Wenn Design irgendeine Macht hat,
dann ist es die Macht der Synthese.
Je komplexer das Problem,
desto größer der Wunsch nach Einfachheit.
Ich schildere Ihnen drei Fälle,
bei denen wir die Macht des Designs
zur Synthese anzuwenden versuchten.
Beginnen wir mit der globalen
Herausforderung der Verstädterung.
Es ist eine Tatsache, dass
Menschen in Städte ziehen.
Und paradoxerweise ist das gut.
Den Menschen geht es
in Städten nachweislich besser.
Aber es gibt ein Problem,
das ich die "3G"-Gefahr nenne:
Die Größe, die Geschwindigkeit
und die geringen Mittel,
mit denen wir auf dieses
Phänomen reagieren müssen,
hat es noch nie gegeben.
Zur besseren Veranschaulichung:
Von 3 Mrd. Stadtbewohnern
lebt 1 Milliarde unter der Armutsgrenze.
Im Jahr 2030 werden von 5 Mrd. Menschen,
die in Städten wohnen werden,
2 Milliarden unter der Armutsgrenze leben.
Das bedeutet, wir müssen jede Woche
eine 1-Millionen-Einwohner-Stadt bauen,
mit ca. 8.500 Euro pro Familie
innerhalb der nächsten 15 Jahre.
Eine 1-Millionen-Einwohner-Stadt pro Woche
mit 8.500 Euro pro Familie.
Lösen wir diese Gleichung nicht,
werden die Menschen
dennoch weiter in Städte ziehen,
aber sie werden in Slums leben,
in informelle Siedlungen.
Was kann man dagegen tun?
Ein Antwort kann aus
den Elendsvierteln selbst kommen.
Ein Schlüssel könnte
in dem Auftrag liegen,
den wir vor 10 Jahren erhielten.
Wir wurden gebeten,
100 Familien unterzubringen,
die illegal einen halben Hektar
des Stadtzentrums von Iquique
im Norden Chiles besetzt hatten.
Wir hatten 8.500 Euro
an Zuschuss zur Verfügung,
wovon wir Land kaufen,
die Infrastruktur bereitstellen und
Häuser bauen mussten, die bestenfalls
40 Quadratmeter groß wären.
Und übrigens meinten sie,
dass die Grundstückspreise
im Stadtzentrum dreimal höher sind,
als man sich im sozialen
Wohnungsbau leisten kann.
Wegen der schwierigen Situation
entschieden wir uns, die Familien
in den Verstehensprozess
der Beschränkungen einzubeziehen.
Wir begannen einen
partizipativen Planungsprozess
und prüften, was auf
dem Markt verfügbar war.
In Einfamilienhäusern
könnten 30 Familien untergebracht werden,
in Reihenhäusern 60 Familien.
["100 Familien"]
In die Höhe zu bauen,
war die einzige Möglichkeit,
alle unterzubringen.
Aber sie drohten uns damit,
in einen Hungerstreik zu treten,
falls wir es wagten, ihnen das als Lösung
überhaupt anzubieten.
Denn so könnten sie
ihre winzigen Wohnungen
nicht ausbauen.
Das Fazit mit den Familien war --
nicht unser Fazit, das ist wichtig --
dass es ein echtes Problem gab.
Wir mussten innovativ sein.
Was machten wir also?
Nun, eine Mittelstandsfamilie lebt
auf etwa 80 Quadratmetern ziemlich gut,
aber wenn es kein Geld gibt,
reduziert der Markt die Größe des Hauses
auf 40 Quadratmeter.
Wir sagten daher, was wäre,
wenn wir die 40 Quadratmeter
nicht als kleines Haus
sondern als Hälfte von einem guten Haus
betrachten würden?
Wenn man das Problem neu formuliert,
als die Hälfte eines guten Hauses
statt eines kleinen,
dann ist die Schlüsselfrage,
welche Hälfte machen wir?
