Guten Tag.
Mehrere Häuser oder
mehrere Kleider zu besitzen,
ist -- wenn man Kleider liebt --
ein großes Glück, oder?
Viele Möglichkeiten zu haben,
ist auch ein großes Glück.
Mehrere Sprachen zu sprechen,
ist das auch Glück?
Hier fängt man an zu überlegen.
Man fragt sich, ob die Tatsache, mehrere
Sprachen zu sprechen oder zu lernen,
genauso leicht ist, wie
nur eine einzige Sprache zu lernen.
Wenn es um Englisch oder Japanisch geht --
hoch angesehene Sprachen --
ja, dann ist es wohl Glück.
Ich denke, in diesen Fällen
ist die Antwort "Ja".
Wenn ich Ihnen allerdings sage,
dass ich Susu, Bambara, Arabisch
und Französisch spreche
-- die Sprachen der Kinder der
Einwanderer in Frankreich --
dann wird es komplizierter.
Stellt nicht die Tatsache,
eine andere Muttersprache zu haben,
ein Hindernis dar, um gutes
Französisch zu sprechen?
Ist es nicht das Wichtigste,
gut Französisch zu sprechen?
Wenn man zu Hause
Arabisch lernt oder hört,
ist das nicht ein Hindernis,
das Sie davon abhält,
gutes Französisch zu lernen?
Um gut Französisch zu sprechen,
wäre es da nicht besser, dass zu Hause
Französisch gesprochen wird?
Viele Vorurteile, viele Hindernisse,
die zeigen, dass wir unter den Sprachen
eine Hierarchie errichtet haben,
und dass eine fremde Muttersprache
nur wenig Anerkennung findet.
Die Forschung zur Zweisprachigkeit,
oder zur Mehrsprachigkeit
ist umfangreich und alt -- 50 Jahre.
Seit 50 Jahren wissen Forscher,
dass Zweisprachige
und erst recht Mehrsprachige --
die, die mehrere Sprachen sprechen --
die diese Sprachen entweder gleichzeitig
oder hintereinander gelernt haben,
eine bessere Konzentrationsfähigkeit
haben als die anderen,
die Einsprachigen, die,
die nur eine Sprache sprechen.
Forscher haben auch gezeigt, dass,
wer zweisprachig aufgewachsen ist,
eine bessere Fähigkeit besitzt,
sich an eine neue Umgebung, an Regeln
oder an Herausforderungen anzupassen.
Sie haben auch gezeigt,
dass die Zweisprachigen viel ausgeprägtere
metalinguistische Fähigkeiten besitzen,
d. h. sie sind viel früher
schon in der Lage,
zwischen der Sache
und dem Wort zu unterscheiden --
was wir normalerweise
erst sehr viel später lernen,
auf dem Gymnasium oder in der Philosophie.
Fasse ich die internationalen
Forschungsergebnisse
zur Zweisprachigkeit zusammen,
scheint es für Kinder leicht zu sein,
mehrere Sprachen zu lernen.
Dieses zusätzliche Wissen wird
ausschließlich als Glück angesehen.
Dennoch gibt es absolut
unglaubliche Vorurteile in dieser Frage.
Ich habe das Glück,
Kinderpsychiaterin und Leiterin
des "Maison de Solenn" in Paris zu sein,
so dass ich jeden Tag
Einwandererfamilien und ihre Kinder sehe,
seien es Kinder von Einwanderern,
Kinder von gemischten Paaren
oder auch im Ausland adoptierte Kinder --
alles Konstellationen, in denen die Kinder
mit mehreren Sprachen aufwachsen.
Diese Familien sagen alle,
wie schwer es ist,
mehrere Sprachen zu sprechen.
Vorurteile, falsche Vorstellungen,
vollkommen überraschende Ratschläge,
wie der, dass man mit einem Kind
nacheinander, nicht gleichzeitig
in unterschiedlichen Sprachen
sprechen soll,
d. h. es soll immer dieselbe Person
in der Sprache A sprechen,
und dieselbe Person in der Sprache B,
da das Kind sonst beide Sprachen vermischt
und keine von beiden gut spricht.
Lauter Vorurteile, die überhaupt keine
wissenschaftliche Grundlage haben,
aber die als Gewissheiten gelten,
die wir auf Kinder mit mehreren
Sprachen projizieren.
