung.
Dann erreicht man das,
was man vielleicht
Gruppenimmunität nennen kann.
Mit dieser Kombination aus Schritten
wurde die AIDS-Epidemie in Uganda
erfolgreich eingedämmt.
Also beschlossen wir im Jahr 2000
es anzugehen,
indem wir eine neue Art
von Mitarbeitern anstellten,
das waren zunächst die Gewaltunterbrecher.
Danach richteten wir alles
in einem Viertel ein,
das zu jener Zeit
als schlimmstes Polizeirevier
der Vereinigten Staaten galt.
Gewaltunterbrecher also,
rekrutiert aus derselben Gruppe,
Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Zugang,
genau wie beim
Gesundheitspersonal in Somalia,
aber für eine andere
Gruppe entworfen,
darin geschult zu überzeugen,
Leute zu beruhigen, Zeit zu gewinnen,
Konflikte neu zu bewerten.
Dann eine andere
Gruppe von Mitarbeitern,
aufsuchende Sozialarbeiter,
um Leute 6 bis 24 Monate lang
in Therapie zu halten.
Genau wie bei T.B., nur, dass das
Ziel eine Verhaltensänderung ist.
Dazu eine Reihe von
Gemeinschaftsaktivitäten,
um Normen zu ändern.
Unser erster Versuch
hatte eine Reduktion von 67 %
bei Schießereien und Tötungen
im Bezirk von West Garfield
in Chicago zur Folge.
(Applaus)
Das war großartig
für den Bezirk,
zuerst 50 oder 60 Tage, dann 90,
dann gab es leider
wieder eine Schießerei
innerhalb weiterer 90 Tage.
Die Mütter trafen sich nachmittags.
Sie nutzten Parks, die sie
vorher nicht betreten hatten.
Die Sonne schien. Alle waren glücklich.
Doch die Geldgeber
sagten natürlich: "Wartet mal,
versucht das nochmal."
Und so mussten wir dann, zum Glück,
die Gelder aufbringen,
um diesen Versuch zu wiederholen.
Das ist einer der nächsten vier Bezirke,
in denen Schießereien und
Tötungen um 45 % abnahmen.
Seitdem wurde dieser Versuch
20-mal wiederholt.
Die Johns Hopkins-Universität führte
unabhängige Evaluationen durch,
unterstützt vom Justizministerium und
dem Zentrum für Seuchenbekämpfung,
die Rückgänge von
Schießereien und Tötungen
um 30-50 % sowie 40-70 % zeigten,
wenn diese neue Methode
angewandt wurde.
In der Tat wurden mittlerweile
drei unabhängige
Evaluationen durchgeführt.
Dadurch haben wir viel
Aufmerksamkeit erhalten,
einschließlich einer Titelgeschichte
im New York Times' Sunday Magazine.
2009 schrieb man im Economist,
das sei "der Ansatz,
der Bedeutung erlangen wird."
Sogar ein Film wurde
über unsere Arbeit gedreht.
[The Interrupters]
Aber das geschah nicht so schnell,
denn viele Leute
waren nicht einverstanden
mit unserer Art,
die Sache anzugehen.
Wir ernteten viel Kritik,
viel Widerstand
und hatten viele Gegner.
Anders gesagt: Was meinen Sie
mit "Gesundheitsproblem"?
Wieso "Epidemie"?
Wie, keine bösen Menschen?
Es gibt eine ganze Branche
zur Verwaltung von bösen Menschen.
Was wollen Sie damit sagen,
Menschen mit
einer Vorgeschichte anstellen?
Meine Geschäftsfreunde sagten:
"Gary, du wirst heftig kritisiert.
Du musst etwas richtig machen."
(Gelächter)
Meine Musikerfreunde fügten
dem noch das Wort "Kumpel" hinzu.
Wie auch immer,
dieses Problem existierte noch immer,
und wir wurden auch
stark dafür kritisiert,
dass wir uns nicht mit all den
anderen Problemen auseinandersetzten.
Trotzdem konnten wir Malaria
unter Kontrolle bringen
und HIV eindämmen,
genau wie Durchfallerkrankungen,
an Orten mit schlimmer Wirtschaftslage,
ohne die Wirtschaft zu heilen.
Letztendlich ist Folgendes passiert:
Obwohl es immer noch Gegner gibt,
wächst unsere Bewegung deutlich.
Viele der größten Städte in den USA,
einschließlich New York City
und Baltimore
und Kansas City
haben dieses Modell offiziell eingeführt.
Die Gesundheitsministerien
von Chicago und New Orleans
haben eine wichtige Rolle eingenommen.
Das Projekt wird von der Exekutive
mittlerweile besser angenommen
als noch vor Jahren.
Traumazentren und Krankenhäuser
bringen sich aktiv mit ein.
Die US-amerikanische
Bürgermeisterkonferenz
hat nicht nur den Ansatz,
sondern das spezielle Modell befürwortet.
Noch schneller wurde die Idee
im internationalen Umfeld aufgenommen.
Der erste Bezirk in Puerto Rico
verzeichnet schon einen Rückgang um 55 %.
In Honduras hat das Interventions-
programm gerade begonnen.
In Kenia wurde die Strategie bei
den jüngsten Wahlen angewandt.
Im Irak fanden 500
Gewaltunterbrechungen statt.
Gewalt reagiert also auch
wie eine Krankheit,
und verhält sich wie eine Krankheit.
Die Theorie wird also gewissermaßen
durch die Behandlung bestätigt.
Kürzlich hat das Institute of Medicine
einen Tagungsbericht veröffentlicht,
der einige Statistiken dazu aufgreift,
einschließlich der Neurowissenschaft,
wie dieses Problem
wirklich übertragen wird.
Für mich sind das gute Nachrichten,
denn es gibt uns die Möglichkeit,
aus dem Mittelalter auszubrechen,
in dem wir uns in dieser Hinsicht
meiner Meinung nach befinden.
Es gibt uns die Möglichkeit,
in Betracht zu ziehen,
einige Gefängnisse
mit Spielplätzen oder Parks zu ersetzen,
und in Betracht zu ziehen,
unsere Bezirke in
Gemeinschaften zu verwandeln
und eine neue Strategie zuzulassen,
eine neue Reihe von
Methoden und Helfern:
Wissenschaft, die auf
gewisse Weise die Moral ersetzt.
Die Abkehr von Emotionen
ist der wichtigste Teil der Lösung,
die Hinwendung zur Wissenschaft als
wichtigerer Teil der Lösung.
Ich hatte nicht vor,
das alles zu entwickeln.
Es ging darum,
dass ich eigentlich eine Pause wollte,
und dann sahen wir uns
Karten und Grafiken an,
stellten einige Fragen,
und probierten einige Instrumente aus,
die tatsächlich schon
viele Male zuvor
für andere Dinge genutzt wurden.
Ich für meinen Teil versuchte von
den Infektionskrankheiten wegzukommen
und schaffte es nicht.
Danke.
(Applaus)