Wir dachten, dass wir
mit den öffentlichen Geldern
die Hälfte machen sollten, die Familien
sich einzeln nicht leisten können.
Wir ermittelten
fünf Entwurfsvoraussetzungen,
die zur festen Hälfte
eines Hauses gehören,
und wir gingen zu den Familien zurück,
um zwei Dinge zu tun:
Kräfte bündeln und Aufgaben verteilen.
Unser Entwurf war eine Art Kompromiss
zwischen einem Gebäude und einem Haus.
Als Gebäude wäre es auf teurem,
gut gelegenem Land leistbar,
und als Haus konnte es sich erweitern.
Wenn Familien bei der Suche
nach einem Haus
nicht an den Stadtrand vertrieben würden
und ihr Netzwerk und
ihre Jobs erhalten konnten,
dann würde der Ausbau
sicher sofort beginnen.
Wir gingen vom ursprünglichen Sozialbau
zu einer Mittelklasse-Einheit über,
die von den Familien selbst
in ein paar Wochen umgesetzt wurde.
Das war unser erstes Projekt
in Iquique vor 10 Jahren.
Das war unser letztes Projekt in Chile.
Unterschiedliche Gestaltung,
das gleiche Prinzip:
Man liefert den Rahmen
und den Rest übernehmen die Familien.
Der Zweck von Design ist es,
beim Begreifen und Lösen
der "3G"-Gefahr --
Größe, Geschwindigkeit
und geringe Mittel --
die Fähigkeit der Menschen zu nutzen,
selbst etwas zu bauen.
Wir werden die 1-Million-Menschen-
pro-Woche-Gleichung nicht lösen,
wenn wir nicht die Fähigkeit
der Menschen selbst nutzen.
Mit der richtigen Gestaltung
werden Slums und Favelas
nicht mehr das Problem,
sondern im Grunde die einzig
mögliche Lösung sein.
Im zweiten Fall geht es darum,
wie Design zu Nachhaltigkeit
beitragen kann.
2012 nahmen wir an einem Wettbewerb
für das Angelini-Innovationszentrum teil.
Das Ziel war, die richtige Umgebung
für Wissensbildung zu schaffen.
Es wird angenommen,
dass für ein solches Ziel,
Wissensbildung,
Interaktion zwischen Menschen,
persönliche Kontakte,
wichtig sind, da waren wir uns einig.
Aber wir fassten die Frage
nach der richtigen Umgebung
sozusagen wortwörtlich auf.
Wir wollten eine Arbeitsumgebung
mit dem richtigen Licht,
der richtigen Temperatur,
der richtigen Raumluft.
Daher fragten wir uns selbst:
Hilft uns das typische Bürogebäude
in dieser Hinsicht?
Wie sieht so ein Gebäude
normalerweise aus?
Es ist eine Ansammlung von Etagen,
eine über der anderen,
mit einem Kern im Zentrum
mit Aufzügen, Treppen,
Leitungen, Kabeln usw.,
und einer Glashaut auf der Außenseite,
die wegen direkter Sonneneinstrahlung
im Inneren einen enormen
Treibhauseffekt erzeugt.
Hinzu kommt, dass z. B. jemand,
der in der 7. Etage arbeitet,
täglich durch die 3. Etage läuft,
aber nicht weiß, woran der Typ
auf diesem Stockwerk arbeitet.
Daher dachten wir,
wir sollten dieses System
vielleicht umdrehen.
Also überlegten wir uns,
ein offenes Atrium zu bauen,
einen hohlen Kern
mit der gleichen Etagenanzahl.
Aber die Wände und die Masse
befinden sich auf der Außenseite,
damit die auftreffenden Sonnenstrahlen
sich nicht direkt aufs Glas auswirken,
sondern auf die Mauer.
Wenn man im Innern ein offenes Atrium hat,
sieht man von innerhalb des Gebäudes,
was andere tun, und man kann
das Licht besser kontrollieren.