Ich hatte das Glück, Spanisch zu lernen.
Ich bin in Spanien geboren
und anschließend in einem kleinen Dorf
in den Ardennen aufgewachsen.
Ich habe Französisch
also mit 6 Jahren gelernt,
als ich in die Schule gekommen bin.
In nur wenigen Wochen habe ich,
wie alle Kinder in diesem Alter,
Französisch gelernt.
Aber ich hatte das Glück
einer wunderbaren Begegnung:
Ich hatte eine Lehrerin, die ganz intuitiv
die Einzigartigkeit und Besonderheit
von zweisprachigen Kindern verstand
und die diese auch wertschätzte.
Ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte.
Eines Tages sagte ich
zu meiner Schulfreundin:
"Gib mir bitte meine 'Boufande'."
Ich hatte ein Wort erfunden -
ich wusste nicht, was "Schal" heißt,
und habe daher das spanische Wort
"bufanda" ins Französische übertragen,
habe es in ein hübsches Wort umgewandelt
und ich schlage Ihnen heute vor,
einen Schal "boufande" zu nennen.
Die Lehrerin kam vorbei,
hörte meine Wortschöpfung
und sagte zu meiner Schulfreundin:
"Weißt du, Marie-Rose ist eine Dichterin."
Und warum war ich zur Dichterin geworden?
Weil ich ein Wort erfunden hatte --
also etwas, das sonst Dichter tun.
Dichter dürfen Wörter erfinden.
Am nächsten Tag lernte
die ganze Klasse im Vorbereitungskurs
etwas darüber, was Dichter dürfen,
d. h. sie war nicht nur der Meinung,
dass ich keinen Fehler gemacht hatte,
als ich meine beiden Sprachen
wild durcheinander gewürfelt hatte.
sondern sogar eine Chance,
die es allen Kindern ermöglichte,
sich mit dem Konzept der Zweisprachigkeit
vertraut zu machen,
und mit den Gründen für Wortschöpfungen.
Diese Lehrerin hatte intuitiv verstanden,
dass zweisprachig aufgewachsene Kinder
Besonderheiten aufweisen können,
dass aber diese Besonderheiten
zum Nutzen aller sein können.
Sie hatte verstanden, wie wichtig es ist,
die eigene Muttersprache wertzuschätzen.
Es geht also um
den Status der Muttersprache.
Heute weiß man, wie wichtig sie ist,
da sie es uns ermöglicht,
uns auszudrücken,
und das mit Freude.
Zweifellos stehe ich heute nur deshalb
mit so viel Freude hier vor Ihnen,
weil ich gelernt habe, in meiner
Muttersprache zu sprechen,
und weil dies wertgeschätzt wurde
und mir Zugang zu Wissen verschafft hat.
Wenn nun aber die Muttersprache
so wichtig ist,
wenn Zweisprachigkeit eben nicht nur
für die Kinder so wertvoll ist,
warum ist es dann so schwierig?
Warum sind zum Beispiel in Frankreich
nur 10 % der Migrantenkinder zweisprachig?
Nur 10 % -- das ist sehr wenig!
In Großbritannien, in Schweden, in den
Ländern nördlich von Frankreich
sind 60 % der Migrantenkinder
zweisprachig,
und das, obwohl Englisch ja eine so
wichtige und herrschende Sprache ist,
die man in der ganzen Welt versteht.
60 % der Migrantenkinder in Großbritannien
sind also zweisprachig.
Und es ist auch festzustellen,
dass es in diesen Ländern
nicht wie manchmal bei uns in Frankreich
Jugendliche mit
Migrationshintergrund gibt,
die im Laufe eines Fußballspiels
Frankreich auspfeifen,
weil sie sich nicht mit
Frankreich identifizieren.
Sie pfeifen Frankreich aus -- so etwas
hört man in anderen Ländern nicht.
Warum?
Weil die Anerkennung der verschiedenen
Zugehörigkeiten der Kinder,
der verschiedenen Sprachen der Kinder,
ein Wir-Gefühl und einen
Gruppenzusammenhalt schafft.
Aber in Frankreich vermitteln
wir diese Sprachen nicht
und wir unterstützen auch nicht
die Vermittlung von Sprachen.