Werden die Masse und die Wände
nämlich in die Außenhaut eingebracht,
wird so die direkte
Sonneneinstrahlung verhindert.
Man könnte auch diese Fenster öffnen,
um Querlüftung zu erzeugen.
Wir machten einfach diese Öffnungen
entsprechend groß, damit sie
als erhöhte Plätze,
durchgehende Freiräume,
über die gesamte Gebäudehöhe fungieren.
Das ist keine große Kunst.
Man braucht keine ausgefeilte Planung.
Es geht nicht um Technologie.
Das ist einfach uralter,
primitiver Menschenverstand.
Indem wir Menschenverstand nutzten,
kamen wir von 120 Kilowatt[stunden]
pro Quadratmeter im Jahr --
der durchschnittliche Energieverbrauch
zum Kühlen von Glastürmen --
auf 40 Kilowatt[stunden]
pro Quadratmeter im Jahr.
Mit der richtigen Gestaltung
ist Nachhaltigkeit nichts weiter
als die konsequente Nutzung
des Menschenverstands.
Im letzten Fall möchte ich zeigen,
wie Design eine umfassendere Antwort
auf Naturkatastrophen liefern kann.
Vielleicht wissen Sie, dass Chile 2010
von einem Erdbeben der Stärke 8,8
auf der Richterskala
und einem Tsunami erfasst wurde,
und wir wurden gebeten,
am Wiederaufbau von Constitución
im Süden des Landes mitzuwirken.
Wir hatten 100 Tage, drei Monate,
um fast alles zu entwerfen,
von öffentlichen Gebäuden
über öffentliche Plätze
bis hin zu Straßennetz,
Verkehr, Wohnraum,
aber vor allem mussten wir
herausfinden, wie die Stadt
vor zukünftigen Tsunamis
geschützt werden konnte.
Das war neu in der
chilenische Stadtgestaltung.
Und es lagen ein paar
Alternativen in der Luft.
Erste Alternative:
Installationen auf
dem Ground Zero verbieten.
30 Millionen Dollar werden vorwiegend
für Landenteignung verwendet.
Genau das wird heute in Japan diskutiert,
und wenn man ein diszipliniertes Volk
wie die Japaner hat,
kann das funktionieren.
Aber wir wissen, dass das Land in Chile
sowieso illegal besetzt werden wird.
Also war diese Alternative
unrealistisch und nicht wünschenswert.
Zweite Alternative: Eine hohe Mauer bauen,
eine massive Infrastruktur,
um der Kraft der Wellen standzuhalten.
Für diese Alternative setzten sich
die großen Baufirmen ein,
denn das hieß Verträge
im Wert von 35 Millionen Euro.
Es wurde auch politisch bevorzugt,
denn es war keine Landenteignung nötig.
Aber Japan zeigte, dass der Versuch,
der Naturgewalt standzuhalten,
sinnlos ist.
Diese Alternative war
daher unverantwortlich.
Wie beim Hausbau-Prozess vorhin
mussten wir die Gemeinschaft einbinden,
um hierfür eine Lösung zu finden.
Also starteten wir einen
partizipativen Designprozess.
(Video) [Span.] Ansage:
Welche Stadt wollen Sie?
Wählen Sie für Constitución.
Gehen Sie zum offenen Haus
und äußern Sie Ihre Meinung.
Machen Sie mit!
Fischer: Ich bin Fischer.
Für mich arbeiten 25 Fischer.
Wo soll ich mit ihnen hin? In den Wald?
Mann: Warum können wir
keinen Betonschutzwall haben?
Gut gemacht, natürlich.
Mann 2: Ich gehöre
zur Geschichte von Constitución.
Und Sie kommen her und sagen mir,
dass ich hier nicht mehr leben darf?
Meine gesamte Familie lebt hier,
ich zog meine Kinder hier auf,
meine Kinder ziehen
ihre Kinder hier auf,
und meine Enkel und
alle anderen werden das tun.
Warum drängen Sie mir das auf?