Warum? Weil wir Angst vor dem
Kommunitarismus haben.
Dieses Wort wird übrigens
als sehr negativ aufgefasst:
der Begriff der Gemeinschaft.
Was aber den Kommunitarismus
ausmacht und begünstigt,
ist die Zurückweisung, die Angst,
der Mangel an Brüderlichkeit,
der Mangel an Solidarität --
nicht Anerkennung, nicht
die Einbeziehung in eine Gruppe.
Dieses Thema ist also sehr wichtig.
In der Schule
-- das zeigen alle internationalen und
französischen Studien --
sind es die Migrantenkinder,
die am besten abschneiden,
immer entweder zweisprachig
oder sie denken positiv
über ihre Muttersprache.
Sie sind stolz darauf,
sie finden es gut, diese Sprache
zu Hause zu sprechen
und sie mit anderen teilen zu können.
Daraus folgen ein paar ganz
praktische Dinge:
Angenommen ein Kind hat Schwierigkeiten
Französisch zu sprechen,
wenn es in die Schule kommt.
Statt seiner Mutter zu sagen: "Sprechen
Sie mit ihm zu Hause Französisch",
sollte man ihr sagen: "Sprechen Sie
mit ihm Ihre Muttersprache,
zeigen Sie ihm Bücher,
erzählen Sie ihm Geschichten,
damit es Sicherheit in der Sprache findet
und keine Angst mehr
vor dem Französischen hat."
Später, im Vorbereitungskurs,
wenn man lernt, Französisch
zu lesen und zu schreiben,
gibt es viele Techniken
-- man kennt sie, aber man
benutzt sie selten --
die es ermöglichen, Verbindungen
zwischen den Sprachen herzustellen.
Zum Beispiel kann man ein Märchen
in zwei Sprachen durchnehmen,
Gemeinsamkeiten aufzeigen,
die Kinder als Experten heranziehen
oder sogar ihre Eltern und
deren Sprachen in die Schule holen.
Nun verstehen wir aber meist nicht
die Muttersprachen der Schulkinder.
Als Jugendlicher ist es die Muttersprache,
die einem erlaubt zu entscheiden,
was man einmal machen möchte.
Zum Beispiel persische Dichtung,
arabische Kalligraphie,
oder spanischer Flamenco.
Ich wähle.
Wenn ich nicht wählen kann,
weil ich nicht auf meine Muttersprache
zurückgreifen kann,
wenn ich mich als Opfer fühle,
wenn ich keinen Stolz auf meine Welt,
mein Universum, meine Eltern verspüre,
dann bin ich viel einfacher erscheinenden,
aber auch aggressiveren
Einflüssen ausgeliefert,
zum Beispiel den weltweiten
religiösen Auswüchsen
oder Gruppierungen,
die mir die Illusion geben,
dass ich nützlich bin,
dass ich zu etwas gut bin,
und dass ich zu ihnen gehöre.
Genau das ist die große Gefahr,
eine tragische Versuchung,
und es ist wichtig, dass wir diesen
Jugendlichen andere Möglichkeiten
als diese gewalttätigen und mörderischen
Versuchungen bieten können.
Fassen wir also die Frage der
Muttersprachen zusammen:
Die Muttersprachen der Kinder
anzuerkennen,
sie zu lieben, sie wertzuschätzen,
ist gut für die Kinder,
da es ihnen hilft, erfolgreich
und glücklich zu sein,
und auch mit ihrer Herkunft
im Reinen zu sein.
Aber es ist auch gut für uns alle,
weil es eine soziale Verbindung schafft,
die allen einen Platz gibt,
die niemanden auf dem Weg zurücklässt,
die Menschen mit
unterschiedlicher Herkunft vereint
und zu einer Gruppe formt.
Und wie es Mona Ozouf sagt,
diese große Historikerin, bei der
zu Hause Bretonisch gesprochen wurde:
"Muttersprachen anzuerkennen,
diese Vielfältigkeit anzuerkennen,
gibt uns allen auf gewisse Weise
die Möglichkeit, 'Wir' zu sagen."
Das wünsche ich Ihnen,
das wünsche ich uns.
Ich danke Ihnen unendlich
-- auf Französisch,
einem Französisch,
das alle Sprachen umfasst.
(Applaus)