Sie! Sie drängen mir das auf!
Kein Bauen in der Gefahrenzone.
Er selbst sagt das.
Mann 3: Nein, nein, nein, Nieves ...
Alejandro Aravena: Ich weiß nicht, ob Sie
die Untertitel lesen konnten,
aber ich sage Ihnen,
anhand der Körpersprache sieht man,
dass partizipatives Design
keine Hippie-, Romantik-,
Lasst-uns-alle-von-der-
Zukunft-der-Stadt-träumen-Sache ist.
Es ist tatsächlich -- (Applaus)
Es geht nicht einmal darum,
mit den Familien
die richtige Antwort zu finden.
Es geht hauptsächlich darum,
genau zu erkennen,
was die richtige Frage ist.
Es gibt nichts Schlimmeres,
als die falsche Frage gut zu beantworten.
Daher war es nach diesem Prozess
ziemlich offensichtlich,
dass wir uns hier verdrücken
und weggehen, weil es zu angespannt ist,
oder wir gehen sogar weiter und fragen:
Was stört Sie sonst noch?
Welche anderen Probleme haben Sie,
um die wir uns kümmern sollen,
jetzt wo die Stadt
von Grund auf überdacht werden muss?
Und sie sagten: "Der Schutz der Stadt
vor zukünftigen Tsunamis ist ja ganz nett.
Das begrüßen wir auch. Aber
der nächste kommt vielleicht in 20 Jahren.
Jedoch haben wir jedes Jahr das Problem
der Überflutung aufgrund von Regen.
Außerdem sind wir inmitten
der Waldregion des Landes,
und unser öffentlicher Raum ist mies.
Er ist dürftig und gibt wenig her.
Der Ursprung unserer Stadt,
unsere Identität,
ist eigentlich nicht mit
den zerstörten Gebäuden verbunden,
sondern mit dem Fluss,
aber der Fluss ist nicht
öffentlich zugänglich,
denn die Flussufer sind in Privatbesitz.
Wir fanden daher, dass wir eine dritte
Alternative erarbeiten mussten.
Unser Ansatz war es, auf
geografische Gefahren
geografische Antworten zu finden.
Was wäre, wenn es zwischen der Stadt
und dem Meer einen Wald gäbe.
Ein Wald, der nicht versucht,
der Kraft der Natur zu widerstehen,
sondern sie durch Reibung verringert?
Ein Wald, der in der Lage wäre,
das Wasser zu schichten
und die Überflutung zu verhindern.
So könnte die historische Schuld
des öffentlichen Raums beglichen
und endlich ein demokratischer Zugang
zum Fluss bereitgestellt werden.
Als Fazit des partizipativen Designs
wurden die Alternativen
politisch und sozial bestätigt,
aber es gab immer noch das Kostenproblem:
40 Millionen Euro.
Wir machten daher eine Untersuchung
der öffentlichen Investitionssysteme
und wir entdeckten,
dass es 3 Ministerien
mit drei Projekten
genau am gleichen Ort gab,
ohne dass sie von der Existenz
der anderen Projekte wussten.
Die Gesamtsumme: 44 Millionen Euro.
Die Macht des Designs zur Synthese
liegt darin,
die geringen Mittel der Städte
effizienter zu nutzen,
wobei es nicht um Geld,
sondern um Koordination geht.
Dadurch konnten wir
3,4 Millionen Euro sparen,
weshalb sich der Wald
heute im Aufbau befindet.
(Applaus)
Sei es die Macht des Selbstbauens,
die Macht des gesunden Menschenverstands
oder die Macht der Natur, all diese Kräfte
müssen in eine Form übertragen werden.
Und diese Form modelliert und formt
nicht Zement, Ziegel oder Holz.
Sie formt das Leben selbst.
Die Macht des Designs zur Synthese
ist nur ein Versuch,
in den innersten Kern der Architektur
die Kraft des Lebens zu platzieren.
Vielen Dank.
(Applaus)